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361 Die Resignation, welche der Lücke im Unglück zeigt, beruht auf seinen religiösen Ansichten. Er glaubt nicht an eine blinde Nelhwen- digkeit, sondern an göttliche Verherbesiinimnnz. Diese Ueberzcugung verleiht ihm einen gewissen Stolz, der dem Muhammedaner überhaupt eigen ist; er glaubt von einem himmlischen Lichte erleuchtet zu seyn, Lesse» die Andersgläubigen entbehren müssen. Sein Fanatismus macht ihn ungerecht und grausam; er gestaltet aber dem Raja die ruhige Ausübung seiner Religion, so lange dieser ihm gutwillig den Tribut «ntrichtet. Die Eapitulanvn Jerusalems unter dem Chaliscn Omar ist ter TvpuS aller Perbandlungen mit besiegten Christen geworden. Das Uebcrgewlchk der Russen im Orient hat die Türken dahin ge bracht, daß sie sich wenigstens nicht mehr sür die erste aller Nationen balleti. Auch Sultan Mabmud's neue Eiurichlungen sind der Tole ranz sehr günstig geworden. Unler dem Generalstabe der neuen Trup pen, bei vielen Eroß-Würdenlrägern und am Hofe selbst ist der Islam nur noch etwas Aenßerliches, während andere Muhammedaner das Eule i» jetcr Religion schätzen, ohne deshalb ihrem Glauben untreu zu werden. Was den religiösen Stolz der Türken zu Konstanlinopel am empfindlichsten demülhigie, war die Einnahme von Algier, einer Statt, die sie als ein Bollwerk des Islams zu betrachten pflegten. Wenn die Russen der Krim sich bcmcistcrt, die Donau überschritten, den Balkan selbst erstiegen halten, so eristirle noch, zum Tröste des altgläubigen Moslim, eine junzsräuliche, von christlichen Eiusiüsscn un berührte Stadl, wo die Religio» MuhammcL'S unbeschränkt wallclc. Lie Engländer herrschten in Bagdad; Europäische Art und Sille drang in Aegypten ein; Mekka selbst batte den ketzerischen Wahabilen einmal itnterlikgen müssen — Algier allrin war »och das „unbcsieglc Haus des heiligen Kampfes" (Dar-ul-Dschihüd), wie die Araber es nannten. Auch verbreilrte die Nachricht ron scinrm endlich!» Falle große Bestür zung und Enlmuthigung unter den frommen Bioslimen aller Gegenden. Der Türke Hal treffliche Anlagen zum Soldaten: er ist nervig, zu allen LcibeS-Uebungen geschickt, tapfer im Streite, gehorsam und "gegen Strapazen wenig empfindlich. Ein Französischer Offizier, Herr Gaillard, Hal die ersten rcgulairen Truppen des EullanS gebildet und crzanisirl noch immer neue Sicgimentcr. Eine zahlreiche junge Mannschaft, ter vielleicht niemals Europäische Musik zu Ohren gekommen war, ist durch die Bemühungen des Piemonlcscrs Donizetli so weil gediehen, laß sie jetzt vollständige Chöre geschickter Spielleulc bildet. Was aber den Fortschritten der Civilisation im Osmanischen Reiche unbczweisclt mächtig cntgegcnwirkl, ist der Umstand, daß die Psorle keinen Ausländer in ihre inneren Angelegenheiten cinweibl. Nur Mu selmänner erhalten mililairischc Kommando'«; der Französische, Britische oder Deiilschc Offizier gilt sür einen bloßen milttairifchen Lehrer, de» inan besoldet; der Sultan gilbt solchen Instruktoren östcr Zeichen feines Wohlwollens; allein sic würden in viel größerer Achtung stehen, wenn man ihnen wirkliche Befehlshabcrstellen übertrüge. Ruch hätten die Türkischen Offiziere in diesem Falle weil nützlichere Vorbilder. Ler Türke reist wenig und besucht niemals ein Europäisches Land, cS sev denn, daß er zu einer Gesandtschaft gehörte. Die Burger von Konstanlinopel verlassen ihre Hauptstadt selbst zu merlanlilischc» Zwecken nur selten, oder sic besuchen höchstens die Küsten des Schwarzen Meeres. Die Ergötzlichkeilen der Türken sind weder mannigsach, noch ge räuschvoll. An schönen Sommerlagen siehl man den Muselmann unter kühlen Lauben, in der Nähe eines Springbrunnens, oder am User des Bosporus fast unbeweglich sitzen und seine lange Pfeife rauchen. Man glaube aber ja nicht, daß er gedankenlos dasitze: die Reflerion ist oci dem Türken immer ibätig, er brütet still über die Zukunsl, und bei dem Dampsc des Tschibuk reist mancher großartige Plan. ES ist eine höchst merkwürdige Thatsache, daß Türken, die ans einer'niedrigen Stellung im Leben urplötzlich zu hohen Aemlern befördert wurden, dem ungewohnte» Berufe fast ohne Ausnahme sich gewachsen Zeigten. Die vornehmen Türken lieben schöne Pferde; doch sicht man jetzt weniger Pserde in Konstantinopel, seitdem ter Sultan das Beispiel großer Einfachheit in seinem Kaiscilichen Hoshalt gegeben hat. Auch die ungeheuer zahlreichen Dienerschaften sind bedeutend rcduzirt worden. Es giebt in Konstantinopel eine große Menge öffentlicher Schulen, die zum Theil fromme Stiftungen sind; auch können die Kinder aller Stände lesen und schreiben. Bei mehreren Kaiserlichen Moscheen be findet sich eine höhere Lehr-Anstalt, wo Männer der Religion und des Gesetzes gebildet werden. Sckon vor Mahmud bestand eine mathema tische Schule, und der regierende Sultan bat ein chirurgisches Kollegium gestiftet, an dessen Spitze Europäische Wundärzte stehen. Beite Ein- richttmgcn haben guten Fortgang. Die Türken zeigen überhaupt große Lernbegierde; möchten nur ihre Studien so geleitet werden, daß sie nicht bloß mit den Formen, sondern auch mit dem Geiste ter Euro päischen Kultur inniger sich befreunden lernten! Da wir eben von öffentlichen Anstalten reden, so seh auch der nächtlichen Feuerwachen in Konstanlinopel Erwähnung gctban. Es giebt hier drei hohe Thürme, von denen einer im Mittelpunkte der Stadt, ein zweiter im Serai und der trittc in Galata sicht. Aus diesen Tbürmen befinden sich Feuerwachen. Sobald eine Feuersbrunst ausbricht, werden die beuachbarlcn Hauptwachen davon in Kennlniß gesetzt; starke Patrouillen ziehe» durch die Straßen, stoße» mit ihren dicken mit Eisen beschlagenen Stäben an den Boden und schreien ,,Feuer!" indem sie das Stadtviertel nennen, wo die Feuersbrunst ausgcbrochcn ist. Dann eilt Jeder, der etwas zu verlieren Hal, dort hin und reitet, waS er kann. Die sehr leicht gebaute» hölzernen Häuser, deren Wände ost von Innen mit Oelsarbe bemalt sind, gerathcn schnell in Brand; webt nun in solchem uuglücklichen Augenblicke der Wind, so gleicht die Feuersbrunst einem Strome, den nichts auszuhallcn vermag, und erlischt »jchl eher, bis sie auf ihrem Wege an ein massives steinernes Gebäude stößt. Es ist ein erschütterndes Schauspiel, zu sehe», wir die Leute ihr HauSgerälb aus den öffentlichen Plätzen über einander werfen, wie Frauen und Kinder flüchten, und wie man Häuser einreißt, um der fressenden Flamme ein Ziel zu setzen. Die Spritz-Pumpe» thun indeß ihre Schuldigkeit, und der Zuschauer beobachtet in ängstlicher Span nung den Kampf der beiden Elemente. Aber selbst da, wo das Feuer am ärgsten wülhel, entsteht keine Verwirrung; die morzenländischc Re signation macht jedes Unglück erträglicher. Ler Sultan, die Minister und die Großen des Reichs kommen persönlich ,wd crmuniern zn eifri ger Hülscleistnng. Ost sah ich eine ganze Familie in geringer Entfer nung von ihrcm abgebrannten Hause ruhig an einem Eckstein oder aus den Slusen vor einer Moschee sitzen und Hörle die Uuglücklichen mit großer Rube „ES war Golles Wille" sagen. Der Sultan wird bei solchen Gelegenheiten aus eine sonderbare Weise geweckt: eine der Frauen, welche der inneren Wache fciner Ge mächer vorstryen, tritt mit einer großen angczündelen Laterne aus rolhcm Zeuge ins Zimmer, ohne ein Wort zu reden; aber das Ge räusch, das man vorsätzlich beim Oeffuen der Tbür macht, weckt Seine Hoheit aus dem Schlafe! Der Sulian läßt sich sogleich die Details der Feuersbrunst melden und reitet im Nolhfallc selbst nach der Brand stätte. Mil den Muselmännern lebl in Konstanliuppcl eine Menscheuklasse, die, ihrer Stellung nach, in unserer Gesellschaft nichts Analoges Hal — cs sind dies die Sklave». Man denke hier nichl an ciuc Skla verei, wie sie in den Amerikanischen Kolonieen besteht; der Türke hält den Stand eines Sklaven nicht sür schimpflich, sondern sür die unterste Stufe der socialen Leiter, von der man bald sich erbeben kann. Die Muselmänner lassen ibrc Sklaven in den Porschristtn des Korans uulerweiseii; stirbt der Sklave, noch ehe er zum Islam bekehr! ist, so wird er in eine Matte gewickelt, aus ein Breil gelegt und an der ersten besten Stelle begraben. Kein in Konstanlinopel wohnender Christ darf Sklaven kaufe» oder bei sich uulcrbalte», nur den Aiankcn gestalttl man zuweilen leibeigene Neger. Biele Muselmänner aus den Provinzen kommen nach Konstanli nopel, um daselbst durch ihre Industrie Geld zu erwerben. Die Tür kische» Lastlräger rekruliren sich gewöhnlich unlcr den Lase», einem wilden Bolke, daS einen Küstenstrich des Schwarzen Meeres am Fuße des Kaukasus bcwohul. Diese Lasen sind störrisch, brutal und schwer an Gehorsam zu gewöhne». Auch viele Kurden lockt die Aussicht auf guten Erwerb nach der Hauplstadl; dieses alblrlische Wolk gilt sür ehr lich, ist aber sonst nicht viel gesitteter, als die Lasen. Die Barbaresken aus Tripolis, und noch mehr die aus Tunis, sind ein friedlicher Men schenschlag und gelten sür gcscheidtc Handelsleute. Den Arabern aus Svrien, die übrigens nicht eben zahlreich sind, wirst man Betrug und Gaunerei vor, welche Laster der übrigen muhammcdamschen Bevölkerung Konstanlinopels völlig fremd sind. (Lihliotbüijue- LUvon-icHe.) Mannigfaltiges. — Nachdruck in Nord-Amerika. Das Hinweisen auf die Pflicht, den Nachdruck zu vernichlcn, ist jetzt auch das GurthuAinenr osse stnlenäam der geachlclcreii Amerikanischen Presse. Das vorletzte Hest der ^inrlli-^mnrioau lioriurv macht bei Erwähnung einer in den Bereinigten Staalen erschienenen Ausgabe von Silvio Pellico neuer dings auf die Ncibwcndigkcil aufmerksam, auch ausländische» Schrift stellern auf ihr Gesuch Schutz gegen den Nachdruck zu verleihe». „Ein Amerikanischer Buchhändler", sagl das gedachte Blatt, „wird jetzt kein Narr seyn, einem inländische» Aütor ein angemessenes Ho norar sür ein Werk zu bezahlen, dessen Absatz obendrein noch zwcisel- hasl ist, während er sür gar nichts das neueste Werk eines populairen Englischen Schriftstellers erhalten kann, von dem er sicher ist, eine Auslage zu verkaufen." — Hieraus geht natürlich für Nord-Amerika eben so wie sür das ähnlich konstiluirlc Belgien die Konsequenz hervor, daß cs zu keiner eigenen Literatur gilange» kann. „In unserem ganzen Lande", fährt der Revicwer fort, „giebt es kaum ein Dutzend berühmter Leute, deren Schriften von den Berlcgern bonorirt werden. Aber es möchte weniger zu untersuchen sevn, wie viele Schriftsteller Honorar bekommen, als wie viele kcin solches erlangen können, und welche große Zahl talentvoller Männer sich durch diesen Umstand überhaupt zurückhatten läßt, ihre Zeit dcr Förderung literarischer Zwecke zu widnicn. Ja, wer hat auch nur gehört, daß ein Amerikanischer Ber- lcger jemals ein Manuskript gelesen habe? Ein anderer Nachtbeil, dcr aus dem jetzigen Stand der Dinge entspringt, ist, daß das Land mit de» schlechtesten und inkorrektesten Ausgabe» überschwemmt wird. Wenn ein Englischer Schrittsieller, Bulwer oder Marryat z. B-, einen Roman erscheinen läßt — gleich sind unsere Nachdrucke! hinterher, und damit sie nun die Erste» aus dem Markie scyen, muß die ganze Prozedur mit der größten Eilfertigkeit vor sich gehen- Dcr Konkurrenz wegen muß das Buch auch recht wohlfeil seyii und erscheint daher im schlechtesten Gewände, osi aus Löschpapicr, so daß nach fünf oder sechs Jahren von dem Buche gar kein Gebrauch mehr zu mache» ist und jede ordentliche Bibliothek sich schämen muß, eS in ihrer Sammlung zu besitze». Man kann sich übrigens auch dcnkin, daß, da es der Geschmack unserer Nach drucker ist, dcr in der Regel die Auswahl trifft, wir gerade mit wcrlb- vcllercn und wisseuschasilichc» Werken am schlechtesten versehen sind. Da« Begehr der Menge leitet ihre Unternehmungen, und sa m»ß ost derjenige, der nicht zu dieser Menge gehört, q»f die Befriedigung seines Bedarfs ganz verzichten, da aus England nur wenig Originalwerkc nach Amerika jetzt kommen und wissenschasiliche Männer in Amerika sür unsere Drucke- ffcicn nichl beschäftigt sind." — J„ Belgien und in der Schweiz möge man aus dieser Darstellung eine Nutz-Anwendung ziehe». Heraukgegeben von der Redaction der Allz. Preuß. Staats-Zeitung. Nedigirt von I. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Hayn.