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-Lö-kenttlch erscheinen drei Nummern. Pränumeration«. Preis 22j Cgr. (! Thlr.) vierletjithrNch, 3 Thlr. für LaS ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumeriet auf diese« Reiclatt der ülllg. Pr. StaatS- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im AuSlande del den WolMbl. Pos, . Acmtern. Literatur des Auslandes. Berlin, Freitag den 21. Juli 1837. England. Zufall oder Fügung? Sehr alten Zeitungs-Lesern ist wohl noch der Name des Sir Evan Nepean erinnerlich, der unter dem Ministerinm des jüngeren Pul zuerst Unter - Staals-Secrelair des Innern, spater zur Zeit des Revo- lutionS-Kriegc« Secrelair der Admiralität war. Lon diesem Sir Evan erzählte sich damals das Englische Lolk eine wunderdare Geschichte: Drei oder vier zum Tode verurthcille, aber vom Könige begnadiglc Männer standen auf dem Punkte, bingcrichtet zu werden, weil der Unter-StaatS,Secrelair vergessen Halle, den LegnadizungS-Befehl zu expcdirc»; derselbe wurde indessen noch zur rechten Zeil durch eine nächtliche Erscheinung gewarnt, so daß der Befehl abzing und gerade in dem Augenblick eiiiiraf, da die Hinrichtung vor sich gehen sollte. Wir entlehnen einem in jüngster Zeil erschienenen Englische» Buche°) die Erzählung des wahren Herganges der Sache, wie ihn Sir Evan selbst seinen Freunden milgclheilt hat; er erklärte dieses Ercigniß für das außerordcntlichslc seines Lebens und für ein wahres Wunder, auch ohne Geistercrschcinimg. Eine Nacht im Sommer des Jahres 178° konnte Sir Evan nicht einschlafen. Er verspürte nicht da« geringste Unwohlsey», ec haue vor dem Schlafengehen nichts gegessen, er trug sich auch mil keiner Sorge, mit keinen aufregenden Gedanken, woraus die Schlaflosigkeit sich hätte erklären lassen. So tag er von II Uhr Nachts dis 2 Uhr Morgens und schloß kein Auge; der Tag begann zu dämmern, und der vergeb lichen Versuche zum Einschlascn müde, raffte Sir Evan sich auf und ging hinunter in den Rezente-Park, um sich durch einen Spaziergang »l der Kühle vielleicht noch einige Stunden Morgcnschlaf zu verschaf fen. Der Park war leer, und Sir Evan sah aus seinem Wege nicht« Lebendiges außer den Schildwachen, die gähnten oder schliefen. Im Auf- und Nicdergehcn kam er mehrmals an dem Anusgebäude des Homo Oslieo°°) vorüber und hatte den Einfall, durch eine Seilen- lhur, deren Schlüssel er beständig bei sich trug, bittrinzugehen. Eine Absicht verband er damit gar nicht; es geschah lediglich, weil er sonst nichts anzusangen wußte. Zn einem Expeditions-Zimmer lag das Journal vom vorigen Tage noch auf dem Pulle; er lrill hinzu und schlägt es auf, ganz mechanisch, ohne etwa« darin suchen zu wollen. Da« Erste, was ihm in die Augen fällt, ist in der Rubrik „Eingegan- gen" Folgende«; „Begnadigung für die zum Tode veruriheillen Falsch münzer, nach Aork zu cxpediren." Zu seiner größten Bestürzung fällt ihm ein, daß der Beseht, den Begnadigungs-Brief abzusenden, zwar bereit« am vorigen Tage gegeben, daß aber der wirkliche Abgang noch nicht bescheinigt war. Die Hinrichtung war auf den frühen Morgen tc« nächstfolgenden Tages festgesetzt. Zn höchster Unruhe suchl er im Kvpial-Buche nach, ob die vermißte Bescheinigung sich vielleicht ein getragen sande; er überzeugt sich, daß sie fehlt. Unverzüglich eilt er nach Downing-Street in die Wohnung des Kanzlei-Direktors seines Ministerium«, weckt ibn aus — drei Uhr war bereit« vorüber — und fragt: „Wißen Sie bestimmt, ob die Begnadigung nach Hork expctirl ist?" Dec Befragte erwiederl bestürzt und verlegen, er könne sich nicht gleich erinnern. „Sie sind noch verschlafen", sagte Sir Evan; „neh men Sie Ihre Gedanken zusammen, sie muß expedirt worden sevn." — „Zetzt besinne ich mich", erwiederte der Andere; „ich habe gestern die Sache an den Kron-Kanzellisien (Olerc ob tl>>- Grorvn) überwiesen; er muß sie nach Zork befördert haben, e« gehört in sein Amt." — „Ganz wohl", fuhr Sir Evan fort; „aber haben Sie Bescheinigung von ihm in Händen, daß der Befehl wirklich abgegangen ist?" — „Das nicht." — --So müssen wir ihn aus der Stelle aussuchen: kom men Sie mit! e« ist noch zeitig, wir müssen ihn finden." Der Mann wobnie ziemlich weit davon in Ehancery-Lane; kein Fiaker ließ sich treffen. Fix zxvan und sein Begleiter rannten mehr, als sie gingen, und kamen gerade in dem Flngenblick vor de« Kron-Beamten Thür, als derselbe in seinen Wagen stieg, um aus sein Landgut hinauSzu- sadren; er meinte, Alle« abgemacht zu habe», und rechnete auf einen freien Tag. War er schon über den Besuch de« Unter-Staat«-Secre- tairS zu so ungewohnter Stunde verwundert, so erschrack er vollends, als er hörte, wovon die Rede war. „Hilf, Goll im Himmel!" ries er und schlug fich vor die Slirn; „ich bade den Befehl noch in meinem Pulle liegen." Ec Holle ihn sofort herbei, und Sir Evan bat sich vom Post-Amte den allerschnellsten und zuverlässigsten Expressen au«. '> lUuritrarwmi ok Imman IU>, kv Ille 4utllor ns „Premaive" aull ,,üe Drei Bande London. IA7. .Der Name de« Verfasser« ist Ward ") Da« Ministerium de« Innern. Am folgenden Morgen traf die Begnadigung zu York in dem Augen blick ein, da die Veruriheillen den Karren bestiegen, der sic zum Nlchl- platz führe» sollte. Diese kleine Geschichte ist gewiß außerordentlich in ihrer Art, und das Einschreiten einer höheren Fügung scheint un« dabei unverkennbar. Eeistererscheinungen und Geisterstimmen — wenn man sie als möglich zugiebl — wären bei weitem nicht so wunderbar, al« diese Verkettung scheinbarer Zufälle zu einem Resultate, da- uns, al« ein durch höhere Absicht herbeigeführle«, in die Augen springt. ZcdeS Glied in dieser Kette ist ei» an und sür sich so unwahrscheinliches Ercigniß, daß es unter hunderttausend Fällen vielleicht nicht Einmal zutreffen würdc; und hier mußte jede« zutreffen, keines durste aussalleu, sonst war es um das Resultat geschehen. Daß Sir Evan in der Nacht nicht schla fen konnte, mag, wir geben c« zu, eben nichts Ungewöhnliches sevn; seine Schlaflosigkeit mag einen physischen Grund gehabt haben, wovon er sich keine Rechenschast zu geben wußte. Daß Jemand, der nicht schlafen kann, sich um zwei Uhr vor Sonnenaufgang zu einem Spazier gänge in den Park ausmachl, dürft« schon zu den Ausnahme-Fällen gehören. Wäre Sir Evan, was bei weitem die meisten Leute an seiner Stelle gcthan hätte», bloß im Zimmer auf- und abgegange», oder hätte er sich bloß in« Fenster gelegt" sich an der kühlen Morgenluft zu er frische», so geschah nicht« von Allem, was später geschah, und die ar men Sünder wurden gehangen. Und wie, wenn Sir Evan von seiner Morgen-Promenade wieder zu Bell gegangen wäre? Eiebt e« wohl einen seltsamere» und unerklärlicheren Einfall, als daß ein hoher Beam ter früh vor Tage sei» leere« Amt«-Lokal besucht, ohne ein Geschäft vorzuhabe», noch sonst au« irgend einem Antriebe, sondern ans ganz gedankenloser Laune des Augenblicks? Und wenn Sir Evan nun nicht gleich im ersten Zimmer das Journal auf dem Tische liegend gefunden hätte? Auch dieser Umstand ist ein sehr ungewöhnlicher; denn ein sür die Geschäftsführung so wichtige« Buch wird doch wohl in der Regel von dcm, der e« führt, am Ende de« Tage« verwahrt, und man läßt e« nicht für Boten, Diener und andere Leute, die aus- und ein- gehcn, frei da liegen. Und wenn Sir Eva» Nepean nicht gleich auf den ersten Wurf die Seite ausgcschlagen hätte, auf welcher die eingc- lausene Begnadigung eingetragen war? Wer steht dafür, ob er im an deren Falle sich die Mühe würde genommen haben, nur ein einziges Blatt unijuwendcn? Er wollte ja eigentlich gar nicht«. Und wie, wenn der Kron-Beamte, den Sir Evan Und der Kanllei-Direklor eben auf dem Wagcntritt antrafen, ein paar Minuten früher weggefabren wäre, wenn man ihm hätte »achschickc», ihn von draußen hätte herein- holen müssen? Nur eine halbstündige Verzögerung durch diesen Um stand verursacht — und die ganze Kelte reißt, alle« Zrühcrc hilft zu nicht«. ES war so schon kein Augenblick mehr zu verlieren; die Ret tung kam den Verurtheiltc», ganz wörtlich gesagt, am Rande de« Todes. Wenn nun Jemand fragte: welchen Grund kann die Vorsehung haben, mit so wunderbaren, übermenschlich berechneten Veranstaltungen einzugreife» zur LebenSrettung wessen? etlicher elender Betrüger, die wahrscheinlich, so wie sie mit heiler Hanl davonwaren, ihr Falschmün zergewerbe von neuem begonnen habe»; denn in der Regel bessern Leute der Art sich nicht, und je glücklicher sie davonkommen, desto tiefer lassen fie stch wieder ein. Einem solchen würden wir antworten: Wir unwissende Sterbliche dürfen uns nicht anmaßen, zu bestimmen, was ein Menschenleben, wäre es auch des verächtlichsten Verbrechers, in GotleS Augen werth sevn solle. Bei weilcrem Nachdenken stellt es sich übrigens heran«, daß da« Wohl eines viel besseren Mannes, nämlich de« Sir Eva» Nepean selbst, auf dem Spiele stand. Wären die Falsch münzer, ungcachlel erfolgter Begnadigung, gehangen worden, so war Sir Evan ein zu Grunde gerichteter Mann für sein Leben. Der Grimm de« Volke« würde gegen ihn entbrannt sevn von einem Ende Englands zum anderen; man würde ihm den Tod der Leute Schuld gegeben haben, und Niemand, er sev, wer er wolle, kann unter solchen Umstän den in England auch nur eine Stunde länger im Amte bleiben. Man Hal in neuerer Zeit da« Beispiel erlebt, daß ein sehr hoher RechtSbeam« ter zu London, um eines viel leichteren Versehen« willen, augenblicklich seinen Posten verlor. Kein Minister hätte sich alsdann getrauen dür fen, Sir Evan in Schutz zu nehmen, ein strenger Tadel vom Parla ment, ein Erweis höchster Unznfriedenheit von Seite» de« Königs würdc über ihn ergangen sevn; er hätte sein Haupt verhüllen und in die Ver bannung geben müssen, dem öffentlichen Unwillen auSzuwcichen. Wer da weiß, welche Dienste Sir Evan Nepean später, als Secrelair dec Admiralität, in eben so schwierigen als gefährlichen KriegSzeiten dem Vaterlande geleistet bat, der wird begreifen, daß e« sich in den Stun den jener Nacht nicht bloß um Leben und Ted der Verurtheilten, sonr