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338 gegenden. Zeder Kaufmann oder Beamte, der sich zur Rube setzt, jeder Commis oder Advokat, der Zeiten hat, macht feine Reise in kte Schweiz; er wurde keine Rube haben, er wurde sich's selbst verdenken, wenn er nicht Weib und Kindern erzählen konnte: Ich bade das Laulerbrunner Thal, den Brienzer See, den Grindelwald-Gletscher gesehen. Auf die sem Heerwcg läuft alle Welt, und eine Reise nach der Schweiz ist so gewöhnlich geworden, wie ein Ausflug von Paris nach Saint-Cloud. Und unter diesem Volke von Reisenden, die alljährlich wie Störche lind wilde Gänse, immer hinter einander der, ihren Zug antrctcn, hat keiner eine Ahnung davon, daß auch in Frankreich Wasserfälle, Schneestürzc und himmelhoch ragende Berghörncr anzutreffen sind. Unsere heimi schen Pyrenäen geben an Lieblichkeit Ker Landschaften, an Erhabenheit ter Aussichten, an Großartigkeit und Furchtbarkeit der Nawr.-Sccnen den Alpen nichts nach. Das werden mir Alle bezeugen, die ans eigener Ansicht, und nicht bloß aus matter Beschreibung, das Felscnrund von Eavarnie, die Thnrme des Marber«', den Rolandsfelsen und das Cam- paner Thal kennen. Die Natur ist hier nicht minder wunderbar, nicht minder gcbeimnißvoll und gewaltig, als auf ter ewigen Felsen- und Glcischcrbühne Les Montblanc oder in den tosenden Wasserfällen des Rhein und der Aar. — Wer weiß mir zu sagen, wo ein See auf dem Gipfel eines hoben Berges liegt, lief eingesenkt in den Krater eines er loschene» Vulkans? Wer unter Euch, Herren und Damen, die Ihr bei Torloni Gefrornes nascht und in der Oper eine Loge auf das ganze Jabr habt? Wie ich Euch sage, ein wirklicher See, zu dem man eist hach ansstcigen und dann wieder einen schwindelnden Absturz nieder- steigen muß, und ein wirklicher Vulkan-Krater, wo man den ehemaligen Heerd und den auf eine halbe Stunde im Umkreis aufgeworfenen Wall teullich erkennt; man gebt und steht auf erhärteter Lava; aber unten, wo ehemals das Feuer glühte und siedenden Schwefel» und Salpeter- tunst in die Höbe sendete, da ist jetzt ein klarer, reiner, dunkelblauer Wasserspiegel; rings umher ist die fast senkrechte hundeelundfunfzig Fuß hohe Wand mit Bäumen und Rasen bedeckt und bilde: eine Mauer von dichtem, üppigen Grün, die ihren Fuß in die Helle und ruhige Flutb taucht und sich im Abgründe wicderspiegelt. Die Tiefe des Wassers scheint wirklich unergründlich, noch bat man an keiner Stelle Bo den gefunden. Auch wagt sich kein Kahn auf die gebeimnißvoilc, ver zauberte Wasserfläche, denn sobald das geringste Lüftchen sich zwischen den hohen Uferwänden, in den Spalten und Hehlen verfängt, so be ginnt der See plötzlich zu strudeln, und der Wirbel würde den Nachen an die Felsen schleudern oder ihn in die Tiefe berunterreißen, von wo noch kein EmpedoklcS Antwort gebracht bat. — Noch einmal, wer kann mir sagen, wo dies: Herrlichkeit, dieses Wunder aus Tausend und Einer Nacht zu finden ist, dieser Feuerberg, in einen See verwandelt, und vielleicht noch unter dem Wasser für einen künftigen Ausbruch sort- gliiheud? Nicht in den Aloen, nicht in den Cordillercn, sondern in der Auvergne, zwei dis drei Meilen vor Mont d'Or, fünfzig Meilen von Paris; Pavin heißt der See und der Berg, und vom nächsten Städt chen aus s'^hrt ein Marsch von zwei oder drei Stunden Euch an Orr und Stelle. Ich ralbe Euch, den wackeren Michel Garnier zum Füh rer zu nehmen, der für seine Muhr ganz bescheitcntlich vierzig Sous verlangt und Euch in seinen Gedanken für einen fremden Fürsten hält, wenn Ihr ibm drei Franken gebt. Ich befand mich in Gesellschaft des besagten Michel Garnier am User des SceS, lag aus dem grüne» Rasen unter hoben üderbängenden Fichten behaglich bingestreckl und erfrischte mein Auge an dem Anblick des silberklaren Wasserspiegels, der dann und wann, wenn ein Lüstchen über ibn binstrick, sich unter Murmeln auskräuselle; der Führer erzählte mir von dem schöne», aber furchtbaren Schauspiele, wenn das Wasser von stärkeren Windstößen zu strudeln und sich zu bäumen ansängl. Das Geräusch nahe kommender Schrille unterbrach mein aufmerksamrS Zubören; wir bekamen Gesellschaft. Ein Greis von ziemlich stattlicher militairischcr Haltung kam heran, gestützt auf den Arm einrs jungen Mädchens, und rief in verdrießliche«» Tone: „Ader Du gehst mir zu rasch, so komme ich nicht nach." Ich wendete mich um, u»d siehe da, an dem zarten und schlanken Wuchs der jungen Dame, an ihrem an- muthigen Gang und bald auch an dem freundlichen und lieblichen Ge sicht erkannte ich die schöne Tänzerin von jenem Abend, die Tochter Ler Frau von OrlhöS wieder. Den letzten Zweifel benahm mir der An blick einer weiblichen Gestalt, die etliche Schritte hinter dem ersten Paar aus dem Dickicht trat, Schreibtaiel und Bleistift in der Hand, und im Gebe» schrieb. ES war die Frau Vicomtesse, wahrscheinlich eben beschäftigt, eine sublime Beschreibung der Gegend und des Sees abzusassen. Schade, daß ich sie den Lesern nicht statt ter meinigen geben konnte, die nichts laugt. Nach hinlänglichen gegenseitigen Eczeigungen Ler Freude und des Erstaunens über dies unvermulhelc Wiedersehen, nach mehr al« hinlänglicher Ertasc über die Schönheit und Erhabenbeit der vor uns ausgrdreitcien Landlchast und nach gr, höriger Abm'chunq aller Höflichkeit«-Fragen und Phrasen wollte ich „un auch etwas süc mein Vergnüge» tbun und ersuchte die Vicomtesse, mich Fräulein Cäcilie vorzusteUcn. „Fräulein Cäcilie!" riet sic ver wundert, „Sie w»ssen also nicht, daß meine Tochter vermählt ist?" Ich sab mich um, wo ter junge Ehemann gcbliedcn wäre, und ob er ftiue Gemahlin nickt begleitet hätte? „Kommen Sie", fuhr Fran von Onbö« fort, „ick will Sic meinem Schwiegersöhne verstellen." Sic führte mick zu dem Greise und nannte mir mit großer Emphase seinen Namen, den ich hier nicht wieder nenne» werde. Dem Leser genüge, zu wissen, er war von hohem Adel, General unter Napoleon, Herzog und Pair unter der Restauration, noch gegenwärtig mir cinem wichti gen Kommando bekleidet, unermeßlich reich und durch viele vorzügliche Eigenschaften ausgezeichnet, worunter nur die eine üble, daß er cs mit allen jenen Vorzüge» bereits zu sicbenuntseckzig Jahren gebracht hatte. Er trug ehrenvolle, nicht ganz vcrharrscktc Narben; von Zeit zu Zeil stellten sich Rheumatismus und Gicht mit ihrem gewöhnlichen Gefolge von Unmnth und Ungeduld cin. In gesu»den Tagen war,der treffliche Mann auch ein sehr heiterer, liebenswürdiger; nur leider brachte er unter zwölf Monate» kaum zwei bei ungetrübtem Woblschn hin. Die- fer Man» war CäcilicnS Gatte geworden. Ich erinnerte mich an das Gespräch, das ich vorige« Jabr belauscht hatte, an die Träume ihres Herzen« vom künftigen Gcmabl ihrer Liebe, und ick weiß nicht, ob sie mcine Empfindungen aus meinen Blicken las, oder cb sic nur, ohne ge naueres Verstänkniß meines Gefühls, durch den Antheil, welche,! ich ihr bewies, sich gewonnen fand — schon nach wenigen Miunlcn spra chen wir mit einander, wie die bcstcn Freunde von der Welt. (Fortsetzung folgt.) Bibliographie. mamzuise et la jolio kille «los Halles. — Von Beaulieu. 2 Bde. lL Fr. , I.v cunvent sie 8l. l-arare ä Veni.se. — Geschichte der Armeni schen Mcchilaristrn und Notizen über die Armenische Sprache und Literatur. Lon Bore. 1 Fr. 1'raitö clea elölits et contiaveuti<-us sie la zmrole, ele ! ecriture et sie la presse. — Von Cbassan. 8 Fr. (koste ste I'Iiarinacopev tranvsis. — 8 Fr. 1iecl>oi< lies euölli->»-zchvmulo^uzue sur l eloctric itc animale. — Von Coudrct. 7 Fr. Spanien. Bon Madrid nach Valencia. Nach dem Journal 6ori Nickls ist leichter, als in Frankreich von Pari« nach Lvon oder nach Bordeaux zu reisen; cs kommt nur darauf an, auf Lem Pofl- Büreau anzufcagen, ob Plätze offc» sind, und, wenn dies der Fall ist, cinzusteigen. Um von Madrid nach Valencia zu reisen, Hal man eine kleine Formalität mehr zu beobachten, nämlich sich zu erkundigcn, ob Palillos noch immer in der Mancha herumstreisl, ob Cabrera oder der Scrrador den Schauplatz ihrer Tbalen nord- oder südwärts von der Heerstraße verlegt haben; wann der letzte Postwagen bestohlen oder verbrannt wurde, und endlich, ob der Weg frei ist und ob man so glücklich srpn wird, gesund und woblbchalicn an dem Orte dec Bestim mung anzukommen. Wenn man über diese Kleinigkeiten befriedigende Auskunft erhalten, so macht man sich tüb» auf den Weg, redet sich ei», daß nicht die Hälfte von den umlaufcuden Gerüchten wahr setz, erbebt seinen Geist über alle kleinliche Furcht des gemeinen Volks, nimmt einen Paß, läßt denselben bei dem consiitulionnelleu Alkaldcn, wenn man dicken zusällig zu Hause trifft, vifiren und erscheint um vier Uhr Morgens aus dem Bureau der Königlichen Eilpost. Denn hier sind die Eilpostc» in der Tbat Königlich, und es ist kein bloßer Ehrentitel. Da« Königibum bat die Eilvosteu begründet, eben so wie es die Landstraße» gebaut Hal; auch ist er ganz in der Ordnung, zu sagen, die Königlichen Eilpostc» und die Königliche Landstraße (real camino), obgleich gewisse Liberale», die bis aus den heutigen Tag mehr Dinge zerstört haben, als sie je begründen kennten, das ubelklin- gend: Adjeklivum opfern und den Patriotismus so weit treibt» zu muffe» gtaubtrn, daß sic den Real (eine Münze, auf Spanisch renl sie vciilon), der ungefähr fünf Sons wcrtb ist, in einen National (uacionui sic vcisinn) umlauslen. Während man die MauUbicre an schirrt, bade ich Zeit, von einigen ähnlichen Zügen zu sprechen, die den in Madrid waltenden Geist charakierisiicn. Eine Sucht, alles Fremde nachzuabmcn, beherrscht gegenwärtig diese gute Hauptstadt. Die Philosophie des letzten Jahrhunderts bat bis jetzt in Spanien nichts zu Stande gebracht, aber sie wirkt wie eine ätzende Säure auf den alten Spanischen Charakter, sic zersetzt ibn, löst ibn aus und hinterläßt »IS Bodensatz in dem Dcftillnkolben, welcher Madrid ist, da« wundetlichstc und seltsamste Gemisch. Voltaire, Diderot, Velnev B. genießen hier noch aller der philosophischen Gunst, die ste in ibrcm Vaterlande zu verlieren anfangcn; man führt sie häufig im Munde und liest sie sogar manchmal. Diese Lektüre bat bei Einigen Freigeister« und Atheismus erzeugt. Ich bade sogar das Ver gnügen gehabt, einen jungen constilutiormclleu Priester mit ausnehmen der Frcistnniglcit über sein Priestergewand, seinen Stand und seinen Glauben die tollsten Witze macken zu hören. Das ist die Kehrseite des allgemeinen Gepräges; jetzt folgt die Scham'citc. Ma» vcrnimmr Len Ton. eines kleinen Glöckchens; cs ist da« heilige Sakrament, wel ches durch die Straßen getragen wird. Man stelle sich an das Fenster und betrachte dic Vorübergehenden, wie sie, Freigeister so gut als die Linderen, sich aus Las Pflaster wersen und in dieser Lage abwarten, bis das Allerbciligste vorüber ist. Was sage ich? Im Lesc-Kabinn Ler Oullc sie la Nonter-I. wo mail.dic Französischen Zeitungen hält, wo der Ooust'itntionncI jeten Tag gelesen und verschlungen wird, in Lieser Stiflehüiic dcc neuen Ideen sab ich mir meinen eigenen Augcn die tibcralsten Leser auksteben und bei dem Klang« dc« kleinen Glöck chens das Haupt entblößen. Ich sab Frauenzimmer, Lie wabrlich nicht zu den unerbinlicken gehörten, Ler heiligen Jungfrau vom Carmen cin Gelübde ihuu, um die Gencsung ihres kranken Vater« zu crlangcn, und um ihr Gelübde zu erfüllen, trugen sie bei eincr Hitze von Z2 Graden einen furchtbar warme«, wollenen Kittel. Auf dem Kleide befanden sic!) kleine geweihte Mctall-Blecke von allmächtig wirkender Kraft. . Wie im Kleinen, so gebt es auch im Großen Man bat die schone politische Wirkung demokratischer Formcn ui der Aiuvendrmg auf cin alles Gewebe bliudcr Leidenschaften und e-ngcivurzelter Vorurtheile g<- sebem Bei den ocringsiigigstrn Dingen fir.den wir diese gczwunacnc Vermischung de« Alten und Neuen wieder, ko z.,B. >" Ler Kleider- lrach». Dic Spanischen Franc» sangen an, Über >brc Mannlla zu er- rötben, Liesen a.imulhizen, poetischen Schieler, welcher so wunderschön