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310 imponirt und flößt Respekt ei». Der Beamte, der von der Regierung nur ganz kärglich besoldet wird und von seinem Gel-alte kaum leben kann, wird doch döl)er geachtet und dal mcbr Kredit, als der Kausmann, ter noch einmal so viel verdient; trägt jener außerdem ein kleines rotbes Bändchcn im Knopsloche, so steigt er dadurch stoch mehr in der Ach tung seiner Mitbürger. Ich kenne keinen Staat, wo inan öfter und lauter von politischer Freiheit spräche, als in Frankreich, und dennoch fehlt cs seinen Bürgern gänzlich an persönlicher Unabhängigkeit. Jenes erhebende, edle Gefühl, „sich selbst genug zu sehn", übt hier durchaus keinen Einfluß auf die Kcmüihcr; man ist hier gern von »luderen abhän gig, wenn man nur in der gesellschaftlichen Ordnung seiner Hierarchie einen vollen Standpunkt einnimmt, aber in England ist das Ideal alles Glückes persönliche Freiheit und Unabhängigkeit, die sich gewöhnlich aus Rcichlbum gründet. UebrigenS giebt es auch bei unseren Nachbarn keine so strenge aristokratische Demarkationslinie, wie bei uns, welche tic Ausübung der freien Künste und Wissenschaften weit über die aller anderen Berufe stellt und sie auch danach würdig zu belohnen weiß. Bor Allem kömmt es hier darauf an, ein öffentliches Amt zu erlange», das ist im Allgemeinen der Wunsch, das Ziel des Ehrgeizes jedes guten Balers für seine Söhne. Wer diesen hohen Zweck erreicht hat, ter hält sich sür ausgezeichnet, er glaubt höher zu stehen, als seine Mit bürger; seine Eitelkeit ist befriedigt und die Babu gebrochen, auf der er zu den höchsten Stellen gelangen kann. Aus diese Weise giebt es in dem freien, liberalen Frankreich eine Art von Aristokratie, die nicht sowohl den Stolz als die Eitelkeit anregt und darum auch wohl weni ger zu rechtfertigen sehn möchte, als nufere angestammte, erbliche. Die Beamten bilden hier eine wahre Armee, deren Horizont natürlich unge mein begränzt ist; sie mögen nun ihre Zeit vortrefflich anwendcn oder nicht, jedenfalls dauert es sehr lange, ehe sic ein Vermögen sich schaf fen können. Sic müssen geduldig die ganze Stufenleiter einer gewissen Hierarchie durchlaufen, und da sic das einmal wissen, so zeigen sic eben keinen großen Eiscr, sich bervorzuibun. De» größten Theil des TagcS arbeiten sie auf den verschiedenen Bureaus, und die übrige Feil wenden sic zu polilischen und literarische» DElusfioncn an, die von jeher ein LieblingS-Thema der Franzosen waren; des Abends aber zerstreut sich die ganze Armee in Kaffeehäusern und Thcalern. Jeder Beamle Hal feinen Prolcgö, jeder verlheidigl seinen Minister, spricht sür oder wider die Herren Thiers und Guizol, beruft sich dabei auf die öffentlichen Blatter, diSputirt, und so kömmt es ost zu den lebhaftesten, heftigsten Debatten. Der niedrigste Subaltern-Beamle, der in einem dunklen Winkel dcS kleinsten Bürrans von Paris arbcilct, inlcresstrl sich eben so lebhasl sür den Gang dcr StaatS-Angelegenheiten, wie der höchste in der Pairs-Kammcr; jeder unbedeutende Kanzellist bal, glaube ich, das Ministerium im Ange, jeder denkt sich in den Minister, der sich feiner Protection zu erfreuen hat, hinein und sagt wohl zu sich selbst: „So hätte ich es auch gemacht, so Hai er recht gebandelt." — Die Leser mögen übrigens nie vergessen, daß ich nicht tadle, sondern nur erzähle, und so wird cs mir wohl ertaubt scv», noch Mehreres hinzu- zusügen. Die Frauen spielen in Frankreich eine bedeutendere Nolle, als in vielen anderen Europäischen Staaten; sie mischen sich in die Politik, man läuml ihnen Borrcchte ein, die sie in jedem anderen Landc ent behren müssen, und das giebt vielen den Muth, öffentlich auszutrcien und ihre geistigen Kräfte frei ans Lieht treten zu lassen Man sagt, daß vor kurzem mehrere ausgezeichnete Frauen sich uni bedeutende StaatS-Acmicr beworben haben. Schon sicht man ihre Unterschrift unter unzähligen gerichtlichen Aktenstücken, und zwar ohne männlichcu Bei stand, und während eine Engländer!;, weder die Macht, noch den Wunsch hat, sich in das materielle Interesse der Gesellschaft zu mischen, kümmert sich die Französin mit Nath und Thal um Prozesse, Haudcls- Speculalionen und Mmistcrwahlen; ihr Scharfsinn, ihre feine Unlcr- schcidungSgabc kommen ihr dabei trefflich zu Statten. Auch die Frau des WaarcnbändlerS oder Krämers lrilt fo viel als möglich aus ihrem beschränkten Wirkungskreise im Haufe heraus; sic arbcilct im Comptoir und führt das Sceplrr, die Feder, während ihr Mann im Laden Lein wand oder Band abmißt. Die meiste» kleinen Acmler, die bei uns von Män»cr» besetzt sind, werden hier von Frauen erworben; »pir haben Logenschließer, die Pariser hingegen Schließerinnen; dafür aber fegen in Frankreich die Mauucr Stuben aus, machen dic Belten, po- liren Fenster und verrichten mit einem Worte alle Dienste eines Haus mädchens. „ES ist doch sonderbar", sagte einst ein Irländer, der sich einige Zeil in Paris aushielt, „daß hier alle Stubenmädchen männli chen Geichlechis sind." Natürlich wirkt dieses tbäligc GeschästSleben dcr Frauen dcS Bütgerstandes »jchl immcr vortheilbast aus ihren Charakter; sie zeige» nicht selten recht häßliche Züge von Habsucht, Geiz oder Eigensinn, und man ist oft ganz erstaunt, aus dem Munde einer hübschen jungen Frau dic niedrigsten Aeußcrungcn des Eigennutzes und der Geldgier zu hören. I» den böhcrcn Kreise» dcr Gesellschaft vcrtrcicn Künste, Ko ketterie und politische Jniriqne» die Stellt des mcrkanlilischc» Eifers der niederen; aber in dem Bürgerstande tritt dic Minerva eines engcn, deschränkien Hausstandes schon ganz bewaffnet aus dem Schooß ihrrr Familie hervor; kaum sül'tr dcr junge Bogel, baß seine Schwingt» ge wachsen st»d, so richtet er feinen Flug nach dcm Gewinn. Und nun ist cs das ganze Bestreben der Frau, vorthcilhasie Ein- und Verkäufe zn machen; sie spekulirt, schlicht Rechnungen ab, führ! die Bücher; das Comptoir ist ihre Sphäre, und Ideen, Gesuhlt, bmpfindungc», AUcS läuft bei ihnen aus das Einmahl»« hinaus. Man berechnet die Liebe, wit die Heirath; dcr ganze Roma» des LcbcnS wird zu cincr Rcgel-de-tri; alle zärtlich« Gesinnungcn verwandcln sich i» Specula- tionen, und wenn der Kansmaun nur sein Kapital zu vermehren sucht, indem er jene Waare, die man Frau nknnt, accepiirt, fo weiß auch diesc ihrerseits die möglichst höchst,» Zinfcn aus dickem Kapilal zu zieht» und bcginnl mit ihrcm zwanzigsitn Jahrc tic Arithmclik ihres LcbcnS. Wir sehen also, daß die Frauen in Frankreich einen ganz anderen Standpunkt entnehmen, als in England; eben so verschiede» ist auch ihre Erziehung, denn irctz der so hoch gepriesenen Englischcn Unabhän gigkeit, hören wir doch nicht auf, unseren jungen Damen Bescheidenheit und weibliche Schüchternheit anzucmpfchlen. Wir suchen schon früh ihren Geist mit nützlichen Kenntnissen zu bereichern, lassen sie in meh rere» Europäischen Sprachen unterrichten und bilden Talente aus, die man in Frankreich verachtet oder vernachlässigt. Die Französinnen vrr- heirathen sich gewöhnlich sehr jung; dann bleibt das Piano geschloffen, Pinsel und Bücher werden bei Seile geworfen, und nun beginnt das Geschästslebcn. Der Man» Hal oft nur eine kleine Stelle als Beamter, und dann muß die Frau es zu ihrem Studium machen, das geringe Einkommen desselben, nicht etwa nur durch weise Sparsamkeit, sondei» auch durch allerhand kleine Schikanen und Specnlationeii zu vermehren. In 3L Jahren ist eine Pariser Bürgersrau im Stande, cs mit cincm Wucherer anszunehmcn und ost siegreich aus dcm Kampfe hcrvorzugc- hcn, während wir Engländer unser Gvnecäum haben und es gern sehen, wenn unsere Franc» sich darin mit dcr Sorge für ihre Kinder, mit Handarbeiten, Poesie und Künsten beschäftige». Eigentlich ist cs auch ganz natürlich, daß die Französische Hausfrau sich mehr nm den Handel und die Geschäfte ihres Mannes bekümmert, als die Englisch«;; denn der Londoner Kaufmann hat ost zwei vder gar drei Wohnungen, der Pariser aber nur eine. Dic Gattin »nscreS wohlhabenden Tuch- händlcrs bewohnt ein schönes Hotel in Ledsord-Sguare und blickt vor, nehm verächtlich auf die.City hinab, wo ihr Man» indessen mit uner schütterlicher Slandbasttgkeil sortsahrl, das Gebäude ihres Wohlstandes immer mehr zu befestige» und höher auszusühren; aber die Bürgerin aus der Straße St. Marli» hat »ur eine einzige Wohnung und lebt inmitten der Balle» und HandlungSdiencr ihres Mannes; auch das Siudirzimmrr des Advokaten liegt dicht neben dem Boudoir seiner Frau, sie hort die Kläger, ist von hohe» Aktcn-Eiößcn umgeben und wird so in alle Ecbeimniffe dcr Jury eingcwriht. — In England würde eine solche fortwährende Mischung männlichcr und weiblicher Beschäftigungen eben nicht voriheilhafl auf das Benehmen und die äußere Bildung dcr Frauen wirken; aber in Frankreich ist daS nicht dcr Fall. Die ge wandte Biegsamkeit ihres Geistes ist so groß, daß dic Französin, dic beständig hinter dem Laken- oder Schreibtisch eines Comptoirs scstge- bannt und in mcrkaniilischcn Berechnungen vertieft ist, dennoch die Höflichkeit, die ganze leichte Grazic ihrer Nation und jene anmuthigc ConvrrsationSgabe, die tic Franzoscn auszcichnet, bcbäll. In England würde eine Frau, dic brständig im Magazin ihres Mannes lebte, dic Gewohnheiten und Manieren cincs Ladcndiencrs aunchmr», und dieser Mangel an Gewandtheit, der leider unserer Nation cigcmhümlich ist, gicbl alle» unscrc» Frauen, dic cS wagen, nur eine» Fuß breit ihre» engen Wirkungskreis un Hause zu überschreiten, etwas Plumpes und Unedles. Das Talent, Alles zu vcrschöner», Alles geltend zu machen, ist nun einmal das Privilegium dcr Französin, vorzüglich abrr dcr Pariserin; Nichts stört, Nichts vcrwirii sic; lachend schickt sie sich in alle Verhältnisse des LcbcnS und zieht sich vortrefflich und leicht aus den verwickellsten Angelegenheiten. Die Franzosen wissen immer ein leichtes und angenehmes Gespräch zn führen; wie weil sind wir darin noch hinlrr ihnen zurück! Wir verstehe» zu handeln, allenfalls auch zu schreiben; abrr dic Echeimmssc der Cönvcrsaiion sind uns gänzlich unbekannt. Sic haben eine ganz cigene Fertigkeit in dcr Kunst, tic Worlc an cinander zu reihe», ihre Gedanke» schnell, lebbait und geläufig auSzudrücken, und selbst das Unbedeutendste hat i» ihrem Munde eine» ganz eigene» Reiz. Ei» E»g>ä»drr, der gerade nicht mit hohe» geistigen Fähigkeiten begabt ist, erscheint dem Fremden doch gewiß viel unbeholfener und dümmer, als er wirklich ist, und zwar nur in Folge dcr schleppenden Schwcrsäüig- tril seiner Ideen und der eben so schwerfälligen Wendu»gcn seiner Sprache. I» Frankreich widmet maii dc» grössten Theil seiner Zeit ter Unterhaltung, und das, was uns langweilig und unaugciiehm ist, amüsirl die Fcaiizosen. ES giebt in Paris kci» Kaffeehaus, keinen öffentiichrn BergnügungS-Ort, wo man picht xclitisircn und über jeden noch so schwierigen Gcgenstand leicht und schnell verbandel» Hörle; natürlich unterwerfen sie ibn nicht immer einer allzu strenge» Unter suchung, aber Jeder betrachtet die Sache von seinem Gesichtspunkte ans, plaudert darüber und amüstn sich. In Gegenwart eines zahlreichen Kreises spricht man von Politik, Religion, Moral und Literatur. Neben ter Aristokratie der Bcamic», von dcr ich obcn gesprochen, herrscht eine fast Amerikanische Gleichheit in Frankreich. Es giebt i» Paris scinen Unterschied trs Range« und Standes mehr. Die Scheide wand, welche früher drn Adel vou den Bürgern trennte, ist auf immer gcsallcn; man kennt keinen anderen Unterschied, al« de» des Reichen und des Armen; die Porzellan-Base sagt nicht mehr zu der irdenru: „Ich verachte dich!" Es giebt i» Frankreich jetzt nur zwei Arlen von Vasen: die mit Gold angefülllcn und die leere». Ich glaubt, daß aus diesem Gefühl dcr Glcichheit und dem Bcdürsniß de« Nrichlhum«, ver bünde» mit dcr Eigenliebe und der Sucht nach Stellen, fast alle Pariser Erscheinungen zu rrllZren sind. ES scheint mir, al- ob da« National-Borurtbeil der Franzosen gegen Euglanb noch nicht ganz gcsallcn sch. Und licgt dcnn nicht auch in unseren so lwgchelier ausgedebnlcn Handel«-Verbindungen, in nnsercm Einfluß, den wir jetzt aus dic Wcli au«übc», etwa«, daS den Naiionalstolz allcr Bölkcr verletzt» muß? Sicht man nicht die schönste» Straßen von Paris von unseren vor»cbmcu Ständen und unseren Kauslcnien bcwobnt? Herrscht flicht der Englische Luru« überall ? Sind die Luftballon«, dic Dampfmaschinen und da« Ea«, die doch eigentlich Fcanzösischc Eifiudungc» sind, uns nicht viel nützlicher, als unseren Nachbar»? Trotz aller inlelleklucllc» Tbäugkeit Frankreich«, trotz seiner HülsSqueUcn und seiner schöpferischen Einbildungskraft, ist es ihm dock noch nicht gelungen, zu jenem positiven Reichihum zu gelangen, ter ttnscre Anstrengungen gekrönt und brlohnt hat; die viclcn Umwälzungcn,