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Wöchentlich erscheine«! Lrei Nummern. Pränumeraticn«- Prei» 22j Sgr. (! Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. sür La« ganze Jahr, ohne Er- Höhung, !» allen Theile» der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf diese« Beirlail der Ailg. Pr. Staat«. Zeitung in Berlin in Ler Expedition (Mohren - Straße Nr. Z4); in der Provinz so wie im AuSlande bei Len WolMbl. Poff-Aemtern. Literatur des Auslandes. 78. Berlin, Freitag den 30. Juni 18S7. Frankreich. Pariser und Pariserinnen. Nach der Beurlhejlung eines Engländers. Es gicbl wohl keinen neueren Englischen Schrislstcller, der sich nicht mit Paris beschäftigt halte, und ich glanbe, daß in London fein neues Buch über Linge außerhalb Englands publizirl wird, in dem nicht von ter berühmten Französischen Metropole die Rede wäre. Loch das ist Mes verlorene Muhe! Lie Feder der Trollope, wie die Basil Hall's, ja sogar die Waller Scolt's und Roger'« wird stumpf und matt, wenn sie cS versucht, diesen schwierigen Gegenstand zu berühre». Die Schilderung von Paris ist noch Keinem gelungen; es entschlüpft allen Beobachtungen, weil es zu häufig seine» Charakter verändert. Ein einziges Lusteum ist hinreichend, um in Frankreich Mes umzugc- stallen: Gesetze, Regierung, Neigungen, Jdccn, Religion, Politik, Slaal«-System — Nichts bleibt verschont und unverändert. Seil Z7 Jahren Hal unser Nachbarland nichl weniger als cils sich widersprechende Phasen durchlaufen. — Im Dezember des letzte» Jahres vertraute ich meiner Schreiblasel mehrere den Zustand Frankreich« und seiner Haupl- stadl belreffende Bemerkungen an, die mir sehr philosophisch und rich- lig zu sehn schienen; jetzl, nach wenigen Monaten, sind sie aus nichls mehr anwendbar, siir kein Verhällniß mehr paffend und tonnten sich eben so gut aus Stockholm und Mcriko, wie aus Paris beziehen. WaS ist au« den Skizzen des Eremiten von der Glianssö« fl'/Vnlin (Jouy) geworden? Schon zur Zeit der Restauration waren sie ver blichen, und unter Ludwig Philipp sind sie zu Phantomen herabgesnnken. In Frankreich vergeht Aites so schnell, oder man tö»nle vielmehr sage», cs gicbl in Frankreich so viele verschiedene Lergangenbeilen, die alle an einem fernen Horizvnle in einander stießen und in eins verschmelzen. Für einen Pariser ist das Gestern ein Jahrhundert. Der wahre Charakter Frankreichs unrer Ludwig Philipp ist die Bewegung; vorzüglich die matcrillle Bewegung: neue Gebäude werden ausgcführt, Brücken, Kals und Tempel angefangen und mit der grüß ten Schnelligkeit vollendet. Paris ist ein wahrer Bienenkorb roll Ar beiter, Handwerker und Künstler jeder Art; und dabei sind es nichl elwa, wie in England, reiche Privalleute, es ist die Regierung allein, welche hier Alles übernimm». Große Neichlhümer werden in Frankreich immer seltener in Folge ter fast bis in« Unendliche gebenden Theilung der Güler. Nur in wenigen Parjser Häuser» herrsch! LuruS und Ucberstuß; der grüßte Theil der wirklich reichen Leute, die noch mil Glanz empfange» und große Gesellschaften geben, sind Fremde, die sich in der Hauptstadt niedergelassen haben. I» England würde man kaum einen Obersten Thorm oder einen Banquier Aguado beachten; sie wür den sich unter der Menge von vermögende» Leuten, deren Häuser den ihren an Glanz und Luxus gleich kommen, verlieren; aber in Frank reich machen reiche, dort wohnende Ausländer, die Delmar, Schickler, Hope, Tusfiakin, Demidoff, Potocki, Rothschild, Schiff ». A. die Hon neurs der Hauptstadt; bei ihnen finden Fremde die glänzendste Aus nahme. Wer bat nicht schon von den herrlichen Konzerten Ferrari s, den prächtigen Gastmäblern Thorm'« und den Salon« der Lady Keith und Mad. Graham gehört? Den Frauen von Apponv, von Kill- mannSegge und von Werther, der Lady Granville strömt die Gesellschaft zu; in anderen Häusern, im Faubourg St. Germain zum Beispiel, wird man vielleicht »och vollständigere Traditionen von gutem Ton und eine lebhaftere Französische Unlerbaltung, aber wahrlich gewiß keine so gastliche Aufnahme finden, wie in jenen Kreisen. In England gehören zu einem auf vornehmen, kostspieligen Fuß eingerichteten Hansflande zwei Köche, eine ganze Armee von Lakaien und ein enorme« Kapital, das sür gastronomischen Zubehör und alle Bedürfnisse des Luxus be stimmt ist; in Pari« weiß man von solchen Ausgaben nicht«. Die höchsten SiaalS-Beamte» sogar wenden sich hier an Nestaiirateure, wenn sie große Diner« geben wollen, um aller Unruhe und allem Wirr warr, die solche Festlichkeiten im Hause veranlassen, zu enlgcben; man sagt sogar, daß Herr Dupin zwei berühmten Restaurateuren die Sorge sür seine Diners übertragen habe, und wie ost führen reiche Bürger und Kaufleute ihre Gäste in irgend ein gute« Speisehaus und bc- wirtben sie dort mit viel geringeren Kosten, als e« in ihrem eigenen Hause möglich wäre. Dürfen wir es übrigen« wagen, über diese Ocko- nomie zu'spotten? Die Franzosen hätten viel eher Recht, jenen unge heuren Luxus, der fast immer die Einkünfte weit übersteigt, jenen etwa« brutalen Epikuräismus, der bei uns eine nicht unbedeutende Rolle spielt, zu tadeln; uns steht e« wohl an, ihre große Einfachheit und Mäßig keit zu loben. Die Hauptfehler der Pariser sind Eitelkeit und Leicht sinn; wir haben ganz andere, solidere u»d nur zu rerlle Fehler. Man nimmt in der Regel an, daß in Frankreich viel Anglomanie herrsche. In der T^rt ahmt hier auch Alle«, was darauf Anspruch macht, nach der Mode zu lebe», vom Banguier, Wechselmaller und Maron"), die bei Torloni glänzen, bis zu den Freunden des Kron prinzen, die Englische Thorhcit nach; überall hört man von Jockey- Klub«, Pferderennen, ikereswein, Luftballon«, hohen Wetten — kurz alle unsere ihörichlcu Liebhabereien haben auch zu unseren Nachbarn ihren Weg gefunden. Ader man glanbe ja nicht, daß sie darauf wirklich einen hohen Werth legen, keineswege«; sie sprechen gern davon, und welchen schönen Gegenstand der Unterhaltung, welchen neuen unbekann ten Stoff bietet ihnen das Alle«! Sic plaudern darüber, mischen neue, fremde Redensarten i» ibr Gespräch, tauschen gegenseitig ihre Meinun gen an«; tisputireu, erhitzen sich immer mehr und mehr, ein Wort giebt das andere und zuweilen endigt auch solcher kleine Zwist mit einem Duell im Bois de Boulogne, aber da« schadet nichl«; die guten Pariser amüsircn sich mit jeder Abwechselung, sic wissen dcm Leben immer die angenehmste Seile abzuzcwinnen. Schon seil acht Jahre» dienen Lord Varmoulh und Hugo Ball den Parisern zu Modellen und Typen; nichl etwa, daß sie diese Personen ganz besonders bewunderten oder liebten; aber sie bieten ihnen Stoff zur Unlerbaltung, und die Franzosen sind so glücklich, wenn sie plauder» können. Ucbrizen« habe ich auch in England, in meinem ernsten, gravitätischen Laterlaudc, einen unbedeutenden Gascogner kennen gelernt, der zu seinem Familiennamen die kleine gewichtige Adels-Partikel usurpirt, sich mil Dandys umgeben, einen kleinen Hofstaat um sich gebildet Halle, jetzt cin glänzendes Haus auSmacht und so, wie cs gewöhnlich dec Fall ist, zu einem Propheten im Auslande wurde. Das Scepler der Tusfiakin und Demidoff ist wenigst«!« rin gol dene«; sie suchen ihre Herrschaft durch glänzende Freigedigkeil und un geheure Ausgaben zu befestigen; Herr von Tusfiakin siehe die schönste» Pariserinnen in seinem Salon, Herr von Demidoff wiegt die Arbeiten Paul de Laroche s und Steuben'« mit Gold aus; Oberst Thorm und die Rothschild protegiren alle Maler, Bergolder, Tapezierer und Decora- lcure. Der Baron der Börse Hal sich ein Hotel in Pari« bauen lasse«, das die Engländer den Tempel SalomoniS nennen, und dessen Wände vom Fußboden bis zum Karttick mit Goldplällchen belegt sind. Man behauptet, daß die Vergoldung jeder Saalthür nahe an 100, und die jedes Lehnstuhl« SO Guineen koste. Unglücklicherweise enlwersen hier nicht die Künstler, sondern nur diese reichen Fremden den Plan zu solchen Ausschmückungen. Früher schrieben dir Leonardo da Binci den Fürsten Gesetze vor; jetzt begnüge« sich Bildhauer und Maler damit, nach der Vorschrift dieser Herre» ihre Arbeiten auSzuführen. So elegant und zart der Pariser Geschmack aber auch seyn mag, w ist er doch durchaus nicht solid; ost sogar fehlt es ihm an Einsach- hcit und Reinheit; man opfert jetzt Alles der Decoralion; au die Stelle architektonischer Verzierungen und schöner Slukatur-Arbeiten treten Stein-Pappe und Malerei, um das Auge zu täuschen; sogar die Kir chen werden mit Schnörkeln, alle neue Gebäude mit unnützen Kleinig keiten und geschmacklosen Zierralhen überladen, llebcrdics scheint mir die Französische Architektur »och ziemlich weit zurück zu seyn; ein Muster schlechter Bauart und de« verdorbenen Geschmack« der jetzigen Epoche bietet die neue Kirche ^iolre Uaruo sie f,»relto. deren Haupl- zierden von Stein-Pappe sind. Die Hauptstadt hat jetzt durch die Ausführung der vielen neuen Gebäude und die Verschönerung dec allen, durch neue Brücken, Straßen, Trottoir« und Plätze einen gewissen Anstrich von Verjüngung bekom men, der Jeden, welcher sie seil mehreren Jahren nicht gesehen hat, in Erstaunen setzen muß. Da« alle Pari« mil allen seinen Unannehmlich- keilen ist verschwunden, man kann sich nichl mehr über die vornehme und prelenliösc Nnreinlichkeil seiner Straßen beklagen; die Boulevards sind mit einer Art von Erdpech gepflastert und dielen zu jeder Jahres zeit eine angenehme Promenade; fast täglich werden alle Häuser nieder- gerissen und neue erbaut. Wie glücklich wäre die Bevölkerung, wen» sie auch in moralischer Hinsicht gleich schnelle Fortschritte machte, wenn Ruhe und Eintracht der Gemülher endlich bei de» Franzosen einkehrte. Die alle Monarchie bat eine gewisse Vorliebe sür äußeren Prunk und Ehrenzeichen hinterlassen, die sich mit den jetzigen säst republikani schen Sitten sorlpflanzt und sonderbar mit ihnen konirasiirt. Bor alle» Dingen muß man „öffentlicher Beamte" seyn; dieser Titel allein ", So heißen in Parts Lie unvereideten Geschäftsvermittler, Lie man sonst auch wohl „Pmschmakler" zu nennen p-egt.