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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerations- Preis 22j Sgr. Thlr.) viecteilährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. M ratur a g a z r n für die Man pränumerirt auf dieses Rciolait der Mg. Pr. Staats- Zeitung in Berlin in dec Expedition (Mehren-Strais Nr. 34); in der Provinz so wie im Auslände bei den WohlMl. Post-Aemtern. des Auslandes. AZ. Berlin, Mittwoch den 3. Mai 1837. Ungarn. Marschall Marmont in Ungarn. Die so eben in Paris erschienenen „Memoiren des Herzogs von Ragusa", weiche schon durch die Persönlichkeit ihres Verfassers von Interesse sind, enthalten eine Beschreibung der Reise, welche der Mar schall von Wien aus im Jahre 1834 durch Ungarn und Siebenbürgen nach dem südöstlichen Rußland und von da nach Konstantinopel, Syrien, Palästina und Aegypten unternahm. Wir liefern hier einige Auszüge über den Aufenlball de« Herzogs in Ungarn: „Dieses Land erscheint dem Durchreisenden fast ganz wüst und un bewohnt; auf seinen unermeßlichen Ebenen findet man nur in großen Entfernungen von einander einzelne Koloniecn von ungefähr 30 — 40,0110 Ackerbauern, welche hier den ganzen Winter hindurch zusammenwohnen und, sobald der Frühling kommt, fich aus ihre Aecker und Felder zer streuen. Hier bleibt Jeder die ganze Woche hindurch bei seinen Feld arbeiten, und die sogenannte Sladr wird nur von Frauen, kleinen Kindern und einigen Bedienten bewohnt. Sonnabend Abends pflegt dann jeder Familienvater sein Haus in der Stadt aufzusuchen und läßt alle seine Arbeitsleute auf dem Felde; Montag aber mit Tagesanbruch eilt er auf sein Pachlgul zurück. Sobald die Feldarbeiten des Jahres sämmilich beendigt find, kehrt Alles beim in seine Stadt. Loch haben fich auch schon hier und da dergleichen Wohnungen des Augenblicks m bleibende Hütten und stattliche Häuser verwandelt, welche mit schönen Pflanzungen geschmückt und von ihren Bewohnern nicht mehr verlassen werden, bis cs nach und nach dahin kommen wird, daß sich das ganze Land mit Meiereien und Dörfern bedeckt und es in Ungarn eben so auSsichl, wie i» dem übrigen Europa. Dann werden auch die Städte eine ganz andere Gestalt annehuien; sie werden eine» große» Theil ihrer jetzigen Bevölkerung verlieren und nur von Leute» bewohnt werden, die mit dem Ackerbau nichts zu Ihun haben und von ihren Renten oder von Handel und Industrie leben." „In Comorn lras ich den General-Lieutenant Bakongi, der dort Gouverneur ist und den ich im Jahre I8IS zu Chatillon'gesehen und in meinem Hause ausgenommen hatte. In der Thal ein höchst sonder bares Geschick, das zwischen zwei Menschen, welche so weil von einander geboren find, Plötzlich eine ganz unerwartete Bekanntschaft schließt und sie dann wieder unter so entfernten Zeile» und Umständen aufs neue znsammenbringt. Wahrscheinlich Hal der General-Lieutenant Bakongi die Erinnerung an meine damalige Gastfrenndschasl lreu bewahrt, denn er überhäusic 'mich mit aller möglichen Höflichkeit und Freundschast." „Blati zeigte wir in Comorn einen sehr schätzbaren Reichlhum des Bodens, nämlich Steinkohlen von der vortrefflichsten Qualität, welche zwei Lieues vo» der Sladt auf einem Gute des Grafen Sandor aus- gegrabcn werden. Doch die Ausbeutung dieser Fundgrube hat erst be gonnen und versprich, dem Besitzer große Reichthümer, so wie dem Lande eine mächtige Hülssquelle der Industrie. „Das Land, welches man passtren muß, um nach Ösen zu kommen, würde dem Reisenden, der nicht weiter ginge, nur ein sehr unvollkom menes Bild von Ungarn gebe». Die ganze Gegend ist vortrefflich an- gebaut und erinnert fast an Deutschland, wenn auch nicht ganz derselbe Wohlstand dort zu finden ist; man merkt gleich die Rachbarschust von Wien. Auch haben die Besitzungen, welche zwischen der Lcylha und der Stadt Os-n liegen, im Ganzen litte» viel größeren Werlb, als die jenseits der Donau. Je mehr maii sich Ofen chähert, desto gebirgiger und zerrissener wird das Land. Hohe Hügel beherrschen das rechte Ufer des Flusses, und der Wanderer, der an ihrem Fuße vorüber muß, ge nießt die herrlichste Aussicht aus die reiche» »»p prächtigen Inseln, mit denen die Leman besät ist. Ofen die,er einen höchst impolanlen Anblick; es ist die alte ehr würdige Hauptstadt Ungarns, voll von mittelalterlichen Erinnerungen, auf einem hohe» Platz erbaut und mit Mauern umringt. Früher, zu Len Zeiten der Türkenkriege, war es eine Festung, j» welcher der Pascha refidirle und seine Streitkräfte zusammcnhiclt, von wo aus er aufbrach, uw Oesterreich zu überziehen, Wien zu belagern und die ganze Christen« heil zn unterwerfen; »ur die muthigc Bettheidigung Wiens, der Hel- dcnmulh der Polen und Sobieski'« gewaltiger Geist haben Europa ge rettet. Zweimal war Wie» die Vormauer der Christenheit gewesen, und erst als Ungarn, dessen Besitz für die Türken immer nur sehr pre- cair war, ihnen ganz verloren gj»g, da erst war Deutschland in Sicher heit. Ungarn ward ein erbliches Königreich, bekam eine regelmäßigere und geordnetere Verfassung und wurde nun auch jenen Nachbarn furcht bar, welche ihre früheren Siege nur der inneren Zwietracht des Landes zu verdanken hatten." „Ofen ist die Stadt der Behörden und der Negierung, mit präch tigen Palästen geschmückt und der Sitz des Palatins und der höheren Gerichte. Peflh dagegen, auf der anderen Seite des Stroms, ist dir Stadl der Opposition und der Neuerungen, die Stadt des Handels und der Industrie. Peflh scheint sich mächtig zu enlwickeln; seine Bevölke rung nimmt immer mehr zu, lind die Sladl wird von Tag zu Tag schöner. Und doch, so lange man nicht die gegenwärtigen Civil-Gcsetze des Landes modifizill, kann auch nicht eine einzige Ungarische Stadt ein großer Handelsplatz werden. Es gicbt keinen ausgedehnten, vor- lheilhaslen Handel ohne Kredit, und von Kredit ist da keine Rede, wo da« Eigcnlbum so unsicher ist und wo man den Schuldner nicht zur Abzahlung zwingen kann. So verhält es sich in Ungarn; der Gläu biger Hal hier keine andere Garantie, als die Moralität des Schuldners, eine Bürgschaft, die bei Wechseln und bonnviffements, welche von weist in der Ferne wohnenden unbekannten Leuten unterzeichnet sind, nicht den geringsten Werth haben kann." „Man kennt in Ungarn fast überall die Bedürfnisse des Landes; man weiß recht gut, was für Veränderungen ihm heilsam wären; doch wie überall, so werden auch hier dergleichen Neuerungen, mögen sie für das Ganze auch noch so nolhwendig und glücklich seyn, sobald sie dem Einzelnen nachlheilig sind, jedesmal Opposition finden;, daher die Ver wirrung der Ideen, di- sich einandec bekämpfe»: bald will man, bald will man wieder nicht. Mancher, Ler sich die schönsten Pläne auSbii- dei über die Mittel, in seinem Vatcrlande Glück und Wohlstand zu befördern, kann cS nicht ertragen, wenn er dadurch in eine ihm schimpf lich scheinende Abhängigkeit gerochen soll. Sv sieht man überall ein, wie sehr dem Lande gute Straße» Noth thun; da e« nun der Regie rung selbst an den »olhwc»digcn Fonte fehlt, um de» Chauffeebau be sorge» zu lassen, so bleibt nichts weiter übrig, als daß eine Handels- Gescllschafl ein solches Unternehmen aussührl und sich die Kosten durch ein Wegegeld vergüten läßt; davon aber will der, welcher so eifrig gute Straßen wünscht, nichts wissen, denn ein Ungarischer Edelmann kann und darf sich durchaus keiner Auflage unterwerfen. Noch begreift man in Ungarn nicht, daß das einzig vernünftige Vorrecht höchstens darin bestehen kann, nur mit eigener Bewilligung Geld zu geben; daß man aber jedenfalls Geld ausgeben muß, um reich zu werden und seine Lage und Genüsse zu vermehren. So lange die Idee einer Besteuerung den Ungarische» Adclstolz empört, so lange dergleichen Vorurtheile, die in der Unkenntnis; und dem Mangel der einfachsten Begriffe des Menschen verstandes ihren Grund haben, nickt entfernt werden, wird das Land staiionair bleiben und die großen Verbesserungen, die e« braucht, ent behren müssen." Um zu zeigen, wie sehr das Feudalwesen und das Mittelalterliche noch i» der ganzen Verfassung und in allen Sitten und Zuständen Ungarns vorherrschen, erzählt der Verfasser folgendes Beispiel: „In der Nähe von Oedenburg auf einer Höbe liegt das Fort Forchtenstein, welches dem Fürsten Estcrbazv gehört und außer einer ansehnlichen Ar tillerie einen Vorrath von Waffen für 3 — 4000 Mann enthält und einen reichen Schatz von Schmuck und Diamanten. Dieser Schatz muß nach einem Statut des Hause« Esterhazy von jedem Fürsten, der an der Spitze dieser Familie stellt, vermehrt und darf nur zur Loskaufnng eines Estcrbazv, der Kriegsgefangener und Sklave der Türken geworden ist, benutzt werden. Natürlich wird diese Bestimmung nunmehr nie eine Anwendung finden. Im Jahre 1808, als das Komital Oedenburg von den, Franzosen besetzt war, zeigte sich auch ein Trupp Kavallerie in Forchtenstein; die daselbst garnisonirendcn Soldaten des Fürsten verweigerten die Ocffmmg der Thore, die Franzosen zogen fick zurück, und so ward das Fort mit seinen Reichthümcrn dem Eigcnlbümer er hallen. Dieses Haus de« Fürsten Esterhazy ist vielleicht da« einzige in ganz Europa, welche« noch an die großen Vasallen des Mittelälter« erinnert. Nur hier noch findet man so unermeßliche Grundstücke und ein Vermögen, welches, gut verwaltet, dem eine« Sonverain« gleich käme, ganze Festungen als Eigcnthum und besoldete Truppen, die dem Fürsten gehören, ferner das durch langen Gebrauch geheiligte Vorrecht, den Souverain de« Lande«, so oft er seine Güter betritt, zu bcwirthen, und endlich da« Privilegium, in die Vorstädte der Hauptstadt mit einem Detaschement seiner Truppen und einer eigenen Fahne einznzic- ben. Ein Fürst Esterhazy, der, in einem Lande wie Ungarn, alle Vor« theile der mächtigen Stellung, die er in der Gesellschaft einnimmt, wohl zu würdigen verstände, könnte der rechte Arm seine« König« und der Wohllhäier seine« Lande« werden. In einem Saale de« Schlosse« sieht man an der Wand einen großen Stammbaum abqebildet, dessen