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Nähe weilen dürfen, die glühende Bruse an ihn schreiben, ihn nach der Vorstellung am Ausgange mit Tücherwehen empfangen und nichts unversucht lassen, um vor allen Dingen von ihrem Ideal ein Autogramm zu erlangen, diese Autographen-Epidemie wird im übrigen einem guten Zweck dienstbar gemacht, denn die Mitglieder der Dresdener Hoftheater geben ihre Namenszüge nur um 50 Pfennig her, und all' diese 50 Pfennig-Stücke fliehen in die Pensionskaffe. Ein Kultus dieser Art drückt natürlich Kunst und Künstler herab; die Kunst wird zur Nebensache, zur Hauptsache die Person, die hierdurch leicht zur Ueberschätzung ihres wahren, künstlerischen Wertes gelangen kann. China. Die russische und die britische Regierung kamen überein, den Tientsin er Streit dem Grafen Waldersee behufs schiedsrichter licher Beilegung anheimzustellen. Tie Truppen desjenigen Landes, für welches Waldersee entscheidet, sollen das strittige Gebiet besetzen, die Truppen des anderen Landes definitiv zurückgezogen werden. Südafrika. Etwa 400 Buren haben gestern einen Vorratszug etwas nördlich von Vlaklaagte zerstört und sind mit mehreren Wagenladungen erbeuteter Vorräte abgezogen. Wie in englischen Regierungskreisen ver sichert wird, sollen die Friedensverhand lungen mit den Buren in kürzester Zeit wieder ausgenommen werden. Die Regierung wird den Buren weitere Zugeständnisse machen. Neuerdings sind in Kapstadt abermals 12 Pestfälle vorgekommen; unter den Er krankten befinden sich vier Europäer. Die Blätter melden aus Kapstadt: Dewet grub bei Senekal zwei Geschütze aus, die ehemals Prinsloo gehörten. Rundschau. — Ministerpräsident und Kriegsminister General Freiherr Schott v. Schottenstein in Stuttgart ist angeblich wegen „Krankheit" beurlaubt. Er war erst seit 4 Monaten Ministerpräsident. Man glaubt nicht recht an Krankheit und Urlaub. Nach der „Frkfr. Ztg." handelt es sich um eine Untersuchung wegen Vergehen« gegen § 180 des Straf gesetzbuchs (Kuppelei), in welcher Minister präsident v. Schottenstein als „Zeuge" auf treten soll. — In Belgien will das Ministerium Vorschlägen, den Congostaat sofort wieder zu übernehmen und zwar als belgische Kron kolonie, die vom König ohne direktes Ein greifen des Parlaments verwaltet wird. — Die Akten des finländischen Staats- sekretariats der Jahre 1809 bis 1825, sind auf Befehl des Kaiser« dem Reichsarchiv einverleibt worden. Aus Stadt und Land. Naunhof, 26. März. -j- Einen ganz besonderen musikalischen Genuß bot am Sonntag das Konzert der Künstler-Familie Drescher aus Leipzig, welche hier zum zweiten Male im Gasthof zum goldnen Stern auftrat. Es waltete ein seltener Glücksstern über dieser Familie: Vater und Mutter, alle ausnahmslos musikbegab! und künstlerisch veranlagt, von dem 25 jähr. Sohne bis herab zur 6 jähr. Tochter! Man hält es wirklich kaum für möglich, daß in solch einem kleinen, noch nicht den Kinder schuhen entwachsenen Kindern so viel Talent stecken kann. Tie Dirigentin erregte mit Ihren Violinspiel allseitig Bewunderung. Mit tadelloser Präzision und ohne alle Noten spielte sie ihre Etüden, sodaß man hätte glauben mögen, ein Künstler führe den Bogen, und nicht ein Mädchen. Das sehr zahlreiche Publikum zeigte sich aber auch dankbar und wiederholt mußten die kleinen Künstler sich zu Zugaben verstehen. Die Familie Drescher ist fast beständig auswärts engagiert und es kommt oft vor, daß sie 4—6 Wochen in ein und demselben Lokal auftritt. Das ist natür lich nur dadurch möglich, daß die kleine Truppe ein überaus reichhaltiges Repertoire besitzt und auch im Gesang tüchtiges leistet. Am 1. April wird in Fuchshain eine Postagentur mit Telegraphenbetrieb eröffnet, dieselbe gehört zum Bezirk Leipzig und kommt zu Herrn Gasthofsbesiper Gerber. -j- Die Wildenten traten nach sächsischem Jagdgesetz am 15. März in die Schonzeit und genießen dieselbe bis mit Ende Juni. Da jetzt in Sachsen nur noch die in unseren heimischen Wäldern immer seltener werdenden Hähne von Auer-, Birk-und Haselwild, sowie die bei uns nur noch vereinzelt durchziehenden Schnepfen abgeschoffen werden dürfen, auch das Hirsch- und Rehwild in der Schonzeit steht, so hat die diesmalige Jagdsaison in der Hauptsache ihr Ende erreicht. -j- Was kosten die sächsischen Eisenbahn fahrbetriebsmittel? Ende 1900 war der Be stand unserer sächsischen Lokomotiven einschließ lich drei vollspuriger Dampfwagen 1247, unserer Personenwagen 3333, der Zugführer und Gepäckwagen 569, der bedeckten Güter wagen 10 608 und der offenen Güterwagen 18997. Die Lokomotiven kosten 57 033 688,88 Mark, die Personenwagen 24 151 409,83 Mark, die Zugführerwagen, Gepäck- und Güterwagen 71 172 143,06 Mark, zusammen 152 357 241,77 Mark. Die Anschaffungs kosten einer größeren Anzahl bereits in Dienst gestellter und in den Betrieb mit aufgenommener Fahrbetriebsmittel der Staatseisenbahnen sind in diesem Betrag nicht enthalten. -j- Eine Warnung vor dem Zuzug in die Großstädte enthält der Jahresbericht der Berliner Gesellschaft zur Fürsorge für die einwandernde Jugend. Viele Hunderte und Tausende ziehen jahraus jahrein in die großen Städte, nicht ahnend, welche Ge fahren diese für die Jugend in sich bergen. In einem Jahre sind über 23 800 junge Männer im Alter von 14 bis 21 Jahren nach Berlin zugezogen Tausende waren ohne feste Aussicht auf Stellung gekommen, in der so irrigen Meinung, in der Großstadt könne es ihnen an Arbeit und reichlichem Verdienst nicht fehlen. Und doch steht fest, daß nur sehr wenige Arbeit finden, diese wenigen oft erst nach langem Suchen und dann zumeist nicht ihrem erlernten Berufe. Die Gesellschaft warnt darum jeden jungen Mann, eine Großstadt zu betreten, wenn er nicht in eine feste Stellung eintreten kann oder bei Verwandten guten Anschluß findet. -ß Die neun landwirtschaftlichen Schulen iu Sachsen wurden in diesem Winterhalbjahre von insgesamt 452 Schülern besucht. Obenan steht die landwirtschaftliche Schule in Meißen, welche 110 Schüler zählt, dann folgt Bautzen mit 74 Schülern, Wurzen mit 61, Freiberg mit 54, Pegau mit 38, Chemnitz mit 35, Rochlitz 31, Auerbach mit 28, und endlich Annaberg mit 21 Schülern, Die Gesamtzahl im vorigen Winter betrug 455 und die Höchstschülerzahl innerhalb der letzten zehn Jahre wiesen die landwirtschaft lichen Schulen im Winter-Halbjahre 1893/94 mit 549 Schülern auf. s Die evangelisch-lutherische Landes synode im Königreich Sachsen wird für den 24. April nach Dresden einberufen. Leipzig. Die Zahl der Arbeitslosen ist — ein günstiges wirtschaftliches Zeichen — hier bedeutend zurückgcgangen; wenigstens waren zur Beseitigung des letzten Schnees bei der städtischen Morstall-Verwaltung nur 400 Mann verfügbar, während sich bei den Schneefällen im Februar über 800 Mann gemelt et hatten. — Dresden. In maßgebenden katholischen Kreisen Sachsens wirkt man jetzt sehr für die Gründung einer katholischen Tages preise im Sachsen. In Dresden hat sich bereits unter Vorsitz angesehener Persönlich keiten für diese Zwccke ein Komitee gebildet. Die Verhandlungen werden sehr geheim ge führt. Auch in höherstehenden Kreisen hat die vom katholischen Klerus ausgegangene Anregung sympathische Ausnahme gefunden. Dresden. Die Mörderin des Kammer musikers Gunkel ist jetzt völlig gebrochen. Sie beabsichtigte übrigens zuerst, Gunkel während der „Nausika "-Vorstellung im Theater zu erschießen; deshalb wollte sie, um dicht hinter seinem Orchesterplatz zu sitzen, mehrere Plätze erster Parquettreihe belegen. Jndeß gelang eö ihr nicht, diese zu erhalten. Dresden. Dem Prinzen Michael von Braganza, Leutnant im sächsischen Garde-Reiterregiment, (dessen Wagen seiner zeit die Pferde des verunglückten Prinzen Albert scheu gemacht haben soll) ist der Ab- chied bewilligt worden. Großenhain. Die Gutsbesitzer der Großen hainer Pflege scheinen keine praktischen Vieh züchter zu sein. Dem dortigen Tageblatt über- andte Schlachthofdirektor Gänsehals folgendes Schreiben mit der Bitte um Veröffentlichung: Am 20. März wurden im hiesigen S ch lacht- Hofe von 5 geschlachteten Rindern wie der einmal 3 trag end, davon 2 hoch tragend befunden; 4 Wochen bez. 14 Tage würden zur Abstoßung der Früchte genügt haben. Muß man sich da nicht wundern über die Nachläßigkeit der Leute, die da immer u klagen haben? Einige Aufmerksamkeit im Stalle müßte doch bewirken, daß Tiere, die zu gewisser Zeit geführt und dann im Milch ertrag Nachlassen, als verdächtig anzusehen und einer genauen Untersuchung zu unter werfen sind, bevor sie dem Messer überliefert werden. Diese Untersuchung ist und wird auf Grund von Verdachtsäußerungen ver nünftiger Verkäufer häufig im Schlachthofe vor der Tötung ausgeführt und hat verschiedent lich Erfolg gehabt. Oder man warte wenig stens solange, bis daß Tier über eine gewisse Zeit hinaus ist, es wird sich doch meist um wenige Tage handeln. Wenn auch das Fleisch hochtragender Rinder nicht direkt als minder wertig zu bezeichnen ist, so ist es zweifellos schon aus physiologischen Gründen doch nicht so zu schätzen wie das nichttragender Rinder. Die unvorsichtigen Verkäufer sollten aber zur Strafe auch bei freiem Handel zum Ersatz verpflichtet sein, was sich übrigens durch eine einfache Klausel beim Kaufabschluß erreichen ließe. Die Betreffenden mögen sich außer dem überlegen, was sie beim Verkauf der artiger Tiere verlieren: das Kalb, die Milch nutzung und nicht zum mindesten den Differenz wert des Verkaufs als „hochtragendes" oder als „Schlachttier." Wurzen. Die Errichtung einer Frei bank und die damit verbundene Anstellung eines Tierarztes wird in nächster Zeit zur Thatsache werden. Pegau. Von der landwirtschaftlichen Lehranstalt zu Pegau erschien der 5. Jahres bericht, aus welchem hervorgeht, daß die junge Lehranstalt auch im vergangenen Unterrichts jahre in recht erfreulicher Weise sich weiter entwickelt hat. Bei der reichen Ausstattung und trefflichen Einrichtung ist die Schule im Stande, ihren Zöglingen in der kurzen Zeit von zwei Wintersemestern diejenige Fachbild ung zu vermitteln, die heute zur erfolgreichen Bewirtschaftung kleiner und mittlerer Land wirtschaftsbetriebe unentbehrlich ist. Der Jahresbericht wird von der Anstaltsleitung jedem Interessenten kostenfrei zugesandt. Vermischtes * In Südindieu, wo neben vielen andern Missionsgesellschaften auch zwei deutsche, die Leipziger und Baseler, thätig sind, hat das Christentum bei weitem größere Fortschritte gemacht, als in der übrigen Hindubevölkerung. In der Madras-Präsidentschaft bilden die Christen bereits einen namhaften Prozent satz dec eingeborenen Bevölkerung. Als der Vizekönig Lord Curzon Ende des vorigen Jahres den südlichen Teil seines Reiches be reiste, benutzte der Verein der protestantischen Christen von Madras die Gelegenheit, ihm durch eine Deputation von 28 angesehenen Christen, darunter zwölf eingeborenen Geist lichen, eine Adresse überreichen zu lassen, in der sie betonten, daß von den auf der Uni versität geprüften Hindus der zwölfte Teil ihrer Gemeinschaft angehöre, daß sie aber hin - achtlich der Ausbildung des weiblichen Ge- chlechts allen Ständen voraus wären. Sie ;aten, künftig bei der Besetzung höherer Aemter, in denen Eingeborene Verwendung inden, mehr berücksichtigt zu werden; auch wünschten sie eine Beseitigung der Bestimm ungen, welche die Christen zu Gunsten der seismischen Hindus benachteiligen z. B. bei Erbschafts-Angelegenheiten- Lord Curzon zollte in seiner Antwort dem Missionswerke und einen Erfolgen in Südindien volle Aner kennung, ließ aber die Beschwerden nur teil- Hin «dles Iranenherz. Roman von Viktor Rheinb erg. 9 „Aber Robert, e« ist doch wahr, e« thut mir leid, daß Du eS nicht gerne hörst, ich muß es trotzdem wiederholen, Du wirst nnr zu bald entdecken, daß ich nicht die Manieren, nicht das Wesen einer Danie Deines Standes habe; doch ich will gerne lernen, ich habe ein gnteS Gedächtnis, will mir alles merken, was Du sagst, und nach Möglichkeit das Benehmen vornehmer Frauen nachahmen." „Nein, um« Himmels willen, nnr das nicht!" rief er unge- dnldig. „Von allem Argen, was eS auf Erden geben kann, ist eine Fran, welche sich bemüht, andere nachzuohmen, das ärgste! Verzeih', Jenny, wenn meine Lebhaftigkeit Dich erschreckte," fügte er entschuldigend hinzu, als er bemerkte, daß ihre Mund winkel schmerzlich zuckten; „aber der Gedanke hat mich entsetzt, jede Nachahmung ist unnatürlich und daher nichts weniger als vornehm; ich dachte aber wirklich, daß alle Mädchen, eS fei denn vielleicht mit ganz wenigen Ausnahmen, genau wüßten, wie sie sich zu benehmen hätten. Du hast übrigens nichts zu fürchten, Jenny. Tu bist sehr schön, und Schönheiten dürfen eS wohl wa gen, excentrisch zu sein. Du mußt mir nur gestatten, Dir meine Bemerkungen zu machen, wenn ich Dich irgend etwas thun sehe, was Deiner letzigen Stellung nicht entspricht." „ES soll mein Stolz und meine Freude sein, Dich zufrieden zu stellen, und ich werde jeden Tadel dankbar hinnehmen; je des Deiner Worte soll mit der größten Aufmerksamkeit beachtet werden " Ihre Antwort schmeichelte ihm ein wenig und er empfand stolze Befriedigung, daß ihm so unbedingter Gehorsam entge gengebracht wurde; trotzdem berührte ihn daS Bewußtsein pein lich, daß eine gewisse Ungleichheit sozialer Stellung zwischen ihnen nicht in Abrede zu stellen sei. Sie war keine Dame! Gü tiger Himmel, was würde seine Mutter, was seine Schwester sagen, wenn sie das ahnten! Und doch, obwohl dieser Gedanke ihm peinlich war, konnte er doch nicht umhin, das jugendliche Geschöpf, das eine so eigentümliche Verkettung von Umständen ihm in den Weg geführt, zu bewundern wegen der nnendlichen Wahrhaftigkeit, die den Charakter desselben anSzeichnete. Sie gestand ganz einfach zu, daß ihre Bildung und Erziehung eine mangelhafte sei, wo manche andere an ihrer Stelle sich in Eigen dünkel überhoben haben würde Er bewunderte ihre Aufrich tigkeit, während er doch nicht umhin konnte, zu beklagen, daß von Geburt an ihr ganzes Dasein nicht anders geleitet wor den sei. „Wir wollen lieber nicht an der Tafel speisen," sprach er am nächstfolgenden Tage, „ich würde sicherlich Bekannte treffen und das wäre mir peinlich; laß uns das Diner auf unser Zimmer bestellen." Jenny sah sehr anmutig aus in ihrem neuen hübschen Kleide, mit dunklen Rosen in dem reichen, blonden Haar. Lord Wilcox lächelte, als sie vor ihn hintrat. „Rosen sind meine Lieblingsblumen," bemerkte er, „ich würde gern die Alten nachahmen und in einem Zimmer speisen, dessen Boden mit Rosenblättern bedeckt ist." Bon diesem Augenblicke an wurde die Rose auch ihre Lieb- lingsblume. „Im Grunde genommen," dachte er, „ist sie doch reizend und ich hätte AergereS thun können, als sie heiraten; schön, klug, anmutig, fürwahr, ich bereue nicht, daß . .." Er hielt plötzlich in seinem Jdeeugang inne; sie hatten sich zu Tisch gesetzt und er gewahrte zu seinem Entsetzen, wie sie mit ihrem Löffel ganz ohne sich Zwang anzuthun, i» die Schüssel fuhr, um sich irgend eine Znthat heraus zu fischen, die ihr be sonders gemundet hatte. Dunkle Wolken lagerten auf seiner Stirne, als sie gleich da rauf emporblickte. „Robert, was ist Dir?" fragte sie besorgt. „Nichts!" „Habe ich Dich irgendwie verletzt?" „Ja, Du solltest nicht so schauderhaft essen, eS ist unanstän- big!" „WaS habe ich denn gethan?" forschte sie tief errötend, „eS thut mir unendlich leid, verzeihe mir!" „Du bist mit Deinem Löffel in die Schüssel gefahren," ent- gegnete er, „und derlei ist gerade entsetzlich!" „Verzeih'!" bat sie nochmals, „ich war zerstreut, zu Hanse beachtete man derlei Verstöße gar nicht und in der Schule in Heisingen wurden sie auch nicht gar so strenge gerügt?" Eie lachte. „Zu Hause »ahmen wir höchst selten eine regel- mäßige Mahlzeit, aus dem einfachen Grunde, weil da» Geld fehlte, dieselbe zu beschaffen. ES ist alle» genau so, wie ich Dir's gesagt. Leute, die gleich Dir stets im Wohlstände ausgewach sen, ahnen gar nicht, wie es anderen Sterblichen geht. Mein Vater hat oftmals mit der Violine unter dem Arm, zum Aus gehen bereit, einige Bissen in aller Hast verschlungen, das war seine ganze Mahlzeit; meine Mutter hingegen ging manchen Tag ohne Mittagbrot zu Bett; im Elend aber vergißt man die For men der Wvhlanständigkeit, selbst, wenn man dieselben zuvor inne hatte. Das Bewußtsein, für den Lebensmiterhalt, für das tägliche Brot arbeiten zu müssen, rnst eine gewisse Gleichgiltig keit gegen Lappalien hervor; wie »ran ißt, fällt nicht in die Wagfchale, »venu inan nur überhaupt etwas zu essen hat!" Während Lord Wilcox langsam einen der schönen Pfirsiche schälte, die im sonnigen Lande der Gallier wachsen sann er nach über den tiefen Ernst jener Worte, die von so jungen, schönen Lippen erklungen. * Sie standen zusammen in einer der Galerien des Louvre und Lord Wilcox blickte verwundert auf seine Fran. „Ich glaube, Du kennst das Sujet eines >eden Bildes und weißt den Namen des Malers; es war mir ganz unbekannt, daß Du so wohlunter richtet seist." „Ich bin es auch nicht, mir Bilder haben mich von Jugend auf interessiert und ich trachtete stets recht viel über dieselben zu erfahren!" Lord Wilcox lachte. Ohne im geringsten die Absicht zu hegen, ihr Licht leuchten zu lassen, denn solcher Eitelkeit war Emilie Wilcox unfähig, fuhr sie in ihren beredten Erklärungen fort; sie bemerkte gar nicht, daß auch andere noch in der Nähe seien, sie sah niemand außer ihrem Gatten, die ganze Welt enthielt ja doch für sie nur ihn allein. Lord Wilcox aber vernahm, wie einige Herren in fran zösischer Sprache ihre Bemerknngen machten. „Welch' kluges Mädchen, welcher Witz, welche Originalität," riefen sie einmal um das andere, und solches Lob gefiel ihm, weites seiner Eitel keit schmeichelte. Unglücklicherweise brachte sie der Zufall bald darauf neben eine Gruppe lebhafter Französinnen und er vernahm auch ihre Bemerkungen. 86,20 „Eine schöne Person, zweifelsohne eine Engländerin, nach der eigentümlichen Art zn schließen, in welcher sie sich kleidet!"