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564 Freude ward lauter; oder man erleichterte in der Mitteilung Furcht und Besorgnisse; man ertränkte sie in dem Sorgenbecher, der dem gegenwärtigen Unmuth wie der Furcht entreißt, oder man fühlte so, im cngege- schlossenen, frohen Kreise, sich stärker, Alles zu tragen. Dieser Stoff scheint jetzt reicher, als je mals, und doch ist die gesellige Unterhaltung ärmer. Die Politik behauptet noch ihr An- sehu; aber es ist merkwürdig, daß gerade in einer politisch sehr reichen und wichtigen Zeit die Gespräche darüber so dürftig, uninteres sant werden. Vielleicht kömmt dieß daher, daß der Stoff gegenwärtig zu groß, umfas send, gewaltig ist, als daß ihn Viele bewäl tigen könnten; daß ein dichtes Dunkel selbst über viele gegenwärtige Ereignisse schwebt; daß man nicht recht einzudringen weiß in das ganze Verhaltniß. Kleines, flaches Raison- nement über große Begebenheiten wird aber schaal und widrig. Es genügt nicht, von Schlachten und Belagerungen, von Bünd nissen und Friedcnsartikcln zu reden; man Möchte gern auch die Folgen erspähen, gleich mit berechnen, wie das oder jenes auf uns wirken wird, seinen Scharfsinn und seine Einsicht durch Bemerkungen über das Mögliche, Künftige bewahren: aber das ist dermalen etwas schwierig. Man weiß den Ereignissen nirgend recht beizukommen, und die thatenreiche Zeit, mit ihrem raschen Wechsel, täuscht zu leicht die Erwartung, und macht, im Augenblick, die kühnste, fein ste Hypothese zunicht. Dazu berührt die Politik uns heut ost ein wenig unsanft, unfreundlich; wir sind selbst ju sehr mit in den Lauf der Begeben heiten verflochten, ohne eben recht in sie ein greifen, Mitwirken zu können; die Noth ist uns fast zu nahe gerückt; man hat Mühe sich durchzuwinden, festzustehen, sich heraus- zuwickeln aus der Verwirrung, und ist etwas stark auf sein nächstes Verhältniß zurückge drängt. Da ertönen wohl Klagen von allen Seiten; diese aber unterhalten nicht: matt hält sie auch wohl zurück, und weiß dann noch minder von den Zeitgeschichten zu reden. Vordem wohl, wenn wir mit ergriffen wur den von einer neuen Bewegung der Welt, machte dieß die Unterhaltung nur lebhafter; heut wirkt das anders. Sehr natürlich! Auch von entferntem Ereignissen, von den Türkenkriegen, von fernen Revolutionen, ließ sich's trefflich in der Gesellschaft schwa tzen; zur Zeit des nordamerikanischen Frei heitskampfes war die gesellige Unterhaltung überreich. — Auch ist man, und nicht mit Unrecht, ein wenig bedenklich und vorsichtig bei poli tischen Expektorationen geworden; man wit tert mögliche Gefahr dabei. Jede Unterhal tung aber, die Rückhalt, ängstliches Wägen der Worte und bedächtige Scheu merken läßt, wird unangenehm, trocken, freudeleer, wenn auch hier und da Einer mit halben, ost nichts sagenden Worten sich ein bedeutendes, geheimnißvolles Ansehn zu geben weiß. Rechte Lust und Freude kann daraus der Ge sellschaft nicht entblühen, und in der That sind die Verhältnisse des Vaterlandes zu ernst, als daß Laune und Scherz sich daran wagen dürsten. Auch fassen jetzt nur Wenige schon so frohe Hoffnungen für die Zukunft, daß man darüber die nächste Gegenwart vergessen möchte!