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Beilage der Naunhofer Nachrichten. Dienstag, den 25. Dezember 1900. Nr. 152. Ein Tag vor Weihnachten. Ein Straßenbild. (Nachdruck verboten) „Morgen kommt der Weihnachtsmann, kommt mit seinen Gaben", so hört man allüberall die Kleinen jubeln und so mancher Seufzer wird laut: „Wenn es doch schon Abend wäre." Doch erst auf den Straßen dieses Leben! Ich mischte mich unter das fröhliche Treiben und beobachtete so Manches. Ich lasse mich drängen und stoßen, winde mich durch ein Chaos von Packeten und Schachteln und atme erleichtert auf, wie es allmählig ruhiger wird. Da kommt eine Schar Backfische, Arm im Arm. Ihr lustiges Lachen dringt zu mir. „Du, Martha, weshalb warst Du nicht auf dem Eise? Es war herrlich dort und „er" war auch da, die Augen hat er sich beinahe ausgeschaut nach Dir." Ein paar Schüler nahen. Tie Mützen schief, am Arme die Schlittschuhe, die Wangen gerötet vom scharfen Wind. „Martha, sie kommen, ach das Glück, heute habe ich ihn schon zweimal gesehen!" Ja die Jugend! Ihr erscheint Alles im rosigsten Licht, ob Schnee und Eis, ihr lacht stets die Sonne. s * * Mich locken die Schaufenster mit ihren geschmack voll geordneten Geschenken, zwischen denen kleine Glüh lämpchen wie bunte Blumen hervorleuchten. Da steht ein junges Mädchen, dem mittleren Stande angehörend und schaut ganz entzückt auf all die schönen Sachen. Bald hat es etwas entdeckt was ihm besonders gefällt, ich sehe es an dem Aufleuchten seiner schönen Augen. Gewiß ist es eine Schneiderin, die den ganzen Tag über unermüdlich thätig war. Nun rechnet sie wohl im Geiste aus, ob die ersparten Groschen reichen, zu einem Geschenk für ihr Mütterchen. Ich muß doch auch sehen, was ihre Aufmerksam keit gefesselt hat. Was — eine Zigarrentasche! Wie ich wieder aufschaue, ist sie verschwunden. Doch da geht sie wieder vor mir und an ihrer Seite schreitet ein stattlicher, junger Mann, der sie zärt lich betrachtet. Deshalb also die Zigarrentasche! Die Liebe, die Liebe überall kommt sie hin und bringt ein wenig Sonnenschein mit. * * * Ein Spielwarengeschäft — am Tage von jauch zenden Kindern umringt, ist es am Abend öde und ver lassen. Nur eine Dame in Trauerkleidern sieht da und schaut wehmütig auf die Püppchen, die Pferdchen, die Wagen, auf all die Dinge, die ein Kinderherz erfreuen. Sicher hat sie ihren kleinen Liebling verloren . . ., so kurz vor Weihnachten. Nun liegen die hübschen Ge schenke zu Hause und kein verlangendes Aermchen streckt sich nach ihnen aus. Ein Herr und eine Dame kommen daher. Sieh', Schatz, das Schaukelpferdchen hier, für unsern Heini", und sie schaut ihm bittend in die Augen. Kes Wärs.fs Kölitug. Kriminalroman von Fr. Ferd. Tamborini. 24 „Ich stehe nicht an, zu erklären, Fräulein Sophie NapS ist das Opfer einer unglückseligen Verkettung von Umstän den geworden; sie hat nichts mit dem Verbrechen zu thnn. Ich habe meine Pflicht gethan, meine Herren Geschwore nen, thnn Sie jetzt die Ihrige." Als Feitmann geendet, gährte es im Zuschauerrannle, aber der Ort gestattete keineBeifallsbezeugung. Eine müh sam verhaltene Freude verursachte eiue Unruhe, die den Präsidenten zu einem Nachruf veranlaßte. Der Verteidiger Seipels wollte ebendas Wort ergrei fen, als ein Gerichtsdieuer zu Dr. Fellmann trat und eilt Telegramm überreichte. Der Rechtsanwalt bat um einige Minuten Pause, riß die Depesche auf und durchflog sie. Daun wandte er sich mit unverkennbarer Erregung an den Präsidenten und bat, ihm eine kurze Bemerkung zu gestatten. Der Präses nickte und Feitmann laS: „Mörder ermit telt, hat selbst gestanden, Beweise in ausreichendem Maße vorhanden. Bin erkrankt und bitte um Ihren Besuch hier in S.. . Otto Lanbell." Nach diesen Worten war eS einige Sekunden totenstill km Saale. Sophie war erschöpft zurückgesunken, Seipel hielt sich wie erstarrt an der Schranke der Anklagebank. War es denn möglich? Plötzlich Freiheit, Glück aus dunk ler Nacht! Der Mörder war ermittelt. DeS Rätsel» Lösung gesunden. Man fragte sich gar nicht, wer der Thäter sein könnte; alle Empfindungen traten zusammen in dein einen Gefühl: frei! Frei und vielleicht glücklich vereint! Auf Wunsch der Verteidigung hob der Präsident die Sitzung auf und vertagte sie bis auf weitere». „Sie werden freigesprochen!" hallte es auf den Korri doren, wo sich das wogende Gedränge der Straße zu wälzte. * * Zwei Tage nach der letzten G»richtrverhandlung langte Er nickt nur und bleibt stehen, das ernste Gesicht von einem Lächeln verschönt. Im Geiste sieht er wohl den strahlenden Christ baum, dabor sein junges, blühendes Weib, auf dem Arme den zappelnden Kleinen, der mit beiden Händchen nach dem Lichtern greifen will. Leise drückt er seinem Frauchen die Hand und ein liebevoller Blick belohnt ihn. Ich gehe sinnend weiter. Ja, so ist es auf der Welt. Hier Freude, da Kummer und Schmerz und nichts als Unglück -i- * * Längst schon habe ich die breiten hellerleuchteten Straßen hinter mir. Halbdunkle Gaffen sind es, durch die ich eilig schreite. Da schreckt mich leises Weinen aus meinen Träumen auf. Beim fahlen Scheine der Laterne sehe ich ein kleines Mädchen stehen. Es blickt auf ein Geldstück in seiner Hand und die Hellen Thränen i ollen ihm über die Wangen. „Warum weinst Du, liebe Kleine?" frug ich das blonde Mädchen, mit dem lieben Gesichtchen. „Ach, der böse Mann, er hat mir kein Wein ge geben, es wäre zu wenig Geld. Und Mama muß ihn doch haben, hat der Doktor gesagt, sonst muß sie sterben und dann weint Papa so sehr und ich auch", spricht sie treuherzig. „Hier hast Du einen Thaler. Geschwind trockne Deine Thränen und dann kaufe den Wein für Dein krankes Mütterchen. Und wenn sie Dich frägt von wem Du das Geld hast, dann sage, das Christkind hätte es Dir gegeben." Einen Augenblick sieht sie mich prüfend von der Seite an, dann giebt sie mir dankend die Hand. Ich sehe sie noch eine Weile vor mir her laufen. Vor einem kleinen Hause macht sie halt, nickt mir noch einmal zu und verschwindet in dem dunklen Hausflur. Lange schon bin ich in meinem gemütlichen Heim, umgeben von meinen Lieben. Ich stehe am Fenster und schaue auf die weiße Schneedecke, unter der alles Grün und alles Leben neuem Frühlinge entgegen schlummert. Da ist es mir, als wenn über der träumenden Welt ein Engel schwebe — der Weihnachtsengel — und verkünde den Menschen: Friede aus Erden! Der amtliche Bericht über das Unglück der „Gneisenau" ist gestern veröffentlicht worden. Darnach hat sich die Strandung des Schiffes folgendermaßen zugetragen: Am Morgen des 16. Dezember herrschten auf der Rhede von Malaga schwache nördliche umspringende Winde. Gegen 10 Uhr Vormittags schlief der Wind vollständig ein. Kurze Zeit darauf setzte plötzlich eine Boe aus Südost ein, der Wind frischte in wenigen Minuten bis zur Windstärke 8 auf und nahm andauernd an Stärke zu. Der Kommandant befahl sofort bei der ersten Boe, den einen Kessel, welcher Dampf auf hatte, aufzufeuern und die übrigen Kessel anzustecken, um dann in See zu gehen. Inzwischen fing das Schiff bereits Dr Feitmann in S. . . an. Er war hochgespannt, was ihm Kandell zu sagen hatte; also seine Mensihenkemlluis hatte ihn nicht getäuscht. Jnl Hospital, wo Dr. Feitmann seinen Klienten finden sollte, wurde er durch einige Korridore au das Zimmer Lanbells geführt. Vor demselben empfing ihn eine Kran kenwärterin, die geräuschlos au» der Thür trat und nach seinen Wünschen fragte. „Dr. Feitmann ist mein Name," antwortete er, „ich habe mit Herrn Laubell zu unterhandeln." „Ah, Sie sind der so ungeduldig Erwartete," war die Antwort, „bitte, treten Sie ein; Ihre Anwesenheit wird den Kranken vielleicht beruhigen." „Steht eS schlimm mit ihm?" „Hoffnung ist nicht mehr vorhanden; ich weiß nicht, ob Sie wissen, ein Eisenbahn-Zusammenstoß.." „Habe keine Ahnung." „Gewiß, hier in dem nahen N.-B. . . eine furchtbare Katastrophe. Herr Laubell und vier andere Reisende sind tödlich verwundet hierher transportiert worden, einer ist gestern gestorben." Dr. Feitmann war aufs höchste überrascht; die Wärte rin öffnete die Thür, zog sie jedoch wieder zu und meinte: „Es ist gewiß besser, ich bereite Herrn Lanbell erst ein wenig vor. Ach, er ist sehr schwach, die Lunge, verstehen Sie. .." Die Herren waren allein. Ein geräumiges Gemach mit zwei hohen Fenstern, die jedoch fast durch dunkle Vorhänge verschlossen waren .. da» Krankenzimmer. Mit mühsam zurückgehaltener Ergriffenheit drückten sich die Männer die Hände. Jetzt, beim Anblick FeitmannS, belebten sich die blaffen Gesichtszüge, die ermatteten Lebensgeister flackerten noch einmal auf, al» ob die alte Kraft zurückkehren wollte. Dank bar blickte er den Juristen an und sagte: „Meinen besten, aufrichtigsten Dank, Herr Rechtsanwalt, daß Sie gekom men sind. Ihre Güte soll nicht unbelohnt.. 11. Jahrgang. an zu treiben. Es wurde daraufhin der Maschine der Befehl gegeben, das Dampsaufmachen soviel als irgend möglich zu beschleunigen. Nach Verlauf von ungefähr einer halben Stunde kam die Meldung, daß die Maschine mit langsamer Fahrt ongehen könnte. Da das Schiff mck dieser Maschincnleistung Fahrt voraus machte, ent schloß sich der Kommandant, Kette zu schlippen und frei zu dampfen. Kurze Zeit, nachdem dies geschehen war, versagte die Maschine. Das Schiff trieb nun bei dem starken Winde sehr schnell achteraus, worauf der Kommandant den Backbordanker fallen ließ. Der Anker hielt jedoch nicht; das Schiff trieb weiter auf die Ost mole zu. Als der Kommandant sah, daß keine Rettung für das Schiff möglich war, ließ er „Schotten dicht" anichlagen. Kurze Zeit darauf stieß das Schiff mit dem Heck auf die Steine der Mole. Gleich darauf kam von der Maschine die Meldung, die Maschinen-Abteilung laufe voll Wasser. Bei jeder rollenden See wurden die Swhe stärker, und da der Kommandant die Aus sichtslosigkeit der Rettung einsah, gab er den Befehl: „Alle Mann aus dem Schiff!" Dem entsprechend be fahl der erste Offizier: „Die Steuerbordboote zu Wasser, Leinen an Land geben und an diesen das Schiff ver lassen!" Es wurden von Bord aus Leinen an Land gegeben, und an diesen versuchte die Mannschaft sich zu retten. D>e ersten Leinen wurden von den Spaniern wahrgenommen, die anderen durch die an Land bereits gereiteten Leute. Nach Verlauf von ungefähr einer halben Stunde, während welcher Zeit das Schiff stets schwer auf die Felsen schlug, fing es an, langsam zu sinken und sank bis an die Höhe der Untermasten. Der noch an Bord befindliche Teil der Mannschaft enterte zum Teil in die Takelage nnd wurde von dort aus mit Leinen gerettet. Verhalten der Besatzung war aus gezeichnet. Vermischtes. * Unsere Hausfrauen haben manches gelernt, was sie in den Büchern nicht finden würden. So haben sie z. B. immer behauptet, daß geschnittener Zucker weniger süßt, als geschlagener, was meist mit einem zweifelnden Achselzucken beantwortet wird. In Wirklichkeit hat die Sache aber ihre Richtigkeit. Das Zerschneiden des Zuckers geschieht mittelst Kreissägen, die sich mit großer Schnelligkeit drehen. Dabei erhitzen dieselben sich natur gemäß und erhitzen an der Schnittfläche auch den Zucker, sowie den gepulverten, der herabfällt. Infolge dieses Erhitzens verwandelt sich letzterer sowohl als der Stücken- zucker an seinen Schnittflächen in Traubenzucker. Letzterer aber ist, wenn bei kalten Nahrungsmitteln, Limonaden re verwendet, 1^ mal weniger löslich, als der richtige Zucker und süßt dreimal weniger als dieser. Unsere Hausfrauen haben also vollkommen recht, wie sie es ja manchmal der Wissenschaft gegenüber behalten, wenn diese sich ausschließlich auf den Buchstaben und nicht auch auf Erfahrung stützt. * Des Grafen Zeppelin Sorgen und Hoffen. Aus dem blauen Aether seiner Zukunfiträume mußte der mutige Graf wieder zur aschgrauen Prosa dieser Erde zurückkehren. Wie bereits in einem Privattelegramm Feitmann wehrte ab. „Speechen wir von der Haupt sache." „Ja, ist Fräulein Raps frei?" „Sie wird es sein, sobald der Mörder eingeliefcrt ift." Laubells Gesicht verfiusterte sich. „Der Mörder ist . tot!" „Was?" „Aber Beweise habe ich: Zeugen habe ich, auch direkte Beweise von ihm, dem Thäter." „Das genügt ja." „Ich danke Ihnen nochmals." Und nun erzählte er seine Erlebnisse, vom Ableben der Frau Seipel snn. an bis zn jenem VersvlgungZmarsch, den er Himer dem schwarzen Maune her durch die duukie Nacht bis zur nächsten Bahnstation machte. Jener löste sich dort ein Billet nach S. . ., er ebenfalls. In der Nähe des Dorfes M.. ., der Zug batte volle Fahrgeschwindig keit, ein Krachen, Donnern, Aechzen,Stöhnen . . dieKata- strophe. Er hatte mit dem geheimnisvollen Menschen in einem Abteil gesessen, hatte sogar mit ihm ein Gespräch angesangen. „Man wird," fuhr er fort, „Philosoph und läßt daS Auflehuen sein, lieber Rechtsanwalt. So, wie es gekom men, ist's gut. Ich wollte nur Sophie Rap» befreien, und das wird ja gelingen. Ich bin zufrieden. Bedenken Sie: der Mörder ist bestraft; er ist schrecklich verstümmelt wor den. Das muß ich Ihnen erzählen. Ich hatte also ver sucht, mit dem Individuum, das ich versolgt hatte, ein Gespräch anzukuüpfen. Ich ließ dabei falle«, daß ich im Lause deS Nachmittags einem recht traurigen Ereignisse, der Beerdigung einer jungen Frau Seipel, beigewohnt habe. Gerade, als ich den Namen nannte, wurden mir furchtbar erschüttert und scheinbar in die Luft geschleudert. Mir schwanden sofort die Sinne, später erwachte ich aus der Betäubung. Alles finster um mich her; ich tastete um her und merkte, daß ich eingeklemmt war; ein Befreien aus meiuerLage war undenkbar. 76,18