Volltext Seite (XML)
7V 6-) der Religion das schönste Werk der Moral lieb. Ein Armen- und Krankenhaus, das von unbekannten Wehlthätern unterhalten wird; ein Kloster, das keine andern Ein- rünfte als Almosen hat, und das sein Ein kommen blos wieder als Almosen vertheilt. Diejenigen, welche öffentliche Aemter verwal ten oder Staatswirthsch..'st treiben und die Völker bloß nach ihrem Gewerbfleiße und die Lander nach ihrem Anbau schätzen, finden hier blumige Gärten, ausgezierte Wohnun gen, glückliche Menschen — hier, wohin die Römer nicht gekommen sind, und worüber man erstaunt, daß sie mcht hingekommen sind. Vorzüglich Freunde der Kunst, Bewun derer der Natur sollten hieher kommen und alle Arten von mahlerischcn Contrastcn und Harmonien betrachten. Jeder Winkel deS Berges stellt ein neues Gemahlde vor, jeder Moment des Tages macht eine auffallendere Wirkung. Wenn man aber diesen Ort in seiner ganzen Majestät sehen will, so warte man, bis die untergehende Sonne den gro ßen Schatten der Berge ins Meer wirft, und die kühlen Abendlüfte die Wolken schneller durch die Felsen hindurch treiben: dann be ginne man die einsame Wanderung. Fürch tet euch nicht vor den steilen Abgründen des Berges: haben die Elemente allenthalben Ab gründe gegraben; so hat die Religion überall Stützenaugebracht: Wege, die man Leitern nennt, und die der mystischen Jakobsleiter gleichen, führen euch aus den Gipfel des Berges, der sich in den Wolken verliert. In diesen engen Wegen hat man nichts von Räu bern zu sürchteru. Das Verbrechen betritt diesen Ort blos voll Nene. Man bekömmt daselbst nicht einmal ein giftiges Thier zu se hen, blos Vögel halten sich da auf und leben in der Gesellschaft von Menschen, weil der Mensch da schuldlos ist, wie in den ersten Tagen der Welt, und der Ort, den er be tritt, schön wie der Garten Edens. Wie ost überfiel uns nicht Nacht, wenn wir in den Dünsten der Wolken, oder in dem Dunket der Höhlungen hn-umirrten, ohne zu wissen, wo wir waren! Nun warteten wir so lange, bis der Mond die weißen Mauern einer Ein siedelei erleuchtete, welche am blauen Grunde des Himmels und im graulichen Anstrich der Felsen versilbert erschien. War die Nacht zu dunkel, so diente uns dann das ferne'Glocken- gclaute zum Führer; um zwei Uhr fing man zu läuten an, zugleich zeigte sich ein Licht, und ein Einsiedler, dessen Pflichten wir kannten, schien auch unsre Lage zu kennen. Wenn wir bei seiner Wohnung anlangten, näherten wir uns den Mauern seiner Kapelle, sahen den Greis durch die Fensterspalten aufdenKnieen liegen, und entfernten uns stillschweigend, um ihn nicht in seinem Gebete zu stören. Es dünkte uns, als ob oben über seiner Thüre die Aufschrift des Tempels zu Epidaurus stände: Hier ist der Eintritt nur rei nen Seelen erlaubt. Die Kirche des Klosters besteht, wle schon erwähnt wurde, aus einem einzigen Schiffe, ist groß und auf allen Seiten mit vergoldeten Arabesken geziert; sie wird aber nur schwach erleuchtet, besonders in dem Theile des ChorS, der von dem andern durch ein Gitter getrennt ist. ltm dieses Gitter und an den beiden Seiten des Chors hangen 74 silberne Lampen, die immerfort zu Ehren der heiligen Jungsran brennen, welche auf dem Hauptaltare steht.