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402 Ihre Kindererziehung ist nicht sehr lo- benswerth, weil die Kinder, wegen der all- zugroßen Liebe ihrer Eltern , zu eigenwillig aufwachsen, und es ist in der That zu ver wundern, daß bei einer so saumseligen und verzärtelten Erzichungswcise doch aus vielen Kindern noch recht flinke, rasche und manier liche junge Leute werden. Zu Begrüßung fremder Personen werden sie von Jugend auf gewöhnt, mit dem Fuße zu scharren und ihre eigene Hand zu küssen, ehe sie den Hand schlag damit geben. Diese Sitte ist über haupt allgemein, sobald man Jemand be grüßt, der nicht vom Bauernstände ist. Die Landleute unter sich küssen einander bei jedem Gruße auf den Mund, sie mögen bekannt Nnt einander scm, oder nicht. Sie sind religiös und andächtig bei ihrem Gottesdienste, und wenn sie gleich mehrere Sonntage den Prediger entbehren müssen, der immer fünf, sechs Lus sieben Kirchen zu besorgen hat, so versäumen sie doch nie, den Gottesdienst in ihrer Kirche abzuwarten, wo der Psalm abgesungen und durch den Kir chenvorsteher die Erklärung des Sonn- oder Festtagstextes aus Brockmanns Hauspostille abgelesen wird. Die Einwohner derjenigen Ortschaften, weiche zu weit von der Kirche abliegen, kommen zu ihrer gemeinschaftlichen Gottesverehrung in einer dazu bestimmten Stube zusammen. Sie leben meist einig und friedfertig mit einander, so daß bei den, im Lande mederae- sehten, Vergleichs-Commissionen selten ein Mißverfländmß als ein wirklicher Prozeß anhängig, oder eine förmliche Entscheidung in einer Rechtssache ertheilet und das Unheil Zur Vollziehung gebracht wird. Wenn auch dieß in der Allgemeinheit gilt, so glaube ich doch, daß die Bewohner der nördlichen In seln ihrer friedlichen Gesinnungen halber noch mehr Lob verdienen, als ihre südlicheren Landsleute. Gastfrei sind sie durchgängig, so weit es ihre Kräfte erlauben. Im gesellschaftlichen Umgänge sind sie sehr freundschaftlich und liebkosend gegen ein ander. Wenn sie einander anreden, so wie überhaupt im Gespräch nennen sie einander jederzeit W a lsi g n av ur, d. h. du Gebene- deiter. Und sollte auch diese liebkosende Be nennung nicht allemal aus dem H-rzen kom men, so dürfte sie doch eher auf Rechnung der Gewohnheit zu schreiben, als emer fal schen Schmeichelei beizumessen sein. Glücklich sind diese Inselbewohner durch ihre Gnügsamkeit; sie lassen jedem Tage sei ne Plage, und leben aus der Hand in den Mund. Vielleicht treibt auch Mancher von ihnen seine Sorglosigkeit etwas zu weit, doch ohne gerade auf den Zufall zu bauen, son dern mehr rm Vertrauen auf seine Mitbrüder, die immer zu helfen bereit sind. Denn sie sind mitleidig und wohlthätig, so daß Keiner, der um ein Almosen bittet, unerhört vo l dannen gehr; und ihre Almosen, die meist in Fleisch oder Wolle gegeben werden, belau fen sich immer auf vier, sechs bis acht Sp il linge am Werthe. Ja ihre Wohlthätigkett geht so weit, daß selbst derjenige heute no h Almosen auStheilt, der morgen selbst daru n zu bitten genörhiget ist. Nur wäre dabei zu wünschen, daß sie nicht durch ihre Freigebig keit die Zahl der Müßiggänger und Bettler ohne Noth vermehren möchten, welches frei- Uch oft genug der Fall ist. Im Handel und Wandel gehen sie recht-