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ler, der noch lebt und Mitglied des Parla ments Der verschmähte Mahler war so aercitzt, daß er sich mit einigen Freunden zur Rache verband. Man suchte unter dem nie drigsten Pöbel einen hübschen Jüngling, klei dete ihn kostbar, und richtete ihn ab, einen Baronet zu spielen, entzückt von den Neitzen und Talenten der Künstlerinn. Angelika stel in das Neh; sie gab ihr Herz und bald ihre Hand dem verkleideten Betrüger. So bald die Verbindung geschlossen war, eilte der rachsüchtige Mahler, das Geheimniß zu enthüllen. Die unglückliche Angelika wurde so heftig ergriffen, daß sie beinahe den Ver stand verloren hätte. Auf den Nath ihrer Freunde wandte sie sich an die Gerechtigkeit. Dae Gericht sprach zu ihren Gunsten; sie wurde von ihrem niedrigen Gatten getrennt, aber die Verpflichtung ihr aufgelegt, ihm einen Jahrgehalt zu zahlen, welchen er, durch Ausschweifungen in's Grab geführt, nur kurze Zeit von ihr zog. Angelika heira- thete, sobald sie frei war, einen Mahler aus Venedig, Nahmens Zucht, mit welchem sie in glücklicher, aber kinderloser, Ehe lebte. Englands nebeliger Himmel hatte ungünsti gen Einfluß auf Angelika's Gesundheit. Sie wandte sich nach Nom, das sie seitdem nur einmal verließ, um eine Reise ins Mailän dische zu machen. Nach ihres Mannes Tode lebte sie nur der Kunst und ihren Freunden. Ihr Haus stand vorzüglich allen Fremden offen; und die Italiener sagten, es sey einem Reisenden eben so unverzeihlich, Nom zu verlassen, ohne Angelika Kaufmann zu besuchen, als ohne den Papst geschn zu haben. Der Pinsel dieser berühmten Künstlerinn war un glaublich fruchtbar, und der Grabstichel hat einen Theil ihrer Bilder fast in allen Ge genden von Europa vervielfältigt. Beson ders ausgezeichnet war sie im Portraitmah len. Wenn sie für sich arbeitete, wählte sie gewöhnlich historische Gegenstände oder idea- lische werbliche Gestalten. Findet sich auch in ihren Werken nicht der höchste Grad von Wissenschaft und kräftigem Ausdrucke, sie sind doch alle ausgezeichnet durch hinreißende Anmuth und mehr noch durch ein eigernhüm- iiches Kolorit. Nie sprach sich ein Künstler so in seinen Werken aus, als Angelika Kauf mann. Eine rührende Sanftheit verschönert ihre Bilder, eine unwandelbare Heiterkeit herrscht in ihren Darstellungen, und sie ver- rathen die Wärme der Seele, die nie in ihr erlosch. Wer sie in ihrem sechzehnten Jahre gekannt hatte, fand in ihrem sechzigsten ihre Geisteskraft noch eben so lebendig. Dienertreue. Ein alter Sergeant, Jsotoff, ein acht zigjähriger Greis, lebte seit go Jahren in dem Hause des Grafen Alexis Orlow, des berühmten Siegers von Tschesmc(i77o), dem er einst das Leben gerettet hatte. Der Graf starb im Januar dieses Jahres zu Moskwa. Am Tage des Leichenbegängnisses stand der ehrwürdige Krieger in feiner alten Uniform aus Katharinas Zeit, auf Ler Brust alle seine rühmlich erkämpften Ehrenzeichen, ne ben dem Sarge im Paradesaale. Er wollte den Sarg die Treppe hinabtragen helfen auf den Leichenwagen. Die Herrn, welche sich zu diesem Geschäfte versammelt hatten, wünsch ten den Greis zu entfernen. Er sey zu schwach, sagte man ihm. Jsotoff ließ sich