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dcrö nicht werde ich dich führen, als gegen Türken, Saracenen und Mauren. II. Dayard sah einst in Grenoble ein sehr, liebenswürdiges Mädchen. Er zog Erkundi gung über sic ein, und glaubte keine Hin dernisse seiner Wünsche zu finden, als er ver nahm, das Mädchen sen von geringer Her kunft, und ihre Aeltern lebten rn großem Elende. Dayard entdeckte sich seinem Be dienten. Dieser Mensch fand Mittel, sich mit der Mutter des Mädchens bekannt zn machen, und entdeckte bald, daß sie wenig Ehrgefühl besaß, und sehr gewinnsüchtig war. Das Mädchen aber, das durch die Beispiele und die Lehren einer achtungswer- then Familie, welche sie zu sich genommen Halle, in tugendhafter Skttsamkeit befestigt war, ließ dem Bedienten desto weniger Hoff nung, da er überdiest erfuhr, daß sie einen Zungen Mann ihres Standes liebte. 1!m die Wünsche seines Herrn zu befriedigen, sprach er unverhohlen mit der Mutter, bot ihr Geld an, und sie überließ ihm ihre Toch ter. Voll Vertrauen auf den Ruf der Groß- muth des Ritters Bayard ließ sich das Mäd chen ohne Widerstand in sein Z mmer führen. Sobald sie allein war, warf sie sich vor lhm nieder. Herr Ritter, sprach sie weinend, Ihr habt so viele Städte, Ihr habt die Ehre so vieler Familien gerettet — wolltet Ibr die Ehre einer Unglücklichen rauben, die inan Euch wider ihren Willen überliefert, und zu deren Schuhe eure Tugend Euch auffodcrn muß. — Gerührt von diesen Worten, sah der Ritter in seiner Handlung nur das, was den Mann von zartem Gefühl empörte. Steh ans, Mädchen, sagte er, dl. sollst von dem Ritter Bayard so keusch fortgehen, als du zn ihm kamst, aber glück licher. Darauf führte er sie selbst zu einer seiner Verwandten, welche er bat, sein Aben teuer zu verschweigen, und für das Mädchen zu sorgen. Am folgenden Tage besuchte der Ritter die Mutter, die nicht wenig bestürzt war, als sie statt der versprochenen Beloh nung Vorwürfe erhielt. Sie entschuldigte sich mit ihrem Eiende, mit der Unmöglich» kort, ihre Tochter ausznstatten. Wie viel brancht Ihr dazu? fragte Bayard. Hundert und fünfzig Thaler, antwortete sie. Bayard gab ihr die Snmme ans der Stelle, und fügte noch fünfzig Thalcr hinzu, nm dem Mädchen Kleider zu schaffen und die Noch der Mutter zu lindern. Dieser schöne Saez über sich selbst ist gewiß nicht die geringste unter den glorreichen Thaten des edlen Ru- ters, der sich schon bei seinen Zeitgenossen den Namen verdiente: der Ritter ohne Furcht und Tadel. Texte zum Denken. Wir bemerken viele Laster, um wenige Tugenden gelten zu lassen. Verständige Menschen würden fast einsam leben, gäbe es nicht so viele Thoren, die dafür gelten wollen. Frauen und mittelmäßige Schriftsteller kann man nie so loben, wie sie selbst sich loben. Es kränkt uns minder, von Thoren ver achtet, als von Verständigen nur mäßig ge lobt zu werden. Niemand hat so viel Verstand, daß er nicht zuweilen — langweilig würde.