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toten Vater umschlingend, das Antlitz an dessen Brust verborgen. Mit einem Sprunge war der Offizier an ihrer Seite. Sie rührte sich nicht, wie ein dunkler Mantel umhüllten die schwarzen Locken ihre Gestalt. Er beugte sich nieder, er hob sie empor, leblos hing sie in seinen Armen, die dunklen Augen waren fest geschlossen, die Lippen halb geöffnet, das Anilitz bleich wie das einer Toten. Prasselnd stürzten einige Balken und Steine des brennenden Hauses, nieder. Der Balkon wankte. Der Offizier umfasste das junge Mädchen fest und eilte durch die Flammen und Rauchwolke» die schon brennende Treppe hinunter in den hinter dem Hause liegenden Garten. Der .stampf hatte sich weiter entfernt. Die Franzosen zogen sich mehr und mehr nach den nördlichen Ausgängen des Dorfes zurück. Der junge Offizier legte das ohnmächtige Mädchen unter einem Baume in das zer stampfte Gras nieder. Seine Hände waren mit Blut bedeckt — er schauderte zusammen, er sah, das; die aus den Flamme» Gerettete aus einer tiefen Brustwundc blutete. Er beugte sich zu ihr nieder — da öffnete sie mit einem tiefen Seufzer die Augen und richtete sich empor. Ihre Lippen bewegten sich — in wahnsinniger Angst starrten ihre dunklen Augen nach dem brennende» Hause — ,Mon iwra!" kam es in einem wehen Aufschrei über ihre Lippe« — dann streckte sie die Arine aus, versuchte sich emporzurichten, taumelte zurück, ei» Blulstrom quoll über ihre Lippe», ei» dumpfes Stöhne» u»d Acchzc», sie brach zusammen, mit furchtbar starrem Blick deu fremde» Offizier «»stierend. Dieser wandte sich schaudernd ab — da — ein Prasseln, ein Krache» — ein Donnern — der Offizier sah erschreckt nach dem Hause, das in Rauch und Flammen zusammcnstürzte und Tote und Verwundete unter seine» breu- »c»de» Trümmern vergrub. Aufatmcud beugte sich der Offizier zu der Gerettete» nieder, doch auch hier hatte der Tod gesiegt. — In nächster Nähe rasselte» Trommeln, gellten Hörner. Neue Truppen schickte General von der Tann in den Kampf, der schon für die Bayern, für die „blauen Teufel," eine günstige Wendung genommen. Noch eine ein zige energische Anstrengung, noch ein Vorstoß, ein kurzer Kampf, uud das Dorf, die Haupt- stelluug der französischen Armee, befand sich in den Händen der Bayern. Ein triumphierendes Hurra erschallte — der junge Jägerosfizier schloß sich den vor wärts stürmende» Knmcrade» a» — vor sciiicm Auge schwebte die blutige, bleiche Gestalt des Mädchens, das er sterbend aus dem brennenden Vaterhause gerettet. Ein Flammenmeer breitete sich über Ba- zaillcs aus uud jauchzend wiegten sich die Furien des Krieges auf de» blutige» Dampf- wolke», welche die Schrccke»üsce»c» des Kampfes dein mitleidigen Auge des Himmels verhüllte». In Verzweiflung. Au8 dem Schwedischen von Alex de Steve. In einer kalte», dunklen Winteruacht des Jahres t8 . . saß im Türmcrzimmer des Katharmenturmcö in Stockholm ei» Mann, tief emgchüllt in seinen Schafspelz. Vor ihm lag lieben einer Laterne, deren Licht nur einen malten Schein verbreitete, ein altes Gesang buch, in welches er dann und wann hinein blickte, wenn er nicht, um den Schlaf und die Külte zu bekämpfen, in dem kleiiren Gemach, beste» vier Fenster nach de» vier Himmels gegenden gingen, auf und mcdcrschritt. Mitunter fuhr er plötzlich empor und lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit i» die Nacht hinein; aber es war nur das Picke» der Turinuhr, das im Verein mit dem Schall seiner eigenen Schritte so seltsam in seinem Ohre klang. Zu wiederholten Male» lehnte er die Stirn gegen die kalte Fensterscheibe, durch die er gen Süden blicken konnte, und hi» u»d wieder seufzte er leise auf. Wie ei» weißes Leichentuch lag die Schnee decke rings auf den Dächern tief drunten zu seinen Füßen, aber wenn der Halbmond dann und wann die dunklen Schneewolkcn durch brach, konnte der Türmer das Häuschen er kennen, in welchem seine junge Gattin mit ihrem fünf Monate alten Knaben nun sanft schlummerte. Was waren all die Herrlichkeiten der stolzen Stadt, die vor seinen Blicken dalag, gegen die Hütte, welche das Teuerste iu sich schloß, was er auf Erden besaß? Das Ant litz des jungen Vaters glänzte vor Freude, als er auf sein Häuschen hinabschautc, denn er wußte, daß seine treue Eva ihn aus voller Seele liebte, und wie er Gott innig für das Glück dankte, welches in ihrer bescheidenen, aber sauberen Wohnung herrschte. Der Ton der großen Turmuhrglocke, welche die zwölfte Stunde schlug, weckte Toru- gren — so hieß der Türmer — aus seinen freundlichen Träumereien. Er ergriff hastig sein Horn und mit dem verhallenden Ton des letzten Glockenschlages mischte sich der dumpfe Schall des Instrumentes. Zuerst zwölf Stöße gegen Norden, daun wandte er sich gen Süden. Sechsmal hatte er ins Horn gestoßen, da senkte er es plötzlich und blickte erschrocken hinab iu die Tiefe; des Mondes Licht war verschwunden, aber rote Flammen züngelten aus der weißen Schnee- Hülle drunten hervor. Der Türmer stürzt hinaus auf die Galerie. Warum steht er starr wie ein Steinbild da? Warum eilt er nicht nach der Glocke, um de» ruhig Schlummernden drunten die Gefahr zu verkünden! Sieh', wie die feurigen Zungen in jedem Augenblicke höher emporleckcn! sich', welch' ein grausiger, glutroter Schein die düsteren Schneewolken färbt! Doch ein schrecklicheres Feuer flammt aus den Augen dcü Türmers, in wilder Verzweif lung umklammert er das eiskalte Gitter der Galerie, welches die weißen Rauchsäulen schon umwirbelu und starrt atemlos in die Tiefe; dann sinkt er zitternd auf die Knice, hebt die Arme gen Himmel und schreit: „Barmherziger Himmel! mein Haus brennt! mein armes Weib! mein unglückliches Kind! Ewiger Gott! Gnade! Gnade!" Er stürzt nach der Feuerglocke, seine zit ternden Hände erfassen den Schwengel, aber sie haben nicht die Kraft, dem Erz eine» lauten Ton zu entlocken. Da bemächtigt sich Raserei des unglück lichen Mannes; er setzt den Schwengel von neuem in Bewegung, und die schauerlichen tiefen Glockcnlöiie schallen weit durch die Nacht. Druntcn in den Straßen und Gassen wird cs lebhaft, aber keiner sieht den Verzweifelnden droben, keiner sieht, mit welcher Raserei er die gräßlichen Fcuersignale gicbt; manchem deucht es wohl, als schlage die Glocke unregelmäßig an, aber keiner hört sein Klagegeschrei, seinen Jammer. „Zu Hülfe! Zu Hülfe! eine Mutter mit ihrem Kinde kommt in den Flammen um! Die Glocke tönt stärker. „Meine Eva! mein Gustav! leltel Euch' rettet Euch! Immer wilder und schauerlicher Halle» die Time durch die Nacht. „.Keiner hört mich! Keiner rettet! Spring' in tausend Stücke, fühlloseS Erz!" Er ergreift ein Tau, es schlägt nicht mehr an, er läutet, läutet mit übermenschlicher Macht; dann läßt er plötzlich das Tau las und kriecht »ach dem eisernen Geländer der Galerie, gleich als ob er auf irgend einen Laut der Sciuigen horchen wolle. Nach minutenlange!», atemlosen Lauschen stürzt er «nieder nach der Glocke. Die Flammen wüte» drunten immer gewaltiger, aber er sieht es nicht, sie verzehren sei» eigenes Herz. Der Angstschweiß rinnt über sein Gesicht, die Höllenqual in seiner Brust macht ihn fast wahnsinnig. Non neuem packte er das Tau und die dumpfen Glockentöne hallen schauerlich wieder durch die Lüfte; dann reißt er die eiserne Luke auf, die zur Turmtreppe führt, i und klettert die wohlbekannte schmale, gefährliche Stiege hinab. Ein Fehltritt wäre ein Schritt in's Grab. Rings nm ihn herrscht granenvolles Dunkel, nur hier und da schimmert der glühende Schein des Feuers durch die schmalen, schießschartcii- ähnlichen Oesfnungen in der Turmmaner. „Bist Du's, Torngrcu, toller Kerl?" rief da eine Stimme tief drnuteu. „Dn läutest und lärmst ja, als ob Du vom Teufel besessen wärest!" Der Türmer blickte hinab und gewahrte unter sich einen seiner Kameraden, einen rauhen Geselle», der mit einer Leuchte in der Hand die Treppe emporkletterte. „Hast Du die Meinen gesehen?" schrie Torugren ihm mit angsterstickter Stimme zu, „leben sic? Beim allmächtige» Gott! antworte mir!" „Sie sind beide verbrannt; aber es ist ihre eigene Schuld, man soll niemals Licht brennen lassen, wenn man zu Bette geht." Ein gellender Schrei schallte durch den finstern Raum, daun dröhnte ein Lant aus der Tiefe herauf, als sei ein schwerer Körper hmabgestürzt. Der Maun mit der Leuchte fuhr erschrocken zusammen und hob die letztere > empor; die Treppe über ihm war leer, aber in der Tiefe vernahm er das Rochel» ei»es i Sterbenden. Der Verzweifelnde hatte bei der schrecklichen Kunde das Bewußtsein verloren und war hinabgestürzt. Polnisches Brautpaar. Die Stadl.Nie,v, wiewohl schon lange nnlcr russischer Negierung, ist »och heute ungemein polnisch gesinnt und trotz dw cmgcsührtcu russischen Amtssprache ist doch noch die polnische die .stonvcrsalionSsprachc geblieben. Die verschiedenen Beeinflussungen, die hier thätig gewesen sind, haben zur Folge gehabt, dasi daS Bollselement derart hinsichtlich seiner Nationalität und Sitten variirt, dast inan ost nicht weist, ob inan cd mit einem russische», uolnischcn oder noch anderen Typus zu thuu hat, da selbst tartarischcs Element, wenn auch nur durch einen geringen Prozentsatz, in dieser Natioualitätcumischung sich vertreten findet. Sehen wir nnS zuvörderst de» junge« Mann auf unserem Bilde an, so ist sein Typus nichts weniger als russisch sondern vielmehr polnisch. Zu sciucm GesichtsauSdrnck passt auch die polnische Mütze, die jedoch nnch dem Tartareu nicht widerspricht. Als Ucbcrkleid dagegen trägt er deu russischen - aller dings auch polnischen — Kastan. Dasselbe trifft bei dem jungen Mädchen zu, deren Toilette so beschaffen ist, dast cs schwer zu sagen wäre, ob darin mehr die Polin, Russin oder Tartarin überwiegt. Es ist ein Gemisch voir allen. — Wie eS im Inner,, dcS Pärcüeuü beschaffen ist, ob da das Herz nach russischer, pvluischer oder tartarischer Methode schlägt ob cS auf diese oder jeueWcisc liebt, ist „och schwieriger zu eutscheiden. Wir scheu dasselbe dransteu in der Einsnmlcii der klein russischen Steppe, die einem Blumengarten gleicht.