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zum Angriff über, als eine frische Brigade in den .Kampf Angriff und drangen langsam, aber mit todesmutiger Energie von Haus zu Hans, von Karlen zu Garten, von Strafte zu Strafte vor. Furchtbar tobte der Kampf in der ncbel- crsülltcn Däinmeruug des frischen Septcmber- morgcns, die die Sonnenstrahlen kaum zu durch- dringen vermochten, uud die noch mehr verdich tet wurde durch den schwarzgraueu Pulverdampf, durch die Oualmwolkcn der brennenden Hauser, welche die Straften und Gassen des dein Ver derben geweihten Dorfes durchwachen. Ilm so furchtbarer, erbitterter wurde der Kampf, je mehr sich die Einwohner Aazaillcs an ihn, be teiligten. In den Kellern, in den Türmchen und Erkern der Villen hatten sie sich versteckt und ivenn die Baiern ein Gehöft erobert und sich zu weiterem Vordringen anschickten, dann schossen sie im Rücken der Sieger auf diese und mancher „blauer Teufel" erlag dem Jagd gewehr eines Bauern, eines Pachters. Er bitterung, Wnt und Zorn über den Verrat ergriffen die Baiern, die jeden Einwohner des unglücklichen Dorfes, den sic mit einer Waffe in der Hand antrafen, schonungslos mit dem Bajonett niederstieftcu. Unschuldige mußten mit den Schuldigen leiden. Frauen und Kinder, die sich jammernd über den Leichnam ihrer ge- tölelen Verwandten warfen, wurden durch die die Straften bestreichenden Geschosse von Freund und Feind verwundet, getötet. Jammer, Weir ncn, Hurrarufe, Lamentaworte, Flüche und Gebete — Schießen, Toben, Trominelrasseln, Hornsignale überall, auf allen Straßen, in allen Gehöften, in allen Gärten und Hänsern! Ilnd all den Lärm, das Toben übertönte der dumpfe Donner der Geschütze, die auf den Anhöhen von La Moncclle auffahrend, das unglückselige Dorf mit Granaten bewarfen. Prasselnd, krachend, klirrend und zischend schmetterten die furchtbaren Geschosse in die Gehöfte der Bauern, in die Villen der Reichen, in die Hütten der Arinen. Der prächtige Park von Chateau Mouvillcrs glich einem durch einen Wirbel sturm zerstörtem Walde. Die herrlichsten jahr- hnndcrt allen Platanen, Tannen, Eichen und Buchen zersplitterten unter dem Eiscnhagcl, das Schloß war eine rauchende, feuerübcrgosscne Ruine und die schloßartige Villa Baurmann sank in Schutt und Trümmer. Ein rauch- und flammcncrfülllcS, blutiges Chaos war das unglückselige Dörfchen, das vor wenigen Tagen noch so friedlich-still dagclegcn hatte, inmitten des Kranzes der blühenden Gärten, der grünen Wiesen und der in Fruchtfülle des Herbstes prangenden Weinberge. Zerstampft die Gärten, die goldenen Saaten, zerschmettert die fried lichen Hütten, die glänzenden Villen, zerrißen, aufgewühlt die Straßen und Gassen, sonst der friedliche Spielplatz harmloser Kindcrscharen; jetzt der grausige Schauplatz eines erbitterten, schonungslosen Kampfes, der nur mit der Ver nichtung des einen der beiden Gegner enden konnte. Wenn die Befehlshaber auch den .Kampf hätten abbrcchcn wollen, es wäre nicht mehr möglich gewesen. Die Bataillone hatten sich durcheinander gewirrt, hatten sich ineinan der verbissen, zerfleischten sich, töteten sich, vernichteten sich — jeder Mann kämpfte auf eigene Faust, niemand achtete mehr auf das Kommando, die Offiziere führten Trupps von Soldaten, die nicht zu ihrem Regiment oder Bataillon gehörten, in den Kampf, wer sich den „blauen Teufeln" in den Weg stellte, sei cs Soldat oder Bürgersmann, wurde nieder- gestoßen, jeder hatte nur das eine Ziel vor Äugen: vorwärts — hindurch durch diese Hölle von Blut und Flammen, hindurch durch dieses Chaos des Verderbens, der Vernichtung, des Todes! An dem Kreuzungöpnnkte zweier Straften lag ein zweistöckiges villenartiges Haus, das von einer Abteilung französischer Marincsoldatcn auf das hartnäckigste verteidigt wurde. Eine etwa mannshohe Mauer umgab den Garten nach der Straßenfront zu, das Gitterthor hing zerschmettert in den Angeln, in dein gesprengten Thor lag ein blutiger Haufen von Taten und Verwundeten, über den hinweg die Verteidiger feuerten, ebenso Ivie hinter der Mauer hervor und aus den Fenstern und dein Balkon der oberen Etage. Hauptsächlich das Feuer von dem Balkon herab war von vernichtender Wir kung für das Häuflcinchaicrischcr Jäger, welches unter Anführung eines jungen Offiziers schon mehrere vergebliche Sturmversuche auf das Hans unternommen hatte. Auf den» Balkon stand neben den Marine- soldaten ein in blauer Bluse gekleideter Bauers mann. Wild und wüst flatterte ihm das grau schwarze Haar um das gelbliche, von Kampfcs- leidenschaft verzerrte Gesicht. In den hageren Händen hielt er eine Doppelbüchse, mit der er sich todesmutig an der Verteidigung seines Hanfes beteiligte. Seine dunklen Äugen lohten in unheimlichem Feuer, fest zusammcngepreßt waren seine Lippen, über sein faltenreiches Antlift zuckte jedesmal ein freudiger Blitz, wenn er einen erfolgreichen Schuß gelhan hatte. Und seine Büchse schoß gut — keinen Schuft gab er ab, der nicht traf. Dabei schien er unverwundbar zu sein. Die baieri- schen Jäger richteten ihre Geschosse nach dem alten Bauern, aber wenn diese auch in nächster Rähe neben dein Alten in die Mauern klatsch ten, des Alten hohe Gestalt blieb aufrecht stehen und er beantwortete jeden Fehlschuß mit höhni schem Gelächter. „Der Alte hat den Teufel im Leibe!" rief der junge Leutnant der baierischen Jäger. „Gebt mir eine Büchse — ich werde ihn schon treffen." Der Offizier entriß einem neben ihm stehenden Jäger die Büchse und legte an und zielte. Plötzlich zuckte er zusammen; hinter dem Alten erschien in der Thür des Balkons die Gestalt eines jungen Mädchens. Aufgelöst hing ihm das dunkle gelockte Haar um Haupt und Schultern; totenblaß war das liebliche Gesichtchen, aus dem die großen schwarzen Augen in wahnsinniger Angst auf die Schrcckcnü- scenen ringsum blickten. In der Hand trug sie eine Kugcltaschc. Sic stand grade hinter dem Alten, der Schuft des jungen Offiziers mußte auch sie mittreffen. Der Offizier setzte die Büchse ab. Er ver mochte in diesem Äugenblicke nicht zu schießen und blickte erstaunt zu der Erscheinung des jungen schönen Mädchens auf. Der Alte wandte sich mit ungeduldiger Bewegung an das Mädchen, das ihn zu bitten schien, in das Haus zurückzukehrcn und von dem Kanipfc abzulassen. Dann entriß er ihm die Kugcltasche, lud seine Doppelbüchse von neuem und schoß. Ein Jäger brach ächzend in der Nähe des Leutnants zusammen. Aergerlich, erregt, erhob dieser wieder die Büchse. Das junge Mädchen war in die Knie gesunken und verhüllte ihrAntlift mit den Händen. Der Alle da oben mußte unschädlich gemacht werden. Wiederum erhob er sein Gewehr — da krachte der Schuft des Offiziers — der Alte taumelte zurück — schwankte — griff mit den Armen in die Luft und stürzte zu sammen. Ein gellender Schrei ertönte — das junge Mädchen ivar aufgesprungen, starrte wie von Wahnsinn ergriffen auf den zu ihren Füßen Liegenden und warf sich über den Getroffenen. Aus einer kleinen Wunde in der Stirn quoll das Blut dick und dunkelrot hervor und perlte über das im Tode furchtbar verzerrte Äntlitz des Allen. Mit der rauchenden Büchse in der Hand stand der junge Offizier da, die Augen starr ans das junge Mädchen gerichtet, die in wahnsinnigem Schmerz die Leiche des Alten umklammerte. „Hurra! — Geschütze vor!" riefen die Jäger und eilten zwei Geschützen entgegen, welche soeben von der Bedienungsmannschaft in die Strafte gezogen wurden. Hundert Fäuste griffen in die Speichen der Näder. In wenigen Minuten standen die Geschütze dem Hause gegenüber, während die Protzen hinter der nächsten Straßenkrümmung gedeckt auffuhren. Von Hand zu Hand gingen die Kartuschen. Die blitzenden Rohre waren auf das Haus gerichtet — „Fertig zum Feuern!" ertönte das Kommando — da rich tete sich die Gestalt des jungen Mädchens auf dem Balkon empor und streckte flehend die Arme den Angreifern entgegen. — „Halt — halt!" — wollte der Jägeroffizicr rufen, doch da erschallte das Kommando, „Feuer!" —Die Geschütze krachten; »rasselnd sausten die Gra naten gegen das Hans, prasselnd stürzte die Gartenmauer zusammen, klirrend sprangen die Fensterscheiben, ein wilder Schrei der Ver zweiflung der Verteidiger, ein donnerndes Hurra der Angreifer, abermals Krachen der Geschütze, Splittern, Bersten, Knistern der Balken, der Mauern, mit dem Pulverdampf mischte sich eine Staubwolke des berstenden Hauses, mit dem Triumphgcschrei der Angreifer, der Jammer, der Wutschrei der Verteidiger, das Acchzen der Verwundeten, das Stöhnen der Sterbenden! Die baierischen Jäger stürzten vorwärts durch Blut, Rauch und Flammen! Einen Augen blick stand der junge Offizier wie betäubt von der furchtbaren Scene da — dann stürzte auch er vorwärts — hinein in den verwüsteten Garten, hinein in das berstende, wankende, brennende Haus. Das Haus, der Garten, Freund und Feind — alles verschwand in der dichten Wolke von Staub und Pulverdampf, welche die Kampfstätte umwogte. Der Hirsch fänger der Jäger kreuzte sich mit dem Bajonett der Marinesoldaten — ein kurzes, furchtbares, erbittertes Handgemenge — inan hörte keine Komumndoworte, kein Hurra, kein Wehgeschrci mehr — stumm rang man nüteinandcr, Mann gegen ManU, Auge in Auge, Brust gegen Brust, Waffe gegen Waffe. Und über den Häuptern der Kämpfenden lohten die Flammen des brennenden Hauses empor, knisterten die Balken, wankten und rissen die Mauern! Den jungen Offizier beseelte nur der eine Gedanke — das Mädchen zu retten, welches dort oben auf dem Balkon über dem toten Vater zusammcngcbrochen war. Die Jäger hatten die Marinesoldaten aus dem Hause ge drängt, nicdergcstoßen, niedergcschossen, in dem Garten tobte der Kampf weiter, aber der Sieg neigte sich auf Seiten der Jäger. Der junge Offizier stürmte die schon wankende Treppe zum zweiten Stock empor. Flammen, Rauch wolken schlugen ihm entgegen. Er achtete ihrer nicht, ebensowenig wie der Schmerzcnüschrcie, der Hülfcrufe, der Drohworte der Verwun deten, welche das Haus erfüllten. Jetzt stand er in dem Balkonzimmer, dessen Decke bereits halb eingcstürzt war. lieber brennende, rauchende Trümmer bahnte er sich den Weg zum Balkon — da — da lag sie — mit den Armen den