Volltext Seite (XML)
Beilage der Naunhofer Nachrichten. Nr. 73. Sonntag, den 24. Juni 1900. 11. Jahrgang. Ihre Rache. Novellette von Gustav Johannes Krauß. Nachdruck verboten. I. Der Hausherr, der eben die Postsachen durchsah, reichte ihr mit feinem Lächeln einen Brief über den Tisch herüber. „Hier, Fräulein, — für Siel" An der heißen Röte, die ihr jählings ins Gesicht schoß, hatten zwei Blutwellen Anteil: Verlegenheit und Freude, jauchzende Freude. Endlich wieder ein Brief! — Sobald sie konnte, zog sie sich mit dem teueren Gut auf ihr Zimmer zurück. Das sollte eine Feier stunde des Glückes werden, doppelt köstlich nach der langen, langen Wartezeit. Volle vier Wochen hatte der liebe böse Mensch nicht geschrieben! Mit ein wenig zitternden Händen riß sie die Kante des Umschlages ab und entfaltete das Blatt, mit den Blicken schon die kraftvollen Züge liebkosend, ehe sie noch lesen konnte. Und dann las sie: „Liebe Anna! Es wird mir aufrichtig schwer, Dir zu sagen, was doch endlich gesagt werden muß. Und ich habe das Bedürfnis, zu erklären, mich zu entschuldigen, obwohl nach dem Sprichwort sich anklagt, wer sich entschuldigt. Du hast keine Ahnung, Anna, wie schwer ein junger Arzt heute zu kämpfen hat. Und gar hier in Berlin, für einen Mann meines Berufes, der kein Vermögen, keine Verbindungen hat, ist überhaupt kanm noch eine schwache Möglichkeit offen, sich zur Geltung zu bringen, — das heißt, ein Weg ist da, ein äußerst bequemer sogar, in den alle die Fußsteige schließlich einmünden, auf denen man sich anfänglich rechts und links durch das Dickicht kämpft: man muß das Vermögen, die Verbindungen heiraten. — Was habe ich nicht alles versucht, und was war nicht alles umsonst! Ich bin kleinmütig geworden, Anna. Ja, wenn Du Dich mir nicht entzogen hättest, wenn Du nicht in unbegreiflicher Prüderei sofort nach dem Tode Deines Vaters Dich soweit von mir ge flüchtet, in das Haus fremder Leute, es wäre viel leicht anders gekommen. Ich hätte in schönem Wahn sinn den Schritt gethan, den man eben nur im schönen Wahnsinn thun kann; — wir hätten geheiratet, unbekümmert um das, was nach der Hochzeit und den Flitterwochen kommen mußte. So aber! Ich habe nicht Einbildungskraft genug, mich an einer Erinnerung, die seit mehr als einem Jahre durch nichts aufgefrischt wird, als durch ein paar Photographien, zu bethören und im Rausch zu erhalten. Der gesunde, nüchterne, kühl erwägende Verstand regte sich immer wieder in mir. Ich legte mir immer wieder die Frage vor, ob eine Verbindung unter so hoffnungslosen Umständen nicht ein Ver brechen wäre? Ein Verbrechen an Dir und an mir? Ich muß sie mir mit Ja beantworten, diese Iremde» Mrot. Roman von Walter Allenstein. 11 „Hab' ich denn dar gesagt?" verteidigte sich die Geta delte heuchlerisch. „Das sei fern von mir, daß ich einen so ungerechten Vorwurf gegen Hulda erhöbe. Ich meine ja doch nur, sie sollte einen Anlaß daraus nehmen, Dir Deine ohnehin schwierige Lage nicht noch mehr zu er schweren. Hab' ich da vielleicht unrecht? Das Herz dreht sich einem im Leibe um, wenn man sieht, wie Du Dich vom frühen Morgen bis zum späten Abend im Geschäft quälst, um war vor Dich zu bringen. Und Du hast doch selbst Familie und hast das, was Du Dir in langen Jah ren erarbeitet und zurückgelegt hast, mit einem Schlage verloren. Das sollte doch Hulda bedenken und sollte sich umthun. Wie lange wird'S denn dauern, dann ist das biß chen Garderobe, was sie mitgebracht hat, zerrißen, und dann heißt es: Neu anschaffen! Wenigstens für ihre Kleid ung sollte sie doch selbst sorgen.Habe ich vielleicht nichtrecht?" Herr Bittner zuckte mitden Achseln und blickte wieder in seine Zeitung. Hulda hatte ihr Buch zugeklappt und bei Seite geschoben. Die Worte der Scheltenden trafen sie wie Rutenstreiche und erfüllten sie mit Trauer und Beschämung über sich selbst. „Aber was soll ich denn thun?" kam es wie ein Schmer- zensfchrei aus ihrer heftig ringenden Brust, in dir sich die Borwürfe der Tante wie spitze Stacheln eingebohrt hat ten. „Ich will ja gern arbeiten und Geld verdienen, wenn ich nur wüßte, wie!?" Der Onkel machte eine beschwichtigende Handbeweg- «ng. ES schien als habe der bewegliche Klang von Hulda» Stimme, die wie verhaltenes Weinen klang, sein Mitge fühl erregt. „Laß doch!" wehrte er, weniger kleinlich al» Tante Hermine ab. „Da» ist doch wahrhaftig nicht der Rede wert" Ueber da» gelbliche magere Gesicht der alten Jungfer lief bei diesem unerwarteten Widerspruch ein ärgerliche» Zucken. Frage. Immer und immer wieder mit Ja . . . Dann kam eine Zeit, in der ich mit meiner falschen Scham kämpfte. Ich mußte ja treubrüchig werden, wenn in thun wollte, was für uns beide das Beste, daS Notwendigste war. Und Du würdest den Ehrlosen, der Dir sein Wort gebrochen, Haffen, verachten . . . Dann war auch das überwunden. Ich sah um mich und fand, was ich suchte. Vor vier Wochen habe ich mich mit einer jungen Dame aus reichem Hause verlobt, in acht Tagen ist die Hochzeit. Es versteht sich, daß ich Dir zurückerstatte, was Dein guter Vater für mich ausgelegt hat, sowie die Mitgift meiner Braut flüssig ist. Die Beträge machen mit Zinsen und Zinseszinsen eine hübsche runde Summe aus, die es Dir ermöglichen wird, zu finden, was in dieser Welt einem armen Mädchen zumeist versagt bleibt, einen wackeren tüchtigen Mann. Und nun zürne nicht allzusehr Deinem immer dankbaren Arthur." Sie hatte bis zu Ende gelesen, ohne daß auch nur eine einzige Thräne ihren Blick verdunkelte, die klaren, festen und sicheren Schriftzüge vor ihrem Auge ver schwimmen machte. Als sie fertig war, fühlte sie aller dings eine sonderbare weiche Schwäche sich ihrer Nerven bemächtigen. Ihr war als müßte sie in Ohnmacht sinken, in einen tiefen finsteren Schacht hinunterfallen, der sich vor ihr gähnend aufthat. Aber mit einer mächtigen Willensanstrengung riß sie sich empor. Das durfte nicht sein. Henny und Klärchen warteten ja unten im Studierzimmer auf die Lehrerin. Die beiden kleinen Mädchen sahen Anna so sonderbar an, als sie zu ihnen ins Zimmer trat, daß sie fühlte, sie müsse sehr schlecht aussehen. Sie nahm sich zu sammen und hielt ihre Unterrichtsstunde möglichst ruhig ab. Dann ging sie mit den Kindern spazieren, dann zu Tische, als ob nichts geschehen wäre. Es war ja ihre Schuldigkeit so. Bei Tische hatte Klärchen, ein lustiger kleiner Blondkopf, viel mit Mama zu zischeln und zu tuscheln, und Anna fühlte den nachdenklichen gütigen Blick der Hausfrau mehrmals auf ihrem Gesicht ruhen. Es war eine unangenehme Empfindung für sie. Sie fürchtete zu erröten oder gar in Thränen auszubrechen. Nach dem Essen nahm die Baronin Anna auf die Seite. „Liebes Fräulein," sagte sie teilnehmend, „Klärchen machte mich eben aufmerksam, daß Ihnen etwas fehlen müsse. Ich hätte wahrscheinlich auch ohne das bemerkt, daß sie sehr angegriffen aussehen. Kann ich Ihnen mit etwas dienen? Halb wider Willen entfuhr eS Anna: „Ich habe eine sehr üble Nachricht bekommen. Ich ... ich möchte nach Berlin fahren." „Dann fahren Sie, meine Liebe! heute noch. Die Kinder werden gegen ein paar Wochen Ferien nichts USU'-S-M--. r- . - - . > . . „Nichtder Rede wert?" wiederholte sie. „Du hast Dir wohl nicht klar gemacht, was solch' ein junges Mädchen an Toilette gebraucht, besonders wenn sie so anspruchs voll ist, wie Hulda." Und zu dieser gewendet, fügte sie hinzu: „Arbeit findet man immer, wenn man nur Lust hat, was zu thun, und sich nicht scheut, zuzugreifen Man muß eben sürlieb nehmen mit dem, war sich einem bietet Wenn man als Gesellschastsfräulein nicht ankommen kann, dann nimmt man eben eine Stelle al» Bonne an oder geht in 'nen Laden als Verkäuferin." Dem hilflosen, jungen Mädchen stieg eine heiße Röte ins Gesicht. Die Erinnerungen und Anschauungen aus bes seren Tagen waren zu frisch in ihr, als daß sie Tante Hermines Vorschlag nicht wie eine Beleidigung empfunden hätte. Aber sie wagte keinen Widerspruch, denn auf der andern Seite machte sie die Furcht erbeben, Onkel Bitt ner könnte sie für träge und bettelstolz halten Aber die ser selbst kam ihr zu Hilse „DaS ist nichts für Hulda," sagte er und legte die Zeit- ung auf den Tisch, „als Ladenmamsell! Dazu liegt vor läufig keine Veranlassung vor Ueberhaupt ist es nicht mein Wunsch, Hulda aus dem Hause und aus meinen Augen zu lassen Ich bin ihr Vormund und fühle mich als solcher für ihr Wohl und Wehe verantwortlich." DaS war so bestimmt und ernst gesagt, daß Tante Her mine keine Widerrede mehr wagte, sondern sich begnügte, der so warm verteidigten Hulda einen tückischen Blick zu zuwerfen. Der Auftritt hatte die Wirkung, daß Hulda mit sich zu Rate ging Im Grunde hatte Tante Hermine recht, sagte sie sich, wenn sie das, was sie geäußert hatte, auch in freundlichere Worte hätte kleiden können. Sie hatte viel freie Zeit, und wenn sie sich auch bemühte, sich so nützlich al» möglich zu machen, indem sie den Kindern ihre Klei der anSbesserte und auch in der Wirtschaft von Tag zu Tag mehr Hand anlegte, da» alle» brachte ihr noch kei- nen einzigen Groschen ein. Wie sollte sie e» nur anstellen, haben. Und daß Sie wiederkommen sobald Sie können, davon bin ich überzeugt. Sollten Sie aber in Berlin bleiben wollen, dann schreiben Sie eben." Anna sah der sich Entfernenden fast befremdet nach. Konnte es so gute Menschen überhaupt geben? In eben der Welt, in der es so schlechte gab? II. Einige Stunden spater fuhr Anna im Schnellzug« nach Berlin. Sie wußte nicht, warum sie binfuhr, was sie dort wollte. In ihrem schmerzende", von dem ungeheuren Schlage noch halb betäubten Kopie war nur ein dunkles Gefühl, daß sie in Berlin sein wollte, wenn das Unerhörte geschah. Dabei hing sie den Erinnerungen an längst ver gangene Zeiten nach. Sie sah sich wieder im Hause ihres Vaters in Charlottenburg, sie hörte den alten freundlichen Mann in liebevollem Tone von Arthur reden. Der Junge war kein Verwandter, nur der Sohn eines in Ämut verstorbenen Jugendfreundes des alten Herrn. Aber der hing doch an ihm, wie an einem bluteigenen Sohne. Er schwärmte geradezu von der Begabung, der Tüchtigkeit, dem Fleiße des Burschen, den er auf eigene Kosten studieren ließ. Anna schwärmte mit. Sie betete den schönen, ge scheiten, gewandten Knaben mit jenem Gefühlsüber schwung an, der dem Alter der kurzen Kleidchen eigen ist. Sie sehnte sich nach ihm, wenn er nicht da war, — sie war überglücklich, wenn er mit ihr durch den großen Garten lief, der zu dem Hause gehörte, und sie träumte des Nachts von ihm. Sie hatte ja niemanden sonst, an den sie sich so reckt anschsießen konnte. Ihre Mutter hatte sie kaum gekannt, der Vater laS und studierte immerfort, Freundinnen hatte sie nicht. AennchenS Kleider wurden immer länger, Vaters Haare immer weißer, Arthur immer größer und männ- ltcker. Schließlich war er gar ein Herr Student an der Universität, hatte einen langen Schlägersckmiß auf der linken Backe und redete vom Seziersaal, daß es ganz grauenhaft zu hören war. Trotzdem aber liebten ich die beiden von Tag zu Tag mehr. Mnn st« sick Ätzten, was sie wohl auch früher getban hotten, war war es so anders als früher. Es rann dem jungen Mädchen immer heiß und kalt über den Rücken dabei und ihre Wangen brannten. — Dann kam ein wunder- chöner Frühlingsobend. In den alten, jung belaubten Säumen säuselte ein leichter Wind, der Vollmond schien und drüben im Garten des königlichen Schlosses sang sie Nachtigall. Die beiden gingen Arm in Arm im Garten umher, sahen empor zum Hellen Fenster von Vaters Studierstube und horchten auf die leisen Stimmen der Nacht. Da fragte sie Arthur, ob sie seine liebe Frau werden wollte, später, wenn er erst mit seinem Studium ertig wäre. Sie sagte Ja, und dann küßten sie sich und gingen hinauf zum Vater und erzählten ihm, daß ie sich heiraten wollten. Der weißhaarige Herr freute ich, daß ihm die Thränen in den Augen standen. um Geld zu verdienen, damit sie dem Onkel nicht zur Last fallen brauchte, wenn sie einmal in die Lage kommen würde, sich was anschaffen zu müssen? Sie erwog alle ihre Kennt nisse und Fertigkeiten, aber weder mit dem bißchen Zeich- nen und Malen, noch mit ihrem Klavierfpiel, noch auch mit dem sehr fragwürdigem Französisch und Englisch, das sie in der höheren Töchterschule und im Pensionat gelernt hatte, würde sie sich eine Einnahmequelle eröffnen können. Endlich fiel ihr ein, daß sie vielleicht stiit ihrer Fertigkeit im Sticken Geld verdienen könnte. Und so schwer es sie auch ankam, sie entschloß sich eines Tages allen Ernstes, nach Arbeit zu fragen. Sie nahm alle ihre moralische Kraft zusammen, um ihre ängstliche Scheu, dieses unsagbar pein liche Gefühl der Beschämung und Verlegenheit zu üb«v- winden, das sie jedesmal anwandelte, so oft sie zaudernd vor einem Laden stand Viermal fragte sie vergebens an und sie war schon nahe daran, zu verzagen, als sie endlich das Glück hatte, von einem Tapisseriegeschäft mit der Aus führung einer kleinen Probearbeit betraut zu werden. Die Probe fiel zur vollen Zufriedenheit des Ladeninhabers aus, der Erfolg stachelte ihren Eifer, und am Ende der ersten Woche trug sie stolz den ersten Thaler als Erlös ihrer Arbeit nach Hause. Niemand war glücklicher als Hulda Aber die Aner kennung. auf die sie im stillen von seiten Tante Hermines gerechnet hatte, blieb auch diesmal auS Die Mißgünstige ließ es auch nach wie vor nicht an höhnischen Stichel reden fehlen „Sticken," erklärte Tante Hermine und zog gering- schähig ihre spitzen Schultern in die Höhe, „na ;a, das ist ja ganz gut für vornehme Damen, die nichts Besseres zu thun haben Aber eine Arbeit sür einen kräftigen gesun- den Menschen ist das nicht Traurig genug, daß Du nichts weiter gelernt hast! Mein Gott, es wird ja auch danach bezahlt WaS hast Du denn dabei erübrigt? Lumpige fünf Groschen den Tag, das reicht ja knapp für Doktor und Arznei, wenn Du Dir mit dem Sticken Deine Augen ver- dvrben haben wirst." 70,18