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Kirchliches über Hannover und Hamburg. Um unsre Leser auf dem Lausenden zu erhalten über Aussehen erregende Vorkommnisse, müssen wir, nachdem wir Pastor Weingart's Absetzung in Osnabrück erwähnt haben, dazu nachträglich berichten, daß in Osnabrück selbst 11 000 Unterschriften sür seine Wieder einsetzung petitioniert haben und daß in Hannover unlängst eine ungemein stark besuchte Versammlung unter Prof, bksol. Or. Baußet aus Göttingen statt fand, welche sich solidarisch dazu bekannte, daß die gesunde Entwickelung der hannoverschen Landeskirche in Gefahr sei, durch eine lehrgesetzliche Auffassung und Verwertung der Be kenntnisse in unevangelischer Weise unterdrückt zu werden. Dieser Gefahr sei nur durch festen Zusammenschluß aller kirchlich freier gesinntes Protestanten im praktischen Leben zu begegnen. — Gegen 7 Stimmen wurde an die Organisation dieses Zusammenschlusse» gegangen. — Um zu verstehen, was das sagen will, muß man wissen, daß Hannover l isher orthodox sehr wohlerzogen ist. Ein Seilenstück dazu wenn auch andrer Art hat merkwürdiger Weise Hamburg geliefert durch Maßregelung des evangelisch-reformierten Pastor Hillmann. Der dortige Kirchenrat (bei uns der Kirchenvorstand) war über Aeußerungen des Genannten in seinen Predigten vom 1. Januar und 14 Januar ds. Js. stutzig geworden, in welcher ersteren er ausführte, auf welcher Stufe volks wirtschaftlich unser Bolk am Beginn und am Schluß dieses Jahrhunderts gestanden habe, damals die Be wegung ans dem Mittelstände heraus, gegenwärtig aus den unteren Volksschichten, bemerkend: „cs mag Manches falsch und übertrieben sein an der modernen Bewegung, die Mir die soziale nennen, aber der große, edle Grund strock der Bewegung geht aus von dem, der das Sehnen in die Welt gebracht hat und über dessen Krippe Engel sangen von dem Heil, das allem Volk wiederfahren soll . . ." „Diesen Christus stellt hinein in die Politik, in die Lohn- und Wohnungsfrage, in alles, was auf sozialem Gebiete zu thun und zu fragen ist. Möglich, daß das Geschäft etwas weniger einträglich wird, aber höher steht der Friede mit Gott und mit den Brüdern." — Darauf stellten die Kirchenältesten an ihn das Anfinnen, er solle nie wieder auf der Kanzel Sociales berühren. Die Abweisung dieses Antrags gab P. Hill mann in der Predigt am 14. Januar über das Gleich nis vom reichen Mann und armen Lazarus. So sagte er darin unter Anderem: Das ist das Eigenartige an Jesus: er verurteilt nicht die Reichen, weil sie reich sind, er preist nicht die Armen selig, weil sie arm sind und doch ist er auf das Allerinnigste mit den Armen verbunden, ja manchmal scheint es geradezu, als nehme er fast etwas einseitig für sie Partei, während zwischen ihm und den Reichen eine fast unüberbrückbare Kluft gähnt. Genau dasselbe finden wir bei den Propheten. Der überwiegende Teil ihrer Predigt ist ein Drängen auf gerechte soziale Einrichtungen. Sie donnern gegen bestechliche Richter, gegen Reiche, die alle Schätze zusammenraffen, gegen Prasser, die der Armen vergaßen und dergleichen. Und wieder dieselbe Stimm ung durchzieht die erste Christengemeinde, führte doch die zu Jerusalem sogar die Gütergemeinschaft ein, was freilich derart mißglückte, daß man draußen für sie kollektiercn mußte. Doch damit ist Jesu Stellung zu Reich und Arm noch nicht erklärt. — Schon durch die vorchristliche Zeit Kndlich vereint. Roman von Ewald August König 10 „Ick verstehe wohl, was Du sagen willst," fiel Kurt Ihm in die Rede, „ich kann Theo nicht Unrecht geben, er hat im kleinen Finger mehr Herz und Gemüt, als sein Va ter im ganzen Leibe." „Herz und Gemüt sind für den Kaufmann sehr ent behrliche Dinge, lieber Kurt, sie können ihm mitunter ge fährlich werden," sagte Walter gelaffen, indem er sich er- hob und vor den Spiegel trat. „Also Du willst unter allen Umständen Deine Absicht auSfuhren?" „Gewiß, aber sage mir doch, woher weißt Du, daß He lene von Riesenfeld den jungen Wildenbruch zurückgewie sen hat?" „Auf unserer Soiree vor einigen Abenden habe ich die beiden scharf beobachtet, als sie im Kabinett neben dem Salon beim Schachspiel saßen. Was in jener Stunde Wi schen ihnen vorfiel, erkannte ich sofort, und als sie aus dem Kabinett kamen und Abschied nahmen, wußte ich alles. Ich sage noch einmal, ich begreife nicht, der Reichtum Wildenbruchs muß doch ein junge-, armeS Mädchen blen den. Dafür nimmt es zwar den Höcker des Gatten mit in Kauf." „Mach' keine Glossen über die beiden," erwiderte Kurt ärgerlich, „sie sind beide edle Naturen, Helene wird au- andern Gründen ihm den Korb gegeben haben. Darüber zu spotten finde ich unzart. „WaS gehen un- auch die Her- zensgeheimniffe anderer an?" Walter strich mit einem Taschenbürstchen ordnend über seine Frisur und den langen, schwarzen Bollbart, dann klemmte er das goldene Lorgnon auf die Nase, um einen letzten, prüfenden Blick auf seine hochelegante, tadellose Toilette zu werfen. „In der That, nicht-!" sagte er achselzuckend. „Wäre der Bater Helene- vermögend, so würde ich selbst mein Glück bei ihr versuchen, aber eine Kirchenmaus kann kaum ärmer sein, wie er es ist. Hast Du heute morgen Dienst ?" klingt hier und da drr Vatemamc Gottes, aber so hat sich noch keiner als Gotteskind gewußt, wie Christus. Wo er ging und stand wußte er sich umfangen vom ewigen Vater und fühlte sein Auge auf sich ruhen. . . . Vor diesem Vater erblickt nun Jesus die Menschheit, er sieht die Millionen, wie sie dakinleben, Wenige in Reichtum und Macht, unendlich Biele in Sorge und Not, sieht so manchen, der verroht ist unter dem Druck des lastenden Lebens. Und diese - Getretenen, Verachteten, sie haben doch denselben Gott, wie dle Reichen und als Kinder des einen Vaters sind sie doch alle Brüder und Schwestern. ... Da liegt ein Bruder Lazarus aus der Gaffe und um nicht zu verhungern muß er sich sättigen vom Abhub der Reichen. Da sind verlorne Töchter unsres Volkes, die nur mit Gier oder mit Verachtung angesehn werden und die man erbarmungslos immer tiefer in dem Koth tritt. — Brüder und Schwestern! Und da ist all das millionenfache Leid, dort die Angst am Krankenbette der Lieben, dort eignes Siechtum, dort Reue über verfehltes Leben, dort Thronen über gebrochncs Glück. Und mitten in all diesem sitzen andre Brüder und Schwestern, die ohne sich viel Gedanken zu machen, Tag sür Tag ein sorgloses Genußleben führen, oder, wenn sie arbeiten, wenig Auge haben für die leidenden Brüder und nur denken an sich. Das sieht Jesus und da gellt sein „Wehe Euch Reichen!" hinein in diese Bruderwelt und den Andern den Armen ruft er zu: „Kommet her zu mir, ihr Mühseligen und Beladenen, ich will Euch erquicken". — Es ist erklärlich, sagt die Saalezeitung, daß Sprache und Geist der Hillmann'schen Predigt geldstolzen Ham burger Patriziern nicht behagt hat und daß sie gleich den einstmaligen jüdischen Handelsherren schrieen „Er regt das Volk aus!" aber der Kirchenrat daselbst hat noch veröffentlicht, daß P. Hillmann „im Verkehr mit dem derzeitigen Kirchenrate eine Erhebung, eine Streit sucht und eine Leidenschaftlichkeit gezeigt habe, die darauf schließen ließen, daß er geradezu eine Verletzung dieser Körperschaft beabsichtige". Eine Veröffentlichung von der der Kirchenrat vorher leider nichts hatte verlauten lassen. Genug man hat dem genannten Prediger gekündigt. Ob das in dieser Angelegenheit der letzte Ausgang der Dinge ist, ob nicht der Hamburger Magistrat darüber noch mit zu sprechen Haden wird, da bisher Prediger und Gemeinde nicht Kontrakt auf Kündigung hatten, das muß die weitere Folge lehren. — Die beiden Beispiele beweisen nur, wessen frei gerichtete Geistliche, die ihren moralischen Eingebungen folgen, sich neuerdings zu ver sehen haben. Vermischtes * I« Bad Rauheim herrscht Jubel. Dort vor genommene Bohrungen haben eine neue kohlensäure haltige Soolquelle von großer Stärke zu Tage gefördert. Ein Telegramm meldet: Nauheim, 7. März, 8 Nhr 10 Min. abends. Die am 17. Oktober 1899 begonnene Bohrung nach einer neuen Heilquelle förderte heute 4Vi Uhr nachm. einen außerordentlich starken, 32 Grad Celsius warmen, stark kohlensäurehaltigen Soolsprudel mit hohem Salz gehalt zu Tage. Die Bohrung ist 208 Meter tief, der Sprudel 16Vz Meter stark, 1 Meter hochspringend. Große Begeisterung herrscht in der Bevölkerung. Mit dem neuen Sprudel ist ein neuer Soolstrom angebohrt und die alten Heilquellen sind nicht gestört. Nauheim „Nein." „So treffen wir uns mittags im Cafe?" „Vielleicht, ich weiß e- noch nicht." Der Geschäftsführer trat mit einem leisen, spöttischen Lächeln an den Blumentisch und brach eine Rosenknospe ab, die er ins Knopfloch steckte. „Du wärest auch kein gu ter Kaufmann geworden, denn Du kannst nicht kalkulie ren," spottete er. „Nichts zu Nichts giebt Nichts. Wenn der Dichter Dir auch vorschwindelt, Raum sei in der kleinsten Hütte, so muß man doch diese Hütte haben. Also auf Wie dersehen, Teuerster, ich vermute, wir werden heute mit tag Stoff zu einem interessanten Tischgespräch haben." Er winkte, noch immer lachend, mit der Hand und ver ließ das Zimmer. Kurt sandte ihm einen unwilligen Blick nach. Er fand den Spott des Bruder- nicht nur ungerecht, sondern herzlos, denn er liebte Franziska Wildenbruch, und er wußte, daß sie seine Liebe erwiderte. Auf dem letz ten Balle hatte sie mit dem süßen Geständnis ihrer Gegen liebe ihn beglückt. Sollte er nun durch kleinliche Bedenken sich abhalten lassen, das Glück, dem er schon so nahe war, sich zu sichern. Durfte er das Wort zurücknehmen, das er der Gelieb ten verpfändet hatte? Nimmermehr! Ernster und reifli cher, wie sein Bruder glauben mochte, hatte er über seine Zukunft nachgedacht, er sehnte sich nach dem eigenen Herde, und wenn nur auf beiden Seiten ihm etwas guter Wille entgegengebracht wurde, so ließen die kleinen Hindernisse sich leicht überwinden. Eine Stunde später verließ auch er das Haus; je län ger er über die Aeußerung seines Bruders nachdachte, desto trüber wurde seine Stimmung. Weshalb hatte Wal ter ihn darauf aufmerksam gemacht, daß ihre Mutter die Kaution nicht stellen dürfe, weil sie auf die Zinsen der selben nicht verzichten könne? Er hatte doch an allem zu mäkelu, über alles seine Glossen zu machen, die oft eine verletzende Bosheit durchblicken ließen. Er dachte nur an sich, die Grundzüge seines Charakters waren immerSelbst- sucht und Neid gewesen, er mochte wohl fürchten, daß ihm besitzt jetzt die drei bedeutendsten, kvhlensäurereichsten TAlinalsprudel der Welt. Der Leiter der Bohrung ist geheimer Ober-Bergrat Professor Dr. Lepsius- Darmstadt. * Erbschaftssteuer des Herzogs von Westminster. Bekanntlich ist vor kurzem der Herzog von Westminster, der reichste Grundbesitzer Englands gestorben. Welch kolossales Vermögen der Verstorbene, der sich im ver gangenen Jahre besonders durch das fabelhafte Glück seines Rennstalles bemerkenswert machte, hinterlassen hat, geht aus einem Telegramm hervor, demgemäß die Erbschaftssteuer des Herzogs nach einer Meldung der Truth über eine Million Pfund Sterling also über 20 Millionen Mark beträgt. * Hungersnot in Finland. Im nördlichen Finland herrscht Hungersnot. In vielen Ortschaften »»angelt es an den» Notwendigsten zur Leibesnahrung. Roggen ist äußerst spärlich, und die Bauern backen Brod aus Getreideabfällen, die man sonst nur zum Viehfutter verwendet. Es fehlen Kartoffeln, und auch Milch und Butt r sind eine sehr seltene Nahrung geivorden. In- folge der schlechten Ernährung ist das Volk ganz kraftlos. Wegen Futtermangels wird das Hausvieh abgeschlachtet und das Fleisch zu Markts getragen. Die Schulkinder können die Schulen nicht besuchen, weil sie keine Nahrungsmittel mitzunehmen haben. Die meisten Arbeiter suchen vergeblich Beschäftigung. Die Tage löhne sind die denkbar niedrigsten: 9 bis 18 Kopeken erhält der Arbeiter, wenn er von dem Arbeitgeber be köstigt wird, und 37 Kopeken, wenn er sich selbst beköstigt. Landwirtschaftliches. Wie erzielt man gute Braugerste? 1. Mmi baue die Gerste nicht direkt nach einer frischen Stall mistdüngung wuderu in zweiter Tracht, nm besten nach Hackfrucht. 2. Gerste beansprucht eine reichliche Düngung mit wasserlös licher Phosphorsäure, ebenso mit Kati. — Die Stickstoffgabe darf nicht zu reich bemessen sein, namentlich verwende man nicht Chile salpeter als Kopfdüngung. 3. Man dünge vielmehr jetzt Ausgang Winter pro mit 2 Ztr- Kainit oder mit 75 Psd. des »OO/gigcn Kalisalzes auf die rauhe Furche, und krümmere später bei Beginn der ersten Arbeiten der Frühjahrsbestellung 150—200 Psd. Ammoniak- Superphosphvt (OZ-st oder 0^-12) sorgfältig mit unter. Auf schwerem Marschboden hat sich die Mischung 5Z-13 recht gut be währt. An Stelle des Ammoniak-SupcrphosphatS kann aber auch Blut-Superphospha!, ausgeschlossener Peru-Guano oder auch Damaraland-Guano irctcn in Stärke von 1'/.,—2 Ztr. pro V« äs. 4. Man vermeide einen zu weiten Stand, um keinen Zwie- wuchs durch allzurcichcs Scitcnschosscn zu erzielen und drille daher nicht uulc'- 75 Psd. pro ' , Im., d. h. bei einer Drillreihcnweite von 6—7 Zoll. 5. Hinsichtlich der Erntemethode neigt man mehr dazu, die Gerste möglichst aus dem Halme ausreifcn zu lassen, um dann gleich nach der Sense sie aufzubindcn. Nach vr. Bell übt der Bohnenkaffee eine gcfäM'lichc Wirkung auf das Nerven system aus. Ein gesunder Ersatz für das aufregende Getränk ist der wohlschmeckende Kachreiner's Malzkaffee; auch als Kaffee-Zusatz zu verwenden. das Erbe verringert werden könne, wenn der Bruder einen Teil des väterlichen Vermögens vorab empfing. Das waren häßliche Gedanken, aber sie stiegen unwill kürlich auf, uud nun ließen sie sich nicht mehr zurückdrän gen fanden sie doch in den Bemerkungen Walters ihre Bestätigung. Und wie schroff hatte Walter sich über den Sohn seines Chefs und Helene von Riesenfeld auSgespro chen! Auch darüber war Kurt entrüstet, denn er kannte da» edle Herz und das weiche Gemüt Theos aus Erfahrung, und er wußte, wie viel Dauk sei», Bruder dem Kommer zienrat schuldete, der ihm schor» seit Jahren unbegrenztes Vertrauen geschenkt hatte. Bor dein Hause angelangt, in dein der Maler Wilden- brnch wohnte, blieb er unentschlossen stehen. Sollte er e» wagen? Er kannte die Derbheit des Mannes, mit dem er schon nmnche Flasche Wein getrunken hatte, ohne ihm frenndschaftlich näher zu kommen; es war möglich, daß er mit groben Worten abgewiesen wurde, und was dann? Aber Fränzchen hatte sein Wort, sie wußte, daß er heute kommen wollte, er mußte sein Versprechen eiulösen. Mit fieberhaft pochendem Herzen stieg Kurt die hohen, steilen Treppen hinauf. Das Atelier des Malers lag des besseren Lichtes wegen im dritten Stockwerk, fast unter dem Dach. Niemand begegnete ihm; vergeblich schaute er sich nach Fränzchen um, eS wäre ihm lieb gewesen, wenn sie ihm einige ermutigende Worte gesagt hätte. Er klopfte an; eine Helle, etwas barsche Stirnme lud ihn zum Eintritt ein. Bor der Staffelei, mit Palette und Malstock in der Hand, stand der Maler Ernst Wildenbruch, ein Verner, breitschulteriger Man»»; ein brauner Bollbart umrahmte das kluge, gutmütige Gesicht, die listig funkelnden Augen ruhten voll Erstaunen auf dem Eiutretenden. „Ich hoffe, daß ich nicht störe," sagte Kurt in schüch ternem Tone, „sollte es aber der Fall sein, so komme ich ein anderes Mal wieder." „Durchaus nicht," erwiderte der Maler trockeu; „neh- me» Sie Platz, ich plaudere gern bei der Arbeit." 73,18