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Beilage der Naunhofer Nachrichten. Nr. 24. Vortrag des Herr» Bürgermeister Igel über das neue Bürgerliche Gesetzbuch. (Fortsetzung.) In einem anderen Teile des deutschen Reiches galt bis zum 31. Dezember 1899 da« .Allgemeine Land recht", und zwar für die preußischen Staaten; ein Werk Friedrichs des Großen, am 1. Juni 1794 erschienen. Der genannte Fürst beauftragte, nachdem er sich von seinen vielen kriegerischen Erfolgen den Aufgaben einer Friedenspolitik zuwenden konnte, den Geh. Rat Suarez mit der Ausarbeitung des vorgenannten Rechtes. So einschneidend als das römische Recht wurde dies indes nicht, denn cs ließ neben sich das römische Recht sozu sagen als sekundäre Rechtsquelle gelten. Bemerkenswert war, daß Friedrich der Große in ängstlicher Sorge für die Gewißheit seines Rechtes die wissenschaftliche Be schäftigung damit, insbesondere die Auslegung des Land rechtes verbot. Auf dem linken Rheinufer und in Baden galt bis zum 31-Dezember 1899 das französische Recht. Napoleon I schuf außer einer ganzen Anzahl anderer wichtiger Gesetzbücher 1804 den 6oäs oivU oder Ooäs Napoleon. Im Königreich Sachsen galt bis zum 31. Dezember 1899 das uns am meisten interessierende „Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen". Gerade unser sächsisches Vaterland hatte in Rechtsange legenheiten schon im Mittelalter ein besonderes Ansehen, zum großen Teil erworben durch 2 Leipziger Juristen, Matthias Berlich und Benedikt Carpzov. In diesem Jahrhundert, in den 50er Jahren machte sich die Be wegung bemerkbar, für das Königreich Sachsen und die sächsischen Herzogtümer ein gemeinsames Recht zu schaffen. Die vom Geheimen Rat Held in Dresden entworfene Codifikation fand indes nicht die Zustimmung der Stände der sächsischen Herzogtümer, wurde auch im Königreich Sachsen ablehnend beurteilt. Indessen kam doch noch das „Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen" unterm 1. Januar 1863 zu Stande, das am 1. März 1865 in Kraft trat. Die bisherige Betrachtung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches als einer bloßen Kodifikation, als einer bloßen Priv a trechtskodifikation und als nur einer Privatrechtskodifikation hat vielleicht den Gedanken erweckt, als wäre das Gesetzbuch gar nicht etwas so Großes, als es schiene. Der Umstand indessen, daß es die Schaffung und auch starke Ab änderung einer ganzen Anzahl anderer Reichs- und Landesgesetze nötig machte, daß es die genannten, voll ständig in Fleisch und Blut des Volkes übergcgangenen Gesetze ablöst, daß es am meisten in das eigentliche Volksleben eingreift, und endlich ein Gang durch das System des Gesetzbuches mag beweisen, daß wir cs in der That mit einem wahrhaft großem Werke zu thun haben. Unser Weg durch das System des Bürgerlichen Gesetzbuches führt uns durch den allgemeinen Teil, das Recht der Schuldverhältmsse, das Sachenrecht, das Familienrecht, das Erbrecht. u. Der allgemeine Teil umfaßt hauptsächlich die Rechtssätze, die in den anderen 4 Abschnitten gleicher maßen Anwendung finden; er enthält sozusagen daS Werkzeug für sie, den Schlüssel zu ihnen. Zunächst sei auf den Unterschied zwischen den natürlichen und juristischen Personen hingewiesen. Die natürlichen Personen sind die Menschen; ihre Rechtsfähigkeit, allo die Fähig keit, Subjekt von Rechten und Verbindlichkeit zu jein, beginnt mit dem Moment der vollendeten, lebenden Geburt. Anders ist cs mit der Geschäftsfähigkeit, der Fähigkeit mit rechtlicher Wirkung Rechtsgeschäfte vorzunehmen. Diese beginnt erst mit dem vollendeten 21. Lebensjahre oder der Volljährigkeitserklärung. Unter juristischen Personen sind Vereine mit wirt schaftlichen oder mit idealen Interessen und Stiftungen zu verstehen. Ersteren können die Rechte einer juristischen Person verliehen werden. Durch besonderes Gesetz sind juristische Personen die Erwerbs, und Wirtschafts genossenschaften, z. B. Konsum und Magozinvereine. Neu in dem Bürgerlichen Gesetzbuch, ist die Verleihung des Rechtes der juristischen Persönlichkeit an Vereine mit idealen Zwecken. Bisher waren dieselben schlecht laran. Zu einer eventuellen Klage mußten sämtliche Mitglieder einzeln namentlich als Partei aufgeführt werden. So konnte es geschehen, daß der Vorsitzende des betr. Vereins den manchmal verlangten Eid über die Richtigkeit des Mitgliederverzeichnisses ablehnte, weil er nicht unter Eid versichern mochte, daß in dem Moment der Eidesabnahme der Mitgliederbestand keine Verschiebung erlitten hab». Nach dem neuen Bürgerlichen Gesetzbuch ist ein Mitgliederverzeichnis gleichzeitig mit den Satzungen beim Amtsgericht cinzureichen, der Antrag auf Erteilung der Rechte einer juristischen Person zu stellen, und diesem wird dann, wenn mindestens 7 Mitglieder vorhanden, stattgegeben werden können. Alsdann kann der Verein Sonntag, den 25. Februar 1900. als „eine juristische Person" klagen und verklagt werden. Die Stiftungen sind die andere Art von Ge meinschaften , die die Rechte einer juristischen Person erlangen können. Diese müssen jedoch die Genehmigung des Ministeriums des Innern, nicht des Amtsgerichts zuvor erlangt haben. Als Beispiel wird die Mende stiftung in Leipzig angeführt. Beim Sachenbegriff ist die Bestimmung über die Zubehörungen wichtig, d. h. es gelten auch die Geräte, Erzeugnisse (Samen), Dünger u. s. f. als mit verhaftet für die Hypothekenschuld, so das es dem Hypotheken gläubiger bei ländlichem Besitz möglich ist, das Grund stück in bewirtschaftungsfähigem Zustande zu retten. Aehnlich sind die Bestimmungen über Grundstücke mit gewerblichen Betrieben Hier sind auch die Maschinen und Geräte mit in die Hypothek einbezogen. Die Bestimmungen über die Verjährung sind im Volke immer unsicher bekannt gewesen. Die normale Verjährung, z. B. wenn über den Anspruch ein Schuld titel existiert, ist nach wie vor die 30jährige. Die kurze Verjährung, das ist die des allgemeinen täglichen Verkehrs, z. B. bei Kundenforderungen des Schneiders, des Schuhmachers, die bei uns bisher 3 Jahr war, ist auf 2 Jahr verkürzt worden. Sie beginnt mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in welchem das Schuld verhältnis entstand und endet am 31. Dezember des übernächsten Jahres. Sie kann also z B. fast 3 Jahre währen, wenn am 2. Januar 1900 eine Schuldforderung erstand, so tritt die Verjährung erst am 31. Dezember 1902 nachts 12 Uhr ein, vorausgesetzt, daß sic nicht später z. B. durch Vornahme der Mahnung oder Zahlungsversprechen oder Ratenzahlung unterbrochen wurde. Der früher übliche Verzicht auf die kurze Verjährung, der z. B. bei Strafgefangenen wegen der Kosten des Verfahrens verlangt wurden, ist nach dem neuen Bürger lichen Gesetzbuchs nichtig. Das viel erörterte Chikaneverbot ist jetzt Gesetz geworden und so gefaßt: Die Ausübung eines Rechtes ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem Andern Schaden zuzufügen. Das Rechtsgebiet der Sicherheitsleistung und damit auch das der Verpfändung hat nun ebenfalls eine straffere Hand habung erfahren. Wertpapiere werden nur mit 80 Proz. des jeweiligen Coursstandes angenommen. Aus dem Gebiete der Schuldverhältnisse wird angeführt über Zinsen, daß der frühere 5prozentige Zinsfuß von dem 4prozentigen ersetzt wird. Geblieben ist der Zinsfuß von 6 Prozent nur bei der Wechselordnung der 6prozentige des Handelsgesetzbuches ist auf 5 Prozent herabgesetzt, die sächsischen Bestimmungen über das Pfandleihgewerbe sind in Kraft geblieben; hiernach dürfen die monatlichen Zinsen bei Darlehnen bis 30 Ak. nicht über 2 °/g, über 30 Mk. nicht mehr als 1 betragen. Neu ist die Bestimmung über die Rechenschaftsablegung; es kann von Personen, die über größere Beträge Rechnung zu legen haben u. die unordentlicher Geschäftsführung verdächtig erscheinen, ein Offenbarungseid gefordert werden, und zwar dahin, „daß er nach bestem Wissen den Bestand io vollständig angegeben habe, als er dazu im Stande sei." Ueber die Ausgaben dienen die vorhandenen Belege als Beweismittel. Anders ist die Art des OffenbarungSeidcs bei der Zwangsvollstreckung. Hier ist ein Vermögensverzeichnis aufzustellen und dessen Richtigkeit zu beschwören. Eben so ist ein Offenbarungseid bei Nachlässen geboten und schließlich der sogenannte Editionseid der Parteien, im Zivilprozeß. Wenn z. B. ein Gesellschafter nach Jahren gegen eine Gesellschaft, der er früher angehörte, Forde rungen erhebt, und letztere kann die darauf bezüglichen Bücher und Belege nicht mehr schaffen, so hat sie auf Antrag unter Eid zu versichern, „daß sie nach sorg fältiger Nachforschung die Ueberzeugung erlangt habe, daß die Urkunde in ihrem Besitze sich nicht befinde, daß sie die Urkunde nicht in der Absicht abhanden gebracht habe, deren Benutzung dem Beweisführer zu entziehen, daß sie auch nicht wisse, wo die Urkunde sich befinde." Die Pfändbarkeit des Einkommens erläuterte der Vor tragende dahin, daß von allen Einkommen über 1500 Mark V, dieses Mehr pfändbar ist; z. B. bei einem Einkommen von 2100 Mark ist V, deS Mehr von 1500 Mark, also von 600 Mark gleich 200 Mark pfändbar. Hinsichtlich des Kaufes sei auf 2 wichtige Neue- rungen hingewiesen. Bisher war der Käufer nur be rechtigt, den ungestört en Genuß des Kaufgegenstandes zu fordern,jetzt kann er daS volle und freie Eigentum fordern. Weiter geht die Gefahr nicht mehr schon mit dem Kc ufSabschlusse, sondern erst mit der Uebergabe der Sache auf den Abkäufer über. Beim Viehhandel ist das eine bemerkenswert, daß die Gewähr wegen der sogenannten „Hauptmängel" nicht nur, wie bisher, für Pferde lind Rindvieh, sondern auch für Esel, Schafe 11. Jahrgang. und Schweine gilt, und daß diese Gewähr nur inner- halb der sogenannten „Gewährsfristen" in Anspruch genommen werden kann. Die einzelnen Gewährsfristen sind in der kaiserlichen Verordnung vom 27. März 1899 einzeln aufgeführt. Bei der Schenkung ist interessant der Begriffs unterschied des HandgeschenkeS, des von Hand zu Hand gegebenen Geschenkes und dem Schenkungsversprechen. Auffallende Veränderungen bringt das neue Bürger liche Gesetzbuch hinsichtlich des Mietoerhältnifles. Im preußischen Landrecht brach Kauf Mietverträge, das sächsische Recht hatte vermittelnde Bestimmungen, jetzt, also nach dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs bricht Kauf nicht mehr Miete. Hat also ein Mieter Räum lichkeiten fest auf 25 Jahre gemietet, und das Grund stück geht 2 Jahr nach Abschluß des Mietvertrages in andere Hände über, so muß sich der neue Besitzer den Mieter noch volle 23 Jahre gefallen lassen. Wichtig ist auch das Pfandrecht an dem eingebrachtcn In ventar des Mieters, das nunmehr gestattet, sich ohne Klage aus demselben bezahlt zu machen. Früher galt nur das Zurückbehaltungsrecht, das erst umständ liche Klagen zur Deckung der Mietforderungen nötig machte und bisher mancherlei den Hausbesitzer zur Unterschlagung verleitete. Auch die Kündigung hat namhafte Veränderungen erfahren. Während früher nur bis zum Ouartalsletzten ge kündigt werden konnte, ist nun die Kündigung noch an den ersten drei Werktagen des Quartals zulässig. Am Neujahrsquartal also gilt jede Kündigung noch, die am 4. Januar angebracht wird, da der Neujahrstag kein Werktag ist. Beamte sind im Falle 'eines Kontraktes bei Versetzung nicht mehr an ihren Kontrakt gebunden, sie können, ohne einen passenden Mieter besorgen zu müssen, an den gesetzlichen Zeiten, aber am nächsten möglichen Termine die gesetzliche Kündigung anbringen, dasselbe gilt auch beim Tode des Wohnungsmieters für dessen Familie. Für den Wirt ist diese Bestimmung als keine Härte zu betrachten, da diesem ja wohl am ehesten Gelegenheit zu weiterer Vermietung geboten ist. Die Untervermietung ist nach dem neuen Bürgerlichen Gesetzbuch nur mit Einwilligung des Wirts zulässig. Von den übrigen Schuldverhältnissen wurden, da sie in der Hauptsache nicht abgeändert werden, nur die Namen genannt und es wurde nur noch erwähnt die Auslobung, d. h. das öffentlich bekannt gemachte, ein seitige Versprechen einer Belohnung für eine gewisse Person, z. B. für das Ausfindigmachen eines Diebes. Zum Sachenrecht führt der Vortragende aus, daß das Eigentumsrecht in seiner früheren Gestalt auf recht erhalten geblieben ist. Jeder kann mit seinem Eigentum machen, was er will. Wichtig sind die zur Vorlesung gebrachten nachbarlichen RechtSdestimmungen. Das Hammerschlags- und Leiterrecht ist unverändert geblieben. Wenn ein Nachbar an seinem Giebel eine Reparatur oder Veränderung auszuführen hat, so muß der Nachbar die hierzu erforderlichen Arbeiten, Gerüst bauen rc. zulassen, gleichviel ob sich an der fraglichen Stelle ein Weinspalier oder dergl. befindet; ihm steht aber das Recht des Schadenersatzanspruchs für cnl- standene Beschädigungen zu. Eine neue Bestimmung ist beim Grunderwerb die Auflassung, die jetzt vor dem Richter und dem Gerichts- schrciber zu geschehen hat, während früher nur ein Be amter dazu nötig war. Sie ist Vie Erklärung des Verkäufers, daß er sein Eigentum übertragen wolle und die Gegenerklärung des Abkäufers, daß er dieses Grundstück nun für sich eingetragen hoben wolle. Zum Teil ganz neu gestaltet ist die Grundstücks belastung. Wir finden da ein uns ganzes neues Institut, die Grundschuld, eine nur durch den Grund und Boden gesichelte Forderung, es schuldet bei ihr nur der Grund im Gegensatz zu unserer Hypothek, bei welcher das Grundstück und die Person, der es geört, schuldet. Wenn man annehmen wollte, daß damit einem Leicht sinn in der Beleihung vorgearbeitet sei, so ist dem entgegenzuhalten, daß man bei der Beleihung auf eine Grundschuld sich weit genauer über den wahren Wert des Grundstückes orientieren wird, da dies dann der einzige Gegenstand der Schadloshaltung wird. Die Rentenschuld ist eine den im sächsischen Recht bekannten Termingeldern ähnliche neue Erscheinung. Eine neue Bestimmung ist im Hypothekenwesen durch die Unterscheidung von Brief- und Buchhypotheken er standen. Letztere ist unsere sächsische Hypothek, sie kann nur vor dem Grundbuchamte begeben werden. Uebcr erstere wird ein Hypothekenbrief ausgestellt und dieser kann nun ohne vorheriges Umschreiben vor Gericht wie ein Wechsel begeben werden, ist also ein bequemes Er satz-Mittel für Geld, er kann in Zahlung gegeben werden wie ein Wechsel. Der Einwand, daß der Hypotheken schuldner nicht wüßte, an wen er die Zinsen zu zahlen