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Beilage der Naunhofer Nachrichten. Nr. 12. Sonntag, den 28. Januar 1900. 11. Jahrgang. Demaskiert. Eine FaschingSnovelette von A. v. Lingen. (Nachdruck verbalen.) Wenn bei einem Schlittschuhfest unter Musik und bengalischer Beleuchtung ein junges Menschenpaar sich absichtlich von dem großen Schwarm der Gäste fern hält, so ist ja an und für sich nichts Geheimnisvolles dahinter. Es ist für ein Paar nicht gerade bequem, in dem Wirbel der Durcheinandergleitenden recht aus zugreifen und sich der Luft des Eislaufens zwanglos hinzugeben; man muß zu sehr fürchten an-, um- und übergerannt zu werden und das ist zum Mindesten sehr störend. Wein dieses junge Menschenpaar aber die freie Eisfläche nur zum Stillstehen und heimlich mit einander Plaudern benutzt, wie jener junge Mann und das zierliche, junge Mädchen dort, dann ist dieses Paar verliebt! Ja, richtig lieber Leser. Verliebt sind sie und zwar liebt Elli, die einzige Tochter der verwitweten Rentiere Harter, den Selmar, einen jungen Referendar, so auf richtig, daß sie ihr allerliebstes Stumpfnäschen lieber blaufrieren läßt als von der Stelle weicht und ihre Frau Mutter welche am Buffet sitzt und auf ihre Tochter, die sie mit Argusaugen schon eine ganze Weile beobachtet hat, wartet, sitzen und warten läßt. Ob Selmar Kindig, der junge Referendar, der die ganze Zeit über die rechte Seite seines feinen Schnurr barts mit den Fingern bearbeitet hat, Elli mit dem selben Feuer liebt wie sie ihn, scheint nicht gerade der Fall zu sein, denn er trampelt oft wie ungeduldig mit den Schlittschuhen. „Hörst Du, Selmar?* plaidiert Elli halblaut. „Morgen stellst Du Dich der Mama vor und hältst um meine Hand an! Ich kann ihr doch unser Geheimnis nicht länger vorenthalten. Es drückt mir das Herz ab!" „Ich werde sehen, Elli." — „Du bist unausstehlich, Selmar! Jetzt laufe ich nicht mehr mit Dir!" „Aber liebe Elli —" „Geh! Du liebst mich gar nicht!" Damit riß sie sich los von ihm und lief, ihre Thränen verbeißend, ein paar Schritte vorwärts. Bald aber kehrte sie um. „Hast Dns Dir überlegt, Selmar?" „Aufrichtig gesagt, liebe Elli, ich habe Furcht vor Deiner—".stammelte zähneklappernd der junge Refer endar. Elli mußte lachen. „Furcht? Du bist mir schön!" „Nun ja, das ist so 'ne Sache! Ein Korb —." „Ach was! Mut zeiget auch der Mameluck! Faß' Dir ein Herz!" „Hör' mal, Elli, besucht Ihr das nächste Masken fest im Kasino?" „Ja. Wieso fragst Tu das?" Neloy«t«r Gdslmut. Kriminalroman von William Michelson. 36 Und in der That, so war e». Lotte Hill war noch in der zwölften Stunde aufgetaucht, zu Lovell» höchster Freude, der in ihr einen vom Himmel zur Rettung eine- Unschul digen entsandten Engel erblickte. Nach dem Schluß der Verhandlung war er im Begriff gewesen, Albertine zu ihrem Vater zurückzubegleiten, als ihm ein Telegramm übergeben wurde, das er hastig er brach und durchlas. Mit einem Blick innigster Befriedigung reichte er es Albertine. „O, dem Himmel sei Dank," jubelte sie „Gehen wir gleich zu ihr, Herr Anwalt," bat sie, in ihrem sehnlichen Verlangen, aus eigenem Munde die Worte zu hören, die Theodor Caryll vor schmachvollem Tode retten mußten. „Nein, gnädiges Fräulein," erwiderte er fest. „Eine junge Dame wie Sie darf die Behausung einer Lotte Hill nicht aufsuchen. Morgen werden Sie alle» erfahren Ge statten Sie mir, Ihnen in den Wagen zu helfen. Ich be dauere, Sie nicht begleiten zu können, aber diese Mit teilung zwingt mich, hier zurückzubletben. „Und Sie werden ihm sagen, wa» geschehen ist?" „Nnverweilt, und dann eile ich. diese Lotte aukzuluchen und mit ihr zu sprechen. Jetzt ist jede Gefahr für Caryll vorüber." Caryll hörte die gute Nachricht mit einem Gefühl tie fer Dankbarkeit. Er wußte, daß er gerettet war, ohne sein Geheimnis preisgehen zu müssen, doch trotz der Freude über seine Rettung konnte er sich de» Grauen» nicht er wehren, mit dem da» Geheimnis ihn erfüllte, da» die ster bende Frau ihm anvertraut hatte. „Weshalb teilteste mir da» Entsetzliche mit?" seufzte er. „E» wäre bester gewe sen, wenn sie nicht gesprochen und mir nicht die traurige Last diese» Vermächtnisse» zurückgelaffen hätte." Von Liotard begleitet, machte sich Lovell auf den Weg zu der alten Rucker. „Dann wollen wir die Sache so arrangieren —" „Nun endlich!" jauchzte Elli. „Also beim nächsten Mas^enfest! Du sagst mir Dein Kostüm, ich dir das meine und ich stelle Dich dann dort der Mutter vor! Aber Du kommst doch, Selmar? Oder hast Du auch in der Maske noch Furcht?" „Spotte nicht! Ich komme und wehe Dir, wenn ich eine Absage —" „Ich werde die Mutter schon bearbeiten, das ist meine Sache!" „Gut! Laufen wir! Ich bin zu drei Vierteln schon Eis! Arm in Arm flogen sie davon. * „Ah! Ich habe mich also nicht getäuscht," sagte eines Morgens Frau Harter und süßte ihren Morgenkaffee. „Meine Tochter hat einen Verehrer. Sehr gut!" „Einen Verehrer?" lachte Elli, und warf das lose üppige Haar in den Nacken. „Mehr als das, lieb Mütterchen! Einen Bräutigam und wenn Du Ja sagst, einen Gatten!" „Nun! Nun! Elli, nicht so schnell! Wer ist denn der Glückliche? Jst's derselbe vom Eise?" „Du hast ihn gesehen, Mütterchen! Er ist's Referendar Selmar Kindig. Soll ich ihn Dir vor stellen?" „Nein, nein! Wo denkst Du hin? Das möchte ein schönes Aufsehen erregen!" „Aufsehen? Wieso? Ist eine Verlobung etwas Neues? Ich bin doch schon siebzehn Jahre!" „Schon? Du lieber Gott, dies ist doch früh ge nug! Ein Mädchen, das sich mit siebzehn Jahren schon festmachen will, muß sehr vorsichtig zu Werke gehen, mein Kind! Nur gemach! Es verlobt sich sehr schnell und — entlobt sich noch schneller und dann ist meine Elli blamiert —!" „Aber, Mütterchen, wer denkt gleich an's Ent loben!" „Ich werde auf der Hut sein, Elli. Erst möchte ich Deinen Herrn Freier doch ein wenig beobachten. Weißt Du, wir gehen zum Maskenfest im Kasino. Da läßt sich das am Besten bewerkstelligen. Sorge nur dafür, das Dein Selmar auch dahin kommt." „Ist schon Alles verabredet zwischen uns!" jubelte Elli und fiel der Mutter um den Hals. „Ach! Ich kann die Zeit nicht mehr erwarten, liebes, gutes Mütterchen!" „Also Elli — im Kasino. Weißt Du auch schon, welche Maske Selmar tragen wird. Das möchte ich gerne erfahren." „Selmar kommt als spanischer Winzer! Und ich—" „Pst! — Also reinen Mund Elli! Hörst Du?" * * Jm Saale des Kasinos herrschte ein buntes Gewoge. „Wo war diese Lotte die ganzeZeit über?" fragte der Anwalt. „Sie war krank, und al» sie endlich genas kehrte sie zu ihrer Großmutter zurück." Als Lovell und der Detektive da» schmutz-starrende Zimmer der alten Rucker betraten, bemerkten sie, daß die kranke Frau, die sie bei ihrem ersten Besuche gesehen hat ten, nicht mehr da war Lotte selbst saß auf einem zer brochenen Stuhl und lehnte sich müde an die Wand. Bei dem Anblick der beiden Fremden erhob sie sich. Sie war eine schlanke, nicht häßliche Person von ungefähr fünfund zwanzig Jahren. Da» abgezehrte, bleiche Gesicht verriet, wie krank sie gewesen war Das blaue Kattunkleid, da» sie trug, hing schlotternd an ihr nieder, und fröstelnd hüllte sie sich in ein alte», wollene» Tuch. „Daö ist der Herr, der mit Ihnen zu sprechen wünscht," sagte Liotard zu Lotte und bat sie, sich nur wieder zu setzen „Erzählen Sie ihm alle», wa» Sie mir erzählten " „Von der Königin?" fragte Lotte, ihren Blick auf Lo vell heftend^ mit leiser Stimme. „Wenn ich nur gewußt hätte, daß Sie mich brauchten, wäre ich längst hier ge wesen." „Erzählen Sie mir jetzt ausführlich," sagte Lovell freundlich und in mitleidigem Ton, „was in jener Nacht geschah, als Sie Herrn von Caryll zur Königin abholten." „Wer ist da» ?" fragte Lotte verwundert. „Der Herr, dem Sie den Brief in den Klub brachten." „O, der? Ich wußte seinen Namen nicht. Die Königin hatte mir den Namen gar nicht gesagt." „ Sie muß Ihnen aber doch gesagt haben, wen Sie hier her bringen sollten?" fragte Lovell. „Nun, da» war so," erwiderte da» Mädchen „Sie war in jener Nacht noch kränker al» sonst, und ich saß an ihrem Bett, während Großmutter schlief. Bring' mir ein Blatt Papier und einen Bleistift, bat sie mich, ich will ihm ein paar Zeilen schreiben." „Ich holte ihr wa» sie verlangt« au» Großmutter» Koffer, und sie schrieb undforderte mich auf, den Brief in Musik und Lichterglanz und in allen Farben strahlende Masken boten den Sinnen ein verwirrendes Bild. Dort ging Elli, als Tyrolerin, reizend anzusehen, mit einem schlanken spanischen Winzer Arm in Arm spazieren. Mama saß im Kreise ihrer Bekannten und hatte soviel zu erzählen, daß sie ihre Tochter scheinbar ganz vergessen hatte. „Je' t geht's nicht Elli!" flüsterte der Winzer der Tyrolerin zu. „Mama Harter ist zu sehr beschäftigt- Warten wir bis zur Demaskierung!" „Selmar, Du bist wieder unausstehlich!" „Aber es paßt sich doch nicht, die Dame mitten in der Unterhaltung zu stören! Das wird unnötiges Aufsehen erregen! Laß uns noch ein wenig umher wandeln und die Masken studieren. Mittlerweile hat Deine Mutter Zeit und dann —" „Dann sagst Du wieder nein!" schmollte Elli, folgte aber dem Winzer in das Gedränge. So wandelten sie wohl eine ganze Stunde um her. Der Saal hatte sich immer mehr mit Masken angefüllt und mehr als einmal waren sie im Gewühle getrennt worden. Da trat von hinten her ein blauer Domino auf den spanischen Winzer zu, zupfte ihn am Aermel und flüsterte ihm ein paar Worte in's Ohr. Der spanische Winzer entschlüpfte der Tyrolerin und folgte dem Domino, dessen üppige, elastische Gestalt ihn anzog, unbemerkt in einen der vielen Nebensäle, welcher mit exotischen Gewächsen geschmückt, zu einem, mit vielen lauschigen Nischen versehenen Wintergarten um geschaffen und nur schwach beleuchtet war. Die üppige, elastische Gestalt ließ sich in die weichen Polster eines Divans sinken und lud den Winzer mit einer Handbe wegung ein, neben ihr Platz zu nehmen. „Sohn des sonnigen Südens," begann der Domino mit seltsam kehliger Altstimme. „Weht in Deinem Herzen die Glut, die in euren Reben schimmert oder ist es kalt, wie das Eis der Nordpolgletscher?" Dabei funkelten dem Winzer zwei schwarze Augen unter der blauen Maske entgegen, die ihm sein Inneres schaudernd erbeben ließen. „Schöne Maske, die Sprößlinge Spaniens lieben die Wärme der Sonne, die Glut des Weines und die Lohe der Leidenschaft!" gab der Winzer zurück. „Du lügst, Maske!" klang die Altstimme. „Du liebst es zu wohnen in den dumpfigen Thälern der Alpen, wo der Schnee und das verkümmernde Edel weiß um die Spanne ihres Daseins ringen und das , Gebrüll der Kühe und Kälber das Echo verfallener Sennhütten weckt! Geh! Du bist kein Spanier! Du hast Fischblut in Deinen Adern!" „Ich weiß schöne Maske, worauf Du anspielst! entgegnete der Winzer. „Aber Du täuschest Dich!" Mein Herz weilt nur da, wo der Kuß der Liebe es in Wallung setzt. Ich bin verschlagen durch des Schicksals Tücke und sehne mich zurück in die weichen Arme der Gewährung." « «I LSWSMUtiMW! «MS den Ktub zu tragen und ihm zu geben, der Name stehe schon aus dem Briefe, und an der Ecke der Bourke- und Russelstraße auf den Herrn zu warten, um ihn zu ihr zu begleiten. Im Klub habe ich den Brief auch abgegeben und später kam er wirklich auf mich zu und sagte zu mir: Führen Sie mich zu ihr, und das that ich." „Und wie hat der Herr auSgesehen?" „O,eS war ein sehr hübscher, hochgewachsener Mensch, mit blondem Haar lind blondem Schnurrbart, und unter dem Hellen Ueberzieher trug er einen schwarzen Anzug, auf dem Kopf einen weichen Filzhut" „Da» war ganz zweifellos Caryll," murmelte Lovell. „Und wa» that er, al» er hier war?" „Er ging an ihr Bett, und sie fragte ihn: Sind Sie e»? Und er antwortete: Ja. Wissen Sie auch, wa» ich Ihnen sagen will? redete sie weiter, und er antwortete ihr: Nein ES ist ihretwegen, stöhnt sie, und er wird kreide bleich und verbietet ihr den Namen zn nennen. Schicken Sie dieses Mädchen weg, dann werde ich Ihnen aller sa gen, jammerte sie, und ich ging fort. Dar ist alles, was ich weiß." „Und wie lange blieb erbet ihr?" fragte Lovell. „Wohl eine halbe Stnnde. Ich habe ihn dann zurück geführt, und als er weitergchen wollte, fragte ich ihn, wie spätes wäre. Er sah nach seiner Uhr und brnmmte: schon halb zwei, gab mir Geld und lief davon." „Und er brauchte etwa zwanzig Minuten, nach Hause zu kommen," sagte sich Lovell. „Die Zeit stimmt also mit der Angabe seiner Wirtin überein. War er die ganzeZeit bei der Königin?" fragte er Lotte. „Ja. Ich stand vor der Thür, und er konnte nicht über die Schwelle, ohne daß ich ihn gesehen hätte." „DaS Alibi wird uns nun keine Schwierigkeiten mehr machen," lächelte Lovell. „Und Sie hörten gar nicht-von der Unterredung,- Lotte?" forschte Liotard. „Nein, sie sprachen sehr leise. Nur der Herr rief ein mal ganz laut: „O, da» ist zu grauenvoll l"