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—« Der dampfende Kralen. - Durch den Dut. von G. uon Zcaulic«. /^»?r hieß Wohlgemuth, aber seile» hat ein Mensch seinem Namcu s» wenig Ebre gemacht. Man hätte ihn lieber Smicrwsn oder Einsilbig heißen sollen. Freilich konnten seine Eltern ihm nicht in der Wiege onschen, waS aus ihm werden würde. Nicht etwas erbärmliches oder schlechtes, bcwohre, ein berühmter Gelehrter, ein Notnrforschcr. Doch von wohlgcmulerArtwar, tvie gesagt, irenig an ihm zu spüren; er war ein verdrießlicher Mensch, ein Einsiedler, der nur seine Präparate, seine Bücher und seine Zigarre zu Freunden hatte. Natürlich Ivar er auch oiu Hagestolz, wie hätte ciue Frau in eine Hänslichkeit gepaßt, in der die Wissenschaft und wieder die Wissen schaft die suprmna lax war? Eine Gemahlin, eine Gattin, ja selbst ein Weibchen hätte sich nicht in diese Atmosphäre von Staub, Zigarrcudnmpf, Kampher uud Spiritus (letztere Gerüche stammten von nattmvisscnschastlichen Präparaten) gefunden, oder sich doch un glücklich darin gefühlt. Zum Glück besaß Professor Wohlgemuth Audrac eine Schwester, eiu stilles, häusliches uud doch vergnügtes Wesen, so anspruchslos, wie nur unverheiratete Schwestern, welche über die erste Jugend hinaus sind, eS sein künucu. Als Wohlgemuth einen Nus nach Jena erhielt nnd damit ein reichliches und gutes Auskommen, schrieb er an seine Schwester Meta in England. Sie hatte als frisches, nmves Ding von achtzehn Jahren das gehabt, was man in der verhüllenden, alle Härten abschlcisendcu Salonsprachc ein Interesse nennt, dann hatte sic — um in derselben Sprache zn reden — eine Enttäuschung erlebt. TaS heißt: Meta hatte warm und herzlich geliebt, einen Studenten der Medizin, einen Freund und Stndiengcnossen ihres BruderS; sie hatte auch gefühlt, daß Bernhard vom Werth sie wieder liebe. Aber er war arm, sie auch, eS konnte ja nichts werden! Meta war ein mutiges, tüchtiges Mädchen; sic mnchlc keine Sccncn, sic crwarlctc keine aussichtslose Verlobung, sie entschloß sich kurz und gut, statt der Sccncu lieber ihr Lchrcriuncu- cxamcn zu machen. Ihre Eltern waren tot; daö kleine Kapital, welches sie besaß, reichte grade zn ihrer Aus bildung hin. Als sie das Examen bestanden, nahm sic einc Stelle als Erzieherin in England an; ihren Freund, Bernhard vom Werth, sah sic nicht wieder. Auch ihr Bruder schlug sich recht uud schlecht durchs Leben, bis er durch ein auf darwinistischcn Theorien fußendes Werk in der wissenschaftlichen Welt Aussehen erregte. Die Folge davon war der Nus an die Uni versität von Jena. Nun lebten die Geschwister schon säst ein Luslrnm beisammen. Meta hatte nach jahrelanger, anstrengender Thätigkett in fremden Häusern, in fremdem Lande, bei dem Bruder einen Ankcrgrund gefunden; sic wußte daö eigene Heim zu schätzen, so still, eng und beschaulich eS auch war. Von der Außenwelt drang nicht viel in die den Stndicn geweihten Räume, doch Meta stellte für sich selbst keine Ansprüche; ihr einziges Sinnen und Trachten war, cö ihrem Bruder behaglich zu machen. Daß sie ihm durch ihre Kenntnisse des Englischen auch bei seinen Arbeiten hilfreich sein konnte, indem sie englische fachwissenschaftlichc Zeitschriften für ihn lnö und daS, waS er für seine Bücher nnd Vorlesungen brauchte, übersetzte — freute sie, uud so fand sie Be friedigung in ihrem Wirkungskreise. Es mochte wohl schöneres, bcglückendercS auf der Welt geben, allein, sie meinte: nur wenige errängen daS Glück, und Frauen ihres Schlages seien nur dazu da, um nützlich zu sein. Nur manchmal, wenn sie ein Gedicht laS, wenn eS Frühling wurde, wcun daS Abendrot besonders schön leuchtete, dann sehutc sic sich auS dcr Enge fort. Doch wenn sie, schwärmend, an die weite Welt dachte, wanderten ihre Gedanken eigent lich nur zu einem einzigen Wesen, das sic nie vergessen hatte und nie vergessen würde. Was ans Bernhard geworden sein mochte? Ob er verheiratet war? . . . O, sic gönnte ihm ja das Glück, aber ihr Herz schlug doch schneller, wenn sie sich verstellte, daß eine andere ihn nun besitze. Herr Professor Wohlgemuth Andrae saß, wieder einmal in Darwins „Entstehung der Arten" vertieft, an seinem Schreibtische, seine Freundin, die Zigarre, im Munde. Er halte den vorzüglichen, von Dieta be reiteten Kaffee genossen, und dehnte sich, die hageren Glieder von einem weiten Schlafrocke umhüllt, behaglich im weichen Lehnstuhle. Auf seinem Schreibtisch stand dcr HcrmcS dcö Praxitclcs, abcr der Golt wurde nie mals beachtet, nie eines Blickes gewürdigt. Nur Meta, die ihm sorgend den Staub von den olympischen Schultern nahm, kümmerte sich müttcrlich um ihn. AIS Meta an die Thür des Studierzimmers klopfte, knurrte Wohlgemuth unwillig. Was sollte daS heißen? Den Kaffee hatte sic ja schon gebracht. Ste hatte durch aus keine Berechtigung, nochmals zu lammen. Meta erschien mit einem Briefe in der Hand. ES währte lange, bis Wohlgemuth ihr daS Schreiben abnahm, noch länger, bis er eS gelesen. Er war in allem so gründlich nnd bedächtig.