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„es ist UN« ein kleiner Sechsunddreißigpsünder über die Köpfe geflogen." Der arme Chay bckecktc sich da« Gesicht mit den dreilen Hunden und kaucrlc flch nieder. „Ausgrpaßi, Herr!" rief ter Slcncrman», „es komme noch so eine Bohne ««geflogen, ich höre stc pfeifen; leben Sic wobl! ein Fust weiter links, nnd wir hatten den Garaus. Dir drille, »ie vierlc, die fü»fle! es ist unser Glück, die Kerls drüben versieben nichl zu zielen. Ja, lieber Herr, bei Trafalgar, wo ich mil dabei war, ans dem „Pluto", da babcn wir zebnlauscnd solcher Nüsse abgekriegl." — „Um eine Schalaster", mnrmcllc unser Freund schaudernd. „Was mcink der Herr?" sragic der Alic. „Nichis, guler Freund, ich meine gar nichts." ,,A» Cure Slücke, Jungens!" kommandirlc ter bapitain mit einer Stimme, wie der brüllende Nordwind, „an Eure Stücke!" Es war ein aller Haifisch, der Eapitain! die Kugeln und er waren von längst gulc Bekannte; er Halle vor Nist zappeln mögen, daß er wieder einmal Pul ver roch; sein Herz im Leibe war so fest und zäbe, wie sein gelheerlrr Schisssbut. In unserem furchtsam niedergeducklen Freund wurde die Neugier mächtig; er bod sich ein Bischen aus den Heben, um vorsich tig über Bord zu gucken. Welch' ein Anblick! die Haare stänke» ihm zu Berge; hundert Schrille vor sich sab er die Schaluppe, eine weiße Rauchwolke quoll ans ihrem Bord, mitten hindurch zuckle ein rölblicher Blitz, »nd im nächsten Moment Hörle er zu seinen Fußen am Hinler bord die Planken krachen. „Das war brav gezielt", sprach der Steuer mann. — „Na, was macht Ihr dem, da, Herr Passagier!" rief der Ca- pilain; „badt Ihr Eure Flinte bloß zur Mäufcjagd? boll sic nur her aus, Ihr könnl sie brauchen." — Unser Freund beble an allen Gliedern, ec schlich oder, besser gesagt, er schob sich zur Luke hinunter und wäre beinahe die Treppe zum Zwischendeck binadgrsturzl. Da unten in der Kajüte stand die unglückselige Flinte traurig in einen Winkel gelehnt. „Das ist sic", seufzte er, und in diesem Scuszrr lag die Erinnerung an die ganzc lange LcikenSgcschichle der letzten Tage, die ibm beim Anblicke des unschuldigen Mordgewcbrcs nur desto licicr ins Herz schnitt. Lie Beine wollten ibn nicht mehr tragen, er warf sich trostlos in die Hänge matte und empfahl seine Seele Gott. Künstler haben bekanntlich ein sehr reizbares Ncrocnsvstem, und e« ist dabcr kein Wunder, wenn bei ihnen nach der gewaltigsten Ausle gung eine plötzliche Reaktion und Abspannung cinlriii; dann sübleu sie die Mattigkeit in allen Knochen, die Lbätigkcit des Gehirn« gerät!) in« Stocken, und der Schlaf bcmeistert stch ihrer Sinne. E« ging daher auch sehr natürlich und vollkommen pbvsiologisch zu, daß Chah nach wenigen Augenblicken in seiner Hängematte cinschlics. Sein Lager warf und schaukelte ibn bin und her, aus und nieder, au« einem wüsten und seltsamen Traume in den anderen. Erst sab er lauter Engländer mil Schalastcrsekcrn an den Hütcn, sic kamen auf ibn zu, brummlcn Onsi- stain, Onststana und wollten ibn in ein Violoncell cinsperrcn. Dann sab cr lauter große Glocken umbcrlausen, und der Klöpfel in jeder war eine Sechsundkrtißigpsünderkugcl. Auf einmal lies eine Englische Scha luppe mit vollen Segeln in den Konzert-Saal zu Nizza ein; er spielte, oben aus einer Stechpalme saßc» Pbarao und Joscpv und riesen ihm auf'Acgvpiisch Bravo! zu. Dann kam der göttliche Mchul, aber in der Uniform eines Schiffs-Eapitain«, nnd kompomric eine Eanlalc mit drei Reihen Kanonen am Deck. Golt weiß, wie lang unser Freund so geträumt und geschlafen baden mag. W c cr erwachte, war c« kunkcl um ibn, und wie kunkcl! eine Finsternis, mit Händen zu greisen. Er horchte, horchte, aber cr vernahm nichts, als ein leiscS, lang anbalten- de« Pfeifen, so bohl, so schauerlich, als wenn lauter abgeschiedene See len im Winde vor seinen Obren Vvrübcrzögcn. Ein Schauder übcrlics ibn: „Wo bin ich?" dachte er bei stch, „bin ich ins Nichts versunken?" Diese schreckliche Vermulbunz wurde ibm mil jedem Augenblicke wahr scheinlicher. Kein Laut weil und brcit, Grabesstille, dicke, dicke Finstrr- niß Unser Hcld sührlc in Gedanken ein Selbstgespräch: „Ganz ge- wiß", sagte er, „ich bin in« Nichis versunken, ich liegt mitten im Nicht«; was soll ichinachcn? was kann ich hierfür ein Leben sübrcn?" Nach reiflicher Ueberlegung kam er zu der Ansicht, da« Beste in seiner Lage dürste sebn, gar nicht« I» lbun. Dicker Gedanke keuchte ibm je länger, desto klüger. Er lag eine geraume Zeil still, wie im Grabe, er regte kein Glied." Auf einmal hört er'« nicht weil von sich im Finstern mit schweren Schritten tappen. „Wer da!" rief cr mit einer Art von Leichcnstimmc. „Obo!" hört er'« antworten, „Sic liegen wohl gar noch schlascn, Herr Komödiant? Marsch, auf die Beine und heraus, die Reise ist zu Ende, wir liegen im Hafen. Chah sprang vor Ucberraschnng von der Hängematte bis an die Deckt. „Im Hasen", ries er, „Gott sev Dank!" Er lappte mil den Händen nach der Seite, wo ein schwacher Schimmer von oben berab- fiel; er stieß an eine Seiler und stieg hinaus, — siebe, da flimmcrlcn die Sterne über seinem Scheitel, gerade vor ibm lag die erleuchtete Stadt, und seine Nase spürte den Tbeer- und Brandgeruch der Schiffs- wersie. „Gott seh Dank!" jauchzte er aus tiescm Herzen auf, „wir sind in Toulon." Der alle Steiilrmann saß aus dem Deck, Cbav grüßte ibn mit cr, icichtcriem Herzen: „WaS meint Ihr, Freund, wie glücklich wir davon- gckommen sind!" — „Ja wohl", sprach der Alte, „die bciligc Jungfrau hat ihrem Schiffe zu Liebe ein Wunder geihan; just in dem Augen blicke, wie der Engländer uns nehmen wollte, schickte sie ibm den Sturm über den Hals, „»d der batte stch gewaschen. Aber wie babcn wir auch manövrin! Was meinen Sie zu unserem Manöver, Herr Komö diant? bc?" — „O, c« war ein superbe« Manöver!" — „Und was süc ein Sturm: zehn Knoten trieb er uns in der Stunde!" — Unserem Freunde fuhr jetzt erst nachträglich der Schreck über die anSgestandenc Gefahr in die Glieder. „Ums Himmclswillen", rief er, „ein Sturm?" — „Na, was Teufet!" sprach der Alte, „Sie ih„n ja, als wären Sic gar nicht dabei gewesen." — „I freilich, ja doch, ja koch, der Sturm » bimmlifcht Mutter Golles!" — Und unser Hcld stieg ganz still wieder in die finstere Kajüte hinab, um rin Salvo lioxina zu beten und seine vergessene Flinte zu holen. Einige.Minuten später sprang er, die Flinte im Sacke über den Arm, leichtfüßig wie cr war, in cincn der vielen Kähne, die ankom menden Reisenden zu Dicnstc stehen. Dev Kahn glitt hin, drei Rudcr- schläge — und der Rcisenke fühlte, zu seiner bcrzinnigcn Frrudr, festen Boden unter seinen Füßen: cr stand aus kcm massiv gcmaucrten Quai. „Goll sev Lob und Dank!" dachte er, „ich bin in Toulon, zrbn Stun den von Marseille; morgen kann ich zu Hause schn. Nun aber sür« Erste ins Quartier und zu Belte." — Er befand sich in einer langen, schnurgeraden Slraßc; zu beiden Seilen waren noch einige Läden offen und erleuchtet Bor dcm nächsten Hanse brannte eine große Laterne, und bei ihrem Scheine sab cr cincn schwarzen Adler über dir Thür ge malt. „Das wäre nun schon der dritte schwarze Aklcr auf meiner Reise", dachte er; „lhul nichis, wir wollen uichr Vorbeigehen Kellner", rief cr cintrelcnd, „ein Zimmcr und ein gutes Bctl!" — Ein maul- faulcr Bursche, der unter seiner weißcn Zipfclmützc eingenickt war, fuhr auf ken Ruf kcs Ankömmlings empor, ging wie ein stummer Nacht wandler vor ihm bcr, führte ihn in ein Zimmer, setzte Licht auf den Tisch nnd entfernte stch, ohne gute Nacht zu sagen. — „Grcbjan!" murmelte unser Freund; „aber freilich, so empfängt man Reisende, wenn sie nicht w>e große Herren angefahren kommen. Weil ich gar nichis mir mir sichre, bält cr mich sür einen Lump." — Er sand bald einen Trost sür diese Betrachtung. Die Kleider warf cr vom Leibe und sich mit innigem Bebagcn ins Bette, wie in ein erquickende« Bad. Er thal einen Schlaf, al« wollte cr alle schlaflose Nächte in seinem Leben wicker ciubringcn; er schlief lies und rubig wie ein Kinb, und lachende Träume umgaukelten ibn. Am anderen Morgen waren die Sonne und unser Freund zur gleichen Stunde auf, als hätten sie, wie Brükcr auf ' einem Lager, einander geweckt. Chay sprang auf, klcikcie stch an. schellte, und als der «uswärtcr einlrat, warf der Gast ein Fünsfranken- stück auf den Tisch mit den Worten: „Da, sür Zimmcr und Bcllk, der Rrst für Sic." Sprach's, nabm die cingcwickcltc Flinte unter den Arm nnd war mil drci Sätzen die Treppe hinunter auf der Straße. Er sab sich um. „Alle Weiter!" murmelte cr bcisällig, „'s bat prächtige Straßen in Toulon. Ich möchte mir wobl da« Arsenal besehen, wenn ich Zeit hätte. Aber die Hauptsache ist, daß ich heule noch bei Zeiten nach Marseille komme: vorwärts!" , . (Schluß folgt.) England. Ekmund Burke bei dem Tode seines Sohnes Richard. Kein Umstand in dcm Privatleben des großen Staatsmannes Burke ist von solchem Einfluß auf sei» össcntlichcs Lebe» gewesen, al« der frühe Tod seines einzigen Sohne«. Ein solcher Verlust wird zwar auch von manchem andcreu Vater lief empsimden: aber im vorliegenden Falle machlcn die besonderen Umstände und die Verhältnisse zwischen Vater nnd Sobn dicsc Prüfung zu der härtesten, wrlchc den Menschen auf- crlcg« werken kann. Unbekannt und obnc Freunde hatte Burke seinen Geburtsort in Irland verlassen, aber bald und schon al« Jüngling war er ein Gegen stand allgemeiner Aufmerksamkeit geworden. Nock) nicht lw Jahre alt, nabm er bereit« im Gebiete der schönen Wissenschaften und der philo sophischen Kritik eine auSgezcichnctc Stelle ein, und vor dem 4l)stc» stand er aus cincr der höchsten Stufen männlicher Thätigkeit. Er batte die glänzendsten Rednergaben entwickelt und gehörte schon zu den ge feiertsten Staatsmännern seiner Zeil. Ncunnndzwanzig Jahre nach seinem ersten Eintritt in« Parlament übertrug Burke seinem Sohne Richard seinen Sitz sür Mallon, damit cr in de» öffentlichen Geschäften diejenige Rolle übernähme, wclchc, in de« Baier« Augen, seinen Talenten am angcmcffk»sten war Der große Staatsmann fübllc allmäliq die Beschwerden de« Alter« und wollte am Abend seine« Leben« tcn ihcurcn Sobn aus dieselbe ehrenvolle Bahn führen, die er vor ibm betreten balle. Richard wurde zur großen Freude de« Baler«, bald nachdem cr scincn Sitz im Parlamente einge nommen, Secretair dc« Lord Fitzwilliam, Statthalters von Irland. Bei einem Diner, welches cr bei dicker Gelegenheit verschiedenen Freunden gab, unterhielt der Bater scinc Gäste von der glänzenden Laufbahn, die seinem Sobn jetzt bevorstebc. Der Sohn war zugegen, und obschon Keiner seine Gedanken zu äußern wagte, so erregte doch die hektische Rölbe aus Richard'« Gesicht bei Vielen von der Gesellschaft, statt froher Hoffnungen, traurige Besorgnisse. Diese Besorgnisse waren nur zu wobl grgründet. Brocklesbv, der Hausarzt, welchen Burke übcr den Zustand seine« SobiicS, ken ec selbst nur sür unpäßlich hielt, zu Rache zog, zweifelte nicht, daß Richard an der Auszehrung leide. Da Brocklesby jedoch wußte, wie sehr der gefühlvolle Vater an diesem einzigen Sohne hing, so hütete er sich wobl, ihm die wahre Natur der Krankheit zu culdccken. Die Familie Burke zog nach Cromwell-Houke in Brompton, wo Richard, vor seiner Reise nach Irland, in der freien Landluft sich erholen sollte, k« erfolgte aber da« Gcgentbeil: sein Zustand ver schlimmerte sich hier plötzlich, und endlich mußte man dcm Vater die traurige Wabrbcil eröffnen. Von diesem Augenblick an — c« war nur eine Woche vor Richard'« Tod — konnte der alle Burke kaum noch schlafen oder Speise zu sich nehmen und klagte unaufhörlich, bis zu der Stunde, in welcher da« Grab über seinem Sobnc sich schloß. Mcbrere Briese, die er im Verlaus dieser Woche (Auaust I7S4) schrieb, zeugen von dem GemülbS-Zustande dr« unglücklichen Baier«. So sagt cr unter Ankcrem in einem Schreiben au s)p Lawrence, seinen wohlbekannten Frcnnd: „Die Aussichten sind traurig genug, obschon die Aerzte mir znrrdcii. ich solle die Hoffnung nicht schwinden lasscnl Sein Magen behalt' keine Speise mehr, weil die Tracbca am enteren