Volltext Seite (XML)
124 Dumas' Werken ist keine Spur von Stil, eS ist keiner möglich, oder er weiß seinen Personen mehr sinnliches, greifbares Leben'zu geben. Bon welchem unter den Dreien das Meiste sür die Zukunft zu hoffen sev, wer mag's entscheiden? Die Bedingung ist, daß Jeder aus seiner »inseitigen Natur und Manier herauStrcle; dazu gehören, umfassende Studien und hauptsächlich poetische Gewissenhaftigkeit. Freilich darf und kann de Bigny das sinnliche Element von Dumas nicht kopiren; freilich kann Dumas mit seinem Wesen nicht in die elegischen Motive de Bignv's eingehen; so ganz zieht Niemand seine Natur aus. Aber Zeder von ihnen hat Kräfte und Eigenschaften, woran das Talent der beiden Linderen lernen und sich befruchten kann. Gust. Planche. England. Englische Zeitungs-Annoncen s?uL). Die Industrie wird in England alle Tage erfinderischer. Sie hat eS mit einer reichen glanzliebrnden Aristokratie zu thun, die das Geld mit vollen Händen wegwirsl, die aber auch auss unvergleichlichste be dient sehn und jede Laune, jedes Gelüst aufs prompteste und vollkom menste befriedigt sehen will. Zu London namentlich giebl es ein große« Publikum von Leuten, die in Luxus, Müßiggang und Langeweile dabin leben und herzlich froh sind, wenn ihnen Jemand mit Rath zur Hand geht, wie sic ihre Banknoten und Guineen auf gute Art und fashiona- belem Wege los werden können. Täglich nehmen sie, um die Zeit zu tödlen, eine beträchtliche Zahl von Zeitungen, Journalen und dgl. zu sich, und auf diese Leserklaffe sind denn hauptsächlich die Anzeigen be rechnet, mit denen die Gewerbetreibenden aller Art ihre Waaren und - Dienste ausposaunen. Mil einer einfachen schlichten Ankündigung reicht man aber bei so langweilige» und gelangweilten, trägen und für Alles abgestumpften Lesern nicht auS; man muß sie aus ihrer Apathie wecken, ihre Neugier stacheln und cS durch alle mögliche Kunstgriffe dabin bringen, daß sie eine Ankündigung wirklich ins Auge fassen, sie lesen und sich dafür interessiren. Die Zeitungs-Anzeige tritt daber in Lon don neuerdings in allen möglichen Formen und Einkleidungen auf;'sie kostümirl sich als Episode, bald episch, bald dramatisch; sie dehnt sich zu einer Erzählung, zu einer Novelle, zu einem kleinen Roman. Der Leser meint, eine hübsche Geschichte oder eine Tagesneuigkeit zu lesen, die ihn inleressirt, die ib» spannt; er liest sie gierig zu Ende, und stehe da, die Floskeln, die hochtrabenden Phrasen, der Schreck, die Rührung, da« Mitleid, — worauf läuft das Alles hinaus? auf die Annonce eines Krämers, eines Tanzmeisters oder eines SchuhwichS- Fabrikantcn. In dieser neuen vervollkommneten Gestalt führt die Annonce den Kunstnamen Puf. Es giebl Künstler, Virtuosen, die den Puf in jeder beliebigen Quantität und Qualität, in allen möglichen Dimensionen und Manieren darzustellcu verstehen. Ja, es ist jungst ein Büchlein dar über erschienen, voll Scharfsinn und Gelehrsamkeit, zum Gebrauch für das gewcrblreibcnde Publikum und für Zeitungs-Redaktoren. Wir lassen hier ein Pröbchen von der gewöhnlichsten Art folgen: „Gestern Abend trug sich am Strand ein erschreckliche« Unglück zu. Das Baugerüst von einem Hause stürzte plötzlich ein; ein Greis von ehrwürdigem Ansehen wurde von den fallenden Holzstücken am Kopfe getroffen und schwer beschädigt. Man hob ihn auf und trug ihn in die benachbarte Offizin des Apothekers Pickcrgill; das Blut strömte aus seinen Kopfwunden, er gab kein Lebenszeichen; zwei eilends herbeige- rufene Acrzte bemühten sich vergebens, ihn zu sich zu bringen, und ent fernten sich mit der Erklärung, er wäre todt. Aus de» Papieren, die man in seinem Portefeuille fand, ergab sich, daß er Sir Thoma« 8 ... heiße, al« Gutsbesitzer in Nottbumberland ansässig und gegenwärtig »ine« Prozesse« halber nach London gekommen sey. Mehrere Personen, die Zeugen de« Vorfalles gewesen, eilten jetzt, den Coroner zur Todlen schau herbeizurufcn. Als dieser mil seinen Beamten in das Zimmer de« Apotheker« trat, war da« Erste, was er sah, der vermeintliche Todte selbst, der aufrecht auf dem Stuhle saß und ganz munter aussah, nur daß ein Verband um seinen Kopf gelegt war. Sir Thomas spaßte mit Len Gerichts-Beamten recht witzig,' wie er jetzt wohl sein Leichen-Pr«- «okoll ausnehmen sollte: Gottlob, sagte er, ich werde beule nicht an Plulo's Tafel, sonder» in Prince-Regent-Tavern zu Nacht speisen; meine lieben Neffen möge» immer noch ein Paar Jährchen warten, ehe sie mich beerben. Daraus empfahl sich der alte Herr, nicht ohne dem Apotheker eine» ansehnlichen Beweis seiner Dankbarkeit zu hinterlassen. Der Coroner verwunderte sich; die Leute vollends, die deu Coroner ge holt, waren vor Erstaunen ganz außer sich: sie batten den Mann ver lassen, wie er mit gräßlich zugerichictcm Kopse, über und über blutend, für todt da lag, und jetzt fanden sie ihn woblauf, gesprächig, fröhlich, rührig, und er ging mit dem besten Appetit von der Welt zu seinem Diner. Wer halte dieses Wunder bewirkt? Herr Pickergill mittelst einer einfachen Kompresse, die er um den zerschlagenen Kops de« alten Man ne« legte, und mittelst seines vortrefflichen WundwafferS, wodurch ihm schon unzählige glücklich» Kuren gelungen sind an Leuten, die fünf Stockwerk hoch zum Fenster heruutergesallen waren oder gar in einem Anfall von Spleen sich eine Kugel durch den Kopf geschossen ballen." Ueberhaupt muß man bemerken, daß die Londoner Apolheker sich trefflich aus den Puf verstehen; Alles muß ihnen Verhallen, Anekdole und Weltgeschichte, Tragödie und Komödie, Entsetzliche«, Pathetische« und Komische«. Jede Spezerei, jede Arznei hat in diesem Genre ihre eigene Literatur. Aber rö gehl »ich! immer so gewaltig her, daß Häu ser einstürzen; wir geben Folgende« als Muster eine« ruhigere» StylcS: „Job» R der Sohn einer reichen Familie, war von Jugend auf brustkrank. Sei» Zünglingsalter verstrich ihn, kläglich unter uuaus- hörlichen Leide»; er war Erbe eine« großen Vermögen«, aber er hatte keine» Genuß davo». Gegen sein dreißigste« Jahr verfiel er in den höchsten Grad der Lungensucht, die Acrzte gaben ihm nicht lange mehr zu leben. Darüber freute sich Niemand mehr, als seine Bellern und mulhmaßliche» Erben. Es ging schnell mil dem Kranken abwärts, er schleppte sich tagtäglich zusehendg dem Grabe näher; seine Füße trugen ihn kaum; mit seinem bleichen, abgefallenen, bohläugigen Gesichte sah ec au«, wie ein dem Todlengräbcr entronnene« Gespenst. Unter solchen Umständen setzten jene Verwandte alle schonende Rücksicht bei Seite, ste spekulirten offenkundig aus ihre« Vetters Tod und machlerz im Vor aus Schulden aus seine Güter. Dieses Benehmen empörte de» Kran ken so lief, daß er sich Plötzlich entschloß, seine Bellern zu enterben und all sein Vermögen auf eine Leibrente anzulegen. Der Bcvollmächligle des Entrepreneurs der Rente kam mit einem Arzte, sich von dem Ge sundheitszustände Joh»'« zu unterrichten, und da c« zum Sterben mit ihm ging, so wurden ihm unbedenklich fünfzehn Pcocent jährlich als Rente von seinem Kapital bewilligt. Der Vertrag wurde rechtskräftig auSgeserligl und unterzeichnet, und der todtkrankc Mann sah aus ein mal seine jährlichen Einkünfte verdreifacht. Die ganze Familie John « aber erhob ein lautes und wüthendc« Geschrei gegen ibn: er wäre un dankbar, hieß es, herzlos, niederträchtig gegen die Seinigen und oben drein ein elender Dummkopf, für sein ganzes Vermögen eine Leibrente auf ein Vierteljahr zu kaufen; denn länger würde er's doch nicht ma chen. In der Thal ging es mit Joh» alle Lage schlimmer. Eine« Ta ges, nach vielen Monaten, werden sämmtliche Verwandte in John « Hau« eingeladen; ste zweifeln nicht, daß e« dem Begräbnisse ihre« lieben Vetter« gilt, und wahrend stc sich zur Trauer - Ccremonic in liefe« Schwarz kleiden, wünschen sic im Hcrzen den Verstorbene» zu allen Teufeln, der über all seinen Besitz so lhöricht und bosbafl verfügt und ihnen nicht« zu erben gelassen habe, als sein Mobiliar-Vermögen. Wer schildert nun aber ihr Erstaunen, al» ihnen bei ihrem Eintritte in das Hau« Iobn selbst entgegen kam, gesund, frisch und munler und bei der besten Laune, und als er sie, stall zu einem Lcichcnzugc, vielmehr zu einem trefflichen und reichlichen Frühstück um sich versammelte, wobei er selbst in alle Gerichte wacker mit cinhieb und allen Weinen die gc- bührcnde Ehre anlhal. Nach dem Frühstücke machte man einen weilen Spaziergang; John marschirle srinc Slrecke wie ein Held und schien gar keine Anstrengung zu verspüre». Ware» die Herre» Vetter» dar über nicht wenig verblüfft, so hätte der Spekulant, welcher Job»'« Ka pitalien und Güter aus fünfzehn Procent jährlicher Leibrente genommen Halle, sich vollends die Haare allsrauscn mögen. Er kann sich die schönste Hoffnrmg machen, die Rente noch »»»besten« vierzig Jahre lang zu bezahle»; den» John R ... . ist seitdem an Gesundheit und Stärke ein wahrer Athlet geworden; er ist verbeiraihel, bat zwei Söhne und hofft, Urenkel zu erleben, um sic zu lehren, die Morison'schcn Pillen ewig in dankbaren Ebre» zu ballen, diese wnnderlhäligen Pille», dir wahre Lcbensreltu»g für alle Schwindsüchtige." (Schluß folgt.) Mannigfaltiges. — Leontine Zuczkowska. So heißt die ausgezeichnetste jetzt lebende Polnische Schauspielerin. Die Nalioualbühuc in Warschau be sitzt überhaupt eine Auswahl tüchtiger Künstlrr. Freilich giebl e« außerdem nur noch zwei oder drei Polnische Schauspieler-Gesellschaften, aber es scheint in der That, daß gerade da, wo die dramatische Kunst nicht allzu sehr im Lande verbreitet lst, wie dies auch in Deutschland noch in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts der Fall war, die aus wenigen Punkten konzcnlriricn Talente sich gegenseitig mehr an einander entwickeln und ausbilden können. Wundern wir uns daher nicht, wenn ei» Reisender uns erzählt, daß er in Warschau Schiller'« „Jungfrau von Orleans" in einer Polnischen Uebersetzung viel gerun deter habe barst eilen scheu, als auf irgend einem Deutschen Theater. Besonder« aber ist es Leontine Zuczkowska, die als Jeanne d'Arc »inen wunderbaren Eindruck machen soll. Die drei Lcbcnsmomcntc der Jung frau, da« einfache Hirtenmädchen, die gollbegeistcrie Seherin und Hel din, und endlich da» liebende Weib soll sic mit so zarlcn Ucbcrgängcn und so voll künstlerischer Wirkung geben, daß der leicht zerstörbare poetische Duft, den der Dichter über seine Schöpfung gehaucht hat, un- vcrlümmeit auch in der theatralische» Darstellung blribl. Ihre Gestalt und die Grazie ihrer äußeren Bewegung sollen an die reizende Fanny Eisler, ihr Organ aber und ihr ergreifendes Spiel an die verstorbene Sophie Müller erinnern. Während ihr Rollenfach, besonder« in den au« dem Französischen übersetzten Stücken, im Ganzen mit dem der Dlle. Lancestre übercinzustimmen scheint, versucht sie sich doch auch in den entgegengesetzte» Extremen, und so giebl sie unter Anderem die alte Zigeunerin Biarda in Wolff« und Webers „Preciosa" mit einer Wahrheit, die die Anschauer vor dieser gespenstischen Wahrsager:» er schrecken macht. Sie lacht, indem sie zu dem alten Spanischen Grande sagt: „Ei, gnädiger Herr, wenn meine Enkelin Preciosa Euren Soh» beiraihet, so bin ich ja Eure Verwandte", aber sie lacht dann mit so dämonischer Gewalt, Laß sich das Gelächter unauslöschljch j» das Ge- dächtniß einprägt. Schade, daß das Polnische so wenig bei uns ver standen wird; wir würden sonst die Künstlerin einladen, auch in Deutschland einmal Schiller s Jungfrau und die alte Biarda zu geben: Denn gerade die fremde Auffassung Deutscher Rollen könnte uns viel, leicht noch eine ganz neue Seile an ihnen zeigen, wie uns ja ost auch Engländer versichert haben, daß sic bei gute» Deutschen Aufführungen Sbakespearischer Stücke manche Schönheit derselben kennen gelernt batten, die ihnen bei der tvpischrn nationalen Darstellung ihre« großen Dichters ganz entgangen sev- H»rau«gegebcn von der Redaction der Allg. Preuß. Staats-Zcünnz. Rcligitt ron I. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Havn.