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123 verruchter, unsinniger Trennung zwischen Leib und Seele, wobei jener entweiht wird und diese dennoch rein bleibt; auf der einen Seile die keusche, gehorsame, duldende Gattin, auf der anderen eine Buhlerin, die ihren Leib dem Manne vcrkaust Hal, den sie tödtlich haßt, aber dafür dem Manne, den sie wirklich liebt, ihre Liebesgunst versagt. In so kindisch und gewaltsam aus einander gezerrten Gegensätzen gefällt sich nun Hugo und redet sich ein, hier habe er ganz" neue und großartige dramatische Charaktere geschaffen. Daher der weile und klägliche Ab- stand, wenn man Hugo's drei letzte Dramen mit seinen drei ersten ver gleicht. Denn erstlich ist das bloße Motiv des Gegensatzes, und sey es noch so gewaltig durchgesührl, im Vergleich mit einem wahren, liefen lyrischen Gedanken immer etwas AermlicheS, Oberflächliches. Zweitens ist dieses Gesetz der Antithese, dem Hugo für sein Drama huldigt, ein sehr thrannisches und launenhast gefährliches, das ibn immer weiter und weiter zu schweren Verirrungen fortgerisscn hat. Er ist ans diesem Wege vom Drama zum Spektakelstück herabgesunken. Indem er mit aller Gewalt durch Gegensätze Eindruck bei den Zuschauern bewirken will, so klammert er sich, weil das bloße einseitige Ausweisen des Ge gensatzes innerlich nicht rührt und nicht rühren kann, an dir äußerli chen Mittel, wodurch derselbe in der Wahrnehmung der Menge recht schlagend versinnlicht wird. Darum lhut es ihm Noth, uns auf der Srene finstere Kerker neben glänzenden Paläste», Sack und Asche dicht neben schwelgerischer Pracht, den groben Kittel neben Sammel und Seide vorzuführen. Der Decoralions - Maler, der Maschinist, der Theater-«Schneider haben ihm helfen müssen, die Antithesen zu realisi- rcn und deutlich hcrauszuardechen. Was bietet er nicht auf für seine Stücke, wie viel verschwendet er an Farbenpracht, an äußerlicher Schau, an verborgenen Treppen und Thüren, an vergoldeten Knäufen, an strahlenden Zinnen, an Kronen, Mänteln, Pcrle»schmnck, Halsbändern, Ritterrüstungen; der reichste König- und Kaiscrhof Europa'- kann sich keines größeren Luxus rühmen. Trotz alledem aber hat er das Publi kum nicht gewonnen, nicht gefesselt. Wenn seinen ersten lyrisch dramatischen Erzeugnissen eine Verken nung der Natur des Dramas zu Grunde lag, so legten sie doch Icug- niß ab von einem schönen dichterischen Bestreben, und darum konnten einsichtige Freunde der Literatur ihm ihren Beifall nicht versagen. Er war in einem Irrlbum besangen, aber er kämpfte und strebte mit Ehren vorwärts; der poetische Geist und Inhalt seiner Schöpsungen errang den Erfolg trotz der unangemessenen dramatischen Form, — und wenn er das Unmögliche erstrebte, so erstrebte cr's doch auf Wegen und mit Mitteln, welche die Kunst für erlaubt «»sehen durste. Damals mußte, auch, wer mit Hugo's Meinungen nicht übcrcinstimmie, doch seine Ueberzcugung und sein Streben in Ehren hallen. Jetzt hat der Irr- thum auch ibn auf einen Boden geführt, den die wahre Literatur zu ihrem Bereich zu ziehen verschmäht; sein lyrischer Genius ist von der Höhe auf die Bretter berabgcsiicgcu und macht, der gaffenden Menge zur Augenweide, Kunststücke mit der Antithese, Theater-Effekt mit glän zenden Puppen und Dekorationen. Seine früheren aufrichtigen Freunde sehen ihn mit großem Bedauern auf so hoffnungsloser Bahn. Mit „Lucrccia Borgia" sab man sich j» früheren Hoffnungen getäuscht, mit „Angelo" schien leider über Hugo's Zukunst als dramatischer Dichter der Stab gebrochen zu sehn. V. Alfred de Vigny. . Alfred de Vigny fleht als Theaterdichter aus einem eigenen Boden, lind der Grund dieser Eigenthümlichkcit ist in seiner Persönlichkeit, in seiner Stimmung und Gesinnung zu suchen. Sein erstes Drama, „die Marschallin d'Ancre", und sein letztes, „Ehalierion", find sreilich in Anlage, Plan und Fabel himmelweit von einander verschieden. Dort eine vielbcwcgtc, ercignißrcichc Handlung, hier nur die stille Entwickelung eines Charakters; dort eine laute, weilauSgreisende Bewegung, hier die Darlegung einer liese» Innerlichkeit, die Reflexion. Und dennoch ist eine Analogie, eine Grundähnlichkeil in beiden "Glücken, natürlich nicht in der äußeren Fassung und im Verlause der Handlung, sondern in der Intention, welche der Dichter in die Haupt-Charaktere legt. Diese In tention und die dichterische Eigenlhünüichkci« Alfred de Vigny's über- baupt ist wesentlich elegisch. In der „Marschallin d'Ancre" sind mehrere sehr vorzügliche Sccncn; die Unterredungen namentlich, die dem Stücke zur Exposition dient», sind höchst anziehend, voll treffenden Sinnes, voll Eleganz. Aber die Wahrheit ist, daß es auch diesem Drama an Handlung schtt. Ma» versiehe unS recht: Ereignisse sind viele darin, aber eine Folge von Ereignissen ist noch lange keine dramatische Hand lung. Mil Ereignissen gicbl die Geschichte sich zufrieden, uud der Dich- lcr kann sie ihr enllchncn; seine Sache ist's, eine Handlung durch diese Ereignisse hindurch zu schlingen. Das Verhör der Leonor« Galigai, der Zweikampf, womit das Glück endcl, das sind laulcr Scene» voll Erha benheit, voll Erschütterung, voll Pathos, die noch heule in höchster Lebhaftigkeit vor unserem Gedächlniß stehen; aber der Erundzug des Charakters in dieser Leonor« bleib«, so gut wie im Chatterton, immer elegisch. Alfred de Vignv's poetisches Talent zeichnet sich vor anderen durch eine »ngtmcine Reinheit, Zartheit, Anmulb aus, und mit alle» diesen Gaben entfaltet es sich am schönsten in der Darlegung des inneren Seelcnschmcrzes, in der Klage. Nu» ist cs zwar au sich nicht unmög lich, daß ein Dichter in zwei ganz verschiedenen Gattungen der Poesie Vortreffliches leiste; aber der Elegiker wird doch unter Allen «in meisten zu ringen und sich zu kräftigen haben, ehe er seinen Erzeugnissen das wahre dramatische Leben einbauchcn kann. Wenn wir nun »ach jenen beiden Probestücken von Alfred de Vigny'S dramatischem Berus »rthei- len sollen, so findet sich, daß er in dem erste» einen recht entschiedene», erfolgreichen Schritt zur dramatischen Coinposition geldan Hal, daß er aber mit dem zweite» ganz und gar wieder zum Elegischen zurückgekchrt ist. Alle Elemente, welche der Dichter in „Chatterton" dramatisch ge stalte» hat, find eigentlich und in Wahrheit elegische. Sehr erwünscht, sehr zur rechten Zeil ist dieses Drama über unsere Bühne gegangen; die geistige Reinheit und Höhe der Gesinnung, mit einem Wort der Spiritualismus, krasl dessen es anfgesaßl und geschrie ben ist, Hal heilsam, läulernd aus den Geschmack des Publikums und hoffentlich auch auf die dramalischc Literatur eingcwirkt, die beide sich im Krassen zu verlieren drohten. Der Beifall, womit Chatterton aus genommen worden, die andächtige und innige Tbcklnahme des Publi kums an einem dreiakligen Stück, dessen ganzer Inhalt die Einsamkeit, die Verlassenheit eines armen Dichters ist, — dies konnte als eine wahre Reaktion gegen die jüngsten Succcffe von Dumas, und Victor Hugo angesehen werden, eine Reaclion, die Mancher gewünscht, Mancher vorhcrgescbcn, die aber auch mancher Schwachgläubige für unmöglich gehalten hatte. Wir haben daran Gottlob gesehen, daß unsere Bühne noch für Besseres empfänglich ist und nicht für ewig an die Reizkünste der Sinnlichkeit und an den Pomp dec Spektakel-Stücke verfallen. Unsere Zufriedenheit hierüber darf uns aber nicht zu einem allzu gün stige» Unheil über das eigentlich dramatische Verdienst des Chatterton verleiten; eS ist ein elegisches Sujet in der zartesten und harmonischsten Darstellung, cs ist überall herrlicher, licscr Ausdruck des Gefühls. Aber wir dürfen mchl wünschen, daß solcher Erzeugnisse mehrere aus einander folgen. Im Gegensatz gegen den Materialismus, der die Bühne einge nommen hat, Helsen sie de» theatralischen Si»n und Geschmack lauter»; zum Typus des Drama geworden, würden sie sehr bald alle Welt gleich gültig lassen und langweilen. Wenn der Spiritualismus sich im Drama als in einem Organ hat offenbaren können, so muß er in seine» kräf tigste» Manifestationen auslreten, nicht in seiner gedämpftesten, in der elegischen; die Stimme der Klage, töne sie noch so ergreifend, aus noch so reiner Höhe des DichtergeistcS und der Gesinnung, wird ihre Wir kung zwar auf einen Leser nicht verfehle», den Zuschauer aber leicht erschlaffen und ermüden. Es ist löblich von' de Vigny, daß er den besseren Theil des Menschen, den Dumas verleugnet und Hugo entstellt, daß er die unsichtbare Kraft, die Ahnung der inneren Schönheit, die keine stürmisch wilde Begierde erregt, daß er dies Alles in sei» Drama ausgenommen, daß er den Kampf gegen den krassen Sensualismus auf dem Theater erhoben hat. Aber weil Chatterton applaudirt wordc» ist, darum ist noch lange der Sieg des Besseren nicht gewonnen. Man vergesse nicht, in welchem Zeitpunkt dieses Stück auf die Bühne ge kommen ist, ganz kurz nach den famoseste» Produkten von Dumas und Hugo, als das Publikum ganz erschrecklich blasirt, als der große Haufe des beständige» Schauspiels von Ehebruch und Schaffet satt geworden war und alle Well durchaus nach Erregungen von besserer und edlerer Art schmachtete. Die stille, verschämte, gegenseitige Liebe des Chatter ton und der Kitty Bell war ein wohlthÜtiger, ein anziehender Ruhe- xunkl für die überjagte ermattete Schaulust; die« und der reine schöne Stil, die Vollkommenheit der dichterische» Ausführung, erklärt den Bei fall und die Gunst, welche der Dichter mit diesem Stück gewonnen hat. SchlilßIvor t. Wir haben hiermit unsere Meinung über die heutigen Tbcatcr- Schristflcller ausgesprochen, ohne unseren Widerwille» oder unsere Vor liebe für die Sache zu verhehlen. Man wird uns unbillige Strenge gegen die Meisten vorwcrfcn wolle» u»d uns »achsagcn, wir sehen Pessimisten. Wir könne» aber unserer Uebcrzeugung nach dem, was wir vor uns sehen, nicht abhelfen. Viele werden uns angrcifen, weil wir unumwunden hcrauesagcn, was sie selbst eigentlich auch denken, aber öffemlich zu äußern für mißlich halten. Wir meine» aber, was Einer über solche Dinge in« Stille» denkt, das ist er gehalten, der Well zu sagen; den» wer wäre »och ein solcher Narr, sich auf literarische Studie» und auf Kritik zu verlegen, wenn am Ende alles liefen Nach denkens sich das Axiom herausflellt, daß er — da« Maul ballen muß. Ich weiß wohl, wenn man schweigt, oder wenn man so vorsichlig ist, die Fragen hinzustellen, aber die bedenkliche Antwort für sich zu behal ten, so heißt man ein guter Mann, rin wohlwollender Geist, und er wirbt sich wohlfeil Freunde. Aber solche Freundschaften sind auch da nach, sie halten kein sreimülhigrs Wort aus. Es bleibt wahr, daß die Lyrik und der Roman heute in Frankreich weit Höber sichen, als das Dram«; jene beiden Gattungen sind durch prciswürdige, kunstgcmäßc Schöpfungen vertreten, die einen Anspruch aus Dauer haben. Es wäre uns freilich lieber, wenn wir das heutige Drama auch loben könnten, aber es wäre nicht einmal leicht, iy diesem Sinne zu lügen; wir wür den uns selber peinigen und doch Niemande» täuschen. Die Wahrheit frank und frei ist hier.das Beste, das Sicherste, das Leichteste. Wen» man die genannten dramatischen Autoren mit einander ver gleicht, so sich» man, daß Jeder von ihnen sich an eine besondere Klaffe von Leute» wendet: Scribe namentlich an die Financiers und BanquierS, Dela- vigne an die ehrbare Mittelklasse, Dumas, Hugo und de Vigny an die lite rarisch gebildete Jugend in ihren verschiedenen Richtungen. Danach gestal tet sich das Publikum, welches sie finden. Was bei Scribe eigentlich alle» Stücken zu Grunde liegt, sst Baarschast in Barren oder Münzen; bei Delavignc ist eS Moral, in allerhand Sentenzen von dem Glück der Ruhe und von der nur«« mestiovrilas. Scribe und Delavignc haben es mit dein Theater eigentlich gar nicht in so fern zu lhun, als es eine literarische Institution ist; sie schreiben nur ihrer Zuhörerschaft zu lieb, die es gern^bat, wenn man das Geld und die goldene Mittelmäßigkeit lobt; geschickt dies zu ihrer Zufriedenheit, so verlangen die Gcld- menschrn und die Bürgersleute nichts «eiter. ES bleiben also nur die Drei, Hugo, DumaS und de Vigny, welche eigentlich die dramatische " Kunst in Händen habe». Es wird sich Mancher wundern, der weint, seine Proben abgelegt zu habe», daß wir ihn nicht mitzählc»; aber wir könne»'- nicht auf unsere Verantwortung ncbme». Jene drei Kämpen repräscntircn, ziemlich deutlich, drei dramatische Typen: dcn sinnliche» Drang, die schaumäßigc Pracht und die weiche elegische Musik. Darin spricht fick auch ihre Nnvollständigkeit cmS. Hugo und de Vigny siebt größere Vollkommenheit und Kcrrcktheit des Stils zu Gebote; in