Volltext Seite (XML)
Wick'nMch erscheinen drei Rumnier». Pränamcrastons- PrnS 22^ Sgr. (j Tdlr.) vierteljährlich, Z Tdlr. für dar ganze Jahr, ohne Er- hähung, in allen Theilen der Prenliischen Monarchie. für die Man pränumerlrt auf diese« Beiblatt der Allg. Pr. Staats- Zeitung in Berlin in der Expedition (Modren - Straie Nr. 24); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wvhllöbl. Pvst-Aemtcrn. Literatur des Auslandes. ^-1/ 6. Bertin, Freitag den 13. Januar 1837. England. Die Französischen Emigranten in London. Jugend - Erinn er» ngcn, von Miß Mitford. Miß Maria Russel Milford gekört zu den besseren jetzt lebenden Schriftstellerinnen in England. Liebenswürdig und wahr in ihren Dar stellungen, zeichnet sie sich noch besonders dadurch von ihren literarischen Landsmänninnen ans, daß sic nicht, wie manche derselben, unweidlich und anmaßend auf dem Tummelplatz der Parteien politisch liebäugelt. Weil cnlsernl, wie eine ihrer Schwestern im Schrislstellerthum, die Blößen der poetischen Schöpferkraft und Beobachtungsgabe mit torysiischen und anderen aus der polnischen Lust gegriffenen Deklamationen verdecken zu wollen, bewegt sich Miß Mitford vielmehr innerhalb der Grunzen der schönen Wissenschaften auf dem anmuthigcu Gebiete des Geschmacks und erobert in den Herzen der Lories und der Whigs gleich innige Verehrung. Zu ihren Beschreibungen der häuslichen Sitten in ihren zarten Abstufungen Hal sie vor kurzem nachstehende- Genre- Bildchen gereiht, welches die Französischen Emigranten in London zur Zeil der Revolution in den Neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zum Gegenstände hat. Wir lassen sie selbst reden: „Noch nie sind Verbannte von so plötzlich hercinbrcchenden Be drängnissen, von einem so schnellen Wechsel des Glucks uud von einem so zu Boden druckenden Elende getroffen worden, wie es die Französischen Auswanderer wurden. Die zarten Glieder, die gewohnt waren, sich in Seide zu Hullen, fühlten jetzt die barte Berührung grober Wollcnzeuge; der Hermelin machte dem Kittel Platz, und der Purpur gehörte nur noch der Erinnerung an. Vor wenigezi Monaten herrschte man noch im Reiche des Vergnügen- und erschöpfte es; jetzt weist uns das Schick sal au die Woblthätigkcit, wenn wir unseren Hunger stillen wollen. Comfort, Wohlleben und verfeinerte Genüsse waren die Elemente, in welchen ihre Seele bisher geschwelgt; jetzt muß nlan alle noch gerettete Trümmer der Kraft des Dasevns sammeln, nm die neuen ungeahnten Nolhwcndigkcilcn ertragen zu lernen; man muß alle stoische Tugenden in Tbäligkeil setzen, um mit Enlbehnmg und Dürftigkeit vertraut zu werden. Wer von ihnen hätte sich nicht geschämt, mit Industrie und Handelsgeschäften die geringste Gemeinschaft zu habe»? Und jetzt mußten Liese Hochgeborenen ein Handwerk oder ein arbeilvolles Gewerke er greifen, um sich einigermaßen gegen Noth zu schützen. Diejenigen Menschen, welche bisher vom Schweiße Anderer gelebt hatten, mußten nun unter Fremden versuchen, vom Schweiße ihres Angesichts zu leben; die stolzen Höslinge Von Versailles, dir Pairs von Frankreich mußten im Auslande ihr Brod suchen und arbeiten. Doch der Französische Naiional -Charakter setzte die Bewohner London s,, Picmoni's und der Rheinländer bald in Erstaunen. Jene Noblesse, die noch voll von Erinnerungen des gestrigen Glanzes war: zarte Frauen und flatterhafte Herren sanden sich in dir Ailsordcrungrn ihrer neuen Lage und waren groß im Unglück. Hier zeigte sich jene beispiellose Biegsamkeit im Wesen ter Franzosen, jener leichte Sinn, jene Entschlossenheit beim Uebergange von einer Lage zur anderen, jene lirbenc-würkige Frivolität, die an den herbsten Seilen de« Unglücks scherzend vorbeischtüpst und ibm die eriräglichsten Seilen abgewinnt; hier zeigte sich jene Französische Elastizität so vorthcilhasl, daß beson ders wir nicht so wankelmüthigrn Kinder des Nordens unsere Bewun derung nicht unterdrücken konnten. Ich kannte einen Emigranten, der Salat verlauste, und einen anderen, der im Frisiren Unterricht rrtbeille. Haben aber darum diese neugebackenen Gewerbsleuie ihre vormaligen Wappen zerbrochen? Haben sie dem Titel Vicomte und Marquis ent sagt und ihre Erinnerungen verleugnet? O nein! Sie bewahrten noble Gesinnungen unter den Beschäftigungen der Armulh und stellten ruhig ihren ehrenvollen Fleiß zwischen die chimärischen Prätensionen der Ver gangenheit und die rechtliche Anstrengung de; Gegenwart. Die Schön geisterei, die Galanterie, die pikante, leichtfertige Csnversalion, die Fri volität des Geschmacks, die Grazie des Thuns, die tausend kleinen Eigenheiten, die Znirigue» und die Koketterie — Alles war zugleich mit dem Puder und Leu Schönpsiäsierchen von Versailles und Triäuon aus» gewandert. Dies Alles, aus seinem eigentlichen Rahmen gerissen, ohne die dringend nölhige Folie des Reichthums und der Macht, kam den Leuten z» Koblenz und London sonderbar, lächerlich vor; allein unter der lächerlichen Oberfläche lag ein heroischer Muth verborgen. Die scheinbare Unvcrändcrlichkeit des allen Dünkel- erregte Spott beim ge meinen Hausen, aber die wahre Gcsinnnug der Unglücklichen, ihre Er gebung und ibre Geistesgegenwart weckten Bewunderung und Rührung bei denen, die ihnen näher kamen. Ich war noch Kind, al- sich die Französischen Emigranten über England ergossen; ein sehr natürlicher Umstand versetzte mich bald in die Mille dec Gruppe, welche sich in der Hauptstadt bildete. Während meines AusenthaltS in der Pensions-Anstalt brachte ich gewöhnlich die Zwischenzeit von Sonnabend bi- Montag früh im Hause einer mir nahvcrwandten Dame zu; diese Dame heiralhele einen Emigranten, der seiner edlen Geburt durch seinen Geist und seine Thäligkcit alle Ebre machte Las Steckenpferd seines Stammbaums und die Klagen über sein verlorenes Vermögen beschäftigten ibn nur kurze Zeil. Er verstand sich zu gewerbliche» Unlernchmungcn, nahm offen den Namen und die Sitten eines Engländer? an und wußte sich durch seine Talente, ver bunden mit kcm ihm zngcbrachie» Vermögen seiner Frau, eine unab hängige Lage zu verschaffen. Stall, wie die meisten seiner Landsleule, an jede Erinnerung einen schweren Seufzer über die zu Grunde gegan gene Monarchie anzuhängcn, stall in jedes Gespräch ein herzzerreißen des Klaggclied über die verschwundene Größe zu mischen, hielt er sei nen Kredit bei Lloyd's für einen bittlänglichen Ersatz. Die heileren Slundcn in seinem Hause aus Houn^vic-Ic-^izu-n'e ließen ibn die ehema ligen des Oeil >1«! ftooul vergessen; er wurde sein Haus zu London selbst gegen sei» Schloß in der Normandie nichl verlauschl haben und sein hübsches Weibchen gegen keinen Schal; in der Well. Er war in jeder Beziehung Engländer geworden; er aß nicht nur Roastbeef und Plum pudding mit patriotischer Lust, trank nicht nur Portwein und Porter, ohne Gesichter zu schneiden, sondern er sprach auch unsere Sprache sehr gut, las den Pope, stritt und urthciltc über die dichterischen Schönhei ten und Fehler des Shakespeare, war stolz daraus, den Milton zu ver sieben, und war, unseren Spleen und sonstige Lächerlichkeiten ausge nommen, mit Leib und Seele ein vollkommenes Bild eines Englischen National - Charakters. Inzwischen batte die Liebe zum adoplirleu Valerlaudc kcineswcges die Liebe zum Lande seiner Geburt verdrängt. Seinen Freunden und Landsleiilcu mit Treue zugetban, beklagte er sie, daß sie nichl völlig Meister ter angcboreucn Natioual-Borurthcilc werden könnlen, daß sie in den vorstätlischcn Winkeln London'- arm und einsam schmachteten, weil sic ihre Sillen und Denkweise dem Laude nichl anzupassen ver stände», welches sie freundlich ansnchmc. Er war Engländer gegen uns und Franzose gegen diese bedauernswerlheu Freunde. Zeder Tag und jede Siundc waren Zeugen von dem außervrdenllichen Wohlwol len, mil welchem er und feine Frau diesen Armen cmaegenkame». Aber der Sonnabend war cs bcsouders, tcr den patriotischen Zusam menkünften bcilig war. Dieser Tag war der Französische Tag; er war gleichsam der festliche Sabbalh, an welchem sich unsere Franzosen von den Englisch-weltlichen Sitten der Werkeltage erholten und sich, gesel lig vereint, an den verehrten Gebräuchen der Französischen guten alten Zeit erbauten. Es gab Souper, Convcrsalion, Spiel und Musik. Zn der Küche mußten Beefsteak und Pudding, Austern und Sandwiches (Buttcrbrodte mit kalten Fleischspeisen belegt) den Hühner-Fricaffce- und Sallats Platz machen. An die Stelle pes Backgammon trat das Trictrac, das Whist wurde von Revcrst verdrängt. Die Harmonieen Handel'« mußten vor denen Grelrv's verstummen.") Bon Shakespeare und Milton hörte man kein Wort, dagegen viel von Racine und Corneille. Was meine kleine Person bclraf, so befand ick mich etwas un heimlich in der Mitte dieses nach London versetzten Klein-Frankrcich- Welchc gutgesinnte Engländerin würde sich aber auch beim Anblick sol cher „ausländischen Gräuel" eines unangenehmen Gefühles habe» er wehren könne»? Die ganze Küche der Franzosen kam mir feindlich vor, und die dabei vernommene Sprache noch mehr. Ich aß fast nichts und sprach nicht ein Wort. Französisch zu reden und zu speisen, Ge richte, wie Hübucr-Fricaffee, über weiches man sich auf unseren Büh nen so oft lustig macht, zu berühren, und zwar an einem Abend, der dem heiligen Sonntage vorausgehl, das hielt ich für ei» Majestät-Ver brechen gegen die Nation, für ein Attentat gegen die Rechte der Bür ger, für eine Kränkung der Englischen Freiheit. Ich saß da, mit einer wahrhaft pa'riotischen Miene im Kleinen und verfehlte nicht, meinen geheimen, aber sehr gerechten Unwillen durch ein absolute- Stillschwei gen zu erkennen zu geben. Auf alle an mich gerichtete Fragen antwor tete ich frostig: „löio!" anstatt Nnn. Wenn ich mich indessen auch mit der Zeit an die Unterhaltung und die Speisen des auswärtigen Frankreichs gewöhnen lernte, so ward es mir doch sehr schwer, an de» verschiedenen Personen, aus denen cs im ') Do<l> ist merkwürdigerweise der Erste eben so wen!« Engländer, wir der Zweite Zranzose. Handel war ein Deul>cher und Gretrv «in Nieder länder.