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Die Krisis im Keichstsss-Priist-mm. Gerhard v. Levetzow ist seit 1888 Präsident des deutschen RetchstrtgeS uud war es auch schön in der Legislaturperiode von 1881—84. Ueber seinen Takt, seine GeschäMsühmng und Unparteilichkeit herrscht unter allen Parteien, selbst unter den am meisten links stehenden, nur eine Stimme der Anerkennung. Wenn trotzdem in den letzten Tagen vor dem Feste das Gerücht austauchen und Glauben finden konnte, daß Herr von Levetzow amtsmüde sei und daher seine hohe Stellung aufgeben wolle, so müssen dafür schwerwiegende innere Gründe vorhanden sein. Als ersten dieser Gründe nimmt mm m, daß es diesem konservativen Mann am 6. Dezember peinlich gewesen fei, in seiner Disziplinargewalt gegenüber dem Verhalten der vier oder fünf beim Kaiserhoch fitzen ge bliebenen Sozialdemokraten beschränkt gewesen zu sein. Indessen dieser Grund ist zweifellos hinfällig. Stellen sich Mängel in der Geschäftsordnung des Hauses heraus, so können dieselben abgestellt werden, und die Bereit willigkeit dazu hat die Mehrheit des Hauses durch An nahme einer entsprechenden Resolution der National liberalen zu erkennen gegeben. Ja, wenn diese Resolution abgelehnt worden wäre, so würden die Rücktrittsgelüste des Herm v. Levetzow verständlicher sein. Dabei wäre aber immer noch in Betracht zu ziehen, daß Herr von Levetzow sich zwar als feinfühlend, niemals aber als nervös gezeigt hat und daß niemand es ihm zur Last legen kann, wenn ihm die Hände durch die Geschäfts ordnung gebunden sind. Ein anderer Grund läßt sich schon eher hören. Wahr scheinlich infolge einer Verabredung mit der Reichsregie- 1 mng sollte die erste Lesung der Umsturzvorlage noch vor den Weihnachtsferien vorgenommen werden. Dies s scheiterte aber an dem Widerspruch der Sozialdemokraten, - die sich — und das war ihr gutes Recht — die offen sichtliche Beschlußunfähigkeit des Hauses zu nutze machten. Wenn mehr als die Hälfte aller Mitglieder unent schuldigt und ohne Urlaub fehlt, so ist das sicher ein schlechtes Zeichen, und wem mn gar die Mitglieder jener Partei, der der Präsident entnommen ist, die ver hältnismäßig meisten säumigen Mitglieder aufzuweisen hat, so begreift es sich, daß Herr v. Levetzow die Bürde seines verantwortlichen Amtes gern los sein möchte. Indessen Herr v. Levetzow soll noch andere Gründe zur „Verstimmung" haben. Für den Präsidenten des Reichstags, so schreibt der,Hamb. Korr.', ist es nicht gerade erfreulich, wenn eine Maßregel, wie das Nach- suchen der Genehmigung zur Strafverfolgung des Abg. Liebknecht mit einer Motivierung, die in die Rechte des Hauses eingreift, vom Bundesratstisch darauf zurückgeführt wurde, daß der Präsident des Reichstags erklärt habe, nicht einschreiten zu können. Es konnte so scheinen, als ob der Präsident damit einen Eingriff in die Immunität des Reichstages habe rechtfertigen wollen. In Wirklich keit beweist die Bemerkung nur, daß der Präsident der Ansicht war, nach der bestehenden Geschäftsordnung sei ein Ordnungsruf gegen Liebknecht wegen des Sitzens- bleibens beim Kaiserhoch nicht gerechtfertigt. Diese Auslassungen in einem Blatte, das bisher oft zu offiziösen Verlautbarungen benutzt wurde, Ringen wie eine Genugthuung für Herm v. Levetzow. Und das mögen sie auch sein sollen, denn nicht nur der Reichstag ist mit seinem Präsidenten zufrieden, sondern auch die Regierung kann sich an dieser schwierigen Stelle kaum > einen besseren Mann wünschen. i In einem Teile der linksstehenden Presse hat man j es tadelnswert gefunden, daß der Präsident bei der Weihe des neuen Reichstagsgebäudes in Landwehr- Majors-Uniform erschien. Wenn dieser Tadel zutreffend wäre, so käme er doch jedenfalls viel zu spät, denn es ist bekannt, daß Herr v. Levetzow bei den Thronreden im Weißen Saale stets in Majors-Uniform erschienen ist, ohne daß man daran Anstoß genommen hat. Uebri- gens wird dieser Borwurf dem Präsidenten auch nicht besonders nahe gegangen sein. Dagegen macht die »Germania' noch auf einen Um stand aufmerksam, der dem Herm v. Levetzow den Wunsch des Rücktritts nahelegen könnte. Vom Bundesratstische, so führt das Blatt aus, weht jetzt ein scharfer Wind in den Reichstag hinein und dadurch wird einem konserva tiven Reichstagspräsidenten die Handhabung seines ohne hin nicht leichten Amtes sehr erschwert. Er soll unpar teiisch nach jeder Seite hin jede Schärfe, die über das parlamentarisch zulässige Maß hinausgeht, verhindern und eventl. kraft seiner Präsidialgewalt rügen, und da mag er in den vergangenen und kommenden Stürmen im Reichstag in peinliche und schwierige Situationen geraten sein und geraten. N-lMsch» Nimdscha«. Deutschland. Zu den Jagdgästen des Kaisers in Königs-Wuster hausen gehörte auch der ehemalige Ministerpräsident Graf Eulenburg. Fürst Bismarck ist am Freitag von Varzin nach Friedrichsruh übergefiedelt. Der Bundesrat hat beschlossen, dem vorjährigen Reichstagsbeschluß wegen Vorlegung des Entwurfes eines Heimstättengesetzes zur Zeit keine Folge zu geben. Der Gesetzentwurf, betr. die anderweitige Ordnung des Finanzwesens des Reiches, der von neuem ! dem Bundesrat vorgelegt ist, geht davon aus, daß für die nächsten fünf Jähre die Matrikularbeiträge die Ueber- Weisungen an die Einzelstaaten nicht übersteigen dürfen, also, soweit das nach dem Etatsentwurf der Fall sein würde, durch neue Steuern gedeckt werden müssen. Es besteht die Absicht, sowohl die Reichs- wie die preuß. Landesvertretung demnächst mit der gesetzlichen Regelung der Aufsicht über den Nordostseekanal zu befassen. Allem Anschein nach ist der Wunsch vorherrschend, ebenso wie die Ausführung des Baues auch die Verwaltung und Beaufsichtigung des Verkehrs auf dem vollendeten Kanal durch das Reich wahrnehmen zu lassen. Die ganze Materie ist indes ziemlich verwickelt, und die Lösung der bereits vorhandenen und noch im Hintergründe schlummernden Schwierigkeiten dürfte nicht ohne einige Reibung ge funden werden. Die Einrichtung einer Reichslotterie wird, wie ein Berichterstatter meldet, in den Kreisen der Regierung geplant. Man denke dabei an eine Ausdehnung der Einrichtungen der preußischen Staatslotterie über das ! ganze Reich unter Entschädigung der Einzelstaaten für Aufgabe ihrer Staatslotterien. Bestätigung bleibt abzu warten. Ueber die Versuche mit der erleichterten Jnfanterieausrüstung sind der Most' zufolge auch der preuß. Militärverwaltung die Berichte der Verfuchsbataillone in den ersten Tagen dieses Monats eingereicht worden und werden einer genauen Prüfung unterzogen. Wahrscheinlich würden noch weitere Tragungs versuche gemacht werden. In der Zeit vom 1. Oktober bis 30. November 1894 find im ganzen 9670 Warenzeichen- Anmeldungen beim Patentamt eingegangen und zwar entfallen hiervon auf den Monat Oktober rund 8000, auf den November rund 1670. Hiervon beziehen sich etwa 6900 auf solche Warenzeichen, die bereits nach Maßgabe des Gesetzes vom Jähre 1874 eingetragen waren. In die Zeichenrolle sind bisher rund 750 Anmeldungen ein getragen. In weiteren 600 Fällen hat die Abteilung für Warenzeichen entschieden, daß die angemeldeten Zeichen eintragefähig find. Die Eintragung erfolgt, sobald die dazu nötigen technischen Vorbedingungen er füllt find. Das preuß. Staatsnünisterium wird sich, wie die »Schles. Ztg.' erfährt, demnächst mit dem Anträge zu beschäftigen haben, der Bundesrat möge eine Er hebung über die Verhältnisse des Handwerk er - standes im ganzen Reiche veranlassen. Wenn dieser Antrag zur Annahme gelangt, darf darauf gerechnet werden, daß die Enquete bereits im Frühjahr, unabhängig von der Berufszählung, ins Werk gesetzt werden wird. Die Meldung, daß der preuß. Landtag zum 8. Januar einbemfen werden sollte, bestätigt sich nicht. Nach halbamtlicher Mitteilung ist vielmehr als Ein berufungstag Dienstag, 15. Januar, in Aussicht genom men. Es bleibt also bei dem bisherigen Usus, wonach am letzten verfassungsmäßig zulässigen Termin die Er öffnung stattfindet. Eine weitere Strafverfolgung des Abg. Liebknecht nach Schluß der Reichstagssession soll, wie die Merl. Börsenztg.- mitteilt, seitens des Staats anwalts nicht erfolgen. Die Regiemng sei durch die nationalliberale Resolution wegen Erhöhung der Disziplinargewalt des Präsidenten vollauf befriedigt. Oesterreich-Ungar«. Kaiser Franz Joseph beabsichtigte, bereits am ersten Weihnachtsfeiertag in Budapest einzutreffen. Dem nach könnte die ungarische Ministerkrisis bereits früher, als man bisher annahm, zum endgültigen Abschluß kommen. Belgien. t In der belgischen Congopolitik schein irgend etwas nicht zu stimmen. Zwar tritt man in Brüsseler Regierungskreisen den gerüchtweise verlautbaren Nachrichten entgegen, daß die Stationen am oberen Congo bedroht seien, aber anderseits bestätigt es sich, daß die Congofrage im Schoße des belgischen Kabinetts zu ziem lich scharfen Auseinandersetzungen geführt hat. Daneben gehen die französischen Bestrebungen, den Congostaat käuflich für Frankreich zu erwerben, ihren Gang, vor läufig allerdings noch ohne Aussicht auf handgreffliche Erfolge. Italien. Ist Crispi schuldig? Ist er es nicht? Diese Fragen scheinen ungelöst in das neue Jahr überzugehen. Heute liegt folgende Meldung vor: Die ,Opinione' be zeichnet die Meldung der Florentiner ,Nazione' über den von Tanlongo nächtlicherweile im Ministerium des Innern geschriebenen, Crispi belastenden Bericht als zutreffend. Ruhland. Eine Ansprache des Zaren in einer Sitzung des Komitees für den Bau der sibirischen Eisen bahn wird wie folgt gemeldet: „Die Inangriffnahme des Baues der sibirischen Eisenbahn ist eine der größten Thaten der ruhmvollen Regiemng meines unvergeßlichen Vaters. Dieses ausschließlich friedliche und kulturelle Unternehmen mit Gottes Hilfe durchzuführen, ist nicht nur meine heilige Pflicht, sondern auch mein herzlicher Wunsch, um so mehr, als die Angelegenheit mir von meinem teuren Vater übertragen wurde. Ich hoffe, unter Ihrer Mitwirkung den von ihm begonnenen Bau des sibirischen Schienenweges billig und hauptsächlich schnell und gut zu vollenden." Der vielgenannte Anarchist Jagolkowsky, der unter dem Namen eines Barons v. Ungern-Sternberg in Belgien aufgetreten war und der Beteiligung an der Lütticher Anarchlstenverschwörung beschuldigt ist, hat nach einer Mitteilung der russischen Regierung ein umfassendes Geständnis über die Lütticher Anarchistenverschwörung abgelegt. Danach planten die Verschworenen die Spren gung des Gasometers der Gasanstalt in Lüttich und die Veranstaltung eines Massenmordes unter dem Schutze -!---! > ! HekeLLeL. lForljetzung.« „Es ist unrecht von meiner Frau," versetzte der Rektor ernst, „daß sie mir diese ihre Meinung ver- hehlt hat." „Das finde ich nicht," entgegnete Hilda, „Sie mußten Miß Fisher ohne Vorurteil sehen." „Dennoch bedaure ich, das Urteil meiner Frau Nicht gekannt zu haben," wiederholte Mr. Burtenshaw, „ihre Gutherzigkeit hat ihr mal wieder einen Streich gespielt; sie wollte die arme Person nicht um eine ange nehme Stellung bringen. Sie weiß eben recht wohl, daß ich Miß Fisher wegen so leicht keinen Schritt ge- than haben würde, wmn fie an der Qualifikation der Dame zweifelte. Meine Frau besitzt nämlich einen merk würdig scharfen Bück in Beurteilung fremder Menschen. — Freilich wird es jetzt schwer sein, sich zurückzuziehen." „Und ich bitte nochmals, lieber Herr Rektor, enga gieren Sie Miß Fisher," sagte Hilda lebhaft. So geschah es, daß Miß Fisher einige Tage nach Terry Sugdens Abreffe ihren Einzug auf Schloß Crux- Wold hielt. 11. Kaum war die Angelegenheit wegen der Gesellschafts dame erledigt, so schrieb Hilda eine Einladung an Hugo Mackenzie zur letzen Septemberwoche. Vorher gab der Besuch Mr. Beltertons scheinbar den Bewohnern von Enmvold eine angenehme Abwechslung. Mr. Betterton war ein außerordentlich liebenswürdiger Gesell- . schafter, dazu ein großer Bewunderer von antiken Sachen und gärtnerischen Anlagen, so daß es nie an Mer- ! Haltungsstoff fehlte. Hilda zeigte auch ihren Gästen Hsts ein heiteres Antlitz; im Innern ihres Herzens empfand sie jedoch während dieses Besuches Tantalusqualen. Terry und Betterton in ihrem unaussprechlichen Glück, in ihrem harmlosen, reizenden Verkehr waren ihr ein Stich durchs Herz in jeder Minute. So glücklich könnte fie auch einmal gewesen sein, wenn ihre Mutter fie nicht diesem Manne geopfert hätte, der, mit Schaudern sagte sie es sich immer wieder, ein Mörder war; wenn dieser Mann sie nicht an sie gekettet hätte. Und nun — nun ließ er sie allein. In öffent lichen Blättern mußte sie von seinen Zukunstsplänen lesen; fie würdigte er nur einer kurzen Mitteilung, daß er Horsmanton verlasse und fie bitte, etwaige Nach richten ihm durch die Adresse seines Anwaltes zukommen zu lassen. Nicht eine Andeutung über seine Expedition nach Afrika fand sich in dem Schreiben. War es nicht dazu angethan, sie mit Bitterkeit, Zorn und Haß zu erfüllend Das fragte Hilda die Wipfel der Bäume, die ziehenden Wolken, als sie langsam durch den Park schntt, wo fie Terry und Better ton ihrer Verabredung gemäß erwartete. Die glücklich Liebenden hatten an diesem Morgen einen weiteren Spaziergang unternommen. Auf dem Rück weg begegneten sie Miß Fisher. Terry konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihr den Verlobten vorzu stellen, weil fie sein Urteil Über die Dame wünschte. Sie stand still, begrüßte Miß Fisher und forderte sie auf, den Weg mit ihr und Mister Betterton gemein sam zurückzulegen. Miß Fisher erwiderte den Gruß herzlich und bemerkte: „Es fft schon jetzt gewitterschwül, ich hoffe, daß wir ohne Regen das Heim erreichen werden." Mister Betterton, welcher die Vorstellung sehr gleich gültig über sich ergehen ließ, sch bei dem TM der ftemden Stimme plötzlich auf und fixierte die Dame. Seine plötzliche Bewegung schien sie zu erschrecken; fie begegnete seinem Blick mit dem Ausdruck einer nervösen Unruhe, was jedoch sowohl Betterton als Terry entging. Terry erzählte von dem Ziel ihres heutigen Spazier ganges, und Betterton sprach Ms, wie erquickend die Lust hier auf ihn wirke, nachdem er in diesem Jahr kaum mehr Grün als das Gras im Garten des Temple gesehen habe. „Ach so," rief Miß Fisher, „Sie leben im Temple, das heißt: Sie sind Advokat. Ich riet es nach Ihrer Stimme, sobald Sie sprachen." „Wunderbar," versetzte Mister Betterton, „auch Ihre Stimme frappierte mich, obwohl ich nicht so geist reich bin, Ihren Stand und Beruf daraus zu schließen; aber sie klingt mir nicht gerade bekannt, doch als müßte ich fie bereits irgendwie und -wo gehört haben." „Was wohl kaum möglich ist," fiel Miß Fisher ein. „Kaum," bestätigte Mister Betterton: „es muß sein, daß Ihre Stimme der eines anderen Menschen gleicht, die ich kenne. Ich besitze nämlich ein sehr scharfes Ohr für Stimmen, Miß Fisher; ich kann zuweilen die Zuverlässigkeit der Zeugen nach ihrer Stimme be urteilen." Miß Fisher lächelte: „Das klingt ja ganz be drohlich. Hoffentlich ist es eine zuverlässige Person, an deren Stimme die meinige Sre erinnert, Mister Betterton." „Ich kann mich eben der Person nicht erinnern, Mis M°r." „Sie begegnen mir in der That nicht sehr höM, Mister Betterton," scherzte Miß Fisher, „meinen Sre nicht, Miß Sugden d — Zuerst Mären Sie, daß Sie vermögen, eines Menschen Charakter nach seiner Sümme zu beurteilen; dann weigern Sie sich, mir mein Urteil zu spreche»." „Aus Ihrer Stimme gelingt eS Mr nicht, «inen