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Madagaskar. Die größte afrikanische Insel, Madagaskar, ist schon seit Jahrhunderten der Gegenstand sehnsüchtigster Begehr lichkeit seitens Frankreichs. Das Hauptvolk der Insel, die fast so groß ist wie ganz Frankreich, sind die Howas, die nicht das geringste Verlangen nach einer fremden Oberherrschaft haben und die sich noch weniger durch Fremde ausbeuten lassen wollen. Die Howas, eine Mischung von Negern und Polynesiern, sind den übrigen Völkerschaften des Landes, wenn auch nicht an Zahl, so doch an Intelligenz weit überlegen und haben einen ge heimen Rückhalt an den Engländern, denen die Herr schaft Frankreichs auf Madagaskar ein Dorn im Auge ist. Die Franzosen stützen ihre Ansprüche auf den Besitz der Insel auf die Thatsache, daß bereits vor 250 Jahren Ludwig der Vierzehnte Madagaskar als französisches Besitztum erklärt hat. Rie bisher wurden französtscher- seits die Rechte des Besitzes voll ausgeübt. Nur an einigen Küstenpunkten hatten sich die Franzosen festgesetzt und auch diese gingen während der Revolutionskriege gegen Ende des vorigen Jahrhunderts an die Engländer verloren. Als die Bourbonen 1814 nach Paris zurück kehrten, trat ihnen England zwar seine Eroberungen wieder ab, aber auch von da ab stand der französische Besitz der Insel nm auf dem Papier. England hat seinen Einfluß im Lande wesentlich seinen dort gehaltenen Misfionsgesellschasten zu danken, die neuerdings seit dem Jahre 1820 thätig sind. Die Franzosen ihrerseits errichteten Jesuitenmisstonen, aber die Eingeborenen zeigten sich den Engländern mehr ge neigt. Der madagassische König Radama unterstützte die Engländer mit aller Kraft, weil er dies als einen Schutz- . wall gegen die französischen Gelüste betrachtete. Er « hätte jenen auch wahrscheinlich zur Oberherrschaft ver halfen, wäre er nicht 1828 von seiner Gemahlin, der Königin Ranovalona, vergiftet worden. Diese trat nun gegen das Christentum und die Fremden mit so ent- ! schiedener Feindseligkeit auf, daß sich 1845 die Franzosen und Engländer zu einem gemeinsamen, aber schließlich erfolglosen Angriff gegen das an der Ostküste gelegene Tamatave vereinigten. ! Radama II., der 1861 König wurde, erwies sich dem Christentum und den Fremden allerdings freundlicher, aber er wurde eben deshalb 1863 ermordet, und während der hierauf folgenden Wirren gelang es abermals, 1863, den Engländern, den Franzosen den Rang abzugewinnen, indem sie während eines gegen diese ausgebrochenen Aufstandes einen günstigen Handels- und Freundsschafts- vertrag mit den Howas abschlossen. Die im Jahre 1869 auf den Thron erhobene Ranovalona II. befolgte sodann allerdings eine christenfreundliche Politik, ja sie trat sogar selbst zum Christentum über und schaffte 1877 die Sklaverei ab, aber den Ansprüchen der Fran zosen gegenüber verhielt sie sich entschieden abweisend ! und suchte sich 1882 durch die Entsendung einer Gesandtschaft nach Europa diesen gegenüber Luft zu schaffen; mit Deutschland und verschiedenen anderen Staaten wurden damals Handelsverträge geschlossen. Die Fran zosen indessen ließen sich dadurch nicht beirren. Nachdem sie die im Westen und Norden hausenden, mit den Howas in Feindschaft stehenden Sakalaven unterworfen, § erhoben sie Anspruch auch auf die Herrschaft über die ' Ostküste und nahmen 1883 Tamatave in Besitz. Obwohl nun aber ihre Versuche, von dort ins Innere einzu- « dringen, anhaltend vergeblich blieben, so schloß doch 1885 « die nunmehr zur Herrschaft gelangte Ranovalona III. mit , ihnen einen Vertrag ab, den die Franzosen als einen Sch'utzherrschaftsvertrag auSlegen, und der die Quelle - aller der Weiterungen ist, die seitdem zwischen Frankreich und den Howas obwalten. Schlechte Erfahrungen in Tongking und die Fest legung ihrer Kolonialtruppen im Innern Afrikas , in Birma u. s. w. haben die Franzosen bisher abgehalten, energisch gegen Madagaskar vorzugehen. Als letzten güt lichen Versuch haben sie nun den Abg. Le Myre des Vilers nach Antananarivo (wo er vier Jahre lang fran zösischer Generalresident war) geschickt, der das ausdrück liche Recht Frankreichs feststellen soll, in den auswärtigen Beziehungen Madagaskars das entscheidende Wort zu sprechen, eine Eisenbahn in das Innere zu bauen und den Europäern auf der Insel Grund- und Bodenbesitz zu ermöglichen. Die Howas werden schwerlich freiwillig nachgeben; sie verlassen sich auf ihre Verbündeten: das Fieber und den für Europäer undurchdringlichen Urwald, der das Innere der Insel von der Küste abschließt. Jedenfalls würde ein Unternehmen gegen Madagaskar den Franzosen für längere Zeit zu thun geben und die Aussichten auf Erfolg find dort womöglich noch schlechter als die in Tongking. Moittische Rundschau. Deutschland. Kaiser Wilhelm hat am 22. d., von Swinemünde kommend, der Stadt Thorn einen kurzen Besuch ab gestattet. Die Stadtverwaltung kredenzte dem Monarchen einen Ehrentrunk. Der Reichskanzler Graf v. Caprivi wird für Dienstag aus Karlsbad wieder in Berlin zurückerwartet. Der Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, Frhr. v. Schele, soll nach einer von der Moss. Ztg.' verzeichneten gerüchtweisen Meldung beabsichtigen, mit Beginn nächsten Jahres seiner Familie wegen seinen Posten zu verlassen. Die Streichung des Schul-Schiffes „Leipzig" aus der Liste der Kriegsschiffe hat der Kaiser laut Veröffentlichung im,Marineverordnungsblatt' genehmigt. Der Reichstag ist bekanntlich in seiner verflossenen Tagung ziemlich unglimpflich mit den nenen Forde rungen für die Marine umgegangen. Die erste Rate für den Bau des Panzerschiffes zum Ersatz für „Preußen" (1 Mill. Mk.) wurde bewilligt, dagegen wurde die Forderung eines gepanzerten Kreuzers als Admirals schiff in überseeischen Gewässern zum Ersatz für die „Leipzig" (1. Rate 1 Mill. Mk.) abgelehnt, ebenso ein Aviso „Falke" (1. Rate 1200 000 Mk.) Wie jetzt ver lautet, wird im nächsten Etat der Bau eines großen Kreuzers wiederum und daneben drei Kreuzer nach dem kleinen Typus gefordert werden. Die Forderungen wurden damals mit geringen Mehrheiten aus finan ziellen Gründen abgelehnt. Man wird wohl erwarten dürfen, daß jetzt eine günstigere Sümmung herrscht. Die großen überseeischen Interessen Deutschlands erfordern mit jedem Fahre dringender eine ausreichende, aktions bereite Flotte. Ueber kommunale Wein st euern schreiben die Merl. Pol. Nachr.' offiziös: Wenn auch der Plan einer Reichsweinsteuer vorläufig aufgegeben sei, so werde doch von der Reichsregierung in der nächsten Reichs tagssession der Versuch gemacht werden, die in der Reichsgesetzgebung liegenden Hindernisse einer kommunalen Besteuerung des Weines zu beseitigen. Zur Herbeiführung der wirksameren Beaufsichtigung des Schiffs- und Floßverkehrs mit Rücksicht auf choleraverdächtige Personen hat der Preuß. Arbeitsminister angeordnet, daß künftig auch die an den Wasserstraßen beschäftigten Beamten der Wasserbauver waltung (Schleusen- und Strommeister, Strand- und Kanalaufseher ?c.) daran mitwirken sollen. Etwaige Wahrnehmungen, daß auf den Fahrzeugen choleraver dächtige Personen vorhanden sind, haben diese Beamten der Ortspolizeibehörde oder, wo Kontrollstationen er richtet sind, der nächsten Station sofort unter genauer Bezeichnung des Fahrzeuges und der verdächtigen Person anzuzeigen. Ueber die Ausdehnung der deutschenKolonien und Schutzgebiete werden folgende Angaben gemacht: Das (indessen noch nicht abgegrenzte) Schutzgebiet Togo umfaßt 60 000 Quadratkilometer, Kamerun 495 000, Südwest-Afrika 435 000, Deutsch-Ostafrika 995 000, das Kaiser Wilhelmsland in Neu-Guinea 181 500, Bismarck- Archipel 52 2000, der nordöstliche Teil der Salomon- Inselgruppe 22 300, das Schutzgebiet der Marschall- Inseln 400 Quadratkilometer. In Togo haben sich niedergelassen 72 Europäer, darunter 63 Deutsche, in Kamerun 204 Europäer (128 Deutsche), in Südwestafriks 969 Europäer (614 Deutsche), in Deutsch-Ostafrika rund 750 Europäer (rund 500 Deutsche), im Schutzgebiet der Neu-Guinea-Kompanie 178 Europäer (99 Deutsche) und auf den Marschallinseln 67 Europäer (32 Deutsche). Frankreich. Ein Redakteur des ,Temps' hat die aus Mada gaskar heimkehrenden Offiziere und Soldaten über die Lage daselbst interviewt. Alle sind der Meinung, daß die Regierung wohl daran thue, energisch einzuschreiten, da der Uebermut der Howas immer mehr zunehme. Die Lage sei derart gespannt, daß man sich von den Unter- ! Handlungen des Spezialgesandten in diesem Augenblick z nur wenig versprechen könne. Man glaubt zwar nicht i an einen ernstlichen Widerstand der Howas, doch sei ein ! Marsch noch dort außerordentlich schwierig, weil keine Wege vorhanden sind. Die Expedition sei indes schon « deshalb notwendig, well die Bevölkerung von Madagaskar , nicht an die Macht Frankreichs glaube. j Belgien. ! Der König von Belgien hat offenbar nicht Lust, dem Herzog von Orleans zu gestatten, daß dieser seine Rolle als orleanistischer Prätendent auf belgischem Boden spiele. Wie der ,Figaro' meldet, würde ein längerer Aufenthalt des Herzogs von Orleans > in Brüssel von der belgischen Regierung nicht gern ge sehen werden. Das Pariser Blatt schreibt, der König Leopold wünsche, daß sein junger Verwandter, dem er übrigens sehr geneigt sei, nur sehr kurze Zeit in seiner Hauptstadt verweile^ und auf belgischem Boden sich nicht öffentlich als Prätendent gebärde. Holland. Den Generalstaaten ist das Budget der Nieder lande für 1895 vorgelegt worden. Dasselbe ergibt ein Defizit von 8 Millionen Gulden, von denen 1 Million zu Lasten des ordentlichen Budgets fällt. Zur Deckung der Kosten für eine bessere Bewaffnung der Armee und der Flotte, die mit einem auf 9^ Millionen Gulden geschätzten Aufwande in vier Jahren durchgeführt werden soll, wird eine Anleihe erforderlich sein. Diese soll in Jahresbetrügen von 640 000 Gulden getilgt werden. Es wird eine Vorlage eingebracht werden, um eine bessere Sicherung der Einfuhrzölle als Gegenwert der Anleihe zu ermöglichen. Schweiz. Am 25. d. wird in Bern die diplomatische Konferenz eröffnet werden, um die Frage der Bildung eines inter nationalen Verbandes für die Veröffentlichung von Staatsverträgen zu erörtern. Vierzehn Regierungen haben sich zur Teilnahme bereit erklärt. Rußland. > Ueber denGesundheitszustanddesZaren wird berichtet, daß derselbe die größte Vorsicht erheische. Außer dem Moskauer Professor Sacharjin dürfte schwer lich jemand Zuverlässiges über das Leiden sagen können, es handele sich aber jedenfalls um ein chronisches. Der überraschend schnell hereinbrechende Herbst vernichtet die Hoffnung der Aerzte auf einen günstigen Erfolg dos mehrwöchigen Aufenthaltes des Zaren imJagdschloß Spala. Die bisherigen Nachrichten lauteten ünstiger. Den Sturz des mächtigen Ratgebers des Zaren, Weinr Koffriseur. 2j «Fortsetzung.» „Die Demütigung, die mich heut' getroffen, wollte ich ja gern verschmerzen, denn du hast mir durch deine Kindesliebe reichen Ersatz dafür geboten," sagte er, nach dem er sich wieder gefaßt. „Aber der Kummer, woher ich eine neue Uniform nehmen soll, um vor den Kaiser treten zu können, und doch ist seine Gerechtigkeit allein im stände, uns zu retten. Woher aber soll ich das Geld zur Anschaffung einer Uniform nehmen, damit man Seines Vaters nicht mehr spotten kann? Wenn es noch einmal geschieht, bricht es mir das Herz!" Wieder bedeckte plötzlich die glühende Röte des Zor nes und der Scham seine Stirn. Stumm ging er hinaus und bald verhallten seine Schritte auf der Treppe. Wie Schwerter hatten seine letzten Worte das Herz der Tochter durchwühlt. Ihr Vater verspottet und ver höhnt, ihr edler Vater! Sein teures Haupt vor Schmach nnd Schande gebeugt zu sehen, das ertrug sie nicht. Woher aber Hilfe, woher Rettung schaffen? Rings um sie. gab es nur kahle Wände und nichts Wertvolles war mehr in ihrem ganzen Besitze, und geborgt bekam ihr Vater die Uniform ja nicht, denn längst schon hatte der Schneider, als er die traurigen Verhältnisse sah, es verweigert, auf Kredit zu liefern. Sollte sie vielleicht ihren Leopold bei seiner Rückkunft bitten, daß er ihrem Vater Kleider kaufe? Nein, nein! Dies zu thun wäre sie nicht im stände gewesen. Aber auch nicht das Geringste gab es, was noch einigen Wert besaß, und nur ein Spiegel an der leeren Wand gemahnte an entschwundene bessere Zeit. Auch dieser würde längst verkauft worden sein, wenn nicht ein großer Sprung denselben wertlos gemacht hätte. Sie fuhr sich mit der Hand über die Stim, als könne sie damit alles Leid verwischen. Plötzlich blieb dieselbe auf den Wellen ihres blonden Haares ruhen und gleich darauf befreite sie es aus den vollen Flech ten, und als ein leuchtender Mantel umfloß es ihre Gestalt, fast bis zur Erde niederwallend. Tiefe Blässe begann Augustens Gesicht zu über ziehen, während ihre Augen zugleich in edlem Feuer strahlten. 2Sie tragen wirkliches Gold auf Ihrem schönen Köpfchen, Mademoiselle, denn Ihr prächtiges blondes Haar, das in so seltener Fülle und Länge Ihr Haupt schmückt, ist Goldes wert. Ich selbst würde Ihnen dafür sofort zwanzig Dukaten bieten." So hatte der Hoffriseur vor längerer Zeit, als sie eine Kleinigkeit bei ihm kaufte, zu ihr gesprochen, und diese Worte wollten ihr nicht mehr aus dem Gedächtnis. „Niemand soll mehr meines guten, edlen Vaters spotten!" rief es jetzt in ihr. „In einer neuen Uniform soll er vor den Kaiser treten können und nicht in banger Scham das Gesicht zu Boden kehren müssen, wenn er an Bekannten aus besserer Zeit vorübergeht. Zwanzig Dukaten reichen dazu aus, und eine kleine Summe bleibt selbst noch übrig!" Rasch faßte sie eine Schere vom Tische und fuhr mit derselben dichk am Kopfe an die Haare. „Mächtiger als wie mit ehernen Ketten bin ich durch deine blonden Locken an dich gefesseü, die ein Band um mich gewoben haben, das unzerreißbar ist!" hatte Leo- polo beim Scheiden ihr gesagt. Da kielt sie einen Augenblick inne und schmerzlich zuckte es durch ihr Herz. Aber auch nur einen einzigen Augenblick, dann fiel schon eine volle, lange Welle ihres Haares unter der Schere. Nach wenigen Minuten lag dre leuchtende Zier ' am Boden und mit kurzgeschnittenem Haar stand sie vor ! dem Spiegel und blickte ihr verändertes Bildnis darin z an. In tiefem Purpur flammte es da in heißer Scham ! über ihr Gesicht. Aber Reue fühlte sie nicht über ihre That, sondern eine fast selige Freude durchzog ihre Brust und ein leises Lächeln umspielte ihren Mund. Sollte dieser Handlung wegen, die sie jetzt begangen, ihr Leopold sie nicht mehr lieben und fortan nichts mehr von ihr wissen wollen? „Nein, nein!" jubelte eS in ihrem Herzen auf, „er ist ja zu gut und edel, um mir diese That der Kindesliebe als Verbrechen anzu rechnen !" Glück und Frohsinn hielten seit langer Zeit zum ersten Mal wieder Einkehr in ihrem Herzen, währet sie mit einem leichten Tuche sich den Kopf umwand, da mit man nicht den Verlust ihrer Haare bemerke, die sie nun sorgsam vom Boden auflas und mit Papier um hüllte. Dann richtete sie sich schnell zum Ausgehen, und schlug den Weg zum Hoffriseur ein. 2. Eilig ging sie in ihrem ärmlichen Kleide, das Päckchen mit den Haaren an die Brust gepreßt, der inneren Stadt zu, wo der Hoffriseur sein Geschäft hatte. In demselben verkehrten fast nur Kunden auS der höchsten Aristokratie, ja selbst Kaiser Joseph II. erschien öfters, um an seiner Frisur etwas richten zu lassen, oder um- einige Zeit mit dem Hoffriseur zu verplaudern, dem er seines ehrenhaften Charakters, seiner Klugheit und Ver schwiegenheit wegen wohl gewogen war. - Doch als sie nun in die Nähe des Geschäftes kam, wurde ihr bange zu Mute und sie begann zu fürchten, daß der Hoffriseur sein Versprechen nicht einlösen werde; allein schnell verwarf sie diesen Gedanken, wußte sie