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GKrmps KücktrM. Was man schon seit drei Monaten erwartete, ist, nun endlich geschehen: der dänische Konflikts-Ministerpräsident Estrup hat seine Entlassung genommen und mit ihm sind noch zwei seiner Ministerkollegen zurückgetreten. Die Gemäßigt-Liberalen, die gehofft hatten, daß ihren Führern die erledigten Portefeuilles übertragen werden würden, sehen sich enttäuscht, denn abermals hat der König seine nächsten Räte aus den Reihen der Rechten genommen. Ns die Gemäßigt-Liberalen am 1. April d. den Ver- fasfungsausgleich mit zu stände bringen halfen, war bei ihnen die Gewährung wenigstens zweier Ministersessel eine stillschweigende Voraussetzung; die Dankesworte des Kronprinzen bei seiner silbernen Hochzeitsfeier an alle Beförderer jenes Ausgleichs mußten diese Hoffnung noch verstärken. Ob bei der Umbildung des Ministeriums Estrup ein Gegensatz des 76jüürigen Königs gegen seinen 51jährigen Thronfolger mitgcwirkt hat, mag dahingestellt bleiben; von einem solchen Gegensatz soll in Kopenhagen einiges erzählt werden, aber der Wert solcher Kronprinzen legenden ist ja allgemein bekannt genug. Vielleicht war in dieser Beziehung allerdings ein Fingerzeig, daß einer Huldigung für „Dänemarks Zukunft" bei jener seiner Familienfeier der Kronprinz mit dem Wunsche begegnete, daß die dänische Krone noch lange auf dem Haupte ihres ritterlichen jetzigen Inhabers ruhen möge. Der dänischen Rechten konnte übrigens die jetzige Wendung nur gelegen sein, selbst abgesehen von dem augenblicklichen Vorteil. Sie hat anfangs die radikale Linke durch die „Gemäßigten" aus dem Sattel gehoben, besonders auch bei den Volksthingswahlen vom 20. Slpril 1892; durch den jetzigen Ausgang sind für die Neu wahlen des nächsten Frühjahrs die ihr gefährlicheren „Gemäßigten" völlig um jede politische Autorität ge bracht und werden, zwischen zwei Feuer genommen, vor aussichtlich die Wahlzeche gründlich zu bezahlen be kommen. Die Radikalen aber sind auch ihrerseits in die „europäische" und die „dänische" Gruppe gespalten, und selbst ihr voraussichtlicher Mandatsgewinn wird sie nicht allzu gefährlich machen, da sie an die absolute Mehrheit nicht denken können und seit dem Wahlbündnis mit der Sozialdemokratie überhaupt nicht mehr für regierungs fähig gelten; bei den 1892er Wahlen hat ihnen dieses Bündnis die Großbauern abspenstig gemacht, die früher, als Berg noch Führer der radikalen Partei war, deren kräftigste Stütze bildeten. Das neue Ministerium Rccdtz-Tbon hat also ziem lich leichtes Spiel. Estrup und sein Kriegsminister Bahnsen haben gegen den Willen der Mehrheit der Volks vertretung Kopenhagen befestigt; die Gelder dafür sind einmal ausgegeben und der Staatsschatz ist erschöpft. Die Gemäßigten,, die den Ausgleich herbeigeführt haben, sind in der Achtung des Volkes stark gesunken, besonders da ihre Führer-; nicht Minister geworden sind. Bei den nächsten Wahlen wir- die Parole wieder wie früher „konservativ oder radikal" lauten, die Zwischenparteien werden durch diese beiden Mühlsteine zerrieben. Die Befestigung von Kopenhagen, die ein volles Jahrzehnt und länger den Zankapfel zwischen Regierung - und Volksvertretung bildete, ist nahezu beendet; die Linke versichert zwar, sie im Falle ihrer politischen Herr schaft wieder einreißen zu wollen, aber sie wird für ab sehbare Zeit schwerlich in die Verlegenheit kommen, diese Drohung wahr machen zu müssen. Ob diese Befestigung praktisch brauchbar ist, wird freilich gerade an Ort und Stelle mehrfach bezweifelt; die Belegenheit der Stadt hat dazu genötigt, ihr einen sehr großen Umfang zu geben; diesen militärisch auszufüllen, ist angeblich die dänische Armee nicht im stände, selbst wenn ihre jütischen und fünenschen Abteilungen vor der Ankunft der deutschen ! Ostseeflotte den großen Belt passiert hätten. Bei dieser Berechnung ist allerdings angenommen, daß diese Be- - festigung gegen Deutschland gerichtet ist, was man zwar s am Oeresund bestimmt bestreitet, vielmehr lediglich für den europäischen Kriegsfall die dänische Neutralität ! gegen eine französische Flotte rc. unbedingt gesichert haben will. Der Ministerwechsel in Kopenhagen hat dem Aus lande gegenüber keine Bedeutung. Dänemarks Bedeutung wurzelt teilweise in den Familienbeziehungen seines Herrschers zum Zarenhause; seine Lage machte es zum Ein- und Ausfahrtsthor der Ostsee, so lange .... der Nordostseekanal nicht bestand. Mit dessen unmittelbar ' bevorstehender Eröffnung ist die deutsche Kriegsflotte nicht ! mehr auf den Umweg durch den Sund und um Jütland j herum angewiesen. Dänemark würde uns im Kriegs- ! falle auch beim „besten Willen" nicht mehr die Ostsee absperrcn können und damit verliert es noch mehr von seiner militärischen Bedeutung für uns. Da ist es denn gleichgültig, ob in Kopenhagen Herr Estrup oder Herr Reedtz-Thott namens des Königs Christian die Zügel der Regierung führt. Politische Rundschau. Deutschland. In Cowes fand Dienstag abend zu Ehren des Kaisers ein von der Royal Jacht „Squadron" veran- - staltetes Festmahl statt, dem der Prinz von Wales prü- - sidierte. Die Kapelle der „Hohenzollern" spielte während des Mahles. In vorgerückter Stunde hielt der Kaiser eine Rede, worin der Monarch unter Anspielung auf die Jacht des Prinzen von Wales die Hoffnung aussprach, Brilannia werde fortfahrcn, über die Wogen zu herrschen. Anläßlich des Geburtstages des Herzogs Alfred von Koburg-Gotha, der am 6. d. das fünfzigste Lebensjahr vollendete, ging folgender telegraphische Glückwunsch vom Kaiser ein: „Zu Deinem Geburts tage, den Du zum ersten Mal als deutscher Bundes fürst in Deinem schönen Lande verlebst, sende ich Dir meinen innigsten und aufrichtigsten Glückwunsch. Möge das kommende Lebensjahr Dir und Deinen getreuen Unierthancn viel Glück und Segen bringen. Wilhelm." Dem Finanzminister Dr. Miquel werden von der ,Mi!.-Pol. Korr/, die bisweilen offiziöse Dienste ver richtet, Rücktritts absichten unterlegt. Dr. Miquel soll danach wiederholt gegenüber Frankfurter Freunden den Wunsch zu erkennen gegeben haben, sich ins Privat leben zurückzuziehen. Von anderer Seite dagegen wird behauptet, daß Finanzminister Miquel nicht eher vom Schauplatz abtreten wird, bis er seine Reichssteuerreform entweder durchgesetzt hat oder mit derselben definitiv ge scheitert ist. Dann allerdings wird er höchst wahrschein lich gehen. Uebcr die Friedensverhandlungen mit dem Häuptling Hendrik Witboi teilt das Büreau Dalziel auf Grund einer angeblichen Unterredung seines Vertreters in Kapstadt mit dem Major v. Francois mit, das Hendrik Witboi gestellte Ultimatum enthalte das Zugeständnis eines Jahrcsgeldes von 2000 Mk., sobald Witboi Waffen und Munition ausliefere und sich nach Gibcon zurückziehcn wolle. (Das Büreau Dalziel ist meist unzuverlässig.) Oesterreich-Ungar«. Im ungarischen Ministerium des Jnnem ist der Gesetzentwurf über die Ansiedelung der nomadi sierenden Zigeuner fertiggestellt worden. Bei der Ausarbeitung des Gesetzes hat auch Erzherzog Joseph einige sehr wertvolle Ratschläge gegeben. Das Gesetz beruht auf dem Grundsatz der Zwangs ansiedelungen. Von den anzusiedelnden 35 000 Zigeunern sollen in den einzelnen Gemeinden nicht mehr als sechs Familien untergebracht werden. In Budapest, Fiume und den königlichen Freistädten erfolgen keine Ansiedelungen. Nach den letzten statistischen Zusammen stellungen gibt es in Ungarn 270 000 Zigeuner. Frankreich. Ein Italiener namens Panetti ist in Marseille ver haftet worden, weil er Besitze von Dynamit patronen augetroffen wurde. Derselbe kam aus Amerika und wollte nach Italien reisen, wie man an nimmt, in der Absicht, dort ein Attentat zu begehen. — Wie der ,Petit Paristen' meldet, hat der Seepräfekt von Lorient Nachricht von einem Komplott erhalten, welches bezweckte, die Präfektur in die Lust zu sprengen. Der Präfekt hat die erforderlichen Maßregeln getroffen. England. Das Unterhaus nahm am Mittwoch mit 199 gegen 167 Stimmen die dritte Lesung der Bill bett, die irischen Pächter an. Kurz darauf nahm das Oberhaus die erste Lesung derselben Bill an. — Bei der zweiten Lesung dürfte es wohl so glatt nicht ab gehen. Dänemark. . König Christian richtete folgendes Schreiben an den bisherigen Ministerpräsidenten Estrup: „Da Sie wiederholt Uns gegenüber den Wunsch aus- sprachen, Sie von den Stellungen als Ministerpräsidenten und Finanzminister zu entbinden, sobald der vieljahrige politische Streit abgeschlossen sei, und da Sie jetzt, nach dem der Reichstag das Budget für 1894/95 und das neue Armeegesetz angenommen hat, wiederum um Ihren Abschied gebeten haben, so haben Wir geglaubt, Ihrem Wunsche entsprechen zu müssen." Hieran schließt der König seinen Dank und die Versicherung seiner fort dauernden Huld und Gnade. — Die drei neuen Minister gehören der konservativen Partei an. Spanien. Spanien hat eine doppelte Niederlage erlitten: bei Marokko und bei den Großmächten. Wie die „Köln. Ztg.' meldet, hat Spanien an den Sultan von Marokko das Ansuchen gestellt, ihm dadurch bei der Erhebung der Zölle nützlich sein zu dürfen, daß ihm das Recht ein geräumt werde, die Zölle an den Grenzen für Rechnung Marokkos zu erheben. Gleichzeitig wandte sich Spanien an die Mächte mit der Bitte, ihm die zu einem solchen Arrangement selbstverständlich nötige euro päische Zustimmung zu geben. Der Sultan von Marokko bat das spanische Anerbieten abgelehnt und auch die Mächte haben ihre Einwilligung verweigert. Rustland. Der Zar soll sich in Prwatgesprächen dahin geäußert haben, er werde, wenn die b u l g a r i s ch e R e g i e r u n g Vorschläge zur Versöhnung mit Rußland mache, dieselben einer ernsten Prüfung unterziehen. Man glaubt nun in diplomatischen Kreisen, Zankow werde mit der Uebermittelung solcher Vorschläge betraut werden, die, wenn sic eine günstige Antwort erfahren, der großen Sobranje vorgelegt werden sollen. Ein Begehren nm Anerkennung des Fürsten Ferdinand ! würde der Zar ebenso schroff abweisen, wie zur Zeit Aleranders. Der Zar erwartet vom Fürsten, daß er Karawelow befreit und den Emigranten die Rückkehr nach Bulgarien ge stattet. Amerika. Auf 20 Millionen Dollar werden für die Ver. Staaten die Verluste und Kosten des letzten großen Streiks und Aufruhrs veranschlagt. Für den an Eisenbahn- und anderem Eigentum in Chicago angerichteten Schaden wird genannte Stadt auf- zukommcn haben. Einer Depesche aus Peru zufolge ist Trujillo von dem Jnsurgentenchef Semeinario eingenommen worden. Die Regierungsttuppen, die nach Juinin geschickt waren, um die Rebellen anzugreifen, erklärten sich für die Insurgenten. Keimgefunüen. Leidenschaftlich hatte Johanna die schöne Schwester an sich gezogen und mit feuchten Aügen blickte sie j ih; binend ins Gesicht Auguste war selbst ergriffen j und drückte einen Kuß auf Johannas blühende Lippen; - dann begann sie liebevoll abwehrend: „Vergib mir, daß ich deine Ueberzeuguug nicht auch zu meiner machen kann; du hast deine Götter, ich die meinen! Trotzdem wollen wir fortan wieder so ein trächtig sein, wie wir es früher waren!" j Äst schmerzlich bebender Stimme entgegnete Johanna: ^Wärest du nie in Paris gewesen! Das Jahr, welches du dort verbracht, hat dich unserm Volke und denr Vaterlande entfremdet! Blicke hinaus auf die Berge und auf die friedlichen Wohnstätten, die sich dort be- ! finden und in die Mord und Braud getragen wurden, als man Tirol seinem rechtmäßigen Herm geraubt. Weiber und Mädchen und hilflose Greise warf man in Flammen und unschuldige Kinder spießte man au Bajonette. ! lind nicht Henkersknechte verübten solche Gräuel, sondern ! die' Soldaten Napoleons! Wirf ab alles Fremde und ! lerne ihn Haffen, den falschen Ruhmesschein der Unter- ! drücket, und lerne wieder deutsch denken und empfinden und unser Vaterland über alles lieben!" ! „In Ewigkeit ! Amen!" erklang da plötzlich eine volle Männerstimme. Als die beiden Mädchen sich erschrocken umwandten, erblickten sie inmitten des Zimmers einen Kapnziner- mönch, der unbemerkt hereingekommen war und alles ! gehört hatte. Hoch aufgerichtet stand er da und aus j seinem vor Erregung blassen Gesicht leuchtete ein,Strahl ! der Begeisterung. > „Verzeiht, ihr edlen Fräulein, daß ich ein unfrei williger Lauscher war. Der Herr Baron Thurming hat mich hierherbestellt, tim mir von Amtswegen eine Rüge zu erteilen, meiner letzten Predigt wegen, die zu feuer- glühend und patriotisch gewesen sein soll. Er würde wohl stillschweigend darüber hinweggegangen sein, als Beamter muß er jedoch aus die gehässige Anzeige hin seiner Pflicht genügen. Auch ich weiß den Mann von seinem Amte zu unterscheiden. Ich bin der Pater Joachim Haspinger." Nach einem stummen G.ruße entfernte sich Auguste, um den Kapuzinermönch beim Onkel anzumelden. Kaum war sie fort, so trat Haspinger rasch auf Johanna zu, und indem er innig ihre beiden Hände saßte, sprach er tief bewegt: „Der liebe Gott hat in reichster Fülle holden Lieb reich über dich vergossen, den kostbarsten Schatz jedoch in deine Brust gelegt, welche ein treues Tirolerherz birgt Die Worte, die du vorhin gesprochen, sie flammen heiß in mir wieder und ich will sie aus den Bergen und im Thale von Haus zu Haus, von Hütte zu Hütte tragen!" Nach kurzem Besinnen flüsterte Pater Haspinger dem Mädchen zu: „Schwöre mir aufs Kreuz, daß du schweigen willst, so sollst du ein Geheimnis von mir vernehmen." „Ich bin Tirolerin, und da braucht es wohl nicht des Schwures!" . „Verzeihe, edles Fräulein, du hast recht! So wisse denn: unser Volk wird mit eigener Hand seine Ketten brechen und sich wie ein Mann erheben; der Bund ist bereits geschlossen und wir warten nur noch auf den Ausbruch des Krieges zwischen Oesterreich und Frankreich. Ich habe deiner zarten Seele Großes anverttaut, aber ich konnte mir es nicht versagen, dir die Freudenkunde mitzuteilen!" Leuchtenden Auges blickte der Kapuzinermönch auf Johanna, dann legte er ihr segnend die Hand aufs blonde Haupt. Als nach einer Weile Auguste wieder erschien, dem Mönch bedeutend, er möge sich zum Onkel begegen, sprach er innig zu ihr: „Du holdes Kind, lasse auch meine Bitten sich mit denen deiner Schwester einen und schenke gleich ihr unserm armen Tirol dein Mitgefühl, Gott wird dir's sicher lohnen." Mit einen! frommen Gruß entfernte er sich gleich darauf. Während Johanna schwärmerisch hinüber zu den hohen Bergen blickte, schaute Auguste gedankenvoll nach der Thür, durch die soeben der Mönch ver schwunden. Als dieser eben das Gemach des Barons Thurming betrat, bei dem er mit einer höflichen, aber eindringlichen Verwarnung davon kam, begab sich Jakob Burgmaier, der gewesene Raubmörder, zum Polizeirat Pirou, wo er sich zu melden und die seine Freilassung betreffenden Papiere abzugeben hatte. Derselbe war ein Franzose und ein gewiegter, in allen Schlichen wohlbewandäter Beamter, der Jakob ganz allein in seinem Privatgemach empfing. Als dieser nach ungefähr einer Stunde sich wieder entfernte, da war sein Antlitz totenblaß, aber aus seinen Augen blitzte wilder Hohn und düstere Entschlossenheit. Und während er dann durch die Straßen der Stadt schritt, überzählte er vorsichtig mehrere blitzende Goldstücke und nachdem es geschehen, ließ er sie in seiner Hosen tasche aneinander klingen und stellte sich an dem ver lockenden Ton derselben, indem er vor sich hin murmelte : „Für dieses Geld gibt es kein Kerkerelend; dasselbe soll aber nicht ins Wirtshaus wandern, sondern Miner alten Mutter und dem lieben Enkelkinde zu gute kommen!".