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Frankreich «nd Italien. Der Aufenthalt in Italien kann gegenwärtig nicht gerade zu den besonderen Annehmlichkeiten zählen; trotz dem der Belagerungszustand nur über einzelne Bezirke vechängt ist, gärt es doch auf der ganzen Apenninen- Halbinsel und der Nährboden der tiefgehenden und all gemeinen Unzufriedenheit ist die drückende Notlage, in der sich die an und für sich Zwar sehr entbehrungsfähige Landbevölkerung und ein Teil der industriellen Arbeiter befinden. Die Steuer- und Verwaltungsverhältnisse sind zudem so trauriger Natur und die Möglichkeit einer Reform auf parlamentarischem Wege so gering, daß auch nach dieser Richtung hin die schlimmsten Besorgnisse bestehen. Den Rückgang im italienischen Erwerbsleben hat zu einem nicht geringen Teile der Zollkrieg mit Frankreich ver schuldet; die Ausfuhr-Erleichterung, welche besonders den italienischen Weinen durch den neuen Handelsvertrag mit Deutschland zu teil geworden ist, konnte jenen Schaden nur zu einem sehr geringen Teile aufwiegen. Immerhin ist der Handelsvertrag als Zeichen freundschaftlicher Ge sinnungen zwischen beiden Ländern eine Unterstützung des Friedensbündnisses, das Deutschland, Oesterreich- Ungarn und Italien umfaßt und das den Franzosen ein Dom im Auge ist. Der Pariser ,Figaro" hat einen seiner Redakteure nach Italien entsendet, um den König Humbert in aller Form „interviewen" zu lassen, und der König hat sich auch dieser Prozedur unterzogen. Aller dings ist dabei für die Sensationslust nichts herausge- gesprungen. Der König hat dem Berichterstatter sehr nüchterne Antworten gegeben und im übrigen betont, daß er sowenig wie sein Volk feindselige Gesinnungen gegen Frankreich hegen, daß vor allem die Besorgnis Frankreichs, Italien könne in seine Alpengrenzländer ein fallen, gänzlich unbegründet ist. Der König sagte auch, es wäre der Franzosen gutes Recht, ihre Handelbedingungen nach eigenem Belieben stellen, wie es Italiens gutes Recht wäre, dieselben an zu nehmen oder abzulehnen. Solche selbstverständlichen Wahrheiten brauchten sich die Franzosen eigentlich nicht erst aus Italien zu holen; sie sollten sich dergleichen selbst sagen. Der Interviewer hatte aber auch wohl nur den Zweck, den unangenehmen Eindruck abzuschwächen, j den die Venediger Zusammenkunft des Kaisers Wilhelm ! mit dem König Humbert in Frankreich Hervorrufen mußte. ! Die Monarchen der übrigen Mächte begegnen sich häufig ! und tauschen freundschaftliche Versicherungen aus; selbst der Zar, der „Freund" Frankreichs, hat eine Zusammen- - kunft mit dem deutschen Kaiser geplant und nur Frank- ! reich geht immer leer aus; es muß sich im günstigsten ! Falle mit dem Besuch des einen oder anderen russischen Großfürsten in Paris begnügen lassen. Der französischen Chauvinistenpresse wäre es gewiß ganz lieb gewesen, wenn der König ihr durch minder freundliche und nüchterne Bemerkungen über das Ver hältnis zwischen Frankreich und Italien Gelegenheit gegeben hätte, gegen die „italienische Schwesternatton" lustig weiterzuhetzen. Frankreich hat von neuem den Eindruck empfangen, daß es in Europa vollständig isoliert dasteht und daß auch der Schemen eines Bündnisses mit Rußland sich immer mehr und mehr verflüchtigt. Man wird gegenüber diesen Verhältnissen selbst er messen können, wie weit Frankreich und Italien davon entfernt sind, handelspolitisch wieder auf einen guten Fuß zu kommen. Hinzutritt, daß man französische Sendlinge als verantwortlich für den in Sizilien ausge brochenen Aufstand einzelner Distrikte betrachtet, wie ja denn auch in Spanien die monarchischen Institutionen fortgesetzt durch französische Agitationen angegriffen werden. Die Republikaner Frankreichs würden es natürlich sehr gern sehen, wenn auch Italien und die Pyrenäenhalbinsel die republikanische Staatsform an nehmen würden, denn alsdann dürften sie bestimmt darauf rechnen, bei beiden nicht nur einen politischen Rückhalt zu finden, sondem auch in beiden Gebieten maßgebenden Einfluß zu gewinnen. Alles in allem genommen, ist das Verhältnis zwischen Frankreich und Italien um kein Haar besser, als dasjenige zwischenFrankreichunddem Deutschen Reich, und es find hier so wenig wie dort Aussichten auf eine solche Besserung vorhanden. Italien wird lernen müssen, sich auf sich selbst zu verlassen, und dazu ist eine gründliche Reform arbeit nötig, der Crispi aber offenbar nicht gewachsen ist. Er selbst ist z. B. mit den Banken so verquickt, daß er an eine grundlegende Reform des Bankwesens nicht denken, ohne sich der Gefahr auszusetzen, von neuem bloßgestellt zu werden, wie daS bisher schon ge schehen ist. Mit Flickwcrk aber, wie es Crispi treibt, ist Italien nicht mehr zu helfen. Politische Rundschau. Deutschland. Am Donnerstag reiste der Kaiser von Abbazia ab, um am Freitag in Wien einzutreffen. Am 14. d. ! gedachte sich der Monarch nach Karlsruhe zu begeben. Wie die ,Wes.-Ztg." erfährt, ist der B o ts ch a ft er ! in Paris, Graf M ünster, der sich auf kurze Zeit zu seiner Erholung nach Homburg begeben hat, dort nicht unerheblich erkrankt und wird, wenn auch eine Lebens- gefahr nicht vorliegt, seinen Aufenthalt in Homburg über die festgesetzte Zeit verlängern müssen, da sein Gesund- j heitszustand bis auf weiteres eine Wiederaufnahme seiner amtlichen Thätigkeit nicht zulässig erscheinen läßt. Graf Münster steht im 74. Lebensjahre. Dem Bundesrat ist ein preuß. Antrag zugegangen, daß die Frist, binnen welcher der sonntägliche Fortbildungsunterricht fortbestehen kann, bis 1. Oktober 1897 erstreckt werden soll. Es darf als gewiß gelten, daß die Reichsregierung an dem Plane, dem Reichstag in dessen nächster Tagung eine neue Tabak st euervorlage vorzulegen, fest halten werde. Eine dementsprechende Erklärung dürfte, wie man annimmt, noch vor Schluß der Tagung von Zuständiger Seite abgegeben werden. j Von größeren Vorlagen wird der Reichs- tag nach den jetzt getroffenen Anordnungen un- ! erledigt liegen lassen: die Tabak- und Weinsteucr, ! sowie den Finanzreformplan, den Gesetzentwurf betr. die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, der schon die vorige Legislaturperiode ohne Ergebnis beschäftigt hat und in dieser Session nicht einmal zur ersten Lesung gekommen ist, den Bericht der Börscn-Unter- suchungs-Kommission. Ein Gesetzentwurf betr. die öffentlichen Aus- Verkäufe zum Zwecke einer beschleunigten Veräußerung von Waren wird soeben dem Reichstage von den Abgg. Hirschel und Genossen überreicht. Die Kommission des Reichstages zur Vorberatung ' des Gesetzes über den Schutz der Brieftauben i und den Brieftaubenverkehr im Kriege hat die Beratung der Vorlage in dreistündiger Sitzung beendet. Bei 8 1, der besagt, daß die Vorschriften der Landesgesetze über - das Recht, Tauben zu halten u. s. w.', auf Militär- Brieftauben keine Anwendung finden, wurden auch die Vorschriften über die Tötung dieser Bestimmung unter worfen. — 8 2 erhielt folgende Fassung: Die Uebungs- reisen der Brieftauben sind völlig freigegeben. Im übrigen unterliegen auch Militär Brieftauben den cvent. eingeführten polizeilichen Sperrzeiten, doch dürfen von diesen Sperrzeiten, nur je eine im Frühjahr und im Herbst angesetzt und nur auf zehntägige Dauer bemessen sein. — ß 3 besagt, daß als Militär-Briestauben solche gelten, die der Militär- oder Marine-Verwaltung gehören und mit dem vorgeschriebenen Stempel versehen sind. Hier wurde folgender Zusatz angenommen: Privat-Brief- tauben genießen die Vorrechte erst dann, wenn durch öffentliche Bekanntmachung sie als der Militär-Verwal tung zur Verfügung gestellte bezeichnet sind. Der Zentrumsführer Dr. Lieber gab in einer durch die Blätter gehenden Erklärung den Entschluß kund, sein Mandat zum Reichstag und zum preuß. Landtag niederzulegen. Als Grund wird Meinungsver schiedenheiten mit Herrn v. Los angegeben. Wie der ,Germ." mitgeteilt wird, soll indessen Dr. Lieber die Ab sicht, seine Mandate niederzulegen, wieder aufgegeben habeu. Oesterreich-Ungarn. In der Dienstagsitzung des österreichischen Abge ordnetenhauses sprachen zwei Jungtschechen gegen die Bewilligung der kaiserlichen Zivilliste, die bisher immer debattelos angenommen worden ist. Die tschechischen Redner erklärten, gegen die Zivilliste stimmen zu wollen, weil Kaiser Franz Joseph nie in Prag residiere und sein Versprechen, sich zum böhmischen Könige krönen zu lassen, nicht gehalten habe. Die Einführung eines österreichischen Spiritus - monopols hatten mehrere Blätter bereits im Anschluß an die Erklärung des Finanzministers Plener, daß eine Reform der Branntweinsteuer beabsichtigt sei, gemeldet: dem gegenüber erklärt das offiziöse,Wiener Fremdenbl.', es sei bisher keineswegs entschieden, ob die Frage durch eine einfache Erhöhung der Branntweinsteuer unter Bei behaltung der jetzigen Grundlagen oder durch die Ein führung des Handelsmonopols werde gelöst werden. Es verlaute vielmehr, die einschlägigen Studien der Regie rung seien noch nicht so weit gediehen, daß man vor einer Entscheidung stände. Frankreich. Infolge der Experimente in Calais mit einer neuen, von einem Kavallerie-Kapitän erfundenen Kanone wurde letztere für die ganze französische Feldarttllerie ange nommen. Die Lafette mit den notwendigen Aenderungen an den Geschützrohren erfordert die Summe von 240 Millionen. Das neue Geschütz hat Metall - rädcr, besitzt vermindertes Gewicht und eine bedeutende Durchschlagskraft. InArgenteuil explodierte im Hause des Friedens richters eine Bombe, durch die ein geringer Schaden an Sachen angerichtet wurde. Als mutmaßlicher Thäter ist ein Anarchist namens Major verhaftet worden. England. Ein für die S e c k r i e g s b e r ei ts ch a f t Englands wichtiges Abkommen hat die Londoner Admiralität mit verschiedenen transatlantischen Dampferlinien dahin ge troffen, daß diese achtundzwanzig Dampfer für den Not fall der Admiralität zur Verfügung stellen und dafür eine Unterstützung im Bettage von 34 000 Pfund erhalten. Im letzten Jahre waren es nur 9 Dampfer, über die die Admiralität in dieser Weise verfügte. Holland. Bei den Wahlen zur zweiten Kammer wurden nach den bisher vorliegenden Resultaten 23 Anhängc r des vom Minister des Innern Dr. Tak eingebrachtcn W ahl- re f o r m Projekts und 37 Gegner desselben gewählt. In 23 Wahlkreisen sind Stichwahleit erforderlich, bei denen 30 Anhänger und 16 Gegner des Entwurfs be teiligt sind. Die Regierung dürfte also eine Majorität kaum erzielen und wird nun wohl oder übel, da eine abermalige Auflösung der Kammer keinen Sinn Hütte, zurücktteten oder die Wahlrechtsvorlage zurückziehen müssen. Schweden-Norwegen. Die norwegische Regierung hat im Storthing eine Vorlage über die Krankenversicherung der Arbeiter eingebracht. Der SLaaLstanwatt. 16j <siortsrtzuna>> Der Polizeikommissar schwieg bedeutungsvoll. „Nun, was denken Sie?" fragte der Staatsanwalt. Der Kommissar wiegte langsam seinen Kopf hin und her. „Daß es entweder ein Angestellter aus dem „Reb stock" gethan hat, oder — einer der anderen," sagte er dann. „Wie meinen Sie?" „Daß es ein Kellner war, ist unwahrscheinlich. Es sind da nur vier Mann, die alle schon lange im „Reb stock"" find und von denen wenigstens Herr Ehrecke be hauptet, daß gar nicht daran zu denken sei. Auch nach allem, was ich selbst gesehen habe, glaube ich es nicht. Zudem wäre es für einen Kellner schwer gewesen, auf eine halbe Stunde oder noch länger zu verschwinden. Viel eher wäre das für einen der Kneipenden möglich." „Also wäre cs einer von diesen gewesen?" Der Beamte schien sich zu winden. „Ich wage nicht recht, das anzunehmen, denn es find eben alles feine Herren gewesen. Aber es bleibt beinahe nichts anderes übrig." Der Staatsanwalt schwieg einen Augenblick- „Ich danke Ihnen," sagte er dann. „Haben Sie sonst noch etwas?" „Nein, vorläufig nichts," erwiderte der Beamte etwas verwundert. „Ich werde die Sache in Erwägung ziehen. Bemühen Sie sich in einer Stunde wieder hierher. Oder halt," fuhr er fort, indem er sich gewaltsam faßte; „ist denn ! sonst keine Möglichkeit, keine? In einem solchen Restau- grant find ein Menge Leute thätig. Ist nicht ein Lauf- ! bursche da, oder . . . ." Er überlegte einen Augenblick und es war ihm, als dämmerte am finsteren Horizont ein neues Licht. . . . „Ich sah heute morgen einen jungen Menschen im „Rebstock", ich glaube es war der Hausknecht. . . . Warten Sie, ich habe nur wenig auf ihn geachtet, aber es war da etwas.... ja, ganz recht, er horchte, als ich mit Herrn Ehrecke sprach .... sein Gesicht gefiel mir nicht . . . vielleicht ist da noch eine Möglichkeit." „Ja, der Hausknecht," erwiderte der Kommissar, „den hatte ich ganz vergessen. Auch Herr Ehreckc hatte nicht daran gedacht. Aber ich habe ihn auch gesehen, und er schlich um uns herum, als wir zusammen sprachen, ilnd es ist ganz richtig, ein Gesicht danach hat er auch. Es war ja auch zu dumm, was ich einen Augenblick dachte. Ich will sofort noch einmal hin und hinhören." „Thun Sie das und kommen Sie sobald als möglich wieder," versetzte der Staatsanwalt, indem er ihn entließ. Kaum war der Staatsanwalt wieder allein, als er schwer und wie halb ohnmächtig in den Sessel sank. Einen Augenblick überwältigten ihn die Eindrücke, die er soeben empfangen hatte. Ja, noch immer war eine Möglichkeit, daß sein Verdacht unbegründet sei. Aber diese Möglichkeit war so schwach, so unbestimmt, und der Verdacht war so furchtbar. Doch es half jetzt nichts mehr, er mußte Gewißheit haben, Gewißheit um jeden Preis, selbst wenn es sein Liebstes kosten sollte und ihm das Herz abdrückte. Er erhob sich, und fest schritt er zur Thür hinaus. „Wollen Sie so gut sein", sagte er zu einem der jüngeren Schreiber, „nach meiner Wohnung zu gehen und meinen Sohn Wilhelm hierher zu bitten. Ich hätte Wichtiges mit ihm zu reden. Aber beeilen Sie sich!" Während der Schreiber sich aufmachte, kehrte der Staatsanwalt wieder in sein Zimmer zurück. Es galt, ' sich zu sammeln; er mußte fest bleiben; er durste nicht ! wanken und nicht müde werden. Und es war doch so ! furchtbar! Es war eine so entsetzliche Last, die er tragen mußte. Er trat an das Fenster. Da draußen lachte noch i immer die Frühlingssonne. Noch war der Tag nicht zu i Ende gegangen, der so blutig anhob. Noch heute mußte eS sich erfüllen. Und all dieser lachende Sonnenschein, er j kümmert sich nichts um das Weh, daS die Menschenbrust ! durchbebt; um den Jammer, der die Menschenherzen erfüllen kann, (ft- breitet sich leuchtend aus, als ob er ! alles Böse, alle Not damit zudccken wollte. Aber tiefer, als alle Sonne dringen kann, sitzt oft das Verderben, sitzt ! der bohrende Wurm, der an unserem Herzen zehrt. Und unter dem schillernden Glanz schleicht das Böse umher. O, dieser Sonnenschein lügt; es ist nicht wahr, was er verkündigt. Es gibt kein Glück, keine Freude dieser Erde! Alles ist Elend und Jammer! Und wir leben nur, um Zu sterben! — So wühlten die Zweifel und Vor stellungen in dem pflichtgetreuen Beamten. Wilhelm war durch die Botschaft seines Vaters über rascht und erschreckt. Er hatte so manches auf dem Kerbholz und er wußte, daß es nichts Gutes bedeudete, als er jetzt gerufen wurde. Handelte es sich um den alten Wucherer? Gerade in dieser Sache war ihm nicht recht wohl. Wer konnte wissen, was da nicht alles zu Tage kam! Denn es konnte nicht ausbleiben, daß die Bücher des Toten genau untersucht wurden. Dazu erinnerte sich Wilhelm des sonderbaren Be nehmens, das sein Vater am Mittag zur Schau trug; wie er keuchend und fast atemlos auf der Erde lag und unter den Möbeln suchte. Was suchte er, was wollte er? Hatte er einen Verdacht geschöpft? Einen Augenblick schwankte Wilhelm, ob er n«ht lieber den Gehorsam verweigern und trotzig den Boten