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Zehn Jahre Frieden! Am 20. d. früh tritt der neue Handelsvertrag mit Rußland in Kraft. Daß der Abschluß ^Rückwirkung auf die Politik äußert, zeigt sich in dem eigenhändigen Schreiben, das der Zar dem deutschen Kaiser durch den General v. Werder hat überbringen lassen, und durch den Besuch, den Kaiser Wilhelm am 17. d. der russischen Botschaft in Berlin abgestattet hat. Alle von der Reichs regierung beabsichtigt gewesenen Handelsverträge sind nun abgeschlossen. Die zu Ende 1891 und zu Anfang 1892 mit Oesterreich, Italien, Belgien und der Schweiz abge schlossenen lauten auf 12 Jahre Dauer, die zu Ende 1893 und zu Anfang 1894 mit Spanien, Rumänien, Serbien und Rußland auf 10 Jahre. Alle die Ver träge laufen also, mit einem Unterschied höchstens von einigen Monaten nach 10 Jahren ab, sofern man sie dann nicht in derselben Gestalt ohne Kündigung fort dauern läßt oder sofern nicht andere an deren Stelle gesetzt worden sind. Durch diese Verträge und die zwischen uns und manchen anderen Nationen (Frank reich, Nordamerika u. s. w.) bestehende Meistbegünsti gungsklausel werden also für Jahre jetzt unsere handels politischen Beziehungen mit dem Auslande geregelt; Landwirtschaft, Gewerbe und Handel wissen, woran sie sind, und können auf festem Boden sich einrichten. Die für das Erwerbsleben so wichtige Sicherheit und Beständigkeit ist in einem höheren Maße gegeben, als Wohl je zuvor. Während der größere Teil unserer Landwirtschaft, wenigstens soweit diese im Reichstage zu Worte gekom men ist, sich mit dem neuen Kurs in der Zoll- und Handelspolitik nicht befreunden kann, ist die deutsche In dustrie im allgemeinen mit dem vollzogenen Abschluß zu frieden und es liegen jetzt bereits zahlreiche Bestellungen ! aus Rußland vor. Lübeck hat sogar beim Eintreffen der Nachricht von der Annahme des Handelsvertrages durch den Reichstag geflaggt und es ist natürlich allen Inter- i essenten von Herzen zu gönnen, daß dieser spontane Freudenausdruck sich als begründet erweisen möge. Ein alter Dutzendweisheitsspruch sagt, eine jede Sache habe zwei Seiten. Die eine Seite des neuen Vertrags- Verhältnisses beleuchten die,Daily News' in folgender Weise: „Die Genehmigung des Vertrages im deutschen Reichstag ist ein persönlicher Triumph für den Kaiser und seine Minister. Das gesamte System des mittel- ! europäischen Zollvereins ist ihr Werk. Fürst Bismarck erfand die militärischen Bündnisse, sein Nachfolger und der Kaiser haben ein viel stärkeres Band in den Handels verträgen gefunden. Der frühere Reichskanzler band Deutschland, Oesterreich und Italien durch ihre Be fürchtungen zusammen, sein Nachfolger hat die Länder durch ihre Interessen verbunden. Das militärische Bündnis verband höchstens drei Mächte, das Handelsbündnis kennt keine solche Grenzen. Jetzt ist es schon ein Bündnis von vier Großmächten, außerdem - befinden sich viele kleinere Staaten darin. Die neue Politik Deutschlands ist eine viel weitsichtigere, als / die des Fürsten Bismarck, der es nur auf die Vertcidi- digung des Reiches abgesehen hatte. Die neue Politik hält die Völker zusammen mit Reifen von Stahl. Sie verleiht den natürlichen Kräften freien Spielraum. Die Nationen sollen miteinander Handel treiben zu ihrem gegenseitigen Vorteil, und die neuen Verträge beseitigen . nur einige von den rein künstlichen Hindernissen. Der ! deutsch-russische Handelsvertrag ist ein großes Werk, ein j größeres, als der Abschluß des Dreibundes. Der Vertrag k hat das Werk des Fürsten Bismarck mehr als vollendet. Sein Traum war es, Rußland zu einem Bündniß zu bewegen. Einen Augenblick gelang es ihm, er konnte es aber nicht halten. Sein Nachfolger hat Rußland zurückerlangt und das durch ein Abkommen, wodurch die Loyalität gegen Frankreich unberührt bleibt. Tas ist ein Meisterstück." In ebenso übertriebener Weise bespricht das Organ des Bundes der Landwirte die „andere" Seite, indem es schreibt: „Nicht an den Frieden mit den Freihändlern, Sozialdemokraten, Börsianern und allen übrigen Gegnern der Landwirtschaft denken wir, sondern neuer Kampf ist unsere Parole. Gerade die Annahme dieses Vertrages mit den halbbarbarischen Russen, diesen Schlächtern von Kroze und Henkersknechten des baltischen Deutschtums, mit diesen tatarisch-mongolischen Halbasiaten, deren Zurückwerfung bis jenseits des Urals eine Aufgabe der europäischen Kulturwelt wäre, — die Annahme dieses Vertrages, sagen wir, wird der Ausgangspunkt einer agrarischen Bewegung von solcher Mächtigkeit werden, daß sie alles niederwirft, was sich ihr in den Weg stellt." Das klingt sehr kriegerisch, hat aber keinen ver nünftigen Zweck, da mit der Annahme des Handelsver trages ein zehnjähriger Friede geschlossen worden ist, an dem nicht gerüttelt werden kann. Pflicht und Klugheit gebieten gleichzeitig, sich mit den gegebenen festen Verhältnissen abzufinden. Politische Kundscha«. Deutschland. Der Kaiser reist voraussichtlich am 19. d. nach Abbazia; er wird begleitet u. a. von den Kom mandanten des Hauptquartiers v. Plessen, dem Chef des Marinekabinetts v. Senden-Bibran und dem Ver treter des Auswärtigen Amts, Geh. Legationsrat von Kiderlcn. Die Chefs des Militär- und Zivilkabinetts bleiben wahrscheinlich zurück. Graf Eulenburg, der Preuß. Gesandte in München, wird, wie verlautet, in den Ostertagen einer kaiserlichen Einladung nach Abbazia Folge leisten. Dem Kaisermahl, das am 7. d. in der russischen Botschaft in Berlin stattfand, wird schon jetzt größere politische Bedeutung beigemessen. Demselben wohnten außer dem Kaiser und dem Reichskanzler auch der deutsche Botschafter in Petersburg, General v. Werder, bei, der ein eigenhändiges Schreiben des Zaren überbrachte. Der Umstand, daß das Mahl zusammentrifft mit der Ent scheidung über den russischen Handelsvertrag, gibt ihm allerdings eine gewisse Bedeutung. Der deutsch-russische Handelsvertrag tritt am Dienstag früh acht Uhr in Geltung. Es ist in den beteiligten Kreisen aufgefallen, daß bei den Debatten über den russischen Handels vertrag niemals die Aufhebung der bisher erforder lichen Ursprungszeugnisse in Anregung gebracht ist, obgleich dieselben nach Abschluß des Vertrages mit Rußland deshalb überflüssig sind, weil dann alle in Betracht kommenden Länder in Verträgen mit Deutsch land stehen. Wie die ,Freis. Ztg/ mitteilt, ist auf eine private Anfrage seitens der maßgebenden Minister die sofortige Aufhebung der Ursprungszeugnisse, ausge nommen für Wein, Most und gebrannte Mandeln, zugesagt. notwendig erkannten Finan^reform besReiches zu kommen. Wenn auch dieses Ziel in nächster Zeit vielleicht noch nicht zu erreichen sei, so läßt sich doch die Hoffnung nicht aufgeben, daß die Dringlichkeit der Reform immerhin anerkannt und gewürdigt werde. Die Verkehrs ei nrich tu ngen des Reichs in den Kolonialgebieten haben wiederum eine Ver mehrung erfahren. In West - Afrika ist durch die am 8. Januar erfolgte Eröffnung des Telegraphenverkehrs zwischen Lome im deutschen Togogebiet und den An stalten der englischen Goldküste das deutsche Schutzgebiet an die unterseeischen Kabel zwischen Afrika und Europa angeschlossen worden und die Fortführung der Tele graphenlinie von Lome bis Klein-Popo ist so weit vor geschritten, daß letztgenannter Ort voraussichtlich Ende dieses Monats telegraphisch zu erreichen sein wird. Frankreich. Am Freitag vormittag wurden in Paris weitere 12 Anarchisten verhaftet; doch hängen diese Verhaftungen, wie versichert wird, durchaus nicht mit der neuerlichen Explosion in der Madeleine-Kirche zusammen, bei der der Attentäter allein ums Leben kam. England. Im Unterhause erklärte der Unterstaatssekretär des Auswärtigen, die Negierung der Ver. Staaten habe mit geteilt, sie besitze keine speziellen Schiffe für die Zer störung der Wracks im Atlantischen Ozean, die amerikanischen Kriegsschiffe zerstörten aber stets solche Wracks, wo sie angetroffen werden. Die Ver. Staaten hätten ihre Bereitwilligkeit angedeutet, eine Konferenz der Hauptseemächte über diesen Gegenstand einzuberufen. Für den englischen Marine-Etat für 1894/95 wird von der Negierung eine Erhöhung von 3126 000 Pfund (etwa 62 Mill. Mark) vorgeschlagen. Das Personal der Flotte soll um 6700 Mann vermehrt und mit den: Bau von 7 Schlachtschiffen 1. Klasse, 6 Kreuzern 2. Klasse und 2 Korvetten begonnen worden. Der Tod Lobengulas wird unter dem 13. d. aus Kapstadt amtlich bestätigt, ebenso die Auffindung der Ueberreste des K a p i t ä n s W i l s o n und seiner Patrouille. Italien. Die Kommissiion zur Beratung der finanziellen Maßnahmen bewahrt über ihre Arbeiten absolutes Geheimnis. Wie die Igenzia Stefani' wissen will, hat die Kommission bisher keine endgültigen Beschlüsse gefaßt. — Die Kammer hat sich bis zum 4. April vertagt. Partei, Gara sch anin, auf das heftigste angreift verschuldet zu haben. Vom serbischen Erregenten Ristitsch ist eine Broschüre erschienen, die den Führer der Fortschritts Die Nachricht, daß die Armee neu unifor miert werden soll und zwar etwa nach dem Muster der österreichischen, bezeichnet die,Kreuz-Ztg.' als Er findung. Der bayrische Landtag hat ein Gesetz ange nommen, das das Auffliegeulasseu von Brieftauben ausländische Brieftauben auffliegen zu lassen. s Der sächsische Landtag wurde am Freitag ' vom König Albert mit einer Thronrede geschlossen, in der es u. a. heißt: Die Steuerkrast des Landes dürfte zur Deckung der Bedürfnisse des Reiches in bei weitem höheren Maße als bisher in Anspruch genommen wer den, so lange es nicht gelänge, zu der als unabweislich Balkanstaaten. In dem doppelten Erb st reite zwischen Rumänien und Griechenland in der Zappa- Angelegenheit, die bekanntlich den Bruch der diploma tischen Beziehungen zwischen beiden Staaten herbei führte, ist in den letzten Tagen insofern eine Verände rung eingetreten, als die rumänische Regierung ihre An sprüche auf die eine Erbschaft, die von Konstantin Zappa herrührt, zurückgezogen hat. Nach einem amtlichen Bericht über die Beratung der Aerzte wurde bei der Fürstin Atarie Luise von Bulgarien eine Leberanschwelluug infolge des Fiebers und eine örtliche Entzündung festgestellt. Es sei gegründete Hoffnung auf das Verschwinden der selben ohne Eingriff von außen vorhanden. Im übrigen sei der Zustand der Fürstin befriedigend, die Nahrungs ¬ beschränkt. Der Minister des Innern Frhr. v. Feilitzsch und ihn beschuldigt, alles Ungemach, worunter Serbien machte dabei die bemerkenswerte Mitteilung, daß man jetzt leidet, durch seine achtjährige Herrschaft unter Milan in letzter Zeit versucht habe, im westlichen Bayern 5000 i verschuldet zu haben. Die serbische Regierung beabsichtigt sämtliche Die preußische Regierung verzichtete auf ! Milizen zu entlassen und ist fest entschlossen, alle das Einbringen eines N o t g e f e b e S wegen des nicht Radikalen aus dem Staatsdienste zu entfernen, rechtzeitigen Zustandekommens des Etats. Sie wird i wenn diese ihre Angriffe auf die Regierung sortsetzen nach Ostern die Einfügung eines Jndemuitätsparagraphen ! sollten. in das Etatsgesetz veranlassen. Der SLcratsanwaL'L. üj iForlieMnisi.l Der Staatsanwalt ließ den neuen Zeugen sofort herbeirufen. Es war ein Arbeiter, der gegenüber wohnte und etwas vor Mitternacht nach Haus gekommen war. Er hatte zu seinem Erstaunen gesehen, daß es bei dem Alten noch hell sei, während derselbe sonst immer schon gegen zehn Uhr das Licht zu löschen pflegte. Es sei kein sehr starkes, doch ein gleichmäßiges Licht gewesen, mit dem die Vorhänge beleuchtet worden seien; ihm sei es vorgekommcn wie eine kleine Kerze. Er hätte sich aber nicht weiter darum bekümmert und sei zu Bett gegangen. Der Staatsanwalt überlegte einen Augenblick. Es schoß ihm ein Gedanke durch den .Kopf, doch äußerte er ihn vorläufig nicht. „Was meinen Sie?" fragte er den Kriminalbeamten. „Dann allerdings," antwortete der. „Eine Laterne ist das nicht gewesen. Ich glaube auch, es war ein Licht, das er bei sich trug. Oder halt, cs wird ein Wachs streichholz gewesen sein, eins von den Fünfminuten brennern, wie sie jetzt gebraucht werden. An den Schachteln ist gewöhnlich eine Vorrichtung, in die man das brennende Licht hineinstcckt und so wäre auch leicht zu erklären, daß keine Ueberreste von Zündhölzern zu finden sind." Auch der Staatsanwalt hatte denselben Gedanken gefaßt gehabt. Er äußerte indessen zurückhaltend nur: „Es ist möglich." Da im Schlafzimmer Wetter keine Anhaltspunkte zu finden waren, so kehrte man in das mittlere Zimmer zurück, in welchem der größte Teil der auf Pfand gege benen Wertsachen ausibewahrt war. Die Wände waren mit hohen und breiten Regalen besetzt, die in Fächer eingekeilt waren. In den Fächern lagen zahlreiche kleine, sorgfältig numerierte Pakete, die nach einer bestimmten Ordnung aneinandergereiht waren. Einige davon waren durchsucht; uud zwar wurden hier Uhren und andere Goldsachen aufbewahrt. Von mehreren Päckchen hatte der Mörder das Papier abgerissen und das Pfand ge nauer untersucht. Doch schien er sich von diesen Sachen nichts angeeignet zu haben. Der Kriminalbeamte, der mit dem Staatsanwalt diese durchwühlten Fächer genau besichtigt hatte, lächelte verständnisvoll. „Hier, Herr Staatsanwalt," sagte er, „liegt die Sache, wie ich denke, ganz klar. Der Mörder hat dem Alten einen Wertgegenstand in Versatz gebracht, vielleicht eine Uhr oder dergleichen. Er hat dabei ge sehen, wo der Alte sein Geld aufzubewahren pflegte und er hat den Plan gefaßt, zu stehlen. Als er dann durch einen unglücklichen Zufall zum Mörder geworden war, hat er wohl im ersten Augenblick, um alle Spuren seiner That zu verbergen und um jeden Verdacht von sich abzulenken, nach dem Versatzstück gesucht, das von ihm herrührt. Aber es wird ihm bald der Gedanke gekommen sein, daß er gerade dadurch, daß er dieses Versatzstück entferne, sich verdächtig machen würde, und so hat er alle diese Sachen schließlich liegen lassen. Immerhin, aller Wahrscheinlichkeit nach ist der Mörder einer von denjenigen Personen, denen diese Sachen gehören." „Vielleicht," erwiderte der Staatsanwalt, „daß doch eins oder das andere Stück fehlt. Wir werden das später jedenfalls nach den Büchern noch genauer unter suchen." Der Staatsanwalt ging in das erste Zimmer zurück. Der Tote lag noch immer am Boden, mit dem Gesicht nach oben, das in seiner fahlen Farbe, von dem grau ¬ weißlichen struppigen Haar umgeben, einen schrecklichen und beängstigenden Eindruck machte. Die Hände waren krampfhaft zusammeugeballt, doch waren sie leer; kein Stückchen Zeug, das sie etwa im Todeskampfe dem Mörder vom Leibe gerissen hatten, keine Spur, die auf eine bestimmte Fährte führen konnte. „.Kehren Sie den Toten um, wie er ursprünglich gelegen," sagte der Staatsanwalt, „Vielleicht, daß wir da etwas finden." Der Kriminalkommissar that nach seinem Geheiß. Doch auch hier kein bestimmtes Merkmal; nur daß das braune wollene Hemd, das der Tote an hatte, fast über den ganzen Rücken hin weiß gefärbt war wie von dem Kalk einer Wand. „Was ist das?" fragte der Staats anwalt. Und abermals durchfuhr es ihn von oben bis unten, als ob etwas Furchtbares, Unheimliches ihn bedrohte. „O," sagte der Beamte, „die Erklärung hierfür ist doch leicht. Der Tote hatte eben in der Dunkelheit mit dem Mörder gerungen und da mag er von ihm gegen die Wand gedrückt worden sein. Die Wand ist weiß getüncht und hat abgefärbt und dies hier sind die Spuren davon." „Ja, ja," meinte der Staatsanwalt nachdenklich, indem er sich gewaltsam beherrschte. Der Kriminalbeamte war ausgestanden mrd suchte an der Wand. „Hier kann man es übrigens deutlich sehen," sagte er dann. „Hier ist eine Stelle, von der der Anstrich gewischt ist. Offenbar ist es hier gewesen, wo der Alte gegen die Wand geknickt wurde. Auch die Höhe paßt zu seiner Größe." Der Staatsanwalt stand da, in Gedanken verloren und schien weder zu hören noch zu sehen. Der Kriminal beamte indessen verfolgte die Fkchrte weiter.