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FinanzverhaLtniffe Preußens ««d des Kelches. Unser gesamtes öffentliches Leben wird von der un günstigen Finanzlage Preußens und des Reiches beein flußt. Die Schwierigkeiten, das Gleichgewicht im Staats haushalt herzustellen, wachsen stetig und lassen die Zeit in nebelhafte Ferne verschwinden, in der wir nach einem bekannten Ministerworte „heidenmäßig viel Geld" hatten. Damals mag es eine Lust gewesen sein, den Finanz minister zu machen; das Amt Miquels dagegen mag diesem Herrn wohl eine hohe Ehre sein; Vergnügen und Genugthuung bereitet es ihm gewiß nicht. Die schlechte Finanzlage des Reiches — hervor gerufen durch den Ausfall der Zölle, wie dieser durch die neuen Handelsverträge bedingt ist, und durch den Mehr aufwand für Durchführung der Heeresreform — macht sich durch die gleichfalls schlechte Finanzlage Preußens erst recht bemerkbar. Die schwierige Lage Preußens datiert seit 1890 und kommt hauptsächlich daher, daß mit Rücksicht und im Vertrauen auf ein fortdauerndes günstiges finanzielles Verhältnis zum Reiche und auf fort dauernde Ueberschüsse der Betriebsverwaltungen des Staates die allgemeinen finanziellen Verhältnisse Preußens nicht genügend berücksichtigt worden find. Abgesehen von den Ueberweisungen an die Kreise aus der lex Luene, die jetzt mit 34 Mill. Mark den Etat belasten und be willigt werden mußten, um die Zollerhöhungen von 1885 und 1887 und die daraus fließenden Reichsemnahmen zu erlangen, und den 1890 eingeleiteten Gehaltserhöhun gen von mehr als 20 Mill. Mark kommen hierbei namentlich die durch das Gesetz vom 26. März 1883 durchgeführten Befreiungen und Erleichterungen an Ein kommensteuer im Gesamtbeträge von über 22 Millionen Mark und die durch die Gesetze von 1888 und 1889 hcrbeigesührten Erleichterungen der Volksschullasten in Betracht. Die erstere Maßregel knüpft an die Vermehrung der Reichseinnahmen infolge der Zoll- und Steuergesetze von 1879 und die zweite an die Einführung der Brannt weinverbrauchsabgabe im Jahre 1887 an; sie beruhen beide auf der Voraussetzung, daß Preußen dauernd ein erheblicher Anteil von den Erträgen dieser Steuern ver bleibt. Diese Voraussetznng aber ist mehr und mehr hinfällig geworden. Dazu kam noch der starke Rückgang infolge der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse, in der an sich schon schwierigen Periode gerade der er wähnte Umschwung in den Finanzen des Reiches ein getreten ist. Die unbedingte Notwendigkeit aber, neue Einnahme quellen zu erschließen, ist erst entstanden, nachdem sich die Reichsfinanzen um fast 100 Millionen verschlechterten ! und sich schließlich durch die notwendige Steigerung der j Ausgaben noch weiter verschlechtern müssen. Anfänglich > waren, allerdings noch mehr in der Rechnung, als nach ! dem Mat, die Ueberschüsse der Ueberweisungen über die ! Matrikulammlagen bedeutend. Selbst der Reichshaus- ! Haltsetat von 1892/93 stellte noch einen solchen Ueber- schuß von rund 20 Millionen in Aussicht. Im Etat von 1893/94 balancierten aber Ueberweisungen und Matri kulammlagen ungefähr, obwohl darin die durch die Militärvorlage bedingte Erhöhung der Mam- kularumlagen nicht berücksichtigt werden konnte. An Etat des laufenden Jahres hat gar ein Mehr der Matrikulammlagen von 18 Millionen Mark über die Ueberweisungen vorgesehen werden müssen. Hätte der Reichstag die neuen Steuerentwürfe angenommen, dann Wäre — vorausgesetzt natürlich, daß die neuen Steuern auch die erhofften Erträge gebracht hätten — das Reich auch fernerhin der „Wohlthäter" der Einzelstaaten ge wesen. Bekanntlich beabsichtigte Herr Mquel mit der Reichs-Steuerreform, den Einzelstaaten vorläufig auf die Dauer von fünf Jahren einen gewissen Ueberflhuß über die Matrikularbeiträge zu gewährleisten. Da es Reichs-Ausgaben sind, die die schlechte Finanz lage der Einzelstaaten, vor allem Preußens, verursachen, so ist es auch in erster Linie Sache des Reiches, für Abhilfe zu sorgen. Das ist auch die Ansicht der verbündeten Regiemngen und dieser Ansicht hat sich das preußische Abgeordnetenhaus angeschlossen. Selbstredend kann man über Einzelheiten verschiedener Meinung sein, auch ist es ja ganz Kar, daß bei dem schwierigen Werk, das hier vorliegt, kein Teil unbedingt auf seinem Schein bestehen darf; nur müssen alle Teile von der Notwendigkeit der Sache selbst überzeugt sein, dann wird sich auch ein solches Einvernehmen zwischen den gesetzgebenden Fak toren im Reiche einstellen. Politische Rundschau* Deutschland. Auf der Nordlandreise des Kaisers war der,Schles. Ztg? zufolge in Aussicht genommen, auch den Kronprinzen an der Fahrt teilnehmen zu lassen. Von dem deutschen Flotten-Geschwader, dessen Besuch an der englischen Küste angekündigt war, ist am Donnerstag die erste Abteilung, bestehend aus den fünf Kriegsschiffen „Baden", „Bayern", „Sachsen", „Württemberg" und „Pfeil" bei schönem Wetter in Queesferry bei Edinburg eingelaufen. Die Ortsbe wohner an beiden Ufern des Forth bezeugten den deutschen Gästen das lebhafteste Interesse. Den Ober befehl führt Vizeadmiral Köster. Prinz Heinrich be fehligt „Sachsen." Der,Reichs-Anz/ veröffentlicht das vom 19. April datierte Gesetz bett, den Handel mit Anteilen und Ab schnitten von Losen zu Privatlotterien und Ausspielungen. Dasselbe bestimmt: „Wer gewerbsmäßig geringere als die genehtnigten Anteile oder Abschnitte von Losen zu Privatlotterien und Ausspielungen, oder Urkunden, durch die solche Anteile oder Abschnitte zum Eigentum oder zum Gewinnbezug übertragen werden, feilbietet oder veräußert, wird mit einer Geldstrafe von 100 bis zu 1500 Mark bestraft. Dieselbe Strafe trifft denjenigen, der ein solches Geschäft als Mittelsperson befördert." Anfangs Juli werden die vom Bundesrat erlassenen Bestimmungen über die Einbeziehung von Hausgewerbe treibenden der Textilindustrie in die Invali - ditäts- und Altersversicherung in Kraft treten. Die Versicherungsanstalten, in deren Bezirken der hausgewerbliche Betrieb der Textilindustrie besonders stark entwickelt ist, sind gegenwärtig damit beschäftigt, Vorbereitungen zu treffen, damit die Neuemng ohne Schwierigkeiten zur Einführung gelangen kann. Amtlicher Nachweisung zufolge sind im Monat April in den deutschen Münzstätten an Reichsmünzen zur Ausprägung gelangt: Goldmünzen für 10 545 200 Mk. Doppelkronen, und zwar sämtlich auf Privattechnung, und an Kupfermünzen für 21201,85 Mk. Einpfennig stücke. Silbermünzen und Nickelmünzen sind während des genannten Monats nicht zur Ausprägung gelangt. Nach einer Londoner Meldung werden die englischen Abgesandten für den in Berlin tagenden Berg- Arbeiter-Kongreß folgende Fragen zur Tages- Ordnung stellen: achtstündige Arbeitszeit, Haftpflicht der Arbeitgeber, Frauenarbeit in und außerhalb der Mnen, Frage über ausreichenden Lohn zum Leben, Produktion, und wie dieselbe international zu behandeln ist, und Anstellung von Leuten als Inspektoren, die in den Gruben arbeiten oder gearbeitet haben. Oesterreich-Ungarn. In Kerikalen Kreisen Ungarns herrscht großer Jeckel über die Verwerfung der Zivilehe im ungarischen Oberhause. Zur Feier wurden am Freitag nachmittag in allen katholischen Kirchen Ungarns die Glocken geläutet. Minister Wekerle wird sich demnächst nach Wien begeben, um dem Monarchen über die Lage und die weiter zu unternehmenden Schütte zu referieren. Das ,Vaterland' behauptet, die Mone werde dem Kabinett zur Fortsetzung seiner „Jakobinerpolitik" die Einwilligung nicht geben; auf eigene Faust aber dürfe die Regierung nicht vorgehen, ohne sich der schwersten Eigenmächtigkeit schuldig zu machen. Der Klausenburger Memorandum- Prozeß gestaltet sich nachgerade zu einem wahren Spießrutenlaufen der Rechtsfrage zwischen den nationalen Ansprüchen des Magyarentums auf der einen und des Rumänentums auf der anderen Seite. Am Freitag wurde die Erregung so stark, daß sämtliche Verteidiger ihre Aemter niäerlegten. England. Das englische Unterhaus ist in die Ferien ge gangen, nachdem die Regierung mit Hängen und Würgen den Haushaltsvoranschlag durchgebracht hatte. Die Parnelliten selbst stimmten gegen die Regierung, die eine Mehrheit von nur 14 Stimmen hatte. Die Auflösung des Parlaments wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Der Auslieferung des Anarchisten Meunier an Frankreich hat nunmehr die englische Regierung zu gestimmt. Italic«. In der Kammer wird gegenwärtig das Militär- Budget erörtert. Die meisten Abgeordneten treten für Ersparnisse ein, und zwar einige sogar für ganz ge waltige. So rechnete der Deputierte Marazzi der Kammer vor, daß man die Ausgaben für das Heer um mindestens 40 Millionen Lira vermindern könnte. Auf die Ab schaffung zweier Armeekorps erklärt die Regierung nicht eingehen zu können. Es liegen nicht weniger als 26 „Tagesordnungen" vor, darunter eine von dem früheren Minister Rudini, der einfachen Uebergang zur Tages ordnung beantragte. Rustland. Petersburger und Warschauer Blätter konstatieren eine ungewöhnliche Belebung der auswärtigen Handelsbeziehungen Rußlands. Die von der deutschen Grenze ins Innere des Zarenreiches füh renden Eisenbahnen haben außerordentlich starke Trans porte landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte zu be wältigen. Vor dem Abschluß des deutsch-russischen Handelsvertrages hatte das Warschauer Zollamt nur 5 Waggons mit Waren zu verzollen, während gegen wärtig täglich etwa 26 Waggons für Warschau eintreffen und 85 ins Innere weiter befördert werden. Balkanstaaten. Der radikale Parteiausschuß Serbiens hat die Anordnung getroffen, daß alle Ortsausschüsse im ganzen Lande noch im Monat Mai Versammlungen abhalten sollen, um sich über den königlichen Ukas betreffend die Wiedereinsetzung Milans in die Rechte eines Mitgliedes des Königshauses auszusprechen. Weiter sollen sich die Versammlungen über den Zustand des Landes aussprechen und darauf dringen, daß die Skupschtina einberufen oder Neuwahlen angeordnet werden. Die Bemühungen, den Sultan zum Wideruf der den Bulgaren inMacedonien gewährten Be günstigungen zu bewegen, sind erfolglos geblieben. Wie aus Konstantinopel gemeldet wird, hat der bulgarische Exarch in den letzten Tagen die zwei neuen Bischöfe, nämlich den Archimandriten Auxentine für Weles und den Archimandriten Hilarion für Newrokop, geweiht. Amerika. Dem amerikanischen Bundessenat liegt gegenwärtig der Verträg vor, der zwischen Rußland und den Ver. Staaten abgeschlossen werden soll, damit beide Schutt» unö Sühne. 12) /Fortsetzung.« Fünfzehn Jahre waren so verstrichen; es war um die Weihnachtszeit und Herr und Frau von Normann waren mit den beiden nun zu Jungfrauen erblühten Mädchen, Lena und Hedda, in Berlin, wo letztere in die Welt eingeführt werden sollten. Graf und Gräfin Andreßky hatten versprochen, gleichfalls dorthin zu kommen, um die Gesellschaftszeit mit ihnen zu verleben. Noch aber konnte der Plan nicht ausgeführt werden, denn das Schloß war noch voller Gäste, die bis nach Neujahr zu verweilen gedachten. Das Wetter war schön; gelinder Frost hatte auf den bisher weichen Schnee eine glitzernde Decke gebreitet und die ganze Gesellschaft hatte beschlossen, eine Partie zu Pferde nach dem Jagdschlößchen zu untetnehmen. Des Grafen Stall lieferte die Reitpferde für die Gäste, welche solche nicht mit sich führten; auch der Gräfin lammfrommer Schimmel stand zur Verfilzung, denn sie selbst hatte die Teilnahme an dem Vergnügen unter dem Vorwande eines leichten Unwohlseins abgelehnt. Dennoch stand sie beim Aufbruche der Kavalkade auf der Freitreppe und sendete den Scheidenden einen Gruß nach. Boguslav, der junge Graf, ritt ein neues Pferd, ein Weihnachtsgeschenk seines Vaters, einen wunder schönen Rappen, der den hohen Ansprüchen, die der Knabe als durchaus tüchtiger Reiter an denselben stellte, voll ständig genügte, ein Pferd, das der besorgten Mutter fast zu feurig schien. Er war der letzte der aufsteigenden Herren. Der Reitknecht hielt das ungeduldig scharrende Roß fest im Zügel, während der Sohn zärtlich die Weiße Hand der Mutter küßte und diese ihn ermahnte, recht vorsichtig zu sein. Dann schwang der junge Mann sich leicht aufs Pferd und ließ den Rappen in leichtem Trabe dahin tänzeln, es von schnellerem Schritt zurück hallend, so lange die Mutter ihn noch sehen konnte; dann aber ließ er dem mutigen Tiere den Zügel schießen und hatte die Gesellschaft bald eingeholt. Nach nicht zu langem Ritt war das Jagdschloß erreicht. Auch hier waren im Laufe der Zeit Veränderungen eingetreten. Das HauS selbst war schön ausgebaut; aber der früher das alte Haus umgebende Epheu war sorgsam geschont und bedeckte jetzt das neue bis zum Giebel hinauf. Die Bäume und Sträucher standen zwar blattlos im kleinen das Haus umgebenden Garten, aber dies selbst mit seinen hellglänzenden, mit reichen Vorhängen versehenen Fen stern machte einen traulichen Eindruck, der durch das Innere der Zimmer mit ihrer gemütlichen Einrichtung und der darin herrschenden Wärme den Gästen hohe Behaglichkeit bot. Die Gräfin hatte durch vorausgesandte Dienerschaft die nötigen Vorbereitungen treffen lassen. Kaffee, Thee, Schokolade, Kuchen nnd eingemachte Früchte boten sich den Damen dar, während Bier und Wein, feine Liköre und Zigarren den Herren zur Stär kung dienen sollten. Nachdem man sich vom Ritt erholt und an den mancherlei Genüssen gelabt hatte, wollte die Gesellschaft die Burgmine besichtigen. Hier hatte die Zeit ihre Zerstörungen fortgesetzt. Mauern waren eingefallen, große Mauerstücke und Steine lagen zerbröckelt überall umher, und es schien kaum röt lich, sich den noch stehenden Mauerresten zu nähern. Nur der Teil des Turmes, zu dem die alle eiserne Wendeltreppe emporführte bis zum „Ausguck" weit über die ganze Gegend hin, schien noch ungefährlich zu sein. Da seine Gäste nicht davon ablassen wollten, dieselbe zu ersteigen, beschloß der Graf — wenn auch ungern — voranzugehen, um den Aufgang zu prüfen, und erst als er ihnen von oben zurief, daß keine Gefahr vor handen sei, folgten ihm die Gäste. Einige der Herren, denen sich auch Bogislav ange schlossen, hatten ihre Pferde wieder bestiegen und prüften die Geschicklichkeit ihrer Tiere, indem sie dieselben zum Ueberspringen von Steinen mnd Mauerresten anfeuerten. Eine ziemlich hohe, aber sehr gebrechlich scheinende Mauer reizte den jungen Grafen, dieselbe zu überspringen. Einige Herren hielten ihn aber zurück, bis erst einige der sichersten Reiter mit ihren erprobten Pferden den Sprung gewagt hatten. Zweien von ihnen war es gelungen, die Mauer mit kühnem Satze zu überspringen, als sich nun Bogislav nicht mehr halten ließ; er gab seinem Rappen die Sporen, und dahin flogen Roß und Reiter. Hoch, leicht und elegant war der Ansatz, den das edle Tier nahm; aber unglücklicherweise schlug es mit den Hinter beinen gegen das morsch abbröckelnde Gemäuer, welches, die Steine weit umherschlcudernd, in sich zusammensank, so daß das Pferd stürzte, sich aber schnell wieder auf richtend, den Reiter weit über seinen Kopf hinweg aus dem Sattel schleuderte und wild in den Wald hinemraste. Der Graf hatte vom Turme aus gesehen, wie sein Sohn das Wagestück, die Mauer zu überspringen, zu unternehmen trachtete und anfangs nur mit Mühe von dem Wagnis zurückgehalten werden konnte. Wie der Blitz flog der tötlich erschrockene Mann die Treppe hinab und dem Orte zu, wo . das Gräßliche geschehen sollte. Er kam gerade zur rechten Zeit, um seinen Sohn unaufhaltsam dahinfliegen, dem Tode entgcgeneilen zu sehen; denn er war dem Tode verfallen, daran war kein Zweifel. Als man ihn aufhob und in das obere Geschoß deS Jagdschlosses brachte, ihn auf dasselbe Bett legend, in dem seine kleinen Brüder vor sechzehn Jahren ge-