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36 III. Muttervolk. Von einem Land oder Volk aber haben wir noch nicht ge sprochen, dem Land und Volk, an das zu denken uns allen am nächsten liegt, weil es das unsere ist. Das -eutsche Volk I Hat es den alten Ruhm der Reformation vergessen? Läßt sich Luthers Blut von andern übertreffen? Bei nahe scheint es so, als wäre es gelungen, im katholischen Teil der deutschen Nation mit dem Recht selbständig zu denken auch die Kraft zu handeln auf religiösem und kirchlichem Gebiete zu vernichten. Fast könnte man meinen, das „Volk der Denker und Dichter" habe nur noch die Kraft zu seufzen und zu singen, wie sein jüngster katholischer Dichter geistlichen Standes: „Verwegner Wahn! nicht ich soll es vollbringen, Nicht mir soll diese hohe That gelingen! Der Funke, der in diesen Adern glüht, Zur Flammenleuchte ist er noch verfrüht; Noch weiter muß er glühen, weiter wandern, Aus einem Herzen sprühen fort zum andern; Bis in der Ferne wird ersteh'n der Mann, Der meinen Traum zur Wahrheit wandeln kann; Bis kommen wird, der in das Chaos spricht. Zum zweiten Mal das Wort: es werde Licht!" Das Jahr 1897 brachte in Deutschland nur einen Austritt eines katholischen Priesters aus der päpstlichen Kirche, der die allge meine Aufmerksamkeit auf sich zog, den des im 56. Lebensjahre stehenden Professors Bunkofer in Wertheim, welcher sich den romfreien Altkatholiken anschloß. Seine entscheidende öffentliche Er klärung lautete im Wesentlichen: „Es ist ein Wahrzeichen unserer Zustände, daß die Hervorhebung der Grundideen des Christentums auf einer katholischen Kanzel die Verschließung derselben zur Folge hat. Lieber soll das geplagte katholische Volk unlcr fortgesetzter dogmatischer Massage Ach und Wehe schreien und Steine und Skorpione hinabwürgen . . . Doch die Zeiten ändern sich. Dem armen, allerdings nicht ohne eigene Schuld mundtot gewordenen katholischen Volke wird die Zukunft, wenn es nur will, dasjenige bringen, was die sieges stolze Gegenwart ihm barsch verweigert. Dann wird dieses Volk wieder seiner Würde froh geworden, aus tiefstem Bedürfnis und mit hoher Freude — nicht um „Todsünden" zu vermeidenI — im Hause Gottes erscheinen und wird aus deutschem Herzen in deutscher Sprache zu seinem Gott beten und singen. Dieses brave katholische Volk wird sich befreit haben von dem Terrorismus einer Clique, die, ihre Existenz kirchenpoliüschcu Zuständen verdankend, die Kontrolle der Kirchlichkeit an sich gerissen und das Bild jener Heiligen auffrischt, mit denen Jesus unaufhörlich im Kampfe lag. Die Gesetze des Lebens sorgen dasür, daß aus dem Strudel aller religiösen Zeiterscheinungen, welche das Christentum kompromittieren, entstellen und schädigen, immer wieder die echte Religion Christi siegreich hervorbricht, niemand ausschließend, alle einladend und beglückend."*) *) Wir wollen cs nicht versäumen, auf Professor Bunkofers Broschüre: „Mein Austritt aus der römischen Kirche," Wertheim a. M., Bechstein, 1897, und desselben „Mosaikbilder aus der vatikanischen Dunkelkammer mit ger manischem Lichte beleuchtet", ebenda, hinzuweisen, sowie auf des Grafen, H o e n s b ro e ch sehr wichtige Schriften, vor allen: „Der Ultramontanismus" Berlin, H. Walther. 1897.