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Auerbachs Keller und die Faustsage. Non Lmil Wittig. (Schlich.) Ä^och zur Zeit des berüchtigten Ministers Brühl behauptete Auerbachs Hof seine» alten Glanz, aber mit dem Freiheitssturme, der 1789 die Welt durchbrauste, bcganüe» die Besuche des Hofes und des reichen Adels zn schwinden, und seit dieser Zeit hat das alte berühmte Patrizicrhaus seinen nächsten Umgebungen aufgehört, der Mittelpunkt des Leipziger Meßverkehrs zu sei». Ungleich berühmter aber, als Auerbachs Hof mit seinen handelsgcschichtlichen und ga lanten Erinnerungen ist ein Punkt desselben, den man unter der Erde suchen must — der durch Goethes Dichtung klassisch gewor dene Auerbachsche Keller. Dieser Schauplatz so vieles Wunder baren, dieser Tummelplatz so mancher lustigen Gesellschaft, ist von Jedermann gekannt, und ihm gilt noch immer die erste Frage des Reisenden, der Leipzig betritt, um dessen Merkwürdigkeiten zu schaue». Es ist ein uralter Zechplatz, dieser Keller, den» seine Gewölbe rühren noch von dem ersten Hanse her, welches in ungekannter Zeit erbaut wurde. Leider hat der Geist des neunzehnten Jahrhunderts in den 50er Jahren die alter tümlichen Räume mit gar zu modernem Ge wände umhüllt. Immerhin, wer den ehr würdigen Kellcrraum betritt, wer neben der gewaltigen Säule uuter den düsteren Bogcn- wölbuugcn gesessen, der fühlte sich so recht lebhaft in die Zeit des Mittelalters versetzt und erkannte de» Naum, welche» Goethe durch das bekannte Trinkgelage unsterblich gemacht, auch jetzt uoch. Der Wcinwirt Pierer aus der Zeit der 50er Jahre hatte die unglückliche Idee, de» düstere» Faustkeller iu eine moderne Ncstau- rationslokalität nmzuwandel» und deren Wände mit Gemälden aus Goethes Dichtung schmücken zu lassen, welche keineswegs eine Zierde dieses klassischen Orts bilden. Da gegen siildet »lau hier die beide» merkwür dige» u»d vortreffliche» Oclbildcr, welche Fausts Zcchgelag mit de» Studenten und seinen Ritt auf dem Weiufasse darstellen und seit dem Jahre 1525 an dieser Stelle vor handen sind. Mephistopheles, den Goethe als Pndel vorführt, ist hier als glatthaariger kleiner Hnnd nbgebildct, achtsam, mit geho benen! Fuße auf seinen Herrn blickend, uni sogleich dessen Befehle zu vollziehe«. Auf dcni Bilde, welches das Zcchgelag darstellt, bcfiudet sich iu lateinischer Sprache die Aufschrift: „Lebe, trinke und schmause, doch gedeuke dabei des Faustus, und der Strafe, die ihn zwar langsam, aber schreck lich erreichte." Ueber der Neitsccue steht der Bers: Doctor Fnustug zu dieser Frist Aus Auerbachs Keller geritten ist, Auf einem Fatz mit Wein geschwind Welches gesehen viel Menschenkind, Solches durch seine subtilne Kunst hat gethan Und des Teufels Lohn empfangen davon. Diese Bilder, welche mehrfach restauriert wurden, sind insofern von wichtiger Be deutung, als sie bezeugen, welches Aufsehen Fausts Auftreten in Leipzig erregte, und zu gleich auch, welchen Anteil man seinen Kunst- stückchen schenkte. Nach des alten Chronisten Widmann Versicherung hat Faust seiue Künste nicht vor dem Jahre 1523 öffentlich be triebe», und somit ist es sehr wahrscheinlich, das; er in Anbetracht dieses Umstandes in Auerbachs Keller entschieden einen seiner ersten bedeutenden Schwänke verübte. Dies scheint auch Goethe angenommen zn haben. Die Scene in Auerbachs Keller zeigt uuö dcu erste» Ausflug Fausts iu die Welt durch Mephistopheles, der auf solche Weise voir der untersten Stufe der Sinnlichkeit anfängt, Faust von sich selbst abznziehcn, nm ihn der Zerstreuung zuzuführen. Außer diesen Bildern bemerkt man iu dem Kellerraume mehrere alte Holzschnitte und Gemälde, ohne großen Wert, einige Gocthebüstcn, sowie einige erst vor wenig Jahrzehnten angekauftcn Goethe- und Schillcr- Originalhandschriften unter Glas und Rahmen. Als besondere Seltenheit zeichnet sich eine angebliche Origmalhcmdzeichmtng von Rem brandt, „Faust erblickt das Zeichen des Makrokosmns", unstreitig das künstlerisch wertvollste aller in Anerbachs Keller befind lichen Faustbilder. Ein Wandschränkchen ver birgt Vogels Chronik von Leipzig und ein sehr selten gewordenes Bnch, das iu Folge einer durch ciucu begeisterten Verehrer Goethes versuchten Entführung an einer Kette befestigt ist. Dieses Buch führt den Titel: „Das ärgerliche Leben und schreckliche Ende des vielberüchtigtcn Erz-Schwarzkünstlers Dr. Jo hannis Fausti, fleißig beschrieben von Georg Rudolph Widmann". Es erschien im Jahre 1599 nud wurde 1695 neu aufgelegt, .Der Schriftsteller und Dichter Otto Moser fand dasselbe in einer Truhe mit uralten Familicn- papiercn, und überließ es im Jahre 1851 auf inständiges Bitten des Wirtes Schulze dem Auerbachschcu Keller als Jnventarium. Es ist somit unrichtig, wenn behauptet wird, Goethe habe als Student, eines Abends bei der Flasche in Auerbachs Keller sitzeud, dieses Exemplar aufgeschlagen, und daraus die Idee seines Faust geschöpft. Ohne Zweifel hat er sie dem Wiomannschen Buche entnommen, in Auerbachs Keller aber befand sich vor de»! Jahre 1851 kein Exemplar davon. Gleiche Bewaiiduis hat cs mit dem Fasse, auf welche,» Faust aus dem Keller ge ritten sein soll, und das in einem zweiten tiefer» Keller liegt. Ei» eingemauerter, steinerner Bacchns mit der Jahreszahl 1530, bildete den vormaligen Schlußstein des alten HauptcingangS. Der untere Keller, wo während der Messen Konzerte stattsmden, ist ein herrliches Gewölbe, welches mit seine» alte», massive» Tische» und hochlehmge» Holzschcmcl» eine» echte» Zechsaal des Mittelalters darstellt. So »ud »icht anders mnßtc der Rainn aussehen, wo Faust mit den Studenten trank, und wer weiß, ob nicht wirklich dieser Keller der Schauplatz seines Schwankes war. Von diesem Gewölbe aus gelaugt man iu die aii- dcreu Räume der Kellerei, welche einem La byrinth gleich, sich unter dem Gebäude und dem Hofe bis zum Neucnmarkte hiuziehen, und in eigentlichen Hallen des Weingottcs, das eigentliche Gebiet des Bacchus sind. Einige vermauerte Thttren erregeu in des Besuchers Hcrzeu uuheimliche Empfindungen, zumal wenn mau darüber allerhand seltsame Gerüchte vernimmt, darunter anch die komische Versicherung, in einem dieser verschlossene» Gewölbe habe sich Faust's Laboratorium be- fuudcn. Ueberhaupt möchte man hier am liebste» jeden Naum und jede» Gegenstand mit dem verruseiie» Schwarzkünstler in Verbin dung bringen; Reliquie» vo» Goethe da gegen, außer de» erst später augekmifte» Originalhandschrifte», giebt es »icht. 8» I» dem ebenso berühmten als seltenen alten- Bnchc, welches wie schon erwähnt, Widmann im Jahre 1599 herausgab, be schreibt der Verfasser die Fanstsage in allen Einzelheiten, und es ist garnicht unwahr scheinlich, daß sie ihm von Zeitgenossen des Schwarzkünstlers in Leipzig mitgeteilt wurde. „Es hatten etliche frembde Studenten aus; Ungar», Pole», Kernten und Oesterreich, so z» Wittenberg mit Doctor Fansto viel umb- gingcn, eine Bitte an ihn gclegct, als die Leiptzigcr Mes; angangcn, cr sollte mit ihnen dahin verrücken, sie möchten wohl sehen, was da für ein Gewcrb war und vor Handels- lcuth znsammcnkämcn, so hatten anch ihrer etliche Vertröstung, Geldt allda zn cmpfahen. Dr. Faustus bewilligte, kam mit ihnen da hin, nud am andern Tag ging cr mit solchcn Studeulcu spatzicreii, die Stadt zn besehen. Indessen gingen sie bei einem Keller forübcr, da die Weinschrötcr ein Fas; Wein, ungefähr 16 oder 18 Aymcr haltend, herausschroteu, welches sie nicht kundtcn fortbringe». Dr. Faustus und seine Gcfcrtcn slnndcn still, den: zuzusehen und sprach Dr. Faustus spöttisch zu den Schrötern, wie stellet ihr ench so leppisch, sind euer so viel und könnet ein sölchcs Fas; »it zwingen? sollt doch einer allein ei» Faß crmeislern, wenn er sich recht dazu schickte." „Die Schröter, wie cs deu» ciu uuuütz Gesindlein ist, waren fsolchcr Ned unwillig, wursscn dieweil sie ihn nicht kannten, mit unnützen Worten nmb sich, wenn cr cs denn besser als sie wüßte, solches Faß zu erhebe», so solle cr ihue» in Tc»scls Name» helfen, »ms er sic viel zu vexieren hätte. Indem kam der Weinherr dazn und hörte solchen Streit zu, und sprach zu Fausto und seinen Gesellen, wolan, ich will den Streit richten, welcher nun unter euch das Faß allein wird herausbringen, dem soll cs sein. Faustus war nicht sanl, ging bald in den Keller, setzt sich auf das Faß als auf ei» Pferdt, und ritt es also schuel aus dem Keller, darüber sich jedermann verwundert. Das erschrak anch den Weinhcrr, vermeinet nicht, das solches wäre möglich gewesen, »rußte aber seine Zusage halte» u»d Fausto das Faß mit Wein folgen lassen, der gab es seinen Wandersgeserten und Studenten zum besten, die berufcte» ander gute Freunde dazu, waren fröhlich und gutes Muthes, wollte auch keiner davon, bis dem Faß der Boden leer war." Die Wirte in Auerbachs Keller erfreuten sich bis auf den jetzigen nicht »rinder einer uiige- henre» Frequenz, die ihnen tagtäglich Per sonell aller Weltteile zuführt und wurde» natürlich ebenso bekannt, wie das berühmte Lokal. Sie sind selbstverständlich immer die artigsten und freundlichsten Mämrcr gewesen, welche jeden Gast mit lächelndem Antlitz und friedlichem Händereiben empfingen. Nur in grauer Vorzeit hat es einmal in Auerbachs Keller ciucu fürchterlich grobeu Wirt gegeben, der Aruo hieß und durch sciu Betrage» alle Gäste verscheuchte. Nur drei derselben blieben ihm treu, sciueS rcizeudcu Töchterleius Mechtild wegeu, die jeder vou ihnen zum Weibe wünschte. Sie waren der Bäcker Schubert, der Krämer Stumpfs und der Tischler Nunge, alle wohlhabende Vür- gersmänncr, welche beim Vater wohlange sehen waren. Das Töchterlein mochte aber weder den gröbliche» u»d geizigen Bäcker noch den alten gebrechlichen Krämer heiraten, sonder» mar vo» Herzen allein dein jnngen Tischlermeister Nimge zugethan, welcher ein