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überströmt und ganz trostlos zu dem Manne des Gesetzes emporschaute. Mitleidig hob ihn dieser in die Höhe und setzte ihn auf seinen Arm. „Wie heißt Du denn?" frug er sanft und fuhr ihm mit einem Tuch über das nasse Ge sichtchen. Aber die Antwort war keine befriedigende. „Muzzi!" schluchzte der kleine Held und legte sich dann vertrauensvoll an die breite, uniformierte Brust, alles Weitere dem Besitzer derselben überlastend. Natloö schaute dieser auf seinen kleinen Fund nieder, besten feuchte, dunkelblaue Augen träumerisch blinzelten und daun plötzlich ganz zufielcn, während die runden, nackten Aermchcn sich fest um die polizeiliche Halsbinde schlangen. Muzzi schlief und der Polizist schaute sich um, ob Niemand da wäre, der das Kind kannte. Es hatten sich bereits einige Leute um ihn gesammelt; ein altes Mütterchen, das langsam durch die Straßen humpeln wollte, um ein wenig Luft zu schnappen, ein Dienstmädchen, das am heu tigen Sonntag keinen Auögang hatte und sich nun vor ihrem Hause Herumtrieb, ein junger Mensch, der eben dieses Dienst mädchens wegen da war, und einige Kinder. Aber keines von ihnen kannte das Kind. Es müsse sich wohl verlaufen haben. Dieser Meinung war der Schutzmann auch, aber trotzdem ging er noch in ein paar kleine Obstläden und frug die Verkäuferinnen, ob sie das Kind vielleicht, schon einmal in dieser Straße gesehen Hütten. Nein, das hatten sie nicht! lind dieses niedliche Kindchen wäre Einem doch aufgefallen, mit diesen hübschen Locken und dem schönen Kleidchen. Nein, und sogar Spitzen am Unterröckchen und wahrhaftig auch an den Höschen, lind das hübsche fette Hälschen. Das mußte man lüsten. Und die netten Strümpfe, ganz kurz und so fein. Muzzi schlug im Halbschlaf ärgerlich mit den Beinchen um sich. Was ivar denn das für eine Krabbelei? Das kitzelte ja. Konnte man ihn nicht in Ruhe lassen; jetzt wo er so bequem lag. Sich behaglich streckend, legte er das blonde Köpchen be quemer auf den starken Arm, der ihn trug, und schlummerte ruhig weiter. Die Frauen konnten keine Auskunft geben und so entfernte sich der Polizist mit Muzzi. Im Weiterschreitcn schaute er auf den kleinen, sorglosen Schläfer nieder und lächelte. Eine ganz seltsame, halb sentimentale, halb übcr- müthige Stimmung hatte sich seiner bemächtigt, seitdem er Muzzi an seiner Brust hielt. Er war ein junger Ehemann, erst kurz verheiratet und hatte noch keine Kinder, aber nicht allzu lange würde es mehr dauern, dann lag auch solch' Dingelchen auf seinem Arm, ein Eigenes. Ganz gerührt und bewegt beugte er seinen Kopf und küßte Muzzi sanft auf die rosige Wange. Dann siel ihm ein, wie schrecklich sich die Eltern sorgen mochten und er begann schneller zu laufen. Auf der Polizei war das Kind vielleicht bereits als vermißt angczeigt, also schnell dahin. Er hatte recht vermuthet. Unter dem Thor- bogen des Polizeigebäudes standen mehrere Kollegen die ihm entgegen riefen, ob er Muzzi hätte? Bereits dreimal sei eine ganz verzwei felte Person dagewesen, die nach einem Muzzi gefragt hätte. Nasch eilte er in das Bureau des Kommissars und ließ sich die Adresse geben. Weberhaus, Maximilianstraße, I. Stock links. Nun schnell. Muzzi fest an sich drückend, eilte er die Straße hinauf und bog um die Ecke. Da war das sogenannte Weberhaus. Mit langen Schritten lief er durch den Flur, '.die Treppe hinauf. Kling, kling. Ah, Muzzi!! Es war ein einziger Schrei aus acht Kehlen. Muzzi er K er Ust. wachte davon und schlug die blauen Augen verwundert auf. Er erinnerte sich sofort an alles. Aber was hatten sie nur. Papa riß ihn in seine Arme und küßte ihn so heftig, daß der schwarze Schnurrbart Muzzi wehe thnt. Aber noch ehe er gegen diese stürmische Zärtlichkeit Einspruch erheben konnte, umschlang ihn schon die Mama und schluchzte unter hef tigen Küsten und Thränen immerfort „Muzzi, mein einziger, goldiger Muzzi!" Es war wirk lich ärgerlich. Muzzi hatte so viel zu erzählen und nun ließen sie ihn garnicht zu Worte kommen. Er strampelte lebhaft Aund drückte Mama'ü Gesicht sehr energisch bei Seite, von nun an hatte er genug von der Küsterei. Aber was war das? Papa bemächtigte Sil! sich nun wieder seiner, doch nicht um ihn zu küssen, nein, ganz das Gegenteil. Papa sagte, „da muß ein Exempel statuiert werden" und hob Muzzi's Röckchen in die Höhe. Na da hörte aber doch Alles auf. Es that ja gerade nicht allzu wehe, aber es war doch beleidigend. Mama schien ebenfalls dieser Ansicht, denn sie schrie ganz entsetzt auf. Und auch die Schwestern und Sophie, die Kinderfrau. Sogar der Polizist machte eine entrüstete Bewegung. Aber dieser Papa ließ sich nicht stören und meinte: „Ich will ihn lehren, uns solche Angst zu bereiten." Als ob Muzzi etwas dafür konnte, wenn Jemand Angst hatte. Es gab keine Gerechtigkeit mehr auf der Welt. Aber er weinte nicht laut. Er sah seinen Papa nach der ungerechten Prozedur nur unaussprechlich vorwurfsvoll mit schwimmenden Augen an und flüsterte: „War spazieren". Dann schluchzte er leise, aber herzbrechend, unaufhaltsam. Papa, der launische Mensch, versuchte ihn nun wieder zu küssen, ohne indeß bei Muzzi Gegenliebe zu finden, und begab sich hierauf mit dem Polizisten in ein anderes Zimmer. Mama aber begann unter Sophies und fünf anderer weiblicher Wesen Assistierung, den wiedergefun denen Sohn auszukleiden. Es dauerte lange, denn nachdem der Thränenquell versiegt war, wollte der kleine Weltreisende seine Ent deckungen der Mitwelt kund thun und benahm sich sehr lebhaft. Besonders erregten seine kühnen Versuche auf dem Kopf zu stehen, das schaudernde Entzücken der Umstehenden. Endlich aber gelang es doch, ihn seiner Kleider zu ent ledigen, wodurch er, ungehindert von lästigem Zwange, seine Er klärungen viel bequemer mit von Händen und Füßen ausgeführten Gesten begleiten konnte. Dann kam Papa dazu. Muzzi machte sofort ein ernstes Gesicht. „War spazieren," sagte er, ihn vorwurfsvoll anschauend. „Habe 'Nußknacker sehen, .Kinder Sand spielen, bin weit, weit wesen!" Mama hob ihn auf und legte ihn sanft in sein Bettchcn. „Du darfst nicht mehr allein spazieren gehen, mein Liebling," flüsterte sie, die kleinen weißen Händchen an ihre Lippen drückend. „Du hast Mama und Papa Angst gemacht! Du darfst nur mit Sophie weggehen, versprichst Du mir das? Liebchen, Herzenskind, sieh, Mama weint sonst . . . ." „Und Papa haut Dich, aber noch viel ärger als vorhin," vollendete der barbarische Papa, warnend die große, breite, vielver sprechende Hand hebend. Muzzi hatte genug. Wegen des kleinen Spaziergangs solche Redereien und solche rohe Drohungen. Seinen; Papa noch einen unzufriedenen Blick zuwerfend, kehrte er ihm energisch seine Rückseite zu. Dnü kleine Gesichtchen ganz in den Kissen vergraben, hörte er noch aus weiter Ferne ein herzliches, leises Lachen, dann schlief er, erschüft voilEall den Aufregungen, ein, tief und fest. Und ^damit hatte Muzzi's Ausflug sein Ende erreicht. --W