Volltext Seite (XML)
Nordländer es nennen, einen zweiten Besuch zu machen. Norwegen sollte weilt Ziel sein, nicht um das Land in kurzer Zeit voll einem bis zum andern Ende zu durcheilen, sondern um stückweis seine Schönheit zu genießen. Heller, lachender Sonnenschein, eine gntc Vorbedeutung, beglänzte das schöne Berlin, als ich ihm den Rücken kehrte und nordwärts nach Hambnrg dampfte. Dort hatte ich große Mühe, ein Unterkommen zu siudeu. In der Nähe des Hafens, wohin ich strebte, um meinem Norwegendampfer nahe zu sein, ivar alles beseht. Erst im fünften Hotel fand ich ein Zimmer. Das Federbett war kostbar wie mein Schlaf. Früh indeß trieb es mich wieder hinaus auf den Weg der Erkundigung nach dem Nordlaudöfahrer und in's Fähr haus hinein, eine im Hasengebiet isolirt lie gende SeemauttSlneipe, wo ich die etwas ver loren gegangene Balance durch den Einfluß paffender Stärkungen ans der Hand eines Mulatten-Kellners von St. Thomas wieder ergänzte, um als dann mich hindurchzufragcn durch all die Speicher und Schuppen bis zum Dampfer. Der sollte 12 Uhr Nachts abfahren. Bis dahin also hatte ich Zeit, für Hamburg mich zu intercssiren. Der Himmel war trübe, die Souue lächelte nur verstohlen, aber sie lächelte doch zu meinen Kreuz- und Querwanderungen, durch die ich alte Erinuerungen auffrischeu und neue sam meln wollte. Die Physiognomie Hamburgs hat sich seit einigen Jahren viel znm Vor- theil des Schönen und besonders des Nützlichen großartig verändert. Namentlich waren es die ,reuen Hafen-Anlagen, welche mich zu eurem Besuch reizten. Zu St. Pauli auf der Höhe des Elbufcrs übersah ich das große Bild, die zahllosen Schiffe, den Steinwerder mit seinen Werften, und die gelben Fluthen der Elbe hinabschend, fühlte ich meine Reise lust, die Sehnsucht, mich deu Wellen auzuver- trauen, immer lebendiger werden. Die See warte meldete Sturm aus Osten. Schöne Aussicht auf eine bewegliche Fahrt! Mein Herz jubelt! Eine sogenannte gute, stille Fahrt istja auch nur langweilig! Ich gehe an das Ufer hinunter zum soge nannten Stintfang, wo stets eine Dampf schaluppe für die Rundfahrten durch die Hafen- Anlagen bereit liegt. Die Fahrt währt eine volle Stunde und führt die Elbe hinauf zwischeu deu mächtigen Dammbauten hin, welche in fast endlosen langen Linien die einzelnen Abtheiluugcn der verschiedenen Schiffsgattungen aller Nationen nach Seglern und Dampfern, nach Herkunft und Ziel be grenzen. Diese Mastenwälder, diese Schlote, die Reihen der Dampf-Krahne, unter denen einer als der größte und leistungsfähigste derWclt bezeichnet wird, die mächtigen Speicher, ein großartiges, ausgedehntes Bild der Vlüthe Hambnrgischen Welthandels, größer als ich in den London Docks es habe mit einem Blick umfassen können. So kurze Zeit diese Muster- Anlagen auch erst bestehen, sind sic doch schon wieder unzureichend nud der wachsende Handel drängt nach weiterer Ausdehnung. Nach beendigter Fahrt eile ich zum Veulocr Bahnhof, um meinen Reisegefährten Bruno Müller zu empfange». Er kam mir schon entgegen, fast als wäre er dem Zuge voraus gelaufen, und freudigen Herzens feierten wir dasWicderschen —ja,wennDentschezusammcn- kommen, dann müssen sie trinken, — in einer uns sehr anheimelnden, richtigen Seemanns- Kneipe des Koömoplitan-Hotel. Gehörten wir doch schon halb zu solchen Leuten! Da wollte Bruno zugleich einen Künstler erwarten. Der aber war aber ebenfalls schon voraus- gelausen und saß unter dem von der Decke herabhängenden Seegethier und allerhand Merkwürdigkeiten bereits erwartungsvoll in einer gemüthlichen Ecke gemttthlich mit dem Stift in der Hand, um den zu- und abflie ßenden Wechsel der lebendigen Erscheinungen von Vertretern aller seefahrenden Nationen nach Bedarf zu skizziren. In derselben Ecke bildeten wir ein gemüthliches Kleeblatt, welches erst der goldenen Sonne glühend Abendroth trennen sollte. Der Maler verließ uns, wir beide saßen aber noch eine Weile, dann schlen derten wir hinaus auf die Straße, so zu sagen, ziellos der Richtung unserer Nasen folgend bis es dnnkel wurde, fanden dann hier ein leuchtend Schild und dort eins und nicht nur aus Neugier, sondern auch in dem Gedanken, daß es jedesmal vielleicht das letzte sein könnte, machten mir hier und dort eine Pause zur inneren Beleuchtung. Dann aber bemächtigte sich unserer einige Ge wissensangst: Wenn wir den Dampfer ver paffen sollten! Herrsch l Das durfte nicht sein, und sehr energisch suchten wir in den spärlich beleuchteten, sehr öde gewordenen Straßen nach derjenigen, welche auf alle Fälle uns in die Gegend des Hafens und zu unserm Dampfer führen sollte und mußte. Endlich hatten wir sie. Nnn schnell auf Schuppen 21 los! Da stehen wir vor einem eisernen Thor. — Donnerwetter, was nun? Aus einmal ertönt eine Stimme und ein dicker Kof zeigt sich über uns. Wollen Sie an Bord? — Natürlich! Machen Sie schnell! — das Thor knarrt langsam ans, so weit, daß wir uns Hindurchquetschen können, dann nach 100 Schritten das zweite und so nach einigem weiteren Hin- und Her im Schatten der langen Speicher über Ankerketten und Taue stolpernd, kommen wir zum Dampfer. Wann fahren Sie? fragen wir. Um 12 Uhr! antwortet der Kapitän. Daran fehlten nur noch einige Minuten, aber immer noch wird Ladung genommen. (Forts, folgt.) Tantalusqualen. wahrhaft schmachtend« Blick« wirft d«r Alt« auf die Ueberreste des leckeren Mahls, das sein Vis-ä-vi» sich hat schmecken lassen. Lr war z» einer geschäft lichen Besprechung bergekommen und traf den Haus- Herrn beim Frühstück. Nun entwickelt ihm dieser seine Ansichten, die er durch eine klein« Vorlesung besonders zu stützen weiß und er ahnt nicht, daß er tauben Bhren predigt, denn di« ganze Aufmerk samkeit des Aermsten ist auf die kulinarischen Genüsse gerichtet und wenn der gemllthliche Lebemann ge schlossen Kat, wird sein Gast verwirrt auffahren und keine Silb« von den eben Gehörten verstanden haben. Aus dem verbrecherleben Berlins. Mit dem riesenhaften Aufblühen der neuen deutschen Reichshauptstadt, in welchem nicht nur alle Licht-, sondern auch alle Schattenseiten des modernen weltstadtlebens enthalten sind, in dem Naße, wie sich auf dem heißen Boden Berlins einerseits die Erwerbs- nnd Daseinsbedingungen erschwert, ander seits aber auch der Glanz und der Genuß des Leben» in früher nngeahntet weise entwickelt haben, in dem Maße ist auch das verbrechcrthum gewachsen und erstarkt und zu einer Macht geworden, di« weitgehende Befürchtungen erwecken könnte, wenn nichtzngleich mit der Macht der Verbrecherwelt auch die Macht zu ihrer Bekämpfung erstarkt wäre. Und so sehen wir die Berliner Kriminalpolizei in einem steten Kampfe mit dem hydraköpstaen verbrecherthum, einem Kampf, in dem es auf der einen Seite nicht an hochentwickeltem Scharfsinn, Ale Napoleon I> zu Ende des Jahres 1808 Spanien nochmals durch ungeheuere Anstrengungen niedergeworscn hafte, lag ihm alles daran, Sevilla, in welcher Stadt zu jener Zeit die Lentrnljunta -- Ausschuß der provisorischen Regierung — ihren Sitz hatte, in seine Gewalt zu bekommen. Ein von ihm abgesandter Unterhändler mußte daher dem Gouver neur von Sevilla auch erklären, daß der Kaiser, falls er den Platz durch Waffengewalt nehmen müsse, die ganz« Stadt rasteren lassen werde. Die frostige Schärf« des Spaniers in kalter Ruhe ist bekannt. Der Gou verneur erwiderte aus die unüberlegte Drohung, ohm «ine Miene zu verziehen: „Daran zweifle ich, Monsieur! Die Titulatur: Kaiser von Frankreich, König von Italien und — Bar bier von Sevilla, wird Ihrem Herscher schwerlich zusagenl" an unerschütterlicher pflichttreue und an furchtloser Unerschrockenheit, auf der anderen Seite nicht an rücksichtsloser Verwegenheit, an physischer Krustbc thätigung und an psychischer Verworfenheit fehlt. Ls ist ein stiller, meist dem Ange der Meff«nUichkcil entzogener, aber um so furchtbarer Kampf, in dem ja schließlich freilich immer der Feind der Gesellschaft gegenüber dem Beschützer derselben unterliegt, der aber de.shalb nie aufhört, weil eben die Faktoren zum Gedeihen des verbrecherthnms nicht ans der Welt geschafft werden können, wenigstens für heut und morgen noch nicht. Ls ist auch in weiteren Kreisen bekannt, welch' sine gute wirksame Waffe sich die Polizei in dem Ver brecheralbum geschaffen, in wie unzähligen Fällen dasselbe bei Lruirung gesuchter Missethäter unschätz bare Dienst« geleistet hat. Natürlich muß auch diese Waffe, um wirksam zu bleiben, stets schneidig er halten werden; das heißt in diesem Falle: das Ver brecheralbum muß in seinem Bestände fortwährend ergänzt werden. Und es ist ja — leider, leider! dafür gesorgt, daß das „Album" immer mehr nnd mehr anschwillt. Natürlich sind die Herren „schweren Jungen" (Einbrecher), Taschendiebe, Gelegenheit? macher, „verschärfe!", Hehler rc. und der entsprechende weibliche „Anhang" durchaus nicht lüstern nach der Ehre, mit ihrem Konterfei in dem Verbrecheralbum zn flguriren, obgleich sie sich ja dort ausnahmslos in „gewählter" Gesellschaft befinden; sie wissen ganz genau, wie viele von der „Zunft" es den Straf organen in die Finger und von dort hinter die „schwedischen Gardinen" Noabits, Plötzensecs und Sonnenburgs geliefert hat. Und deshalb ist bei den meisten von ihnen der stereotype Ruf des Photo graphen bei der Aufnahme „Bitte, recht freundlich!" ein vergeblicher; st« sträubten sich nach Leibeskräften gegen ihre portrmtirnng; nnd wenn ihnen das nicht gelingt und sie zum Stillsitzen durch Fcstschimllen an den Stuhl gezwungen werden, dann versuchen sie wenigstens durch verzerren des Gesichts die Auf nahme unmöglich oder doch illusorisch zu machen. Lin anderes Bild! Im „Besuchszimmer" zu plötzcnsee ist's. Seit einer vicrtelstunoe schon fitzt die Alte da in dem kahlen Raum, durch dessen eisen- vergitterte Fenster das matte Som eniicht des Vktobertages hereinfällt. Eigentlich ist sie gar nicht nicht so alt, wenigstens nicht den Jahren, wohl aber ihren Erfahrungen nach. Sie hat schon viele schwere Gänge in ihrem Leben gemacht, dieser aber dünkt ihr doch der schwerste. Lr gilt ihrem Sohne. Ihrem Sohne . . .! Ls gab eine Zeit, jene Stunde, wo sie zuerst erfahren, daß er, den sie mit ihrem Herzblut ge nährt, sich an fremdem Gute vergriffen, wo sie ihn fast aus ihrem Herzen gerissen. Aber dann keimte wieder die Mutterliebe empor. Und sic suchte und fand tausend Gründe, durch die sie seinen Fehltritt, wenn nicht entschuldigen, so doch milder beurtheüen konnte. Lr war nicht schlecht, sondern nm leicht sinnig gewesen, in schlechte Gesellschaft gerathen, verführt worden. Und gewiß, er wird wieder brav werden! Ivie könnte sie ihn jetzt verlassen, wo er doppelt ihrer bedarf I Und dann tritt er durch die hinter dem Traillen geländer liegende Thür, in der dunklen Kleidung der Strafgefangenen, mit ihm zugleich von der andern Seite ein Mbcraufschcr, der, wie es das Gefängnißreglcment vorschreibt, dec Unterredung beiwohnen muß. Und sie sinken sich in die Arme, Mutter und Sohn. Sie haben sich so viel zu sagen und sagen sich doch so wenig. Und znm Schluß ein „Auf lvicdcrsehnl" Uud daun gehen sic auseinander, unter Küssen und Thränen, durch verschiedene Thllren, von denen die eine hinausführi in den frische» Wktobcrtag, die andere zurück in den steinernen Riesensarg. Aber nur noch wenige Monate und auch ihm öffnet sich jen« andere Thür. T)b er wiederkehren wird?!