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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.02.1905
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-02-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050223013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905022301
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905022301
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-02
- Tag 1905-02-23
-
Monat
1905-02
-
Jahr
1905
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2. Beilage Donnerstag, 23. Februar 1905. Leipziger Tageblatt rette S. Nr. 88. Morgrn-AiiSzabe Aeib «nü Mocle. Von Ida Barber (Wien). »tuchdruck verdaten. ES ist bekannt, daß starkgeistige Frauen, die im Leben etwas leisten und höheren Zielen nachstreben, säst aus nahmslos Modefeindinnen sind. Sie halten es unter ihrer Würde Modestudien. zu machen, sich mit all den bunten Chiffons zu behängen, die die Modistinnen als letzte Neuheit anpreisen. Anders die eitlen Weltdamen, deren einziges Streben dahin geht, ihr liebes Ich mog- lichst schön l>eraus zu putzen, plastisch modellierte Kleider zu tragen, den Teint zu präparieren, das Haar zu färben, die neuesten Modewunder spazieren zu führen. Diese Tätigkeit nimmt ihre Zeit derart in Anspruch, daß sie zumeist für edlere Bestrebungen wenig Sinn lxrben. Stundenlang halten sie, ehe sie etwas anschaffen, Seances mit ihren Schneiderinnen, Probieren, Aendern, — da ja selbstverständlich selten etwas nach Wunsch ge liefert wird — nimmt auch einen gut Teil Zeit weg und ist endlich der große Wurf gelungen und das Meisterwerk fertig, so gilt es, sich in demselben bewundern zu lassen, sich auf Promenaden, in« Theater, in Gesellschaften zu zeigen, den Neid der Nivalinnen zu erregen. „Haben Sie schon die neue Toilette der schönen Frau Eva gesehen?" heißt es dann. „Entzückend! Herr- lich! Ganz letzte Mode!" In seltensten Fällen fragt man sich, wo der Adam ist, für den Frau Eva sich wie ein Pfau herausgeputzt, noch seltener, ob der bewußte Adam überl-aupt davon Notrz nimmt. Fragt man einen Herrn waS eine als Schönheit be kannte Ballkönigin auf dem oder dem Balle getragen, er vermag es in 90 von hundert Fällen weder Farbe noch Arrangement der Toilette anzugeben. Und doch meint man, daß die Damen sich zumeist den Herren zulicb putzen. Gefehlt! Die Herren wissen wohl, ob eine Dame chik gekleidet ist, die Details aber entgehen ihnen zumeist vollständig. Ich glaube, daß man der der Modewahl nur deshalb so penibel vorgeht, um die Kritik der guten Freundinnen, die sehr wohl wissen, was letzte Mode ist, zu entwaffnen, ihren Neid zu erregen. Ein Herr weiß nicket, welche Forin der neue Aermel haben muß, wie viel Volants und Plissös auf dem Rock sitzen sollen, ob der Ausschnitt viereckig, oder herzförmig, ob die Einlage aus Spitzen, Tüll, oder Gaze zu fertigen ist; aber in den Augen der liebwerten Freundinnen ist all das von höchster Wichtigkeit, wichtig genug, daß man eine Gesellschaft absagt, wenn der Aermel des Kleides nicht rechtzeitig modernisiert werden konnte, auf einen Kur aufenthalt — wie nötig er auch aus Gesundheitsrück sichten sein mag — verzinst, wenn der Herr Gemahl nicht das nötige Geld für Anschaffung moderner Toilet ten bewilligt. Mir ist eine Dame bekannt, die einmal 4 Wochen eine Villa in Jsckü gemietet hatte, aber sich nickst enticllließen konnte, die Reise anzutreten; weshalb nicht? Ihre Schnei- derin und Putzmacherin haben immer noch nicht alles zur Anprobe fertig, halten sie auf, ärgern sie durch ihre Unpünklichkeit. Die Frau ist nervös bleich, luftbedürftig und ver trauert im vierten Stock einer großstädtischen Miets kaserne den schönen Monat Mai, den sie dort im herr lichen Salzkammergut zwischen ozonreichen Wäldern und blühenden Wiesen verleben könnte! — Ihre Kinder sind echte Großstodt-Pflanzcn, blaß, hager, ohne Appetit, wandelnde Zierpuppen. Wie gut würde ihnen die kräf tige Alpenluft tun! Aber — ihre Anzüge sind noch nicht fertig, die neuen Paletotmodelle, nach denen bestellt wer den soll — treffen erst in nächster Woche auS Paris ein, der Schuhmacher bat die Stieseln zu groß geliefert usw.. kurz man wird noch 3—-1 Wochen in der dumpfigen Stadtwohnung znbringen müssen, bis alles modegerecht hergestellt ist. Eher darf man sich ja selbstverständlich nicht in den grünen Bergen sehen lassen! ES ist ganz erstaunlich, WaS sich die Damen in den sogenannten Weltkurorten an Mode und LuxuS leisten! Täglich fünfmaliger Toilcttcnwechsel ist obligat. Früh zum Brunnen ein wärniercS Kleid mit moder nem Brunnenmantel; zum Bade ein leichteres mit Bolero-Paletot, zur Table d'hOte mittags ein Helles Woll kleid mit eleganter Seidenbluse, zum Nachmittags-Kon- zert eine duftige Grenadine-Nobe oder bei kühlem Wetter eine Toilette von Lindener Samt, oder Liberty-Seide, abends zum Theater oder zur Röunion eine elegante Spitzen-Toilctte. Selbstverständlich darf man dasselbe Kleid, wie schön und modecrerecbt eS auch sein mag, nicht allzu oft trogen, will man sich nicht der Gefahr aussetzen, mit geringschätzendeni Lächeln beehrt zu werden. Mit wahren Niesenkoffern sieht man ost die leidend sten Damen, — denen Erholung und Ruhe Lebens- bedingung ist, — in den Kurorten anlangen. Tagtäglich unterwerfen sie sich der Tortur eines 3—4 malrgen Toilettenwechsels, glauben, die Kur bekomme ihnen nicht, wenn sie nicht den Hokuspokus initmack-en. Ja, wenn die Kleider noch immer beguem säßen, schnell aus- und anzuziehen wären! Aber ein modernes Kleid ist bald rückwärts, bald seitwärts geschlossen, der Einsatz muß. ohne daß man die Haken und Lesen sieht, am Halse be festigt werden, oft eine Geduldsprobe, wenn man nicht eine geschickte Zofe zur Hand hat, dann das Schnüren der engen Stiefeletten, der Korsetts, ohne die cs ja nun einmal trotz aller Resormbestrebungen nicht geht. Kann man es praktisclxm Frauen verdenken, daß sie lieber in der kleinsten Sommerfrische, die gar keine Unterhaltung bietet, ihren Sommer verbringen, ehe sie einen Kurort aufsuchen, in dem sie, sich dem Toiletten zwang opfernd, keine Erholung finden? Die wenigsten Damen haben den Mut, mit veralteten Vorurteilen zu brechen. Alle empfinden das Korsetttragen als eine Marter, sind glücklich, wenn sie, von einem Spaziergänge hcimkomniend, es öffnen und melerweit von sich schleudern können, aber alle Jahr wird min destens ein neues angeschastt, bald ein Troilc-Mieder, das den Leib wcgschnürt, bald ein Hüftniieder, das die Hüften einengt; zu der Höhe des Gedankens, daß jede Einengung eine Verschiebung der Körperteile bedeutet und Krankheit, Siechtum, geistiges und physisches Elend im Gefolge haben müsse, kann man sich nicht versteigen. Zumeist sind unsere Frauenärzte bemüht, ihren Pa tientinnen klar zu machen, was diese sich selbst und ihren Kindern schuldig; aber gewöhnlich predigen sie tauben Ohren. Zu' einem Wiener Frauenarzt kam unlängst eine Dams, die seinen Rat in einem sästvierigen Falle erbat. „Wenn ich Sie behandeln soll", sagte der Arzt, „muß ich zunächst darauf bestehen, daß Sie Ihr Mieder ab- legen!" „Aber Herr Professor, das ist ja bei meiner Korpu lenz ganz unmöglich!" erwiderte die beschränkte Frau. „Tann ist es auch unmöglich, daß ich Sie gesund mache!" sprach der Arzt. „Ich schnüre mich ja nicht, ich trage ja nur ein ganz bequam sitzendes, halbhohes Mieder!" entgegnete die kleine, wunderliche Frau. Es entspann sich nun folgende Unterhaltung: . . . ' „Welchen Taillenumfang haben Sie, so wie ich Sie jetzt sehe?" „Achtzig Zentimeter". „Bitte Kleid und Korsett zu öffnen und mich messen zu lassen. . . . . „Ja, auf bloßem Körper wird es wohl etwas mehr sein!" „DaS glaube ich auch! Hier ist ein Zentimetermaß. Sehen Sie. Sie haben netto 106 Zentimeter. Wenn Sie Ihre Figur also mittels Korsett und Fischbeintaille auf 80 Zentimeter einengen, so Pressen Sie 26 Zcnti- metar nach innen, wodurch eine Verschiebung eintritt, die Magen, Lunge und Leber höchst ungünstig beeinflussen muß. Wahrscheinlich leiden Sic schon an zerschnittener Leber!" „Ich war ja deshalb im vergangenen Sommer in Karlsbad, es hat mir aber wenig geholfen!" „Kein Wunder, wenn Sie so weiter darauf los schnü ren! Hat Ihnen daS der Karlsbader Arzt nicht ver- boten?" „Tas wohl, aber eS sitzt ja kein Kleid, wenn man nicht ein ordentliches Korsett trägt!" „Arme Frau, ich bedauere Sie! Sie wollen sich ge- waltsam krank machen! Haben Sie denn gar kein Mit- leid mit Ihren unversorgten Kindern?" Jetzt begann die Frau zu schluchzen und versprach sich willig den Anordnungen deS Professor- zu fügen. Ob die eitle Frau auch die Kraft haben wird es zu tun, ist eine schwer zu beantwortende Frage. Sicher könnten die Aerzte, wenn sie energisch vor gingen, die Frauen aufklärten, viel dazu beitragen, ihren in Modcangelegenbeiten sich auf allen Linien geltend machenden Sclstvachsinn zu bekämpfen, aber sie wollen es nicht; würdm sie ja.sichcr dadurch ihre Patientinnen ver lieren. Viele tausend Frauen trippeln beispielsweise auf kleinen, engen, gestelzten Schuhen einher, die ihnen Pein verursachen, aber einen breiten, flachen, bequemen Schuh zu tragen, halten sie nicht für lady-liko; so weit reicht ihr Scharfsinn nicht, daß sie fick tagen, die Träger deS oft recht vollwichtigen Körpers müssen gut bekleidet sein, nicht eingeengt, verbogen, verkünnnert wie Ehinesenfüße. Die da in kleinen eingezwängten Schuhen herumtrippeln, wissen alle, wo sie der Schuh drückt, aber sie wollen es sich in ihrer Eitelkeit nicht eingestehen, daß sie einem falschen Schönheitsideal folgend, sich um Gesundheit und Lebensfreude betrügen. Wir hätten viel weniger nervöse, an Migräne und Hysterie leidende Frauen, wenn man sich naturgemäßer, zwangloser klei den und einsehen wollte, daß in erster Linie Gesundheit und Bequemlichkeit zu berücksichtigen, alle Moden zu ver bannen sind, die einen ungünstigen Einfluß auf unsere Blut- und Säftebildung ausüben. Schließlich noch ein Wort über den fabelhaften Luxus, der sich jetzt in Stoffen, Stickereien, Spitzen, Bandgarni- turen bemerkbar macht. Eine modern geputzte Toilette kostet jetzt, wenn aus gutem Salon bezogen, einige hun dert Mark; moderne Frauen brauchen jährlich 4—6 fol- cher Toiletten: ob sie sich wohl immer die Frage vorlegen: „Ist dein angestrengt von früh bis ft>ät arbeitender Mann auch in der Lage einen solchen Toilettenauswand zu be streiten?" Es wäre zu wünschen, daß sie nicht mit schwachem, sondern mit starkem Sinn dieser Frage näher treten! Wir haben ja hochintelligente Frauen, die sich dem Manne gleichwertig behaupten, Firmen die den höchsten Idealen nachstrcbend, nicht nur den engen Kreis ihrer Familie beglücken, sondern überall da tätig mitwirken, wo es gilt das Gemeinwohl zu fördern, aber diese sind keine Modepuppen und diejenigen, die es noch sind, mögen sich ernstlich fragen, ob der modernen Frau nicht höhere Ziele winken, als die, allen Diktaten der lau- nischen Mode ein williges Ohr zu leihen. Wollen und Wirken. V. ^1. Die Beteiligung der Frauen an der ösfentlichen Armenpflege. Wie der „Allgemeine deutsche Frauenverein" in den seinen Ausgaben vorgezeichnelen Leitsätzen aus das ent schiedenste betont, wird die Armenpflege einen wesent lichen Teil seiner Arbeit bilden. Eine befriedigende Er füllung der an die öffentliche Armenpflege gestellten Forde rungen wird aber unmöglich sein, so lange die Frauen von einer Beteiligung an derselben ausgeschlossen sein werden. Es ist daher ein dankenswertes Verdienst der Ortsgruppe Leipzigdes „Allgemeinen deutschen Frauen. Vereins", daß sie dieser eminent wichtigen Frage auss neue näher getreten ist und in kräftiger Propaganda das Interesse dafür zu wecken sucht. In solchem Sinne tonnte auch die von der Ortsgruppe Leipzig cinberufene Sitzung auf- gesatzt werden, auf deren Tagesordnung ein Vortrag des Herrn Amtsgerichtspräsidenten Siegel über „Die Be teiligung der Frauen an der öffentlichen Armenpflege" stand. Ein stattliches Auditorium von Frauen lieh der Veranstaltung seine Gegenwart, wie auch unter den Gästen als Vertreter des Armendirektoriums Herr Stadtrat Dr. Weberzu bemerken war. Am Eingang seiner Darlegungen, die den wohlmeinenden Zweck hatten, zu einer Umstimmung zu gunsten der Zuführung von Frauen zur Armenpflege zu führen, behandelte Herr Amtsgerichlsprasi- dent Siegel sein Thema zunächst im Sinne juristischer Auf fassung^ indem er die einzelnen Armenorbnungen und Ge setzesbestimmungen in Bezug auf die Armenpflege erläuterte und deren organisatorische Grundzüge schilderte. Er ging sodann auf oaS in seiner Art mustergültige „Elberfelder System" über, das den denkbar innigsten Zusammenhang zwischen Pfleger und Armen verlangt, dazu Selbstlosigkeit, ein warmes Herz für den Mitmenschen, einen klaren Blick für die Not des Lebens, ein Erkennen und ein richtiges Ab schätzen der Bedürfnisse des Lebens. Was liegt da näher, als von dem selbstlosen, uneigennützigen, von Ausdauer ge tragenen, von Menschenliebe und klarem Blick für das Leben begleiteten weiblichen Wirken zu reden! Das sind alles herr liche Eigenschaften der Frau, deren Nichtigkeit die Geschichte bestätigt. Die Begründer des Elberfelder Systems haben an fänglich an die Zuziehung der Frau zur öffentlichen Armen pflege nicht gedachr, doch ist, wie die spätere Eingliederung der Frau in eine große Anzahl von Armenpflegen großer Städte bewies, der Boden für die Beteiligung der Frau atl der öffentlichen Armenpflege geebnet worben. Allerdings nur langsam geht diese Einreihung der Frauen in die öffentliche Armenpflege vor sich. Es ist leider immer noch ein gewisser Widerstand vorhanden. Worauf beruht er? Von den Gründen, welche die Gegner der durch Frauen geübten Armenpflege ins Feld führen, erweist sich keiner derselben als stichhaltig. Wenn zunächst die Gegner der sogenannten Frauenbewegung und der EmanzipaNonsbestrebungen über haupt anführen, daß die Frau ins Haus gehöre, so ist dies wohl richtig, aber sie gehört auch in das Haus der Armen, denn Armenpflege ist stets ihr Amt gewesen.' Der allgemeine Einwand, daß das Gemüts- und Gefühlsleben der Frau an sich sie zur Armenpflege ungeschickt Mache, wird einfach durch die Praxis widerlegt, ebenso der Hinweis, daß die Frau ver möge ihres ganzen Lebensganges nicht die entsprechende Er fahrung zu sammeln vermöge, wie es beispielsweise der Mann tue, und daß ihr daher die Voraussetzung dieser Lebens erfahrung bei ihrem Berufe alS Armenpflegerin fehle. Ist doch die Lebenserfahrung keineswegs auf einen Stand allein beschränkt. Wenn man weiter von gegnerischer Seite zugibt, daß das Feld der Frau allein die private Tätigkeit bilden soll und man dagegen die Möglichkeit eines ersprießlichen Arbeitens auf öffentlichem Gebiete bezweifelt, so trifft dies ebenfalls nicht zu. Sovann können sich die Gegner der Sache ein gemeinfames Zusammenarbeiten von Männern und Frauen in der Armenpflege und gewisse gemeinsame Er örterungen nicht denken, und doch lieg! gerade in der Gegen wart von Frauen ein nicht zu schätzender Fortschritt zur Lösung der fozialen Armensrage. Gar nicht stichhaltig ist ein aus rein äutzerlichen Gründen vorgebrachter Einwand, nach welchem man die Teilnahme der Frauen der Abend sitzungen wegen ausgeschlossen sehen will. Manche wieder furchten Schwierigkeiten, die dem Distriktsvorsteher im Ver kehr mit den pflegenden Frauen entstehen könnten. Aber das Gegenteil tritt ein: eine richtige Verteilung der Fächer er- leichtert dem Vorsteher sein Amt. Man will ferner den Mangel eines Bedürfnisses zur Heranziehung der Frauen in der Armenpflege bestreuen, obgleich der Gevanke eines folchen Bedürfnisses sich immer mehr in weite Kreise hineinarbeitet und darin sich festsekt. Wenn man endlich bezweifelt, daß geeignete Frauen in hinreichender Anzahl sur das Pflegearm zu finden feien, so dürste man auch hierüber beruhigt werden können. Für Städie von der Größe Leipzigs, das 1093 Armenpsleacr erheischt, wird sich ein Mangel an Frauen kaum ergeben. Es mag Frauen geben und es gibt Frauen, deren Aufgaben im Haufe und Nicht außerhalb des Hauses liegen, es gibt Frauen, die ihrer Stellung nach eine Unter ordnung nicht vertragen, Frauen, die ihrem Redevermögen kein Ziel zu setzen vermögen, Frauen, die der Familie sich am Abend widmen müssen, die als Gehülfinnen des Mannes tätig fein müssen, aber es gibt anderseits recht Wohl aus- erwahlte und berufene Frauen, die zur Armenpflege vor geschlagen werden können. Wie wünschenswert ihre Be teiligung an der öffentlichen Armenpflege fein kann, ergibt ein Blick auf die Ärmenverhältnisse Leipzigs. Von den zu Anfang 1905 Verpflegten, insgesamt 3586, entfielen 768 auf männliche Arme, 2818 aus weibliche Arme. Von diesen waren 2006 Witwen, 457 getrennt Lebende, 355 Ledige. Von diesen waren 468 unter 40 Jahren, 497 von 40 bis 50 Jahren, 443 von 50 bis 60 Jahren, 611 von 60 bis 70 Jahren, 575 von 70 bis 80 Jahren und 126 über 80 Jahre. Wenn nun auch nicht behauptet werden soll, daß jede arm« Frau wieder von einer Frau verpflegt werden soll, so ist doch der Satz zu vertreten, daß viele Frauen wieder von Frauen verpflegt werden müssen, für die der Mann nicht der geeignete Pfleger ist. Selbstver ständlich muß dabei auf die Mitarbeit von Frauen aller Stände gerechnet werden. Alle Eingaben, welche von der Ortsgruppe Leipzig des „Allgemeinen deutschen Frauen vereins" an den Rat der Stadt Leipzig gerichtet wurden, sind bei dem Widerstand der Pfleger bisher aussichtslos gewesen, sie dürften aber doch noch, da nach dem Stand der jetzigen Gesetzgebung die Frau zur Armenpflege zugelassen werden kann, endlich von Erfolg begleitet und damit sie hochwichtige Frage der Zulassung der Frau in die städtische Armenpflege segenbringend gelöst sein. s. Eine Dozentin an der Wiener Universität. Fräulein Elise Richter, Doktorin der Philosophie, in dem Spezialfach für romanische Sprachen, reichte im ver gangenen Herbst ein Gesuch um Zulassung als Privatdozent für romanische Sprachen em. Jetzt ist die Entscheidung ge troffen worden, die allerdings noch von der Billigung deS lntcrrichtsministeriums abhängt, doch hofft man aus zu- agcnde Antwort. Das Professorenkollegium der philo- ophischcn Fakultät entschied sich mit 40 gegen 10 Stimmen von den 74 Mitgliedern des Kollegiums waren 50 anwesend) ür die Zulassung weiblicher Lehrkräfte an der Wiener ^.lran water. ü. Zum Gedächtnis der ersten deutschen Aerztia. In unserer Zeit des Frauenstüdiums und der sich immer mehr verallgemeinernden Frauenbetätigung auf allen wissenschaft lichen Gebieten und >n sonst von Mannern verrichteten prak tischen Arbeiten verschiedenster Art gebührt sich'S auch, einer Frau zu gedenken, die vor nunmehr vollendeten l^z Jahr hunderten bereits desgleichen tat. Dies ist die Aerztm Dorothea Christine Erxleben, geb. Leporin, die im Jahre 1754 als e r ste Frau in Deutschland den medi zinischen Doktorhut erwarb, und zwar in Halle. Die in ihrem 39. Lebensjahre erlangte Würde hatte sie leider nur acht knappe Jahre inne, denn die am 13. November 1715 ge borene Frau starb schon in ihrem 47. am 13. Juni 1762. Sie war übrigens die.Mutter eines nicht unbedeutenden ArzteS und Naturforschers, des am 22. Juni 1744 zu Quedlinburg geborenen Jolmnn Christian Erxleben, der von 1771 an als Professor der Physik in Göttingen tätig war und sich als Ver fasser mehrerer naturwissenschaftlicher Werke einen Namen gemacht hat. Dieser bedeutende Sohn einer prominenten Mutter, die auch als solche ihren Beruf bestens ausgefüllr hat, kam noch nicht einmal zu den Lebensjahren seiner Mutter; denn er starb im Alter von 33 Jahren bereits am 19. August 1777 in Göttingen. st. 6. Wirtschaftliche Franenschulen werden, wie die „Evan gelische Frauenzeitung" Mitteilt, in Westpreußen und Posen nach dem Plane von Frl. von Kortzfteisch eingerichtet werden. Beide Schulen werden neben den Haushaltungsschülerinnen in Scminarklassen auch sogenannte Landpfleaerinnen ansbildcn, die in den vvn der Ansiedlungskommission begrün deten Ansiedlungsgcmeindcn der Jugend der deutschen Land bevölkerung unentgeltlich hauswirtschastlichen Unterricht jeder Art erteilen und die Beschäftigung der kleinen Kinder während der Arbeitszeit der Eltern überwachen sollen. Es eröffnet sich damit eine Gelegenheit für Frauen, auch an der Pflege und Uebung nationalen Sinnes Mitarbeiten zu können. Ter Schwesternanstalt in Gciselgastei^ bei München wurde von der bayerischen Negierung das Prüfungsrecht für Wirtschafts lehrerinnen erteilt. Feuilleton. DaS goldcue Herz. Ein Märchen von FraneeS Külve. EI war einmal ein alte- Fräulein, daS hatte ein -vldene- Herz. Alle Menschen sagten eS, uird da mußte daS aste Fräulein doch daran glauben. Einst in ihrer Jugend war daS alte Fräulein eine schöne junge Braut gewesen, aber ihr Bräutigam hatte sie verlassen und eine andere geheiratet, und daS halte sehr weh getan. Und dann lag ihr früherer Bräutigam jahrelang auf dem Krankenbett, und daS tat dem alten Fräulein, daS damals noch jung war, wieder sehr weh. und sie sparte und darbte, um ihm seine Kinder erziehen zu helfen. Bevor er starb, sagte er zu ihr mit seligem Lächeln: „Moriannchen, du hast ein goldenes Herz." Tas- selbe sagte auch die Witwe deS Verstorbenen, dasselbe sagten alle anderen Leute, und zuletzt glaubte das alte Fräulein so fest an ihr goldenes Herz wie daran, daß sie zwei Füße nötig hatte, um damit zu gehen, und da machte sie fröhlich und stark. Tas alte Fräulein war noch immer bitterarm und mußte sich ihr Brot als Erzieherin sauer genug verdienen. Alle ihre Ersparnisse gab sie der Witwe und den Kindern ihre- früheren Bräutigams. Tausend große Sorgen und tausend kleine Freuden teilte sie mit ihnen. Bis in die AuS der neuen, von Alexander Koch herauSgegebenen Zeitschrift „Kind und Kunst" lVrrlag von Alexander Koch in Darinstadtj. späte Nacht saß sie auf und nähte und strickte beim Schein einer kleinen grünen Lampe für ihre Lieben, und nähte und strickte viel tausend gute Wünsche und bunte Hoff nungen in ihre Arbeiten hinein. Am Weihnachtsabend aber war das alte Fräulein so geschäftig und geheimnis voll, so wichtig und vergnügt, daß man ihr goldenes Herz ordentlich durch die alten Züge leuchten sah. Endlich hatte sie es so weit gebracht, daß die Kinder ihres früheren Verlobten strackere und tüchtig« Menschen wurden. Tann aber hatte sie wieder andere Schützlinge, denn sie konnte kein Elend und keine Not sehen, ohne irgendwie zu helfen. Sie hatte nun einmal «in goldene- Herz. Aber sterben mußte sie nun dennoch, ganz wie andere Leute, die kein goldene- Herz besaßen. Als sie auf dem Sterbebette lag. sagte sie freundlich: „Nun lebt alle wohl, daS goldene Herz steht bald still." Und so geschah eS. DaS goldene Herz stand still, und daS alte Fräulein wurde zu Grabe getragen wie andere Leute auch. Viele weinten und wehklagten und ihr Schmerz war ehrlich und aufrichtig. Mittlerweile stieg die Seele des alten Fräuleins wohlgemut zum Himmel empor. Zuversichtlich stand sie an der Himmelspforte und klopfte. „Wer da?" fragte der alte Petrus verschlafen und rasselte mit dem Schlüsselbunde. „Ich bin daS alte Fräulein", sagte die Seele der- gnügt, „und ich hab ein goldenes Herz!" Petrus guckte um die Ecke. „So, so?" sprach er be dächtig und strich sich den Bart. „Da- kann jeder sagen. Woher weißt du denn daS?" „Ei!" rief das alte Fräulein verwundert, „da- weiß ich schon lange. Mach' nur aus, mich friert hier hinter der Himmel-Pforte." „So schnell geht da- denn doch nicht", meint« Petrus bedächtig und kratzte sich den Kopf. „Wenn ich jeden bereinließe, der sich selber lobt, daS würde eine nette Wirtschaft!" „Aber lieber, guter Petrus", sagte daS alte Frärrlein kläglich und trippelte jämmerlich von einem Fuß auf den anderen, „ich sage ja doch nur, tvaS die Leute sagen, was die Leute gesagt haben, solange ich da unten war daß ich wirklich ein außerordentlich gutes, ein goldenes Herz habe." VetnuS hatte die Tür schon ein ganz klein wenig auf geklinkt und das alte Fräulein hatte einen goldenen, strahlenden Lichtschimmer gesehen, daß ihr ganz weh und sehnsuchtsvoll ums Herz wurde. „Ditte bitte, guter Petrus", sichte sie, „laß mich ein, ich bin wirklich daS Fräulein mit dem goldenen Herzen, und mich friert hier." Aber Petrus besah sie von oben bis unten. „Na", sagte er trocken, „was brauchst du denn mehr? So wärm dich an deinem goldenen Herzen!" Und schwapp — siel die Tür wieder in- Schloß. Aber daS alte Fräulein hatte doch einen Zipfel ihres Kleides hineingeschoben und konnte nun weder vorwärts noch zu- rück. Da ward ihr sehr bang zu Mut, und sie begann zu weinen. „Was weinst du denn da arme Seele?" sprach eine Helle Kinderstimme, und ein wunderliebliches Krnd stand vor ihr in leuchtendem Glanze. „Der ... der ... der Petru- will mich nicht in den Himmel hineinlasien, und ich bin doch das alte Fräulein und bade ein goldenes Herz, mein Kindchen", schluchzte das Fräulein kummervoll. Tas leuchtende Kind sah sie liebevoll an und reichte ihr sein Händchen. „Du", sagte e> „sei nicht traurig. wir wollen einmal festen, waS sich machen läßt. — Petrus, willst du nicht die Tür losmachen — mir zuliebe — die arme Seele friert hier draußen. PetruS rnachte einen tiefen Bückling. „Ja", sagte er, wenn du meinst! Aber an der da" — er wies verdrießlich mit dem Daumen über die Schulter nach dem alten Fräulein hin — „an der da ist nicht viel dran. Sie sagt, sie hätte ein goldenes Herz!" „Aber vielleicht hat sie einS", sagte das schöne Kind entschuldigend. — „Zeig' mir's doch", bat eS freundlich. Zeigen? DaS alte Fräulein riß die Augen weit auf. „Wie soll ich's dir denn zeigen, mein Kinochen? Das Herz. daS hab ich doch inwendig." „Tut nicht-!" sagte das Kind, „ich seh' auch nach innen " Und daS alte Fräulein schlug ihren Mantel und ihr Kleid zurück und fühlte nach ihrem Herzen, aber siehe, cs stand stille, und sie konnte eS nicht finden. Da erschrak sie furchtbar. „Ich hab' eS verloren", jammerte sie entsetzt, „ich hab' mein goldenes Herz verloren! WaS tu ich nun? Muß ich nun ewig draußen bleiben?" Ernst und groß sah sie das Kind an. „Nein", sprach eS freundlich, „denn siehe, ich hab' e- gefunden!" Und es hob ein Menschenherz von roter Farbe in die Höhe — darum flackerte ein schwächlich goldener Schein. „Aber nun soll dein Herz erst ganz golden werden", sprach es feierlich, „weil ich es fand!" Da wußte das alte Fräulein plötzlich, wer das Herr- licbe Kind war und fiel vor ihm selig aufjauchzend in die Knie. verantwortlich« Rrdaktrtce: Josephs«, Kt-b« in Leipzig,
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