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Der Reichstag ist am Dienstag wieder zusammei getreten. Vor Weih nachten hat er vier Wecken getagt und seine damaligen Beratungen bilden gewissermaßen das Vorspiel zu den großen Verhandlungen, die sich jetzt abspielen sollen. Die Tagung vor dem Feste hat mit er em äußerlichen Erfolge für den Grafen Caprivi abgeschlossen, indem er die drei „kleinen" Handelsverträge unter Dach und Fach bringen konnte, — allerdings nur mit Hilfe von Parteien, an deren Unterstützung die Reichsregierung bisher nicht ge wöhnt war. Als sich der zweite Reichskanzler vor nunmehr bald vier Jahren dem Reichstag vorstellte, sagte er u. a., daß unter seiner Leitung die Politik etwas langweilig werden würde. Das Gegenteil davon ist eingelroffen, wenn auch ohne Schuld des Grafen Caprivi; aber das deutsche Volk ist während der letzten vier Jahre aus der Auf regung wenig herausgekommen; an kritischen Zuständen im Innern hat es nicht gefehlt und Mr die Politik der Reichsregierung ist es ein charakteristisches Zeichen, daß sich die Konservativen direkt zu Gegnern erklärt haben. Wie falsch es aber wäre, aus diesem Umstand aut einen Umschwung in den Ansichten der leitenden Kreise zu schließen, zeigt der Briefwechsel zwischen dem ostpreußifchen konser vativen Verein und dem Grafen Caprivi. Dieser Briefwechsel — das steht außer Frage — hat den zerrissenen Draht zwischen den Konservativen und der Reichsregierung wieder geknüpft. Der „Bund der Landwirte" wird etwas zurück-, die konservative Partei wieder mehr vortreten. Die Zeit des Herrn v. Helldorf ist nähergerückt und die Folgen davon werden die kom- ! wenden Reichstagsverhandlungen zeigen. Etwas haben die Konservativen erreicht: der Identitätsnachweis für Getreide wird frcigegeben und wenigstens eine G guete über die Silberfrage wird veranstaltet werden. Das hat der Kanzler in Aussicht gestellt, wobei allerdings noch fraglich bleibt, ob der Reichstag der Aufhebung des j Identitätsnachweises zustimmt. ! Es ist nicht unwahrscheinlich, daß durch diese Nach- ! giebigkeit der Regierung die Konservativen für den Han- s delsvertrag mit Rußland gewonnen werde ', so zwar, daß die rechte Seite des Hauses nicht direkt zustimmt, aber doch auch nicht alle Kräfte an spannt, um die Ab lehnung herbeizuführen. Mit der Annahme des Handels- Vertrages wäre jedoch erst eine Sch vierigkeit beseitigst; eS ! bestehen aber deren mehrere. Da sind noch die Steuer- ! gesetze, die den Mehrbedarf zur Ausführung der Militär vorlage bringen fallen, ui d die Reichssteuerreform. Ob wohl Graf Caprivi der Deckung der militärischen Mehr bedürfnisse zu Liebe auch den Finanzreformplan mit in den Kauf nahm, scheint ihm die Aussicht, daß die Ver werfung der vorgeschlagenen Finanzreform auch ungünstig auf die Kostendeckung der Militärvorlage einwirken könne, jetzt besondere Pein zu bereiten, und es wird nicht ganz unberechtigt gewesen sein, wenn man von einer Verstim mung zwischen dem Reichskanzler und Herrn Miquel ge sprochen hat. Die Stimmung in Reichstagskreise i war bis dahin gege über Ste erge'etzen und der damit ver bundenen „Aenderung in der Filia zgebahrung des Reiches" so kritisch, daß die Regierung froh sein mußte, wenn ste eine opferwillige Majorität fand, die die für die Deckung I der Militärvorlage notwei digen Aufwendungen bewilligte. ! Da aber dem Finnnzminister in erster Linie daran liegt, für die Beseitigung des rechnerischen Defizits in Preußen vom Reiche eine angemessene Vergütung zu erhalten, und da er alles daransetzte, seinen Wunsch zur Durchführung zu bringen, so hatte dieser Gegensatz zwischen den maß gebenden Stellen eine verzweifelte Aehnlichkeit mit einer „Krists". Bei dieser Gelegenheit muß darauf hingewiesen wer den, daß sich in den Kreisen des Zentrums den Steuer- Vorlagen der Regierung gegenüber eine größere Gene-gt- heit als bisher geltend macht. Der Abg. Lieber hat sich in einer seiner letzten Reden sehr energisch gegen die jenigen Zentrumsblätter gewandt, die zu den Steuer fragen früher Stellung genommen haben, als die Zen- f trumspartei selber! Findet also die Reichsregierung wenigstens für die Steuervorlagen in der einen oder anderen Form das gewünschte Entgegenkommen, dann wäre ihre Lage bedeutend erleichtert. Es bliebe dann noch die Finanzreform übrig, die Herrn Miquel beson- ders am Herzen liegt. Natürlich hängt diese von der Bewilligung sämtlicher Steuern ab; denn wenn eine oder die andere abgelehnt wird, dann bleibt natürlich kein ! Geld für die Finanzreform übrig, die dahin zielt, für ! eine längere Reihe von Jahren den Einzelstaaten be- stimmte Einnahmen aus dem Reichssäckel zu garantieren. ! Von liberaler Seite werden zuoem noch die Bcdenken laut, die sich aus eii er Verkürzung des Ausgabe- bewilligm gri echtes des Reichstages ergeben. Ostern fällt diesmal sehr früh und der Reichstag wird sich beeilen müssen, n enn er bis dahin schon zu festen Beschfiisscn in all' diesen schwerwiegenden Vorlagen gelangen will. Komische Rnndscha«. Deutschland. Der Kaiser ist mit seiner Familie am Dienstag von Potsdam nach dem Berliner Schlosse übergesiedelt. Das Befinde i des Königs Otto von Bayern soll sich in letzter Zeit bedenklich verschlechtert haben. Der Kranke leidet an lange anhaltenden Ohnmackts- anfällen und ist fei er Umgebung gegenüber völlig apathisch; seit geraumer Zeit ist er auch nicht mehr Herr über alle Funktionen des Körpers. Bezüglich der Krisengerüchte, die nicht ver stummen wollen, schreibt die ,Vosi. Ztg.': „Thatsächlich hat sich nach Neujahr eine Kanzlerkrisis abgespielt, nur daß sie nickt mit inneren A gelegenheiten, auch nicht mit dem deutsch-russischen Handelsverträge zusammenhing, sondern mit den Kolonialveryältnissen (besonders den schlechten Zuständen in Kamerun und Süowest-Afrika). Graf Caprivi hatte sein Enttassungsgesuch eingereicht, das vom Kaiser ab gelehnt worden ist." Der BundeSrat trat am Montag zu seiner ersten Plenarsitzung im reuen Jahre zusammen. Auf der Tagesordnung standen die Bestimmungen über Ausnahmen von dem Verbot der S on n t ag s ar b ei t, die Ab änderung der Verordnuug über den Geschästskreis der deutschen See warte, der Bericht der Börfen- Untersuchungs - Kommission, der LanveshauShalts - Etat von Elfaß-Lothrtngen für 1894/95, die Ver- f längerung des Hanbeh>provisoriums mit Spanien bis zum 31. Januar 1894, der Beschluß des Reichstages betr. die Adü derung des Regulativs für die Errichtung einer Kommstsiou für Arbeitersta tistik, sowie eine Anzahl von Petitionen. In der zweiten Hälfte des Januar werden im ReichSeisenbahnamte die sämtlichen Kommissare der deutschen Bu det-regierungen, die gelegentlich der letzten Weltausstellung nach Amerika entsendet worden waren, zu einer Besprechung zusammentreten, um Ge legenheit zu haben, sich über ihre Wahrnehmungen be züglich der amerikanischen Eisenbah Verhältnisse und deren Verwertbarkeit für das deutsche Eisenbahn wesen zu äußern und ihre Ansichten auszutauschen. i Der Reichstag hat am Dienstag seine durch die Weihnachts- und Neujahrsferien unterbrochenen Arbeiten wieder ausgenommen. Die Kommandanturen von Frankfurt a M., Altona, Rastadt, Saarlouis sollen, nach dem,Hann. Cour.', im Jahre 1894/95 und später auch die in Neisse ein gehen. Die Maßregel soll im Zusammenhangs damit stehen, daß die neu anznlegenden Truppenübungsplätze, deren jedes Armeekorps einen erhalten soll, die Einsetzung besonderer Kommandanten erfordern, und daß durch die Aufhebung entbehrlicher Stadtkommandanturen ein Aus gleich geschaffen werden soll. Wie in Südwest-Afrika, so soll auch in Kamerun eine Untersuchung darüber angestellt werden, welche Ursachen der Empörung der Polizeitruppe zu Grunde lagen. Der Hilfsarbeiter in der Kolonial- Abteilung, Regierungsrat Rose, der die Kamerunsachen bearbeitet, soll am 10. d. bereits mit dem Dampfer „Adolf Woermann" von Hamburg aus abreisen. Im Bismarck-Archipel haben, wie die.Nordd. Allg. Ztg.' mitteilt, die Unruhen auf der Gazellenhalb insel in der Umgebung der Station Herbertshöhe noch nicht ihren Abschluß gefunden. Die Eingeborene: greifen zwar nicht mehr offen an, führen dagegen Krieg aus dem Hinterhalt, so daß eine allgemeine Unsicherheit herrscht. Alle Versuche des Landeshauptmanns Schmiele, eine friedliche Unterredung mit den Eingeborenen zu erzielen, waren vergeblich. Oesterreich-Ungar«. Aus Anlaß des in Kürze vor dem Prager Aus nahmegerichte zur Verhandlung gelangenden Prozesses gegen die verhafteten Omlad isten find bereits viele auswärtige Berichterstatter angemeldet. Die augeklagten Mitglieder der Omladina protestieren jedoch in energischer Weise dagegen, daß zu den Verhandlungen, die geheim geführt werden sollen, Vertreter deutscher Blätter zuge- lassen werden. Das Gerichsgebäude wird während des Prozesses auf das strengste überwacht. In Oesterreich-Ungarn haben sich der Finanz- minister Dr. v. Plener und Dr. Wekerle betreffs der Währungsregelung dahin geeinigt, im Laufe der Jahre 1894 und 1895 je 100 Millionen Gulden Staats noten einzuziehen und sie teils durch Goldkronen, teils durch Lilberkronen zu ersetzen. Frankreich. Bisher find von den am Sonntag stattgehabten Wahlen zum Senat 94 Ergeb isse bekannt, davon entfallen auf die Republikaner 78, Radikalen 9, „Rab fier ten" 2 und Konservativen 5. Der ehemalige Botschafter Waddington ist in Laon unterlegen. Die Zeitungen stellen übereinstimmend fest, daß der Ausfall der Wahlen einen neuen Erfolg für die Republik und einen Miß erfolg für die Monarchisten und Sozialisten bedeute. General Dodds läßt wieder etwas von sich hören. Er hat nach Paris gemeldet, daß derKönig Behanzin in Dahomey lebhaft verfolgt werde und gezwungen sei, im Buschwerk zu leben; er verlege jede Nau t sein Lager. Ein ernsterer militärischer Zwischenfall sei nicht einge treten. Der Gefundhcitszusta d der Truppen sei gut. — Diese Nachrichten bedeuten nicht viel, König Behanzin hat auch bisher „im Buschwerk" gelebt und er wird sich zwar „lebhaft verfolgen", aber schwerlich — erwischen lassen. Die Blätter veröffentlichen ein Schreiben des PapsteS an den Bischof von Autun, in dem der Papst seinen Abscheu über die jü gsten anarchistischen Missethalen ausspricht. England. Daß im Hinterlande von Sierra Leone ein be waffneter Zusammenstoß zwischen englischen und fra zöstschen Truppen stattgefunden hat, wobei es auf beiden Seiten Tote und Verwundete gab, — darüber ist man sowohl in London als in Paris unterrichtet. Nicht aber über die näheren Einzelheiten. Die Franzosen waren der angreifende Teil. „Aus Irrtum", wie es heißt, und die französische Regierung hat sich jetzt schon gru dsätzlich bereit erklärt, jede gerechte Genugthuung zu geben. Schweden-Norwegen. Die Königin von Schweden leidet an einem / KöHeKokö. ISj lFortsetzuttflO Da rollte eine gewaltige Woge heran, bis an die Dünen wälzte sich die grünliche Flut, mit einem mark erschütternden Aufschrei unbändiger Freude stürzte die Irre vorwärts, beide Arme gen Himmel hebend. „Dirk, Dirk, ich komme!" Der Sturm heulte wie im Triumph, lauter als bis her, die See rauschte auf, und dann — ein minuten langes Schweigen. Verstummt war der unheimliche Ge sang, verschwunden die große, alte Frau mit dem flat ternden weißen Haar! Der Ruf der Wassergeister war zu mächtig gewesen, die Lockung zu unwiderstehlich, sie war ihr erlegen. Nimm sie auf in deinen unergründlichen Schoß, du altes, unersättliches Meer; bette sie sM und kühl auf bei em geheimnisvollen Grund, wohin ihre Sehnsucht sie zog; gib dem müden Geist Frieden! Jetzt war es dem einen der Boote gelungen, dem Ufer näher zu kommen trotz Sturm und Wogen; noch wenige > Minuten, und die Insassen waren geborgen, lagen ge rettet iu den Armen der Ihre»; da wälzte es sich heran wie ein Gesandter der Hölle, berghoch, gewaltig das zerbrechliche Fahrzeug von dem leuchtenden Schaumgipfel hinabstürzend in eine gähnende, grundlose Tiefe. Kieloben, trieb das Boot zum Lande, empfangen von dem Verzweiflungsschrei der Zuschauer, und nach Sekunden schwemmte die Flut eine dunkle, levlose Gestalt an das Gestade. . Da lag er, der riesige, sehnenstarke Dirk PetterS, kraft- und bewußtlos, und neben ihm kniete Erdmuthe, E und Wiebke Hemers hielt sein graue- Haupt in ihrem Schoß, auf das ihre Thränen wie ein Regen herab sanken. „Weine nicht, Wiebke," sagte Erdmuthe mit ihrer klaren, gefaßten Stimme; „du kannst dich darauf ver lassen, er lebt. Ich werde die Männer bitten, daß ste ihn nach Hause tragen." Bereitwillig folgten die wenigen zurückgebliebenen Fischer, die bisher in dumpfem Schweigen beisammen- gestanden hatten, der an ste ergangenen Aufforderung, und Wiebke gi g ihnen nach. Durfte sie den Vater ihres JenS hilflos allein lassen? Wie ei -e Tochter bemühte ste sich um ihn, bis er end ich, endlich die Augen aufschlug und dann in Schlaf versank. Niemand wußte zu sagen, wie lange der Sturm gewährt, nicht die Bedrohten selbst, nicht einer, der am Lande Befindlichen! Kein Freudenlaut entfloh den Lippen, als endlich, endlich die Boote und später der Kutter landeten, wortlos stürzten sich Mann und Weib, Eltern und Kinder ans Herz, wortlos wandten sich die Ange hörigen der Untergegangenen ab und gingen davon. Erdmuthe hatte tapfer jeden Klagelaut unterdrückt, mutig hatte sie dem Sturm der durchnässenden Flut standgehalten: nun aber verlieb sie fast die Besinnung. Wie durch euren Nebel sah sie Messingens hohe Gestalt auf sich zuschreiten, hörte sie feine wohlbekannte, geliebte Stimme: „Martin, da- bin ich, — Gott sei Dank!" Es war gut, daß seine Rechte kraftvoll ihre Hand erfaßte und ste sesthielt, bis sie dabeim waren — ste bedurfte deS Führer» — daß nichts von Furcht in seinen klaren Augen zu lesen stand, welche an ihrem Antlitz hingen. Andern Tages gingen Erdmuthe und Messingen von einem Haus in daS andere, uud der Oberst fügte den sanften Worten der Braut manche materielle Unter stützung hinzu, so daß die Leute einstimmig erklärten: der Herr Oberst sei brav und leutselig wie keiner uud der rechte Mann für das Fräulein! Dirk PetterS erholte sich langsam unter WiebkeS Pflege, die trotz der Mutter Widerstand bei dem alten Mann geblieben war. Schwach und unthätig saß er auf der Ofenbank — selbst sein Pfeifchen wollte ihm nicht recht schmecken — und sah Wiebke zu, welche neben ihm spann. „Welch' ein Sturm war daS," begann er endlich; „möchte es nicht noch einmal erleben, Mädchen, mau wird doch alt! Ordentlich geschüttelt hat's mich, als unS zuletzt die Welle auf den Rücken nahm und dann hinabstürzte i» die Tiefe! Und außer mir alle Boots- insassen dahin, alle?" „Alle, Vater Dirk!" sagte Wiebke traurig. „Ich glaubte es Fräulein Erdmuthe erst nicht, daß Ihr noch lebtet, so kalt und starr lagt auch Ihr da." Nach einer langen, schweren Pause begann Dirk Petters abermals: „Lies mir den letzten Bries von dem Junge», dem Jens, vor, will mein altes Herz daran erbauen, daß er bald kommt; ich wollte, er wäre erst bei mir." Wiebke gehorchte und buchsiabierte das Schreiben dem Alten vor, dessen Antlitz ordentlich verklärt wurde bei dem etwa» verwirrten Bericht des Soh es. Bei den Worten: „Grüß' meine Telse vieltause idmal," schlug in deS Mädchen» Antlitz eine Helle Glut, der alte Mann schüttelte seufzend das Haupt. „Ja, ja, er weiß noch richts," bekannte er dann; „wollte ihm da draußen keinen Jammer bereiten, erfährt alles noch früh genug, wen» er heimkommt." Diese Ansicht von der Sache hatte den alten Fischer teil» davckt abiMalte^ Jen» Tel fett Verrat mitzuteilen,