38 Diese streng wissenschaftliche Lehre war natürlich im alten Babylon wie überall etwas, was nur die Wissenden beherrschen konnten. Dem Volke konnte man solche Lehren nur symbolisch zum Bewußtsein bringen. Wenn auf Erden geschehen sollte, was vom Himmel vorgeschrieben war, so waren die Zeremonien des Götterkultes der symbolische Ausdruck dafür. Die Feste sind die Wendepunkte des Jahres — die einzelnen Festgebräuche stellen deshalb die Vorgänae am unmel und im Weltall in S Irdische übertraaen dar. Das Hauptfest ist überall das Neujahrsfest, d. h. das jenige, welches den neuen Zeitabschnitt beginnt. Das Jahr ist ja das Abbild der größeren Cyklen und was sich in ihm im kleinen abspielt, wiederholt sich in jenen im großen. Der Neujahrsmythus der Babylonier und die Feier des Neujahrsfestes ist deshalb eine Darstellung der kosmischen Ereig nisse, der Vorgänge im Weltall, in mythologischer Einkleidung. Er ist in die Form eines SchöpfungsMythus gekleidet, denn was am Anfänge des Jahres sich abspielt, geschah auch am Anfang unserer Zeit. Der Mythus schildert den Kampf des Gottes Marduk. des Gottes von Babylon, mit dem Ungeheuer Tiamat — der Midgardschlange der Germanen. Marduk spaltet das Ungeheuer und bildet seine beiden Hälften zum Weltall, in dem er die eine zum oberen Teil — dem Luftreiche— die an dere zum unteren — dein Wasserreiche — macht. Beide trennt er durch das Dazwischenschieben der festen Masse der Himmels straße — des Tierkreises, welche dem irdischen Erdreich entspricht. Der Name Tiamat giebt schon ihre Erklärung: es ist der Ur-Ozean oder das Chaos, die rmlls incliMstmiuo molos, in welcher bis dahin die Welt lag. Denn der Frühjahrsanfang lag ja im Wasserreiche des Himmels, wenn die Sonne in dem letzten Zeichen des Tierkreises stand. Das neue Zeitalter ent steht dadurch, daß sie dieses verläßt, d. h. daß Marduk, der Frühjahrsgott, die Wasser durchschreitet oder spaltet und nunmehr das feste Land betritt — als Frühjahrspunkt im Welten- cyklus, als Frühjahrssonne im Jahre.