11 kräftigen Schicht die Herrschaft abtreten müssen. Das Bild, welches die europäische Völkerwanderung, namentlich für die Länder römischer Kultur in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung zeigt, hat sich im Orient durch die Jahrtausende hindurch immer wiederholt. Babylon ist der biblischen Anschau ung nicht umsonst die Stadt der Sprachenverwirrung. Und dies Bild gilt nicht nur für den alten Orient. Auch die neuere Periode jener Länder, die im Zeichen des Islam steht, zeigt die Wiederholungen derselben Erscheinungen: die arabische Einwan derung durch den Sieg des Islam, die mongolischen Siegeszüge und die türkischen Einwanderungen. Seit deren Hochflut sind erst ein paar Jahrhunderte verflossen, vor 200 Jahren standen die Türken zum letzten Male vor Wien. 200 Jahre bedeuten aber bei dem Überblick, den wir hier nehmen, nicht viel. Wenn der Orient jetzt still zu stehen scheint, so hat er solche Pausen auch früher schon gesehen, wir dürfen aber die Weltgeschichte nicht mehr nach unserer eigenen kurzen Entwicklung beurteilen. Das ist also der veränderte Gesichtspunkt, unter welchem wir von jetzt an Weltgeschichte zu betrachten haben, der Gesichts punkt, welchen uns die wiedererschlossene Kultur des alten Orients aufzwingt. Man wird hiernach bereits einsehen, wie die räum liche Ausdehnung des modernen Gesichtskreises über den ganzen Erdball zu gleichen Anschauungen führt wie die zeitliche, daß beide Erzeugnisse desselben modernen Geistes sind und sein müssen. Die Geschichte Babyloniens und der übrigen Länder des vordem Orients zeigt uns also durchaus kein Bild des Stillstandes, sondern das eines regen und bunten Völkergetümmels in poli tischer wie in kultureller Beziehung. Es ist selbstverständlich, daß eine immer wiederholte Überflutung des Kulturlandes durch unzivilisierte Völkermassen der verschiedensten Rassen — von Süden aus Arabien, von Norden aus Jnnerasien, über Klein asien und den Kaukasus aus Europa - die Kultur nie un berührt ließ. Solch eine Eroberung hat in der Regel einen Rückschlag in der Kulturentwicklung zur Folge, in derselben Weise, wie ihn die europäische Völkerwanderung für die römische Civili-