10 lieferte — ist verdoppelt worden, das was früher der Anfang war, ist jetzt in die Mitte getreten. Wir müssen bei diesem Gedanken einen Augenblick verweilen, um ihn in seiner Bedeutung wirklich zu erfassen. Es ist leicht gesagt: „ein Jahrtausend", aber die Geschichte hat nicht die Auf gabe von dem Standpunkte dessen, der über den Sternen thront, das Gekribbel auf unserm Erdenhaufen zu betrachten. Die Ge schichte soll vom Standpunkte des Menschen aus das Werden und Vergehen der Menschheit in ihren einzelnen Bestandteilen verfolgen, und da ist ein Jahrtausend nicht „wie der Tag, der gestern vergangen ist". Da bedeutet es ein Ringen und Streben zahlloser Individuen, ein Kämpfen und Arbeiten von Völkern, ein Entstehen und Vergehen von Nationen und Staaten. Der Begriff eines deutschen Volkes ist kaum mehr als ein Jahrtausend alt, für das alte deutsche Reich kann man eigentlich nicht viel mehr als die Dauer eines halben Jahrtausends ansetzen — und auch darin welcher Wechsel der Dinge! — und was nach aber mals 500 Jahren sein wird — wer wagte darüber wol heute zu spekulieren? Zweieinhalb Jahrtausende bedeuten den Wechsel der Dinge von Griechenland bis auf uns, und danach hat man sich wieder vorzustellen, was derjenige Orient gesehen hat, der jetzt in seinen Denkmälern zu uns spricht, und dessen Untergang gerade in die Zeiten fällt, wo Griechenland anfängt zu leben. Der moderne Europäer hat die irrige Vorstellung, daß der Orient und namentlich der alte Orient in seiner Entwicklung „still gestanden" habe. Das ist ebensowenig der Fall, wie bei den Ländern unseres engeren Kulturkreises. Die zweieinhalb Jahrtausende der altorientalischen Geschichte zeigen ein fortwähren des Auf und Nieder, eine ununterbrochene Kette von Völker Wanderungen. Immer von neuem ergießen sich neue Scharen unzivilisierter jugendkräftiger Völker von allen Seiten über das Kulturland, erobern es, setzen sich selbst als Herren darin fest und nehmen die altorientalische Kultur an, bis sie verweichlicht und unkriegerisch geworden wie ihre Vorgänger einer neuen lebens