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weisse, felsdurchfurchte Schneetalare gehüllten Gebirge, den todesstummen Eiswüsten; dann erhebt sich wohl auch ein sturm- ähnlicher Nord, zieht lange, hochaufwirbelnde Schneeschleier heran, deren scharfgekantete feine Krystalle gleich dem Wüsten sande die Kleidung durchdringen und die Gesichtshaut schmerz haft berühren, oder streut launiger Föhn seine Schneekörnerfluth in das winterliche Revier. Das Bild der Erstarrung, welches die Gletscherwelt darbietet, ist aber nur scheinbar. Je einsamer und stiller die Physiognomie der Natur, je matter die einzelnen Töne des Lebens, desto grösser und ununterbrochen ist dafür die geheime Thätigkeit in den Werkstätten der Eiswelt, im ewigen Wechsel des Erstarrens oben und des Abschmelzens, also’ der Quellenbildung, unten. Selbst in der Nacht äussert sich diese durch die beständige Bewegung des Gletschers erzeugte Thätigkeit im krachenden Aufbrechen und Bersten neuer, weit aufspringender Klüfte oder im donnernden Sturz gewaltiger Eis- lavinen, welche häufig, durch wiederholtes Auffallen in Millionen Theilchen feiner Krystalle aufgelöst, gleich Wasserschleiern über Felswände und steile Hänge herabziehen. Kaum aber sendet der junge Tag seine ersten Strahlen, da singt und lärmt es am Gletscherrande, schwere Tropfen träufeln in die Spalten und Schluchten hinab, lustige Bächlein mit milchigem Wasser, aus thauendem Eis gebildet, springen und rieseln über die glatten Hänge tbalwärts, gähnend erweitern sich die Klüfte, Eismassen lösen sich brechend ab, der ganze Gletscherstrom aber fliesst zugleich, und zwar nach zum Theil noch unerforschten Gesetzen, langsam in die Tiefe, wo er abschmilzt, während er in den höchsten Regionen durch den grobkörnigen Firn wieder ergänzt wird. Zur besonderen Charakteristik der Gletscher gehört die in den einzelnen Regionen höchst verschiedene Cohaesion des Eises, was durch die bekannten Gesetze der Gletscherbildung sehr leicht erklärt wird. Dort, wo am Fuss des erstarrten Stromes der Gletscherbach hervorbricht, ist das Eisgefüge fest, glasig und die Porosität geringer, fast von der gewöhnlichen Beschaffenheit, höher oben wird es weniger dicht und rauh, in den höchsten Regionen aber ändert die Eislage ihre Gestalt, grobkörniger Schnee, in welchem man wie in Sand einsinkt, zeigt sich an der Oberfläche, doch findet sich auch hier in geringer Tiefe Eis, nur ist dieses weniger compact, rasch porös und. das Gebilde zusammengeschmolzener Firnkörner erkennbar. Interessant ist die conservirende Eigenschaft des Eises. Im Ahrenthale wurde mir erzählt, dass vor einiger Zeit eine Leiche am Rande eines nahen Gletschers aufgefunden worden sei, welche selbst wohl erhalten, in die unversehrte Tracht vergangener Jahr hunderte gehüllt war. Gewiss war dieser Mann einst in einen Spalt gefallen und durch die Gletscherabschmelzung und den Thalzug erst ; etzt an die Oberfläche gelangt.“ (.Jul. Payer.)