Volltext Seite (XML)
262 selbst sah ihn »war nie, aber ich Hörle ihn brüllen. Es war dieß an einem schönen Abend. Ich streifte allein ungefähr eine Viertelmeile ausserhalb der Stadt herum, als das Gebrüll desselben an mein Ohr schlug. Man konnte sich nicht täuschen, ich erkannte seine Stimme augenblicklich, obgleich ich bisher Löwen nie anders als in Menagerien hatte brüllen hören. Diese stolzen Töne entsprachen vollkommen der wilden Größe deS Schauspiels und dem herrlichen Panorama der Seen, die sich im Horizont verloren. Auch empfand ich ein mit Eitelkeit vermischtes Vergnügen. Wie sehr würde mich Mancher, dachte ich, um daS Vergnügen beneiden, den lydischen Löwen in seiner natürlichen Freiheit brüllen zu hören. Ich konnte nicht genau unterscheiden, von welcher Seite her ich ihn vernahm, aber er war noch in einer großen Entfernung, so daß ich wenigstens eine Minute lang eben so ruhig meinen Gedanken nachhieng, als wenn ich mich, eingehüllt in meinen Schlafrock in meinem Cabinet befände, und in einem unterhaltenden Buche läse. So sehr ich aber auch in meine Gedanken vertieft war, so erwachte doch die Ver nunft augenblicklich. Es fiel mir ein, daß Seine Löwen-Majestät mit der Ge schwindigkeit der Post reise, ohne jedoch einen Courier vorauSzufchicken, und daß das beste Mittel, sich seiner erhabenen Gegenwart nicht auszusetzen, darin be stände, wieder in die Stadt zurückzukehren. Hiezu entschloß ich mich denn auch. Auf dem Rückwege traf ich auf zwei französische Soldaten, welche am Wege saßen und ihre Gewehre neben sich hatten. „Meine Herren, fragte ich sie, haben Sie das Gebrüll des Löwen gehört? — Bei Gott, ja! erwicderten sie, und al« hätten sie meine Gedanken errathen: „Hören Sie, der muß, so wahr wir leben, ganz in unsrer Nähe seyn. Denken Sie nicht daran, allein in die Stadt zurück zukehren. Wir gehen in das Blockhaus zurück. . . . (Dieß war nicht wahr, «denn die beiden Schelme hatten, ehe sie anhielten, einen Vorsprung vor mir, und nah men augenscheinlich Len Weg nach der Stadt.) „Aber wir werden Sie bis an die Thore begleiten, um Sie in Sicherheit zu wissen." Vergebens versicherte ich sie, daß ich keine Furcht hätte, und ihnen für ihre Mühe danke. „Bah, bah! mein Herr Engländer, sprechen Sie nicht davon, wir gehen mit Ihnen. „Es war nickt möglich, ihre Dienste abzulehnen. Sie waren gute Hunde, Lie, La sie das Wilkpret ausgewittert hatten, nun ihre Beute nicht mehr los lassen wollten. Ich nahm daher ihren Schutz an, und wollte sie nicht um das Trinkgeld verkürzen, auf LaS sie bereits Rechnung gemacht hatten. Sie luden ihre Gewehre, oder thaten wenigstens so, und schwuren, mit ihrem letzten Blutstropfen Den verthei- digen zu wollen, Ler die stillschweigende Verbindlichkeit übernommen habe, ihre Kehle anzufeuchten. Ich mußte heimlich lachen, indem ich dachte, daß Lemunge- achtet der königliche Löwe sich aus Ler Eskorte und ihrem Schützling einen guten Bissen machen könnte. Wir gelangten bald an das Thor von Oran, und in die Nähe einer einla denden Schenke. Hier machten sich meine beiden tapfern Begleiter ein Zeichen Les Einverständnisses. „Meine Herren, sagte ich zu ihnen, indem ich einen Franc aus meiner Tasche zog, ich möchte Ihnen gerne einen kleinen Beweis meiner