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56 Dr. Justi: Theben in Aegypten. auf dem Baume lautet: „So spricht Sasch, die Herrin der Schriften und Vorsteherin der Bibliothek: ich vermehre Dir Deine Jahre auf Erden, die Summe zusammengestellt sei zehn Millionen/' Der Hauptinhalt der Sculpturen ist astronomisch, Darstellungen der zwölf Monate mit den De kanen, Planeten und Hauptsternbildern und dergleichen; an den Wänden umher waren Ruhekissen für die 20 großen Götter angebracht. Diodvr berichtet uns, daß hinter der Bibliothek sich ein großer Saal befunden habe, in welchem ein goldener Reif von 365 Ellen Umfang und einer Elle Breite gehangen habe. Auf diesem Reife seien die Tage des Jahres mit dem Auf- und Untergange der Sterne und damit verbundene Beobachtungen der Astronomie angebracht gewesen. Kambyses habe nach Zerstörung des Tempels den Reif nach Persien entführt. Wenn wir unsere Wanderung nach Südwesten fortsetzen, so stoßen wir unaufhörlich auf großartige Tempeltrümmer, Theile von Säulen, Architraven, Steinbalken, Fragmente von Kolossen, Alles wüst durch einander geworfen und von den Mimosengebüschen überwuchert, oft auch dem Auge nicht sichtbar unter der Gartenerde oder dem Ackerlande begraben. Linker Hand erheben sich die Memnonskolosse, und gerade aus stehen auf hoher Terrasse die Reste der koptischen Stadt M e- dinet Habu zwischen den Trümmern einer großen Tempel anlage, welche ehemals den südwestlichen Punkt Thebens be zeichnete. Jenseits derselben dehnte sich ein sehr großer, weit über 7000 Fuß langer, von Mauern umfaßter See aus, an besten nördlichem und südlichem Ende ein kleiner Tempel steht. Im Gebirge hinter Medinet Habu, gerade in der Fortsetzung der Tempelachse, liegen die Gräber der Köni ginnen und Prinzessinnen. Die Tempelanlage von Medinet Habu rührt aus verschiedenen Zeiten her. Die Fa§ade des Tempels ist auch hier nach dem Nil hin gerichtet und er streckt sich demnach von Südwest nach Nordost. Wenn wir uns der äußersten Umfassungsmauer nähern, so haben wir zur rechten Hand einen weiten Propyläenbau, welcher nach den Inschriften aus der Zeit des Antoninus Pius, also aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts nach Christus herrührt und uns in einen sehr zierlichen Tempel des Thothmes III. führt (aus dem 16. Jahrhundert vor Christus), auf dessen Pylonen der spätere König Tirhaka, aus der Zeit der äthio pischen Dynastie, seine Kriege gegen die Juden verewigt hat. Ein anderer sehr eigenthümlicher Bau neben diesem Tempel und zu dem großen Tempel hinführend, rührt wie dieser letztere von Rampsinit her. Dieser einzige königliche Palast, welcher in ganz Aegypten auf uns gekommen ist, enthält einen nach außen und nach dem großen Tempel hin offenen Hofraum, aus welchem rechts eine Thür zum Treppenhause führt. Denn wir haben es hier mit einem Gebäude von zwei Stockwerken Uber einem Parterre zu thun. Die Zim mer des ersten Stocks öffnen sich mit Fenstern theils in den Hof, theils nach außen. Die verschwundene Decke der ersten Etage war von Holz und ihre einstige Lage ist noch an den Kragsteinen zu erkennen. Die Decke des zweiten Stocks ist von Stein und mit schönen Rautenverzierungen geschmückt. Ein breiter Fries zieht sich zwischen ihr und dem obern Rande der Fenster her; wir sehen auf ihm Lotusblumen, Vasen, Granaten, unter diesen ein Band von Hieroglyphen, und zu unterst eine Reihe von Uräusschlangen. Unter den Scul- ptureu sehen wir den königlichen Bewohner, wie er seine Töchter — er besaß deren vierzehn, und acht Söhne — lieb kost und mit ihnen am Brettspiel sitzt. Ueber dem zweiten Stock erhebt sich noch eine kleine Dachetage, von der man eine entzückende Aussicht in das Nilthal genießt. — Der Tenipel, nach den Weihinschriften ein Festsaal des Amun-Ra, ist wohl erhalten, nur in seinen äußersten westlichen Theilen durchaus im Sande begraben. Merkwürdig ist der zweite oder innere Vorhof mit seinen Säulen und Karyatidenpfei lern dadurch, daß mitten in demselben einige schöne korin thische Granitsüulen stehen, welche zu einer in dem Hofe von koptischen Christen angelegten Kirche gehören. Die Scul pturen wurden bei dieser Gelegenheit mit Lehm überdeckt, welcher sehr rohe Gemälde christlicher Heiligen trägt; die ägyptischen Bilder wurden aber dadurch sehr wohl erhalten und glänzen, wenn man den Lehmüberzug wegnimmt, in den frischesten Farben. Ihren Inhalt bilden außer einer großen Krönungsprocession, welche uns alles Detail dieser Ceremonie veranschaulicht, die Siege des Rampsinit über phönicische Stämme. Der König steht am Seegestade nnd beschießt mit seinen Bogenschützen die feindlichen Schiffe, wäh rend die ägyptische Flotte den Sieg über die feindliche ge winnt. Bei dem Triumphzuge des Königs werden die den gefallenen Feinden abgeschlagenen Hände ausgeliefert, und ein Schreiber verzeichnet die Zahl der Todten und Gefan genen. Inschriften sagen unter Anderm Folgendes: „Der wohlthätige Gott, der siegreiche König, Herr der Tapferkeit, gleichwie Gott Mentu, zweimal geliebt, siegesgroß hat er erworben Eroberungen, sein Gebrüll geht umher unter den Völkern, ein wüthender Löwe hat er ihre Flucht geschaut, ... in Stücke gehauen sind die Temehu, du hast sie geschlachtet in ihren Sitzen. ... So spricht Seine Majestät zu den Königen und Fürsten, welche bei ihm stehen: Ihr habt ge schaut die schönen Siege, welche geschenkt hat Amun-Ra, der König der Götter, dem Pharao, seinem Sohne; er hat erbeu tet das Land der Temehu und hat zerstoßen die Maschauasch; jetzt wenden sie täglich ihr Antlitz nach Aegypten, denn sie sind zerschlagen unter meinen Sandalen." Wir beschließen unsere Besichtigung der königlichen Stadt mit einer Wallfahrt zu den berühmten Memnonskolossen, welche von Amenophis III. (Memnon) im 16. Jahrhundert errichtet wurden als Faxadenschmuck eines Tempels, dessen Pflaster eben so wie das der Kolosse jetzt 8 Fuß unter dem Thalboden liegt. Sie hatten also dieselbe Bedeutung, wie die von uns am Tempel von Luksor bemerkten sitzenden Ko losse des Ramses. Beide Bilder, welche wie versteinerte Riesen vor den Prachtgebäuden der Nekropolis zu wachen scheinen, stellen den König vor, der eine nördliche, die be rühmte klingende Memnonsäule, heißt bei den Arabern Tama, der südliche, dem Memnon zur Rechten sitzende, Schama. Das Stück einer dritten eben so großen Bildsäule liegt 115 Schritt entfernt in greulicher Verwüstung am Boden, weitere 180 Schritt sogar Stücke einer vierten neben kleineren Ko lossen von Granit. Die Memnonssäulen bestehen aus einem kieseligen Bruchstein, dessen Bearbeitung schwieriger ist als die des Granit. Der südliche hat kein Gesicht mehr, auch der übrige Leib, besonders die Unterschenkel, sind, wie auch bei den anderen, sehr verstümmelt und verwittert, die ursprüng liche Politur des Steines ist durch die fortdauernde Ablösung einzelner Parcellen des Gesteins in Folge der beständig ab wechselnden Feuchte des Nachtthaues und der Hitze des Tages verloren gegangen. Der obere Theil des nördlichen ist nach der angeblich von Kambyses veranlaßten Zerstörung, welche ein Erdbeben im Jahre 27 vor Christus vollendete, unter Alexander Severus durch einzelne Steinlagen hergestellt, und nur die Unterarme, die Beine und der Throusitz bilden noch eine zusammenhängende Masse, denn beide Bildsäulen sind nicht aufgebaut, fondern bestehen aus einem einzigen riesen haften Felsblock, ein Umstand, der uns ans Fabelhafte zu grenzen scheint, wenn wir die Ausdehnung der Kolosse er messen. Der Druck derselben auf den Erdgrund ist so be deutend, daß sie jetzt unmerklich nach vorn und gegen ein ander geneigt stehen. Die Sockel der Bildsäulen — der