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Im Weißen Meer und an der Dwina. 371 aus rascher befördern zu können; der Archimandrit Feofan verabschiedete jedoch die britische Mannschaft, weil seine Mönche selber den Dienst verrichten sollten. Das wollte freilich nicht gehen, mit Psalmensingen und Bekreuzigen war die Maschine nicht in Ordnung zu halten, und der Glas gower Ingenieur mußte sie wieder in Gang bringen. Dann übernahm Iwan die Leitung, bildete die Mönche zum Dienste aus und Alles ging gut, weil die beiden Heiligen Sabatius und Zosimus das Unternehmen segneten. Diesen Iwan traf Hepworth Dixon; es sollte eben, wegen schon vorgerückter Jahreszeit, der letzte Pilgerschub im Jahre 1869 nach den solowetzkischen Inseln befördert werden und der Engländer ging als Fahrgast erster Classe an Bord des „Glaube" (Vera), denn so heißt das Pilgerschiff. Auf dem Besanmast ist ein vergoldetes Kreuz angebracht, oben am Hauptmast flattert die Kirchenfahne. Vater Iwan ist auf Deck; alle Matrosen und Offiziere sind Mönche, eben so der Ingenieur, der Koch und so weiter. Am Pilgerguai liegt eine Gruppe neuer Gebäude: Capellen, Zellen, Magazine, Bureaux, Buden, Schlafsäle rc. Aus denselben drängen sich die Pilger, mit allen möglichen Habseligkeiten und Reise bedarf beladen, in dichter Menge hervor; es mochten ihrer wohl an die 200 sein. Jeder nahm einen mit Brot und getrocknetem Fisch gefüllten Korb mit, Thee und Samowar, eine Decke, Filzstiefel und einen Stab. Die Fahrpreise für die drei Classen sind niedrig gestellt, 6, 4 und 3 Silber rubel für Hin- und Rückfahrt; ganz armen Pilgern gewährt man freie Reise. Nun sind Alle an Bord; als das Schiff sich bewegt, verneigen und bekreuzen sie sich, und das geschieht auch jedes Mal, wenn irgendwo eine Kirche in Sicht kommt; nament lich die Männer bethätigen eine große Inbrunst. Manche sind wohlhabend und bringen dem Kloster werthvolle Gaben; einige treten als Stellvertreter für Andere auf, welche ver hindert waren, persönlich ihrem religiösen Drange zu genü gen. Nachts, als der Wind scharf wehete, zeigte Iwan, daß er sein Handwerk wohl verstand; die Mönche stimmten fromme Gesänge an und die Pilger sielen mit ein. Am nächsten Abend warf das Schiff Anker. Die drei solowetzkischen Eilande liegen unter 65 Grad nördlicher Breite; die „heilige Insel" ist die größte. Auf jeder Anhöhe derselben erhebt sich eine weißgetünchte Kirche mit grüner Kuppel und vergoldetem Kreuze, und auf der höchsten Düne steht ein Leuchtthurm; die Landschaft bietet einen anmuthigen Anblick dar, die Anlände ist bequem, der Hafen und der Dock sind zweckmäßig angelegt; auch fehlen einige Krahnen nicht. Hinter einer dem Ufer entlang zie henden Mauer liegen die Klostergebäude, die solid aufgeführt sind und in ihrer Masse wie in ihren Einzelnheiten etwas, für den Europäer wenigstens, Ueberraschcndes haben. Manche Gebäude verdanken ihr Entstehen einem Wunder. Ein Pil ger aß ein Stück Weißbrot, das ein mitleidiger Mensch ihm geschenkt hatte, und ließ einige Krumen auf den Boden fal len. Da kam ein Hund, der ein seltsames Ansehen halte, herbeigerannt, um die Krumen aufzulecken; aber diese be wegten sich aus der Zunge und in der Kehle, sie wollten nicht in den Magen hinein. Sehr begreiflich, denn jener Hund war Niemand anders, als der Teufel selbst. Mehrere Leute hatten mit angesehen, wie das geweihete Brot über Satan, den Fürsten der Finsterniß, den Sieg davon trug, und zum Andenken führten die Mönche auf der Stelle, wo das Wunder geschah, ein Heiligthum auf. Der landschaftliche Reiz der Insel wird durch die mit Birken und Tannen umsäumten Seen, deren man eine sehr große Menge zählt, wesentlich gesteigert. Einer davon, der heilige See, liegt hinter der Klostermauer, und in demselben muß jeder Pilger ein reinigendes Bad nehmen. Frauen werden nicht geduldet, so hat der heilige Sabatius verordnet. Als er einst am See betete, hörte er ein Geschrei, das von einer Frau herzurühren schien. Er ging in seine Zelle zu rück und erzählte das einem andern Anachoreten. Am an dern Tage, als er wieder betete, wurde er abermals in der selben Weise gestört, und fand nun eine junge Karelierin, Frau eines Fischers, die aus frischen Wunden blutete. Sie erzählte, es seien vor ihr zwei junge Männer erschienen; sie trugen ein weißes Gewand, ihr Gesicht verbreitete strahlen den Glanz; von ihnen wurde ihr geboten, daß sie von der Insel fort müsse; auf derselben dürfe kein weibliches Wesen übernachten, denn sie gehöre Gott. Als sie sich weigerte fortzugehen, wurde sie von den Weißgekleideten zur Erde ge worfen und mit Ruthen ganz entsetzlich ausgepeitscht. Nach dem sie nun im Stande war, sich bis ans Ufer zu schleppen, erreichte sie ihr Boot, in welchem ihr Mann saß, und der heilige Sabatius hat nichts wieder von ihr gesehen und gehört. Kein Zweifel: die Frau war von zwei Engeln geprügelt worden, und da, wo das geschah, steht eine Kirche auf dem „Hügel der Auspeitschung". Wir wollen nicht specieller auf die Unzahl von Heiligen legenden und Wundern eingehen, sondern nur einige Nach richten über die Gründer des Klosters geben. Sabatius war Mönch in Groß-Nowgorod; um recht abgeschieden sei nem Hange zur Beschaulichkeit sich hingeben zu können, zog er mit einem andern Mönch weit nach Norden hin bis an das Eismeer. Unterwegs traf er den Mönch Germanns, und alle drei kamen an den Onegabusen, in welchem die nun heiligen Inseln liegen. Auf der größten bauete Sabatius eine Capelle aus Brettern, in welcher er ein Marienbild aufhing, das damals noch keine Wunder gethan hatte, und nehen derselben einige Hütten, in welchen die drei sechs Jahre lang mit Nichtsthun verlebten. Germanns zog dann fort, Sa batius einige Zeit nachher gleichfalls; er starb 1435 unter wegs in Soroka, wo man ihn im Sande begrub. Der an dere heilige Gründer, Zosimus, traf zufällig mit Germanus zusammen, der ihn mit nach der Insel nahm. Dort hatte jener eine Vision; in Folge derselben beschloß er, eineMönchs- colonie anzulegen; sofort wurde ein Kreuz aufgepflanzt und 1436 die Insel für Gott in Besitz genommen, d. h. für die Mönche, welche bald in Menge herbeikamen. Dann wur den Kirchen gebaut; an die Spitze des Klosters trat ein Prior, Zosimus leitete Alles und ließ die Leiche des Sa batius holen; es versteht sich, daß sie nach Jahren noch ganz frisch und unversehrt gewesen ist; es war das ein Wunder mehr. Jetzt bewohnt der Archimandrit einen stattlichen Palast, bezieht ein Salär von 4000 Rubeln; außerdem werden ihm Haushalt, Tisch, Kleidung rc. aus dem Klostergut ersetzt. Die Mönche in dem solowetzkischen Kloster machen eine rühmliche Ausnahme von ihren russischen Collegen und über haupt allen Individuen, welche ein Mönchsleben verbringen. Sie beten allerdings, aber sie arbeiten auch sehr viel und sind fleißige Leute; keiner von ihnen geht müßig und das Kloster gleicht einer großen Arbeitsanstalt. Sie haben Schmieden, bauen Schiffe, drehen Taue und Stricke auf der Seilerbahn, weben, nähen, verfertigen Stiefel und Schuhe, backen, brauen, salzen Fleisch und Fische ein. Dixon hat nir gends besseres Weißbrot gegessen, als bei ihnen. Während der Pilgerzcit in den vier Monaten von Juli bis September ruht die Arbeit, weil man für die Wallfahrer sorgen muß, aber während der Wintcrmonate wird sie um so emsiger be trieben. Es interessirte begreiflicherweise den englischen Rei senden, sich das Treiben in den Werkstätten näher anzu-