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Band XXI Juin Monatlich 4 Nummern. Halbjährlich 3 Thlr. Einzelne Nummern, soweit der Vorrath reicht, 4 Sgr. 1872. Mit besonüerkr DerücksicktiZung iler Antkroxologie uni! Etllnologie. I n Verbindung mit Fachmünnern und Künstlern herausgegeben von Kar! Andree. Im Weißen Meer und an der Dwina. n. Die Stadt Kem. — Ein Mönch als Schifsscapitän. — Die Uebersahrt der Pilger nach dem solowetzkischen Kloster. — Die heiligen Inseln. — Die Heiligen Sabatius und Zosimus. — Allerlei Legenden. — Fleißige, betriebsame Mönche. — Die Gefängnisse. — Eine Sage über den Großsürsten Konstantin. — Selbstpeiniger und Fanatiker. — Philareth Uschka. — Rettung des Klosters vor der englisch-sranzösischen Flotte. An der Westseite des Onegabüsens liegt die Stadt Kem, welche im Mittelalter von Nowgorodern gegründet worden ist. In einem benachbarten Dorfe erblickte der geistliche Schifsscapitän Iwan das Licht der Welt. In seiner frühern Jugend mußte er beim Fischfang oder bei den Arbeiten im Walde helfen, aber solche Beschäftigungen sagten ihm nicht zu, erfühlte in sich unwiderstehlichen Drang, in die weite Welt zu gehen, und es gelang ihm, die Matrosenschule in Kem besuchen zu können, auf welcher er den nothdürftigsten nau tischen Unterricht erhielt. Dann ging er nach Archangel, wo er ein lustiges Leben führte. Auf einem russischen Schiffe mochte er nicht dienen, weil er mit einem solchen schwerlich in fremde Länder gekommen wäre, aber Kaiser Nikolaus wollte nicht, daß seine seetüchtigen Unterthanen auf anderen als russischen Fahrzeugen Matrosendienste thun sollten. Iwan ging heimlich an Bord der Brigg „Heros", welche die Flagge der Moorcolonie Papenburg in Hannover führte, und kam zu seiner großen Freude in die Nordsee, wo er in den Ha fenplätzen Deutschlands und Englands sich in ein ganz neues Leben versetzt sah. Ja er schifft^ mit einem englischen Fahr zeuge bis in die Levante und litt im Adriatischen Meere Schiffbruch. Späterhin scheiterte er an der Küste von Nor wegen und entkam nur mit genauer Noth dem Tode in den Wellen. Inzwischen erwachte in ihm das Heimweh, und er wollte um jeden Preis nach Archangcl zurück. Er nahm Heuer am Bord eines dorthin bestimmten Hamburger Schiffes, das für Rechnung eines englischen Hauses befrachtet war, und man hieß ihn doppelt willkommen, weil außer ihm Niemand Russisch sprach. Iwan war zwölf Jahre in der Welt um hergeschleudert worden, was erwartete ihn nun in der Hei- math? Verbannung nach Sibirien denn er hatte dieselbe ohne Pässe verlassen, den Befehl des Kaisers nicht beachtet, einen falschen Namen angenommen und den Bart abgescho- rcn. Als er unerkannt in den Straßen Archangels umher- schlendcrte, traf er mit Kollownoff, einem Jugendbekannten von der Matrosenschule her, zusammen. Dieser besaß jetzt ein Schiff, mit welchem er demnächst nach Spitzbergen auf den Fischfang fahren wollte, und Iwan ging mit. Als er dann der Verlockung nicht widerstehen konnte, Kem zu be suchen, sperrte man ihn ein. Er saß viele Monate lang fest, ohne vor Gericht gestellt zu werden; man schaffte ihn dann nach Archangel als Sträfling und ließ ihn einige Zeit nachher laufen. Jetzt war Iwan des unstäten Lebens müde; er wollte fromm und im solowetzkischen Kloster Mönch werden. Dort kam er gerade recht gelegen. Das Kloster hatte in Glas gow einen Dampfer gekauft, um die Pilger von Archangel Globus XXI. Nr. 24. (Juni 1872.) 47