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360 Das „Naturvolk" der Kahrocks. lernen. Deshalb ist es erklärlich, daß so wenige Weiße eine richtige Vorstellung von der Denk- und Vorstellungsart die ser Menschen haben. Wenn ich, so schreibt unser Gewährsmann („Overland Monthly", April 1872), an den vom Winde gepeitschten Steilküsten Nordcaliforniens umherwanderte, traf ich zuwei len auf eine Horde zerlumpter Nurocks(Eurocs); das Haar hing straff herab, Lippen und Hände waren vom Safte der Salalbeeren, welche sie als Nahrung im Busche suchten, ge färbt. Sobald sie meiner ansichtig wurden, rannten sie auf mich zu und erhoben ein so entsetzliches Geschrei, daß mir die Haare zu Berge standen. Aber an Blutvergießen dach ten sie nicht, sie verlangten nur — Taback. Unter dem Stamme der Klamaths wurde meine Ge duld nicht selten auf harte Proben gestellt. Diese Wilden sind neugierig; sie betasteten und untersuchten Alles, was ich an und bei mir hatte, mit der größten Genauigkeit, sie wollten mir Hut, Stiefel und alle Kleider abkaufen und der ganze Inhalt meiner Reisetasche wurde durchmustert. Sie fragten, was jedes einzelne Stück gekostet habe, umspannten meinen Oberarm, um zu prüfen, ob ich starke Muskeln habe, betrachteten die Nägel an den Absätzen der Schuhe, Probir ten, ob mein Rock ihnen passe und wollten mir sogar die Beinkleider ausziehen. Die lieben „Naturkinder"! Sie wollten mir, und dergleichen hatten sie wohl von den civili- strten weißen Christen gelernt, Messer, Bleistift, Trinkbecher, kurz alles Mögliche ab borgen, versteht sich ohne an Zurück geben auch nur zu denken. Sie sind mir oftmals Führer in dem Labyrinth bisher unbesuchter Landstrecken gewesen, aber allemal haben sie, gerade wie die Neger auch, selbst für die geringste Dienst leistung Lohn verlangt. Tatscho Kolly, Häuptling der Ta ah tens, wollte mir die Zahlwörter bis 10 in seiner Sprache nicht hersagen, ohne daß ich ihn dafür bezahlte. Einst saß ich mit drei Mrocks auf einem Felsenvorsprunge, um die Ebbe abzuwarten. Sie verzehrten ihren getrockneten Fisch und ich aß ein Butterbrot. Als ich mit ihnen über Jndianer- angelegenheiten zu sprechen anfing, speculirte der eine sofort auf mein Frühstück und sagte: „Du sprichst Jndianergespräch, gieb mir also Brot und Fleisch." Es ist schwer, sich überhaupt mit diesen Indianern über irgend etwas zu verständigen. Wenn einer auch nur über sich selber etwas Zusammenhängendes mittheilen kann, dann ist er als eine seltene Ausnahme zu betrachten. Auch sind sie mißtrauisch gegen Alles, was nur mit den Agenten der Reservationen, dieser Landstrecken, auf welche man sie an gewiesen hat, zusammenhängt, und sie haben darin nicht Unrecht. Man kann Jahre lang Fleiß darauf verwandt haben, eine Jndianersprache zu erlernen, wenn man aber dann drei Tagereisen weit sich entfernt und zum nächsten Stamme kommt, kann man sich nicht verständlich machen, so viel fach und von einander abweichend sind die Spra chen und Mundarten in Californien. In Bezug auf Namengebung herrschen sehr verschie dene Bräuche. Zuweilen giebt es einen Stammesnamen für Alle, welche eine und dieselbe Sprache reden; manchmal nicht und dann hat man lediglich für einzelne Dörfer Be nennungen. Dann wieder giebt es einen Namen für einen ganzen Stamm oder eine Familie, welchem in jedem Dia lekt ein besonderes Wort als Präfixum vorgesetzt wird; die ses letztere bezeichnet in der Regel irgend ein Thal. Die Kahrocks am Klamathflusse bilden einen compacten Stamm, dessen Sprache nicht in Mundarten zerfällt; die Klamaths haben einen Namen nur für jedes einzelne Dorf; die Pomos am Russian River, die vielerlei Mundarten reden, setzen den Dorfnamen vor ihren Stammesnamen, als Ballo Ki Po mos, Kahto Pomos. Und um die Verwirrung zu steigern, kommt noch hinzu, daß ein Nachbarstamm selten mit der Benennung bezeichnet wird, welche dieser sich selber beilegt. Ich forschte, um eine Classification zu gewinnen, vor Allem nach den zehn Zahlwörtern. Dabei entdeckte ich oft mals eine neue Sprache, aber nicht allemal eine neue Mund art. Seitdem binnen nun mehr als zwanzig Jahren diese Indianer in so mancherlei Berührungen mit den Weißen gekommen und in ihrem ganzen Wesen und Treiben gestört worden sind, hält es schwer, eine klare und richtige Vor stellung von ihren alten Stammeseinrichtungen zu gewinnen. Früher gruppirte sich der Stamm um irgend einen bei ihm hervorragenden Mann und benannte sich nach dessen Na men, gleichviel ob derselbe ein Indianer oder ein Weißer war. So gab es Bidwell's Indianer, Hubbard's India ner rc. Einige Stammesüberreste haben drei oder vier Na men, welche scimmtlich auf einem Flächenraume von nur wenigen Meilen im Gebrauch sind; einige sind in den Be nennungen anderer Stämme aufgegangen oder theilweise in dieselben ausgenommen worden. Ferner ist es eine merk würdige Erscheinung, daß manche Stämme gar keinen Na men für sich in ihrer eigenen Sprache hatten, sondern einen solchen von einem Stamme sich geben ließen, der eine ganz verschiedene Sprache redete. Ich habe alle den Indianern von Seiten der Weißen beigelegten Namen völlig bei Seite gelassen; man muß das thun, sonst kommt man aus der Unsicherheit und Verwirrung gar nicht heraus. Am Klamathflusse leben drei verschiedene Stämme: die Aurocks, Kahrocks und Modocks. Diese Namen bedeu ten respective: flußabwärts, flußaufwärts und Kopf des Flusses. Das Wohngebiet der Kahrocks reicht von einer Schlucht (Canon) einige Miles oberhalb Weitspeck, den Kla math entlang bis an den Fuß der Klamathberge und eine kleine Strecke am Salmon River hin. Sie wissen nichts von einer Einwanderung, durch welche sie ins Land gekom men wären; sie haben dagegen Schöpfungs- und Fluthsagen, die sich auf ihr Gebiet am Klamath beziehen. Die Kahrocks sind die hübschesten und kräftigsten In dianer in Californien, wohlgebaut, von Mittelgröße und von gerader Haltung. Wenn der Mann seine Lieblingswaffe, mit welcher er vortrefflich umzugehen weiß, nämlich einen scharfen Stein, in seiner Faust hält, dann nimmt er es mit einem Weißen auf, falls dieser nicht etwa mit einem großen Haumesser oder einem Pistol ihm gegenübertritt. Das Antlitz der Klamath ist nicht so breit, wie bei den Indianern im San-Sacramento-Thale, und bei jungen Männern fast so oval, wie bei uns „Kaukasiern"; die Backenknochen stehen nicht allzu weit vor, die Augen sind glänzend, mittelgroß und stehen nicht schräg; die Nase ist stark, an den Flügeln breit und die Nasenlöcher sind länglichrund. Das Vorder haupt ist niedrig, bildet mit dem Kinn eine senkrechte Linie und nüancirt vom Ledergelb einer Haselnuß oder alter Bronze bis ins nahezu Schwarze. Die Frauen altern früh, aber wenn sie auch schon 40 oder SO Jahre alt sind, er scheinen doch die Falten und Runzeln noch fein und die Haut hängt nicht so affenartig herab, wie bei jenen im San-Sa- cramento-Thale. Manche junge Mädchen kann man in ihrer Art als glänzende und pikante Schönheiten bezeichnen; das Kinn ist hübsch tättowirt, der Blick feurig und verlangend, und wir begreisen recht wohl, daß die Weißen, da Frauen ihrer eigenen Farbe in jenen Gegenden sehr selten sind, sich solch eine hübsche Indianerin zur Squaw nehmen. Die jungen Leute beiderlei Geschlechts kleiden sich — amerika nisch, manche sogar mit einer Art von untadelhafter Eleganz. Der Kahrock, welchen wir jetzt näher betrachten wol-