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Im Weißen Meer und an der Dwina. 354 haben ein sehr wechselndes Fahrwasser, und manchmal wird der eine oder andere in Folge von Hochsluthen, Eisgang und Nordstürmen zeitweilig versperrt. Eine Zeitlang war der St. Nikolausarm der sicherste, und er wurde vorzugsweise von den nach Archangel hinaufsegelnden Fahrzeugen benutzt. Er wurde versperrt und die übrigen Arme waren auch nicht praktikabel. Die Hafenpolizei war rathlos; sie hatte ja von St. Petersburg keine Weisung, was in einem solchen Falle zu thnn sei. Ein dänischer Kaufmann erbot sich, eine an- j dere Fahrbahn ausfindig zu machen, wenn man ihm einen Dampfer zur Verfügung stelle; er ermittelte auch richtig, daß der Maimaksarm selbst sür sehr große Schiffe Wasser- ! tiefe genug habe. Aber die Hafenbehörden erklärten, daß dieser Arm nicht benutzt werden dürfe; es sei darüber kein „Reglement" vorhanden und die Polizei dürfe kein Schiff passiren lassen. Alle Vorstellungen der Kaufleute waren vergeblich; die Schifffahrt blieb unterbrochen, die gewaltige Masse der aufgespeichcrtcn, zur Ausfuhr bestimmten Waaren mußte liegen bleiben. Der Gouverneur, ein Fürst Gagarin, machte sich lustig über die Bornirtheit der Hafenbehörden, that aber nichts zur Abhülfe; denn einmal hatte auch er kein „Reglement" und zweitens war er nicht pecuniär bei der Angelegenheit interessirt. Der Zolldirector Sredin war er- bötig, Einnehmer und Zollstationen an dem neuen Fahr wasser in Wirksamkeit treten zu lassen, aber die Polizei ver bot es ihm. Endlich, nachdem Wochen vertrödelt worden waren, schickten die Kaufleute und Rheder eine Bittschrift nach der Hauptstadt, und so erfuhr Kaiser Alexander die unerbauliche Geschichte, welcher er ein Ende machte mit den Worten: „Es versteht sich ja ganz von selbst, daß die Schiffe die neue Fahrbahn benutzen, wenn die alte versandet ist!" Die Schifffahrt im Weißen Meer ist sehr gefährlich. Vor sechs oder sieben Jahren waren einmal mehr als ein hundert Schisse durch die Eismassen in der größten Gefahr, der britische Consul telegraphirte nach London, und von dort gingen am 1. Juli zwei Dampser ab, um Rettung zu brin gen ; vierzehn Tage später waren sie im Weißen Meer und begannen ihre schwierige Arbeit. Die Handelsschiffe aus Deutschland, Holland, England, Schweden, Dänemark rc., welche in Archangel überwintert hatten, verließen diesen Ha- Eine Jsba an der Dwina. fen, als das Eis im Golf aufgegangen war, und bildeten eine stattliche Flotte. Als sie jedoch eben aus der Gurgel, dem Co rr ido r, ins offene Meer hinaussegeln wollten,, schlug der Wind von Nord nach Süd um, und dann sahen sie sich plötzlich auf allen Seiten von Eis umgeben. Jndeß gelang cs ihnen doch, bis zum Cap Kanin vorzudringen, hier aber waren die Eismasfen so dicht, daß sie nicht weiter kommen konnten, und um das Mißgeschick noch zu steigern, schlug der Wind wieder nach Norden um und trieb immer mehr Eismassen aus dem Ocean ihnen entgegen; sie wurden an die Küste Lapplands gedrängt und dort von einer förmlichen Eismauer eingefchloffen. Ein Schiff nach dem andern ging zu Grunde; die meisten wurden zusammengcquetscht, das Schiffsvolk suchte sich von einem Fahrzeuge auf das gndere zu retten, manche Matrosen litten an einem und demselben Tage fünf bis sechs Mal Schiffbruch. Als die Dampfer ihre schwierige Aufgabe, zu retten, was zu retten war, erfüllt hatten, lautete der Bericht: „Das Schiffsvolk hat 64 Schiffe verlassen müssen; nur 14 Fahrzeuge sind gerettet worden, alle übrigen sind verloren gegangen." — Im Maimaksarme liegt an der Barre die Sanct-Ni- kolaus-Insel. Sie hat ihren Namen nach dem Heiligen erhalten, der auf der Kirchenversammlung zu Nicaea dem Erzketzer Arius eine gewaltige Ohrfeige gegeben hat. Schade nur, daß er gar nicht in Nicaea gewefen ist. Das macht indessen weiter nichts aus; das Volk hält fest an dem Ohr feigenspender, und er ist ungemein populär als Schutzpatron der Edelleute, der kleinen Kinder, der Matrosen, und der Pilger, hat also viel zu thun und zu beschaffen. Auch rettet er viele Menschen vom Hungertode, wie er denn überhaupt die Armen bedenkt und den Bettlern, Fischern und Vaga bunden seine Fürsorge auf Erden und im Himmel angedeihen läßt. Die Popen lesen dem Volke oftmals aus dem „Leben der Heiligen" vor, was Sanct Nikolaus Alles gethan hat und noch thut. Er ist von allen Heiligen im Himmel bei weitem der mächtigste und einflußreichste. Er, und kein an derer Heiliger, sitzt zur Rechten Gottes und hat eine Schaar von dreihundert Engeln zur Verfügung, deren jeder ein Schwert trägt. Hepworth Dixon erzählt in seinem Buche über Rußland