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348 Theodor Kirchhoff: Streifzüge in Oregon und Californien (1871). Albany liegt am rechten Ufer des Willamette, der im Winter von kleinen Dampfbooten noch einige vierzig eng lische Meilen weiter hinauf befahren wird. Der Calla- pooyafluß fällt bei Albany in den Willamette, und einige Meilen unterhalb strömt diesem der Santiam zu. Letztge nannten Fluß beabsichtigt man durch einen 12 Miles lan gen Canal bei Albany in den Willamette zu leiten, um da mit eine vermehrte Wasserkraft für dort anzulegende Fabriken zu erlangen. Gegenwärtig sind hier nur zwei durch Wasser kraft getriebene Mehlmühlen im Betriebe, welche zusammen jährlich etwa 200,000 Scheffel Weizen gebrauchen. Sobald der Canal fertig ist, soll an ihm eine Wollenwaarenfabrik errichtet werden. Die Stadt Albany hat ein recht freund liches Aussehen und eine hübsche Lage; die nahen Flußufer sind von stattlichen Waldungen eingefaßt, während sich eine weite mit vielen Farmen besetzte fruchtbare Ebene ostwärts von ihr ausdehnt. Ich wunderte mich darüber, den Bahnhof eine volle halbe englische Meile vom Geschäftstheile der Stadt anzutreffen, wozu augenscheinlich kein Grund vorhanden war, indem nicht die geringsten Terrainschwierigkeiten das Legen der Schienen dicht an der Stadt vorbei hinderten. Es war dieses, wie man mir erzählte, nach dem Dafürhalten des Eisenbahn fürsten Ben Holladay geschehen, weil die Stadt Albany ihm nur einen Zuschuß von 80,000 Dollars für das Anlegen eines Bahnhofes gezahlt hatte. 100,000 Dollars würden ihr, behauptete man, den Bahnhof ohne Frage in erwünschte Nähe gebracht haben. In den kleinen an der Eisenbahn liegenden Städten Oregons sprachen sich die Leute recht bit ter über jenen Millionär aus; er lege, hieß es, jeder Stadt nach Belieben eine Geldcontribution für einen Bahnhof auf und thue am Ende doch, was er wolle, ohne die Wünsche und den Vortheil der Einwohner zu berücksichtigen. Ihm gehören jetzt alle Dampfboote auf dem Willamette, und er ist der Hauptinhaber sowohl beider Eisenbahnen an den Ufern dieses Flusses, als von den zwischen San Francisco und Portland fahrenden Dampfern. Da Holladay, der frü her in San Francisco wohnte, erst seit einigen Jahren in Portland ansässig ist, so sieht man ihn in Oregon als einen verkappten Califormer an, der ins Land gekommen, um das selbe auszusaugen. Aber seiner in diesem Lande beispiels losen Energie hat Oregon unendlich viel zu verdanken. Der Bau der Oregon- und California-Eisenbahn würde sicherlich nicht einen so raschen Fortgang nehmen, wenn dies Werk sich nicht der kräftigen Unterstützung jenes unternehmenden reichen Mannes erfreute. Die Bewohner Oregons haben im Allgemeinen immer noch eine gereizte Stimmung gegen ihre californischen Nach baren, weil diese ihren Staat gleichsam als Provinz von Californien herabschätzend betrachten. Früher pflegte man z. B. die ganze Weizenausfuhr von San Francisco dort als californischen Weizen anzugeben, obgleich ein bedeutender Theil davon aus Oregon kam; und auch die vorzügliche oregonische Wolle ging sonst meistens als californisches Pro duct auf die Weltmärkte. Obgleich sich dieses in neuerer Zeit zum großen Theil geändert hat und man in Califor nien jetzt die Producte Oregons als solche bezeichnet, machen sich die Californier doch immer noch gern Uber die uncivili- sirten „Webfeet" lustig und wollen an Oregon nur Weni ges loben, was die biederen Oregonier schmerzlich empfinden und ihren mehr geschliffenen Nachbaren grollend nachtragen. Ich hörte in der Nähe von Albany einmal eine Lerche hübsch singen und äußerte, ohne Arges dabei zu denken, daß diese die erste sei, welche ich in Oregon hätte trillern hören. „O!", erklärte ein Californier, der meine Bemerkung gehört hatte, zum Aerger mehrerer anwesenden Oregonier, „die kommt sicher aus Californien!" — und so finden diese Reibungen oft bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit statt. Auffallend war mir in Albany die geringe Anzahl der daselbst wohnhaften Deutschen; auf eine Einwohnerzahl von 1500 kommen nur etwas mehr als ein halbes Hundert Deutsche. Die Irländer sind hier in noch geringerer Zahl. Dasselbe numerische Verhältniß der Nationalitäten fand ich, mit alleiniger Ausnahme von Portland, in allen kleinen Städten Oregons, und unter den Farmern ist es eben so. Fremdgeborene sind bei dieser Classe der Bewohner in gro ßer Minderzahl. Der letzte in den Vereinigten Staaten genommene Census (vom Jahre 1870) hat herausgestellt, daß die fremdgeborene Bevölkerung Oregons im Verhältniß zur eingeborenen dort, mit Ausnahme einiger Südstaaten, geringer ist, als in irgend einem Theile der Union. Cali fornien z.B. hat 350,416 geborene Amerikaner und 209,831 Fremdgeborene; Oregon 79,223 in den Vereinigten Staa ten Geborene und 11,600 auswärts Geborene als Bevölke rung. Die im Lande geborenen Kinder deutscher Eltern werden dabei allemal als Amerikaner aufgeführt. In Albany lernte ich einen Deutschen, Namens I. Gan ter, kennen, einen gebildeten Mann, der die Universität in Heidelberg besucht hatte und den sein Geschick vor vielen Jahren nach diesem Ultima Thule der civilisirten Welt ver schlug. Froh war ich, in dieser entlegenen Gegend Jeman den anzutreffen, mit dem man wieder einmal ein Wort gutes Deutsch reden konnte, was in Oregon, wie ich leider sagen muß, unter unseren Landsleuten ein seltener Luxus ist. Wir unterhielten uns viel über Reisen und tauschten manche in teressante Erinnerungen aus. Mein Freund erzählte mir von Madrid, wo er längere Zeit gelebt hatte, und von seinen Fußtouren in den Wildnissen Oregons. An einem Sonn tage machten wir zusammen einen längern Spaziergang in die Umgebungen des Städtchens, und besuchten zuletzt einen etwa eine englische Meile von der Stadt entfernten Eichen hain, wo wir uns am Waldessaume aufs Moos lagerten, mit einander plauderten und die herrliche Aussicht genossen. Im Westen erhob sich die hochgewölbte dunkelblaue Kuppe des dichtbewaldeten Mary's Peak, von den Amerikanern meistens „3nns mountain" genannt, weil im Junimond noch Schnee auf feinem Gipfel zu sehen ist. Mein Ge fährte war schon mehrmals dort gewesen und hatte die Er hebung des Berges, des höchsten in der eoust rang«, selbst gemessen, die er auf beinahe 3500 Fuß über dem Meere angab. Der Mary's Peak liegt ungefähr 35 englische Mei len westlich von Albany, Halbwegs zwischen dort und dem Ocean. Auf ihm entspringt der Mary's River, der sich in die Naquinabai ergießt. In den Gewässern dieser Bucht werden vortreffliche Austern gefunden, die viel nach San Francisco gebracht und dort sehr geschätzt werden; imUebri- gen hat jener Landstrich nur eine geringe landwirthschaft- liche oder commercielle Bedeutung, und die Bevölkerung in ihm ist sehr spärlich gesäet. Uns gegenüber erstreckten sich in langer, duftiger Reihe die Vorberge der Cascade Range. Bei klarer Luft sieht^man von hier aus deutlich die Gipfel des Mount Jefferson (10,200 Fuß) und der Hiros oistsrs (drei neben einander liegende Schneeberge von 9000 bis 10,000 Fuß Höhe); doch war mir leider die Fernsicht auf das Hochgebirge durch den über dasselbe lagernden Nebelduft verschlossen. Zwischen unserm Lagerplatze und den Cascade- bergen dehnte sich eine weite mit Farmen übersäete Ebene aus, die nach dem 14 englische Meilen von Albany liegen den Städtchen Lebanon benannt wird und einer der produc- kivsten Landstriche in Oregon ist. Die Vorberge der Cascade Range erstrecken sich nach Westen weit hinaus ins Flachland und bilden mit ihren