Volltext Seite (XML)
am „Jndicator" an einem Drahtgewinde hängt, herab und schiebt die zu ihm gehörende Nummer in ihre Oeffnung, wie die Klappthür bei einer Mausefalle, hinein. Der Buchhal ter schickt dann sofort einen Aufwärter nach dem am „Jn- dicator" angezeigten Zimmer. EinJrrthum kann gar nicht Vorkommen, und der Unterschied zwischen diesem Stuben telegraphen und der alten Klingelnmethode ist nicht geringer, als der zwischen einem Pullman'schen Hoteldampfzuge und einer Diligence „zu Großmutters Zeit". Das Chemeketa-Hotel hat auf dem Dache einen Wasser behälter, der 8000 Gallonen kaltes und 3000 Gallonen warmes Wasser aufnimmt, welches durch ein großes Rad aus einem in der Nähe vorbeifließenden Bache Hinaufgetrie ben wird. Außer von dem im Hotel, in der Küche und Waschanstalt und in allen Zimmern und Badestuben ver brauchten Wasser werden die in jedem Stockwerk bereit lie genden Schläuche damit gespeist, welche bei einer im Hause etwa ausbrechenden Feuersbrunst das Wasser unter einem Drucke von 36 Fuß emporschleudern. Daß sich Badestuben für warme und kalte Bäder, Closets mit Wasserabfluß in jedem Stock befinden, und für Lesezimmer, Barbier- und Trinksalons gesorgt worden ist, versteht sich in einem ame rikanischen Hotel erster Classe von selbst. Auch das Expreß- und Staatstelegraphenbureau ist im Hause. Ein großer unter dem Gebäude angebrachter Abzugscanal führt das Wasser und alle Unreinlichkeiten dem Willamette zu. Die Aussicht von dem flachen Dache des Gebäudes ist bei Hellem Wetter, wenn die Schneeriesen der Cascade Range, Monnt Hood und Mount Jefferson klar herüberschimmern und sich die grüne, wohlangebaute weite Ebene, durch welche der Willamette seinen Silberfaden hinschlängelt, im vollen Son nenglanze unter Einem ausbreitet, überaus prachtvoll. Das Chemeketa-Hotel war zur Zeit meines Besuches von Fremden, welche die in den nächsten Wochen in Salem abzuhaltende Industrieausstellung des Staates Oregon (Ors- gon 8kats fair) hergelockt hatte, in allen seinen Räumen überfüllt. Ich bemerkte im Fremdenbuche viele Namen von Besuchern aus den Neuenglandstaaten, welche den braven „Webfeet" bei diesen Ausstellungen allerlei werthlose Mnkee- producte für gutes Geld zu verkaufen pflegen und hier bei dieser Gelegenheit allemal eine goldene Ernte erzielen. Zu gewöhnlichen Zeiten aber halten sich in diesem Hotel nur wenige Gäste auf. Der Erbauer desselben hat den civilisa- torischen Statusquo von Oregon entschieden überschätzt und ist mit seinem Unternehmen der Entwickelung dieses Landes mindestens um ein halbes Menschenalter vorangeeilt. Nachmittags am 22. September setzte ich mit dem Ex preßzuge der Oregon- und California-Eisenbahn meine Reise südwärts fort. Kaum waren wir eine halbe Stunde unter wegs, als unser Zug mitten in einem Fichtenwalde anhielt. Ein uns vorangefahrener Güterzug war durch einen auf dem offenen Bahndamme spazieren gehenden Ochsen, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, dem eisernen Rosse nicht Platz machen zu wollen, zu Schaden gekommen. Sieben schwer beladene Frachtwaggons lagen neben und auf der Bahn wild Uber einander geworfen da, die Schienen waren krumm ge bogen und das Bahnbett befand sich in einem schrecklichen Zustande der Verwüstung. Glücklicherweise war Niemand bei diesem „Accident" zu Schaden gekommen; nur der Ochse hatte seine Thorheit mit dem Leben gebüßt. Während die Angestellten beider Bahnzüge sich bemüh ten, das Geleise wieder fahrbar zu machen, und das Wrack der zerschmetterten Waggons aus dem Wege zu schaffen, suchten wir hundert mitgekommenen Passagiere eine Men schenwohnung im Urwalde, wo wir für Geld und gute Worte ein Abendbrot erhalten könnten. Wir waren auch so glück- sich, ein Blockhaus zu entdecken, dessen Insassen sich bereit erkärten, uns gegen ein Honorar von einem Dollar für die Person ein famoses Souper anzurichten. Wer war froher als wir, denn die Aussicht, mit hungerigem Magen die Nacht im Walde zubringen zn müssen, hatte uns moralisch sehr niedergedrückt. Unsere Wirthsleute und ihr Restaurant ent täuschten jedoch die gestellten Erwartungen auf eine traurige Weise. Jene waren als unverfälschte „Wcbfeet" von der Cultur nicht im Geringsten berührt worden, und die Probe ihrer culinarischen Kunst, welche uns die Frau vom Hause gab, war sicherlich nicht von Pariser Art. Nach genossener Mahlzeit suchten wir die Stelle des Unfalls an der Eisenbahn wieder auf, wo es recht roman tisch aussah. Riesige Feuer waren von den Arbeitern im Walde angezündet worden, und die Locomotiven schnoben funkensprühend hin und her und halsen den Menschen bei der Riesenarbeit, das Wrack aus dem Wege zu schaffen. Die ses gelang denn auch bis Mitternacht so weit, daß unser Zug die Stelle des „Accident" passiren und seine unterbro chene Fahrt fortsetzen konnte. Nachdem wir den Santiam, einen Nebenfluß des Willamette, auf einer Brücke überschrit ten hatten, langten wir um zwei Uhr in der Nacht in Al bany, einem 27 englische Meilen von Salem entfernten an der Eisenbahn liegenden Städtchen, an, wo ich ein gutes Unterkommen fand. In Albany, einem Landstädtchen von etwa 1500 Ein wohnern, blühten zur Zeit meines Besuches Handel und Wandel, und die freundlichen Mienen von Jedermann gaben deutlichen Beweis, daß „die gute Zeit gekommen sei". In der Nähe des Städtchens sollte in einigen Tagen eine In dustrieausstellung im Bezirke (eouut^ kair) stattsinden, nnd es befanden sich mehr Fremde als gewöhnlich im Orte. Die zwei in Albany erscheinenden Zeitungen, „The State Nights Democrat" und „The Albany Register", veröffentlichten ele gant stilisirte Leitartikel über die glänzenden Geschäftsaus sichten, Pferderennen, die Eisenbahn, den Zufluß der Fremden, die diesjährige reiche Ernte und hohen Kornpreise rc. Der Werth des baren Geldes war bereits in Verwirrung be griffen. Schon am folgenden Morgen erfuhr ich dies, als ich mir von einem Afrikaner die Stiefelir putzen ließ, denn derselbe wies das ihm von mir dargebotene übliche Honorar von 10 Cents (etwa 4 Groschen) verächtlich zurück und ver langte einen Vierteldollar (10 Silbergroschen) für seine Müheleistung. Am Frühstückstische unterhielten sich mehrere Kaufleute, die in meiner Nähe Platz genommen hatten, Uber „ÜU8Ü time» in Isis Valley" (die glänzenden Zeiten im Thale, — nämlich dem des Willamette). Die Haupt ursache hiervon waren nächst der Ausstellung die gute Ernte und die hohen Kornprcise. Man erzählte mir, daß Linn County, in welchem Bezirke das Städtchen Albany liegt, in diesem Jahre (1871) mindestens für eine halbe Million Dollars Werth Weizen in den Markt bringen würde. Wäh rend der letzten Woche seien 100,000 Scheffel dieses Getrei des zur Weiterverschiffung nach der Stadt gebracht worden. Außerdem wurden hier in letzter Zeit mehrere hunderttausend Dollars durch den Verkauf einer im Bau begriffenen Wa- genstraßc an Capitalisten von San Francisco in Umlauf gesetzt, welche Straße über das Cascadegebirge und beim Harneysee vorbei nach dem Schlangenflusse, nahe der Mün dung des Malheur in denselben, geführt werden soll. Diese gegen 300 Miles lange Wagenstraße wird eine directe Ver bindung zwischen dem Boisethale in Idaho und dem Thale des Willamette Herstellen, und wurde den Actionären von der Regierung der Vereinigten Staaten ein werthvoller „Canä Crank" (800,000 Acker Land) als Unterstützung für den Bau jener Straße bewilligt. 44*