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Theodor Kirchhoff: Streifzüge in Oregon und Californien (1871). 346 Streifzüge in Oregon und Californien (1871). Von Theodor Kirchhoff. IV. Salem, die Hauptstadt von Oregon. — Das Chemeketa-Hotel. — Auf der Eisenbahn nach Albany. — Ein „Accident". — Souper im Urwalde. — Albany. — Flush Times. — Die neue Wagenstraße über das Cascade-Gebirge. — Industrie und Acker bau. — Ben Holladay, der Eisenbahnkönig. — Gereizte Stimmung der „Webfeet" gegen Californier. — Geringe Anzahl von Deutschen in Oregon. — Mein Freund Ganter. — Spaziertour nach dem Eichenhain. — Mary's Peak. — Die Ebene von Le banon. — Die Cascade Range. — Abstecher nach Corvallis. — Zwei feindliche Städte. — Vortheilhafte Landspeculationen. — Ein gesegnetes Land für Farmer. — Auf der Eisenbahn von Albany nach Harrisburg. — Nachts in der Postkutsche nach Eugene City. Die gut 5000 Einwohner zählende Stadt Salem (sprich: Salem) in Marion County, in welcher sich der Sitz der Regierung des Staates Oregon befindet, giebt im Ge gensätze zu dem handelsthätigen Portland das Bild einer ruhigen, ansehnlichen Landstadt. Breite, ungepflasterte Stra ßen, deren BUrgerstiege von Ahorn- und Akazienbäumen be schattet sind, durchschneiden sich rechtwinkelig in derselben; die Geschäftshäuser haben ein kleinstädtisches Aussehen, und das ganze Leben und Treiben im Orte hat einen bequemen Anstrich. Salem ist eine sehr fromme Stadt. Es giebt in ihr nicht weniger als 13 Kirchen, die acht verschiedenen Con- fessionen gehören, und der Platz ist voll von Temperenzlern. Die hier ansässigen 200 bis 300 Deutschen haben es noch nicht ermöglichen können, dem Gambrinus einen Tempel zu eröffnen, — ein in Amerika unerhörter Fall. Nach Dun kelwerden ist die Stadt wie ausgestorben und man begegnet alsdann selten Jemandem in den Straßen. Trotz dieses geringen civilisatorischen Fortschrittes erfreut sich der Ort eines namhaften Wohlstandes. Seine günstige Lage in mitten einer ausgedehnten und fruchtbaren Ebene am schiff baren Willamette, sowie die neue und wichtige Handelsstraße, die „Oregon- und California-Eisenbahn", welche nahe an der Stadt vorüberfuhrt, machen den Platz zum natürlichen Centralorte einer betriebsamen Landbevölkerung. Außerdem geben die hier thätigen Fabriken vielen Arbeitern Beschäfti gung, und die zahlreichen mit der Regierung in Verbindung stehenden Beamten, Stellensucher und Drohnen im Staats haushalte verzehren Alle Geld auf die eine oder die an dere Weise, was den Bürgern zum Nutzen gereicht. Die Stadt Salem ward bereits 1840 von mehreren aus dem damaligen „fernen Westen" (dem Missouriufer der jetzigen Staaten Iowa, Missouri und Kansas) überland eingewanderten Familien gegründet. Im Jahre 1849 ent stand das Territorium Oregon mit dem Regierungssitze in Oregon City, von wo das Capitol, als im Jahre 1851 Oregon als Staat in die Federation eintrat, nach dem schnell emporgeblühten Salem verlegt wurde. In der Stadt Salem befinden sich manche ansehnliche Gebäulichkeiten und gemeinnützliche Einrichtungen. Nennenswerth darunter sind die 1852 gegründete Staatsuniversität, welche im Jahre 1864 nach einem prachtvollen fünf Stock hohen Gebäude verlegt wurde; eine Taubstummenanstalt und mehrere gute Schulen; die Staatsbibliothek; ein Waisenhaus; Gas- und Wasserleitungswerke; eine Bank und vier Zeitungen. Die Stadt ist sogar schon mit einer aus Neuengland eingeführ ten modernen Dampffeuerspritze versehen. Auch das Staats zuchthaus und alle mit der Regierung Oregons in Verbin dung stehenden Bureaus liegen innerhalb des Weichbildes der Stadt Salem. Ein Opernhaus dagegen, welches Je mand als Privatspcculation erbaute, hat sich als ein gänz lich verfehltes Unternehmen herausgestellt. Der Erbauer desselben wurde bankerott, und die den Musen geweihten Hallen stehen öde und verlaffen da. Bessern Erfolg hatten gewerbthätige Unternehmungen, z. B. zwei Dampfmehlmühlen, welche täglich 60,000 Pfund Mehl mahlen, eine Fleischpackerei, drei Dampfsägemühlen, Fabriken sür das Herstellen von Fensterrahmen, Thüren und Stühlen, eine Maschinenbauwerkstatt und eine Oelmühle. Unter den Fabriken ist eine hier im Jahre 1856 gegrün dete Spinnerei und Wollenwaarenfabrit (IViHameits Vkoo- lsn NauulaokuriuK Oompau^) die wichtigste. Der rasch fließende „Mühlenbach" (NiU Orosll), welcher in den Bor bergen der Cascade Range entspringt und bei Salem in den Willamette fällt, giebt für dieselbe eine vorzügliche Was serkraft. Dieses blühende Etablissement verarbeitet monat lich 35,000 Pfund Wolle und ist wegen der Vortrefflichkeit der dort verfertigten Blankets und Tuche an der pacifischen Küste nicht minder berühmt, als die in Oregon City gele gene Wollenwaarenfabrik. Im westlichen Oregon wurden in den letzten Jahren viele Fabriken errichtet, welche sich sämmtlich einer hohen Blüthe erfreuen. Dieser Aufschwung der Industrie sowie der noch nie durch Mißernten gefähr dete Ertrag seines productiven Bodens sind die Grundpfeiler für die Entwickelung jenes Landes. Eine Zierde von Salem ist das in einem Jahre er baute „Chemeketa House", ein Hotel ersten Ranges. Der seltsame Name des Gasthauses ist ein indianisches Wort aus der Sprache der Santiam- und Champong-Jndianer, welche zur Zeit, als Salem gegründet wurde, hier ihre Wohnsitze hatten, und bedeutet wörtlich übersetzt: unser Heim. In dem Hotel, dessen Bau 160,000 Dollars gekostet hat, be finden sich 165 Zimmer, worunter 36 doppelte (Parlor und Schlafzimmer), alle auf das Glänzendste möblirt und mit reichen Teppichen, Vorhängen rc. ausgestattet. Gas- und Wasserleitung befinden sich in jedem Zimmer, und eine Te legraphenleitung, wie man sie jetzt in jedem großen ameri kanischen Hotel antrisit, geht von jedem derselben nach der „Office" (das Centralbureau im Hause). Wünscht ein Gast Bedienung, so braucht er nur gegen einen an der Wand sei nes Zimmers angebrachten Metallknopf zu drücken, und in wenigen Minuten wird ein Aufwärter erscheinen. Durch den Druck am Metallknopfe wird der bis dahin unterbro chene elektrische Strom auf dem Draht zwischen Zimmer und Centralbureau sofort hergestellt. Die Batterie steht in eineni Verschluß Hiner dem sogenannten „Jndicator", eine große Tafel mit Oeffnungen daran für alle Zimmernummern im Hotel. Sobald telegraphirt ist, läutet in der „Office" eine kleine Glocke, um die Aufmerksamkeit des Buchhalters zu erregen, und gleichzeitig fällt ein kleiner Magnet, von denen einer hinter jeder von den bis dahin leeren Zimmernummern