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Dr. Mehwald: Zur Kennzeichnung der Finnen im hohen Norden. 329 und dergleichen, versehen. Kommt daher Gesellschaft, so sind sie allemal genöthigt, sogleich zu den benachbarten normänni- schen Familien zu schicken und sich das Fehlende zu leihen. Im Alltagsleben wird beim Finnen nur Milch, oder Mol kensuppe auf den Tisch gesetzt und Jeder von den Anwesen den suppt aus einem großen Schöpflöffel der Reihe nach — Eins nach dem Andern. Eine andere Eigenthümlichkeit des Finnen ist seine Vor liebe für die blaue Farbe. Zwar werden die Särge für Erwachsene schwarz angestrichen, aber die Kindersärge müssen blau sein. Ueber die Farbe der Kindersärge entsteht oft Streit, wenn die Eltern verschiedenen Nationalitäten an gehören; denn der Normanne verlangt schwarze, der Finne blaue Särge. Auch unterscheidet sich die Form des finni schen Sarges sehr bedeutend von dem normännischen. Der finnische hat krumme Seiten, mit eingehobelten Kanten; der normannische hat ferner eine breite, während der finnische nur eine schmale Leiste hat, welche absticht wie bei einem um gewendeten Boote der Kiel. Oben am Kiel wird eine Krone von Stahldraht befestigt, welche mit grünem Bande um wickelt ist und bisweilen zugleich mit künstlichen Blumen geputzt wird; diese sollen die Krone des Lebens bezeichnen. Manche Finnen haben ihre Särge grün gemalt und mit hellgelben Sternen übersäet. Der Priester wird jedesmal ersucht, der Leiche bis zum Grabe zu folgen, und sehr glücklich fühlt sich der Finne, wenn der Geistliche in seinem Hause eine Leichenrede hält, selbst wenn diese Grabrede in norwegischer Sprache gehalten würde, wovon doch Viele nur wenig verstehen. Im Gan zen genommen haben die Finnen mehr Achtung vor ihren Todten als die Lappen. Denn so behülflich beide Nationen im Alltagsleben einander sind, so wenig dienstfertig sind die Lappen, wenn ihr Dienst einer Leiche gelten soll. Am Varangerfjord hilft ein Bruder nicht dem andern die Leiche des Vaters begraben, wenn er nicht nach alter Gewohnheit I Mark (9 Sgr. Preuß.) vorausbezahlt erhält! Geht man durch die Finnenstadt Vadsö, so sieht man an einigen Häusern an den Fenstern Blumentöpfe mit blü henden Blumen stehen und kann gewiß sein, daß diese Häu ser Normannsfamilien gehören oder von solchen bewohnt werden. Denn die Finnen und Lappen haben keine Vorliebe für Blumen; wogegen sich die Norwänner von Lindesnäs bis zum Nordcap in der Blumenpflege auszeich- nen, so daß selbst in den elendesten Holzhauerhütten die eine oder andere Gartenblume am Fenster die Vorliebe der Be wohner für Blumenpflege zeigt. Selbst die Sätermägde nehmen beim Austreiben der Viehherde auf die Säter (Hoch gebirgsweideplätze) die eine oder andere ihrer Lieblingsblu men aus dem Thale mit hinauf auf die Säter, um sich an dem Anblicke derselben zu erfreuen, wenn sie aus dem schma len Fenster der Säterhütte herauslacht. Die Fensterrahmen in den Wohnungen der Finnen sind nach innen schräg gestellt, so daß das Wasser von geschmol zenem Eise und Schnee leicht nach außen ablaufen kann. Dagegen bestimmt den Normann seine Vorliebe für Blumen im Fenster, vielleicht auf Kosten der Nützlichkeit, die Fenster rahmen breit und horizontal zu machen, so daß in denselben Platz genug ist für Blumentöpfe und andere Dinge. — Auch in der Form der Bettstellen unterscheiden sich Fin nen und Normannen; denn die letzteren haben nur offene Bettstellen, welche den Feldbettstellen in Deutschland ähnlich sind; dagegen haben die Finnen Bettrahmen, welche geschlos sen werden können und daher am Tage als Bänke dienen. Ein solches Bankbett hat allemal eine hohe, mit Schnitzwerk verzierte Rückenlehne. Der Charakter der Finnen und Normannen erscheint bei genauer Betrachtung dieser Völker doch ziemlich verschie den. Denn der Finne kann ganz allein in menschenleeren Gegenden wohnen und sich wohl fühlen, während er doch gesellig ist, sobald er in einer Quänenstadt Wohnung nimmt. Ja, man spricht sogar in solchen Städten darüber, daß die Finnen zu gesellig seien, weil sie häufig einander Besuche machen, fast täglich einander die Stube füllen und oft sehr laut werden, wenn Alle zu gleicher Zeit reden. Sobald ein Mann oder eine Frau zu irgend einer Stunde des Tages etwas Zeit übrig haben, gehen sie zu allen Nachbaren und vertreiben sich die Zeit mit Müßiggang und leerer Plau derei. — Bei solchen täglichen kleinen Visiten wird den Gä sten nichts dargereicht, Sonntag Abends jedoch etwas „trac- tirt". Jndeß bestehen die dargereichten Delicatessen meist in ein Paar Sorten Milch. Zu Weihnachten aber werden Gesellschaften gebildet und man trinkt tapfer. Auch Schlit tenpartien gehören zu den Wintervergnügen der Finnen. Obschon diese im Ganzen genommen ein etwas lang sames Volk sind, so sind sie doch eifrige und aushaltende Tänzer, wenn sie erst ordentlich in den Tact kommen und die Beine in Bewegung gesetzt haben. Der Tanzsaal in Vadsö ist fast täglich besucht, und alle modernen Tänze, als Walzer, Galop, Polka u. s. w., haben gleichzeitig mit der Crinvline den Weg bis hinauf nach Lappland gefunden, und waren die Crinolinen der finnischen Mädchen wo möglich noch größer und steifer als irgendwo im Süden. Die Finnenfrauen sind sehr putzsüchtig. Selbst die ärmsten tragen jederzeit ein schwarzseidenes Tuch um den Kopf, wenn sie ausgehen. Die Wohlhabenden zeichnen sich durch stattliche Kleider, besonders von hellfarbigen Stoffen, aus und machen Staat mit ihren vielen Ringen an den Fingern, mit Armbändern, Perlenbändern um den Hals und großen Ohrbommeln. Hat eine Braut nicht selbst den nöthigen Putz, so leihet man ihr Kleider und andern Staat. Die Finnenbraut trägt nicht, wie die norwegischen Frauen, das Haar aufgeschlagen, sondern im Nacken aufgesteckt, und dann mit Schleifen und bunten Bändern befestigt. Der Bräutigam geht meist in der schwarzen normännischen Tracht, wo nämlich die Finnen nicht die lappische Küste ange nommen haben. Die Hochzeitfeier ist zwiefältig; man un terscheidet „Trinkhochzeit" und „Tanzhochzeit". Bei der erstern muß jeder Gast ein Geschenk, groß oder klein, mit bringen. Bei der andern ist dies dem freien Willen der Gäste überlassen. Die Tanzhochzeit wird nicht zu Hause, sondern im öffentlichen Tanzhause abgehalten. Das Braut paar begiebt sich unmittelbar nach der Trauung aus der Kirche auf den Tanzsaal, wo die Gäste schon versammelt sind und der Tanz sogleich beginnt. Bei der „Tanzhoch zeit" werden die Gäste nicht mit Speisen, sondern nur mit Wein und Punsch tractirt. Man tanzt und giebt Touren die ganze Nacht hindurch, und damit ist die ganze Feierlich keit zu Ende. Nachdem eine Weile getanzt worden, setzt der „Meister des Festes" einen Tisch in die Mitte; darauf einen Teller, welcher mit einem Tuche bedeckt ist, setzt sich selbst an den Tisch und fordert nun die Hochzeitgäste auf, ihre Geschenke abzugeben, welche er unter dem Tuche ver birgt und dann, wenn Jeder seine Gabe dargebracht hat, mit lauter Stimme ausposaunt: daß N. N. so oder so viel gegeben habe. Doch giebt er, wohlgemerkt, niemals dierechte Summe an, sondern macht sie drei bis vier Mal so groß, als sie ist, um das „geehrte Publicum" aufzumuntern, hübsch mit vollen Händen zu kommen. Dr. Mehwald. Globus XXI. Nr. 21. (Mai 1872.) 42